Flake von Rammstein
Flake: "Wir sind ja keine Maschinenmenschen"

Flake von Rammstein: "Wir sind ja keine Maschinenmenschen"

Rammstein-Keyboarder Flake über das Ende der großen Party und sein neues Erinnerungsbuch.

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Über das Phänomen Rammstein kursiert ein geflügeltes Wort: Für die deutsche Sprache hat die Berliner Band in den vergangenen 23 Jahren mehr getan als das Goethe-Institut seit seiner Gründung. In sozialen Medien kann man von Fans lesen, die nur dank der sechs Musiker aus der ehemaligen DDR Deutsch gelernt haben. Ob in São Paulo, Sydney oder Paris - überall singen die Menschen nahezu fehlerfrei mit, wenn Sänger Till Lindemann seinen Bariton erklingen lässt. 2010 verkaufte die Band ihr Konzert im New Yorker Madison Square Garden, der wohl berühmtesten Arena der Welt, in nur 20 Minuten aus.

Für die Berliner Autorin und Radio-Moderatorin Marion Brasch, die Rammstein bestens kennt, ist das Phänomen leicht zu erklären: "Sie machen trotz ihrer vordergründigen Brutalität schöne Musik“, sagt sie im Gespräch mit profil. "Das sind tolle Melodien, die berühren, obwohl sie so grimmig um die Ecke kommen.“ Zudem seien die Konzerte ein Erlebnis ohnegleichen - "wie ein schöner, bunter, böser Kindergeburtstag“: ein perfekt inszeniertes Spektakel mit Feuerwerfern, SM-Rollenspielen und absurder Theatralik.

Rammstein-Keyboarder Christian Lorenz, der sich seit seiner Jugend Flake nennt, ist nicht nur der Bühnenschelm seiner Band, er besitzt auch die Fähigkeit, wunderbar-seltsame Bücher zu schreiben. Nach seinen DDR-Erinnerungen ("Der Tastenficker“, 2015) ist dem heute 50-Jährigen nun ein weiteres Kleinod der Absonderlichkeiten gelungen, das er geschickt als Musiker-Memoiren getarnt hat. In "Heute hat die Welt Geburtstag“ erzählt Flake nicht nur von den schwierigen Anfangstagen einer oft missverstandenen Ossi-Band, sondern beschäftigt sich auch mit existenziellen Fragen.

profil: Nach Jahrzehnten im Musikgeschäft geben Sie noch immer ungern Interviews. Hat sich das nie gebessert? Flake: Wir machen Musik, die für sich sprechen soll. Wenn ich erklären muss, warum ein Lied so oder so geschrieben ist, funktioniert offenbar das Lied nicht. Das wäre so, als müsste ich Ihnen einen Witz erklären.

profil: Mit Ihrem neuen Buch gehen Sie auf Lesereise. Kann man das mit einem Konzert vergleichen? Flake: Eine Lesung empfinde ich als eine größere Herausforderung. Ich bin allein auf der Bühne, ohne Kostüm und Maske, da komme ich mir manchmal nackt vor. Eine Band überwältigt mit Lautstärke, Show und Rhythmus. Diese Mittel stehen mir bei einer Lesung nicht zur Verfügung.

profil: Glücklich sind Sie mit Ihren Lesungen nicht? Flake: Es ist für mich vergleichsweise schwierig. Lesen ist eine sehr intime Sache, kein Bespaßungs-Ereignis.

profil: Immerhin haben Sie mit "Heute hat die Welt Geburtstag“ eine Art Band-Biografie geschrieben. Flake: Für mich ist das Buch keine Rammstein-Biografie, ich würde es eher als Roman kategorisieren. Wir begleiten darin eine Band an einem fiktiven Tag. Das Große ist da nicht wichtiger als das Allerkleinste. Dass ich als Künstler eine Platin-Platte überreicht bekomme, hat für mich kaum Bedeutung, wenn ich auf der Bühne dringend pinkeln muss.

profil: Wie erklären Sie sich den Erfolg von Rammstein? Flake: Das Wichtigste nach all den Jahren ist, dass wir uns innerhalb der Band gut verstehen und gelernt haben, miteinander umzugehen. Wir streiten nicht wegen finanzieller Dinge, wir lassen uns nicht reinreden und nicht von außen kaputtmachen. Als Band stehen wir zusammen. Das ist der Trick. Eine Ellenbogengesellschaft, in der jeder gegen jeden kämpft, ist der falsche Weg, wenn man im Leben glücklich oder erfolgreich werden will.

profil: Wundern Sie sich noch über das Musikgeschäft? Flake: Für Außenstehende ist es völlig absurd, was Musiker den ganzen Tag so machen. Sie hängen in Backstage-Räumen ab, schütteln die Hände Tausender Fans, wie eine Maschine, jeden Tag. Das darf man alles gar nicht erzählen.

profil: In Ihrem Buch beginnt die Maschine Rammstein merklich zu menscheln. Absicht? Flake: Wir sind ja keine Maschinenmenschen, die nur stumpf und stur funktionieren, auf die Sekunde pünktlich. Ich versuche, die Leser in unsere Welt einzuladen, und das funktioniert nur, wenn man es mit Menschen zu tun bekommt, die einem nahe sind.

Flake liest aus "Heute hat die Welt Geburtstag"

profil: Sie erzählen freimütig von Eskapaden und Backstage-Partys. Wie kam das bei den Kollegen an? Flake: Die sehen das sehr unterschiedlich. Die Eskapaden waren aber eher nicht das Problem. Jeder hat zu den Abläufen seine eigene Geschichte.

profil: Hat die Band mit dem Erfolg für Sie an Reiz verloren? Flake: Man verliert und man gewinnt etwas, das ist ähnlich wie in einer langen Beziehung. Am Anfang ist man verliebt, es herrscht totale Euphorie. Dann kommen Hochzeit, Alltag und Kinder, man erntet die Früchte. Plötzlich befindet man sich in der Beziehung auf einer neuen Ebene. Genau so ist das mit der Band. Mit Wehmut hat das nichts zu tun.

profil: Heute schauen Sie lieber "House of Cards“? Flake: Ich habe nicht mehr so viel Spaß daran, rauschende Feste zu feiern und die ganze Nacht durchzusaufen. Ich gehe lieber früh ins Bett.

profil: Es gibt für Sie ein Leben neben der Musik? Flake: Gerade Menschen, die verrückt nach ihrer Musik sind, haben es im Leben schwer. Das sind dann oft die, die in eine große Krise geraten, wenn es einmal nicht mehr so gut läuft. Ich bin wirklich nur auf der Bühne Musiker - und habe neben der Band ein ganz normales Privatleben.

profil: Rammstein-Konzerte sind Spektakel. Fehlt zwischen Feuershow und Bühnendramaturgie nicht die Beschäftigung mit der Musik? Flake: Ich kann Sie beruhigen: Ich bin die ganzen zwei Stunden voll und ganz bei den Liedern und fühle mit der Musik. Die Show ist das Beiwerk.

profil: Verfolgen Sie mit der Band ein höheres Ziel? Flake: Ich glaube, dass wir vielen Menschen im Leben weitergeholfen, ihnen Selbstbewusstsein gegeben haben. In unseren Anfangsjahren haben wir manchmal Briefe von Missbrauchsopfern bekommen, die sich durch Rammstein erstmals getraut haben, über ihre Traumata zu sprechen und zur Polizei zu gehen. Musik ist zudem ein Werkzeug, das einem hilft, sich von den Eltern zu distanzieren und abzunabeln.

profil: Weltweit lernen Menschen wegen Rammstein Deutsch. Ehrt Sie das? Flake: Nicht nur das. Deutschland wird auch wegen uns heute anders gesehen. In vielen Ländern haben die Leute angefangen, sich mit Deutschland zu beschäftigen, weil wir dort zufällig ein Konzert gespielt haben.

Interview: Philip Dulle

Flake: Heute hat die Welt Geburtstag. Fischer, 364 S., EUR 20,60

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.