Die sechs Kommunikations-Regeln von Schwarz-Blau

Geschliffene Kommunikation ist die Paradedisziplin der schwarzblauen Regierung. Doch die Koalitionäre tricksen - mit falschen Zahlen und manipulativen Verlautbarungen. profil hat sechs PR-Leitlinien des Kabinetts Kurz ausgemacht.

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Es war nur eine Randnotiz der abgelaufenen Woche - und doch ist die Meldung charakteristisch für die trickreichen Kommunikationspraktiken der ÖVP/FPÖ-Regierung. "Die Linzer Universitätsprofessorin Katharina Pabel hat ihre Nominierung als österreichische Richterin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ohne Angabe von Gründen zurückgezogen", meldete am vergangenen Dienstag die Austria Presse Agentur unter Berufung auf "Regierungskreise".

Einen Tag später wurde allerdings bekannt, dass Pabels Rückzug nicht freiwillig erfolgt war: Die Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus Linz soll am EuGH-Hearing gescheitert sein. Offenbar wollten die Strategen der Koalition der Negativmeldung zuvorkommen und lancierten die Mär vom freiwilligen Verzicht. Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal sah in der Folge dennoch keinen Anlass, die Schlappe für die Koalition zu rechtfertigen. Dass Pabel ihre Kandidatur zurückgezogen habe, "müssen wir akzeptieren", bekräftigte er die bereits widerlegte Meldung in einer schriftlichen Stellungnahme.

Das Publikum bekommt die mehrfachen Wendungen einer Geschichte wohl nur am Rande mit. Was zählt, ist der erste Eindruck - und den hat Schwarz-Blau perfektioniert. Die aktuelle Koalition ist zwar nicht die erste, die penibel auf ihre Außenwirkung achtet, doch die Regierung Kurz steuert ihren Informationsfluss mit bemerkenswerter Konsequenz. "Message control" nennen Medienwissenschafter streng durchgetaktete Kommunikationspläne. Jüngst fiel die Regierung allerdings immer wieder mit falschen Zahlen, Halbwahrheiten und manipulativen Wordings auf. profil hat die schwarz-blaue Regierungskommunikation der vergangenen Wochen studiert und sechs Merkmale ausgemacht.

1. Gib niemals einen Fehler zu

"Die Bundesregierung verschreibt sich dem Sparen im System und der Verwaltung, was auch in der Besetzung der Kabinette zum Ausdruck kommt." (Peter Launsky-Tieffenthal, 26. März 2018, Pressemitteilung)

Seit dem Start der Koalition beschwören die Minister immer wieder ein Mantra: "Wir sparen im System, nicht bei den Menschen." Die Oppositionsparteien waren erpicht, die Botschaft zu konterkarieren. Ab Jahresbeginn warfen sie der Koalition gestiegene Ausgaben bei den Regierungsmitarbeitern vor. Anfangs versuchte Regierungssprecher Launsky-Tieffenthal noch, die oppositionellen Behauptungen zu zerstreuen: Er beteilige sich nicht "an Hochrechnungen", teilte er im März mit. Erst die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von NEOS-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak brachte Klarheit: Demnach stieg die Zahl der Kabinettsreferenten im Vergleich zur Vorgängerregierung von 164 auf 175. Die Kosten erhöhten sich um neun Prozent. Die neu geschaffenen Generalsekretäre und ihre Büros wurden dabei noch gar nicht eingerechnet. Von Launsky-Tieffenthal war seither nichts mehr zum Thema zu hören.

2. Veröffentliche nur, was für dich spricht

"Seitdem wir in der Regierungsverantwortung sind, haben die Abschub-Vorgänge um 40 Prozent zugenommen." (Heinz-Christian Strache, 23. Juni 2018, Ö1-"Mittagsjournal")

Die Devise von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) war unmissverständlich: Der Ressortchef wünschte sich mehr Rückführungen von Asylwerbern mit negativem Bescheid. Vor zwei Wochen legte Parteifreund Heinz-Christian Strache eine erste Bilanz vor. 40 Prozent mehr Abschiebungen habe es seit der freiheitlichen Regierungsbeteiligung gegeben. profil fragte im Innenressort nach, wo Straches Zahlen nur zum Teil bestätigt wurden. Zwar nahmen die Zwangsabschiebungen um 36 Prozent zu, doch die Rückführungen in andere EU-Staaten erhöhten sich nur leicht, während die Zahl der freiwilligen Rückkehrer stagnierte. Letztere Gruppe machte im Vorjahr immerhin 42 Prozent aller Heimkehrer aus. Damit ergeben sich insgesamt leicht erhöhte Rückführungszahlen -von Straches 40-prozentiger Steigerung kann aber keine Rede sein. "Mit den aktuell vorliegenden Zahlen sind die Außerlandesbringungen vergleichbar mit dem Niveau des Vorjahreszeitraums", hielt der Pressesprecher des Innenressorts fest. Die Macht des Innenministers ist ohnehin beschränkt: Einen maßgeblichen Anteil an den derzeit steigenden Zahlen hat das EU-Rückführungsabkommen mit Afghanistan, das im Frühjahr 2017 geschlossen wurde. Der Staat erhält von der EU jährlich 1,2 Milliarden Euro und verpflichtete sich im Gegenzug, abgelehnte Asylwerber zurückzunehmen.

3. Renne offene Türen ein

"Feministische Sprachvorgaben zerstören die gewachsene Struktur unserer Muttersprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit." (Mario Kunasek, 25. Mai 2018, "Kronen Zeitung")

Mit einem Erlass gegen das Binnen-I sagte Verteidigungsminister Mario Kunasek geschlechterneutralen Formulierungen (etwa "StudentInnen" statt "Studenten") in seinem Ressort den Kampf an. Bloß: Der FPÖ-Mann zog gegen einen unsichtbaren Feind zu Felde. Denn eine Gender-Bestimmung hatte es im Verteidigungsressort nie gegeben. Der Applaus seiner Anhänger war Kunasek dennoch gewiss.

4. Nutze Feindbilder

"Es ist unfair, wenn Neuzuwanderer genauso viel bekommen wie Menschen, die ihr Leben lang in das System einbezahlt haben." (Sebastian Kurz, 28. Mai 2018, Regierungsklausur)

"Mehr Geld für Österreicher, weniger für Ausländer. Das ist die neue Mindestsicherung." (Heinz-Christian Strache, 2. Juni 2018, Facebook)

Tatsächlich sollen EU-Ausländer künftig mit einer - rechtlich umstrittenen - fünfjährigen Wartefrist von der Mindestsicherung ausgeschlossen werden. Da Asylberechtigte gegenüber Inländern nicht schlechtergestellt werden dürfen, versucht es die Koalition mit einem Kunstgriff: 300 Euro der maximal 863 Euro hohen Mindestsicherung sollen an Deutschkenntnisse geknüpft werden. Entgegen der Darstellung der Regierungs-PR treffen die Kürzungen bei kinderreichen Familien allerdings nicht nur Migranten, sondern alle. In der Diktion von Kurz: Menschen, die ihr Leben lang einbezahlt haben, bekommen künftig weniger Mindestsicherung -ebenso wie Neuzuwanderer.

5. Rede unpopuläre Maßnahmen schön

"Alleinerzieherinnen und ihre Kinder in allen Bundesländern sind die Gewinnerinnen dieses Modells, da ihnen in Zukunft mehr Mittel zur Unterstützung zukommen werden." (Peter Launsky-Tieffenthal, 3. Juni 2018, Pressemitteilung)

Alleinerzieherinnen erhalten künftig mehr Mindestsicherung - allerdings nur, wenn sie maximal zwei Kinder haben. Wer mit drei Kindern oder mehr in einem Haushalt lebt, den treffen die geplanten Kürzungen sehr wohl. Hilfsorganisationen deckten Anfang Juni falsche Regierungszahlen auf -der Regierungssprecher blieb dennoch bei seiner Darstellung. Von den Kürzungen betroffen wären laut Zahlen der Statistik Austria etwa 30 Prozent der Alleinerzieherinnen.

6. Warte, bis es niemanden mehr interessiert

"Der Obmann der Burschenschaft 'Bruna Sudetia', der auch im Büro des Verkehrsministers als Referent tätig ist, hat nach der heutigen Einleitung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft um die sofortige Beurlaubung im Büro des Bundesministers angesucht, bis die Vorwürfe restlos aufgeklärt sind." (Pressemitteilung des Verkehrsministeriums, 21. Februar 2018)

Die Aufregung war groß, als die Wochenzeitung "Falter" neonazistische Textzeilen aus einem Liederbuch der Wiener Burschenschaft "Bruna Sudetia" publik machte. Der Obmann der Verbindung, Herwig Götschober, ließ sich infolge des Skandals als Pressereferent bei Verkehrsminister Norbert Hofer beurlauben - so lange, "bis die Vorwürfe restlos aufgeklärt sind", wie es in einer Pressemitteilung des Ressorts im Februar hieß. Längst ist Götschober zurück in Hofers Kabinett, obwohl die Wiener Staatsanwaltschaft auf Anfrage erklärt, dass die Ermittlungen gegen die "Brunen" noch "am Laufen" sind.

Die Regierungs-PR ist zwar effektiv und gerissen. Nicht jede hochtrabende Ankündigung eines Ministers muss deshalb zwingend falsch sein: Norbert Hofer versprach im April in einer Parlamentsdebatte das "größte Investitionspaket für die Schiene, das es in Österreich je gegeben hat". Die ÖBB-Infrastruktur bestätigt die Darstellung des FPÖ-Politikers. Bis 2023 wird mehr Geld in den Bahnausbau investiert als je zuvor. So unglaublich sie klingen mögen - Jubelmeldungen können auch wahr sein.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.