REGISSEUR MONDTAG: "Es ist doch Quatsch, dass Theater so politisch sei."

Wiener Festwochen: Ersan Mondtags "Orestie"

Der junge Berliner Regisseur Ersan Mondtag polarisiert mit stilisierten Inszenierungen und beachtlichem Selbstbewusstsein. Nun ist bei den Wiener Festwochen seine Version der "Orestie" zu sehen.

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Die meisten jungen Regisseure wollen nicht anecken: Der Druck ist groß, der Betrieb knallhart. Besser nichts Falsches sagen. Sie sind das Gegenteil eines Claus Peymann, 80, der stets meinte, man solle seine Aussagen maximal zuspitzen. Diese diffuse Angst, sich Feinde zu machen, kennt der Berliner Regisseur Ersan Mondtag, 31, nicht. Gespräche mit ihm sind Kampfansagen an den deutschen Theaterbetrieb. Mondtag hat bei Peymann und Frank Castorf assistiert; er weiß, dass Exzentrik und Selbstbewusstsein im Theater nicht schaden. Peymann habe damals von ihm geglaubt, er sei ein talentierter Perser, erzählt der Sohn türkischer Einwanderer beim Treffen in Wien amüsiert. Als Abkömmling des persischen Königreichs erscheine man eben kulturell höherwertig. Mondtag, mit Baseball-Cap und bubenhaftem Charme ausgestattet, liebt solche Anekdoten. Sie zeigen, wie klischeehaft das Theater nach wie vor funktioniert.

"Verheißung des deutschen Theaters"

Mit zwei Einladungen zum renommierten Berliner Theatertreffen hat Mondtag schon in jungen Jahren künstlerisch einiges vorgelegt. Er gilt als "Verheißung des deutschen Theaters", so das Fachblatt "Theater heute". Seine Inszenierungen polarisieren, sie werden hymnisch gefeiert oder leidenschaftlich ausgebuht, als "Überwältigungskitsch" kritisiert. Sein Markenzeichen ist eine bildgewaltige, oft auch beklemmende Bühnensprache. Seine stärksten Arbeiten - etwa "Die Vernichtung" in Bern oder "Das Internat" in Dortmund - wirken wie düstere Gemälde, die lebendig geworden sind. Die Akteure stecken in Ganzkörperkostümen und agieren extrem stilisiert. In Mondtags hermetisch geschlossenen Welten herrschen meist brutale Zustände. Gewalt ist ein zentrales Thema, das anhand des komplexen Verhältnisses von Individuum und Kollektiv abgehandelt wird. Genau das macht seine oft sehr abstrakten, assoziativen Inszenierungen auf den zweiten Blick immens politisch. "So betrachte ich auch die Welt", erklärt Mondtag: "Als Gemeinschaft, in der es um Inklusion und Exklusion geht. Was bedeutet zum Beispiel, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre? Soll man Moscheen anzünden?"

Um starke Ansagen ist Mondtag nie verlegen. Kurzerhand brachte er sich in einem Interview mit der APA als Nachfolger für Chris Dercon an der Berliner Volksbühne ins Spiel: Er stehe "selbstverständlich" zur Verfügung; man möge "nicht wieder eines dieser Durchreise-Katalogtheater" installieren, "die alle denselben belanglosen Scheiß reproduzieren". Elfriede Jelinek schreibe für ihn und den Schauspieler Benny Claessens gerade ein Stück, das am Gorki Theater uraufgeführt werden soll, erzählt er im profil-Gespräch. Jelinek relativiert das auf Anfrage: "Das ist natürlich nicht wahr." Aber sie sei "gerührt, dass er sich das so wünscht". Irgendwann würden sie sicher zusammenarbeiten. Oft werden Tatsachen aus Mut und Selbstbewusstsein gemacht -und davon hat der junge Regisseur mehr als genug. Seine starke Regiesetzung würde jedenfalls bestens zur Sprachgewalt von Jelinek passen.

"Zu müde für Krawall"

Mondtag, der mit Nachnamen eigentlich Aygün heißt (die beiden Silben bedeuten "Mond" und "Tag"), eilt der Ruf voraus, autoritär zu sein. Auf der Probe könne schon manchmal aus Wut ein Gegenstand durch den Raum fliegen, meinte er einmal. "Ich bin mittlerweile zu müde für Krawall", winkt er im Gespräch ab. "Es funktioniert aber auch besser, wenn die Theater wissen, wie sie mich behandeln müssen, damit die Proben nicht eskalieren." Gleichzeitig finde er schade, dass die Wut auf politische Verhältnisse mehr und mehr verpuffe, je erfolgreicher er werde. "Es ist doch Quatsch, dass Theater so politisch sei. Man hat überhaupt keine Kraft mehr, sich über Trump aufzuregen, weil die Arbeit so viel Energie frisst."

Auch in Sachen Feminismus spricht der Regisseur eine deutliche Sprache: "#MeToo war längst überfällig. Alle wussten über Matthias Hartmann und ähnliche Kollegen Bescheid, aber keiner hat etwas gesagt." Weibliche Kräfte seien im Theater historisch unterdrückt worden, deshalb brauche es jetzt eine Quote, die dafür sorge, "dass Frauen Zutritt haben, um sich auf der Qualitätsebene auszubreiten", und zwar auch hinter der Bühne, wo in vielen Bereichen noch immer vor allem Männer arbeiten.

Auf Einladung der Wiener Festwochen ist nun erstmals auch hierzulande eine Arbeit des Shootingstars zu sehen. "Die Orestie" von Aischylos (ab 21.5. im Theater an der Wien) ist allerdings kein typisches Mondtag-Werk. Sprache spielt bei ihm meist keine so große Rolle wie in dieser Antiken-Bearbeitung. "Ich finde meine Inszenierungen auf eine Art schwer zugänglich", gibt Mondtag zu. "Aber ich entschädige mit starken Bildern, Musik und einer filmischen Atmosphäre. Ich bin der Überzeugung, dass Theater auch unterhalten muss." In Zukunft wolle er verstärkt international und im Festivalkontext arbeiten, erzählt der Regisseur, der für ihn wichtige Inszenierungen den Theatern auch schon abgekauft hat, um sie anderswo wieder aufnehmen zu können. Seine Proben filmt er zur Gänze mit, um ein Archiv anzulegen. Ein Größenwahn schwingt da schon mit. "Ich bin in dieser Hinsicht altmodisch, ich möchte ein Werk haben, und das Theater ist einfach sehr flüchtig", betont er.

Die Autorisierung seiner Interviews besorgt Mondtag übrigens gern selbst - natürlich nur, um sie ein wenig zuzuspitzen. "Die Theater üben meist Vorzensur." Claus Peymann kann durchaus stolz sein auf seinen mentalen Ziehsohn.

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