Österreich

Susanne Raab: Ministerin oder Sektionenchefin?

Susanne Raab ist Ministerin für Integration und Frauen. Ein Fach beherrscht sie, im zweiten gilt sie als Fehlbesetzung.

Drucken

Schriftgröße

Was sollte die Grundausstattung von Ministerinnen und Ministern sein? Dreierlei. Führungskompetenz: ein Ministerium ist ein sehr komplizierter Apparat. Kommunikationstalent: weil die beste Politik nichts bringt, wenn Minister nicht öffentlich Stellung beziehen. Und Sachkenntnis: garantiert bessere Regierungsresultate und stärkt die eigene Autorität.

Susanne Raab, 38, ist eine politische Quereinsteigerin. Bundeskanzler Sebastian Kurz machte die Oberösterreicherin aus Ampflwang im Jänner 2020 zur Ministerin für Frauen und Integration. In Integrationsfragen besaß sie jede Menge Sachkenntnis, in der Frauenpolitik galt sie als Anfängerin.

Mittlerweile hat Raab ihr Regierungsportefeuille erweitert. Nach dem Rücktritt von Ministerin Christine Aschbacher im Jänner 2021 erhielt sie die Familien-Agenden und vor einem Jahr mit Amtsantritt von Bundeskanzler Karl Nehammer die Medienpolitik, mit der sie sich zuvor nie beschäftigt hatte.  Auch in der Spitzenpolitik gilt das Prinzip Learning-by-Doing.

Ob Raab über die Führungskompetenz zur Leitung eines Ministeriums verfügt, bleibt unklar. Sie hat nämlich kein eigenes, sondern ist Bundesministerin im Kanzleramt, wie auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. Kanzleramtsminister sind Regierungsmitglieder zweiter Klasse, die nur im Wirkungsbereich des Bundeskanzlers tätig werden. Edtstadler weiß diesen begrenzten Spielraum zu nützen, Raab eher nicht.

Förderer Sebastian Kurz

Wie ein Ministerium funktioniert, weiß sie allerdings mit Sicherheit. Vor dem Wechsel in die Politik durchlief die promovierte Juristin eine Beamtenkarriere, und zwar äußerst rasant. Im Jahr 2011 arbeitete sie als Referatsleiterin für Integrationskoordination im Innenministerium. Ihre Ressortchefin hieß Johanna Mikl-Leitner. Ihr eigentlicher Boss war der jugendliche Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, dem sie 2014 ins Außenministerium folgte. Drei Jahre später wurde sie dort – mit 33 Jahren – Sektionsleiterin für Integration.

Im Außenamt konnte sich Kurz den innenpolitischen Scharmützeln entziehen. Er jettete imagefördernd um die Welt, während in Wien Vertrauensleute wie der damalige Innenminister und heutige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die rot-schwarze Regierungsarbeit sabotierten. Eigene innenpolitische Interventionen setzte Kurz wohldosiert. Sein Hebel: die von ihm bewusst ins Außenamt transferierten Integrationsagenden. Seine Erfüllungsgehilfin: Susanne Raab.

Spöttisch betrachtet, änderte sich nach Kurz’ Aufstieg ins Kanzleramt und Raabs Beförderung zur Kanzleramtsministerin gar nichts. Er gab weiterhin den scharfen Integrationskurs vor, den sie exekutierte, bloß eine Ebene höher. Erkundigt man sich bei Raab nach Sebastian Kurz, bleibt sie unverbindlich. Ihr Regierungschef sei jetzt Karl Nehammer.

Eine Regel der österreichischen Hochbürokratie besagt: Minister kommen und gehen, Sektionschefs und Sektionschefinnen bleiben. Dass plötzlich einer oder eine aus den eigenen Reihen zum Minister aufsteigt, passiert eher selten. Wird im Konklave einer der Kardinäle zum Papst gekürt, nehmen das seine zuvor gleichrangigen Kollegen zur Kenntnis und sind fortan zu Gehorsam verpflichtet. So in etwa dürfte das auch in einem Ministerium ablaufen.

Nicht nur die Sektionschefs, auch die Ministerin musste sich an den Rollenwechsel gewöhnen. Unproblematisch dürfte dies im Verhältnis zu den Beamten ihrer eigenen Integrations-Sektion gewesen sein, etwas fordernder mit der Familien-Sektion und ziemlich anspruchsvoll im Umgang mit der Sektion III im Bundeskanzleramt: Frauenangelegenheiten und Gleichstellung.

Ein neuer Papst kennt sich in seinem Fachbereich bereits aus, Susanne Raab hatte von Frauenpolitik keine Ahnung. Ihre erste – sehr persönliche – Maßnahme bestand darin, den ÖVP-Frauen beizutreten. Bis dahin war sie parteilos geblieben, in ihrer Jugend hatte sie sich in Vöcklabruck bei der ÖVP-nahen Schülerunion engagiert.

Kurz, Raab

Kanzler gab vor, Ministerin führte aus

Gretchen-Frage Feminismus

ÖVP-Ministerinnen und vor allem ÖVP-Frauenministerinnen müssen bei Antrittsinterviews unvermeidlich mit einer Gretchenfrage rechnen: „Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?“ Susanne Raab antwortet darauf stets: „Nein.“ Aus Sicht ihrer Mitbewerberinnen war es Raabs Ursünde. Bis heute gilt sie in der SPÖ als größte Fehlbesetzung seit Herbert Haupt, dem FPÖ-Frauenminister der Jahre 2000 bis 2003.

Für SPÖ-Frauenministerinnen bedeutete das Amt stets kämpferische Gesellschaftspolitik. Susanne Raab entzieht sich ideologischen Auseinandersetzungen zur Geschlechtergerechtigkeit. Frauenpolitik ist nach ihrem Verständnis wohl auch bloß Sachpolitik.

Über den Gender-Pay-Gap weiß sie zwar alles, lieber spricht sie aber davon, das höchste Frauenbudget der Geschichte ausverhandelt zu haben. Ihre Leitprinzipien lauten Wahlfreiheit und Eigenverantwortung. Von Zwang hält sie eher wenig: „Für mich ist es in Ordnung, wenn Mütter länger bei den Kindern zu Hause bleiben, und genauso, wenn sie sofort wieder in den Job einsteigen.“ Sie selbst saß zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes schon wieder in ihrem Ministerbüro im Palais Dietrichstein am Wiener Minoritenplatz.

Den internationalen Frauentag am 8. März verbrachte Raab bei  der UN-Frauenrechtskommission in New York. Davor war sie nicht sichtbar, obwohl ihr ein Kollege Gelegenheit zur Profilierung verschaffte.

In einem „Kurier“-Interview hatte Arbeitsminister Martin Kocher darüber räsoniert, Teilzeitbeschäftigten Sozialleistungen zu kürzen. Betroffen wären vor allem Frauen, darunter viele, die aufgrund ihrer Kinderbetreuungspflichten gar nicht Vollzeit arbeiten können.

Die Aufregung war so heftig, dass Kocher sofort den Rückzug antrat und vom Bundeskanzler öffentlich korrigiert wurde. Nur eine schwieg: die Frauenministerin. Es sei nicht ihre Art, einen Kollegen öffentlich zu tadeln, sagt Raab zu profil. In einer internen Ministerratsvorbesprechung der ÖVP-Spitze kritisierte sie Kocher allerdings scharf.

Große Töchter?

Eine Frauenministerin, die zur Sanktionierung von Frauen öffentlich schweigt, ist wohl noch ungeschickter als eine, die beim Singen der Bundeshymne auf die „großen Töchter“ vergessen würde. Susanne Raab: die Teilzeit-Frauenministerin.

Die Episode zeigt: Raab fehlt der notwendige politische Instinkt – oder sie unterdrückt ihn. Es mag an ihrer Sozialisierung als Spitzenbeamtin liegen. Eine Sektionschefin kritisiert niemals einen Minister, offensichtlich auch dann nicht, wenn sie selbst zur Ministerin aufsteigt.

So gesehen wurde aus der ehemaligen Sektionschefin bloß eine Chefin von Sektionen im Ministerrang. Dabei übersieht Raab, dass Politik im Gegensatz zur Verwaltung eine öffentliche Veranstaltung ist.

Raab sagt von sich, ihr Politikstil bestehe darin, Projekte fokussiert abzuarbeiten. Vielleicht ist sie die beflissenste Ministerin der Bundesregierung.

Auch deswegen überantwortete ihr Karl Nehammer vor einem Jahr die heiklen Medienagenden – und nicht etwa der forscheren Karoline Edtstadler. Mit etwas Geschick kann man sich als Medienministerin in den Vordergrund spielen. Die anstehende Reform des ORF-Gesetzes mag mühsam und undankbar sein, bringt der Ministerin allerdings die Aufmerksamkeit der gesamten Medienbranche. Man müsste sie nur nützen.

Anders als Edtstadler und die umtriebige Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm verabsäumte es Raab bisher, sich ein innerparteiliches Netzwerk zu schaffen, sowohl bei den ÖVP-Frauen als auch in der oberösterreichischen Landespartei. Doch nur eine Hausmacht garantiert die Fortsetzung der Karriere. Die Expertin Raab will Politikerin bleiben und bei der nächsten Nationalratswahl für die ÖVP kandidieren. Bemerkenswert: Sie tut das ohne Absicherung. Auf ihr Recht auf Karenzierung und Rückkehr in den Beamten-Job hat sie verzichtet. Politik bedeutet eben auch: Eigenverantwortung.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.