Bundesheer-Beschaffung: Warum die heimische Industrie kaum profitiert
Das Bundesheer gibt Milliarden für Luftverteidigung aus. Österreichische Unternehmen profitieren so gut wie gar nicht davon. Das Geld fließt ins Ausland – zum Unmut der heimischen Industrie.
Es riecht nach frisch Erbrochenem im Eingangsbereich der Wiener Werkshallen. Es ist Dienstagfrüh, und im Industriegebiet in Wien-Simmering findet heute ein Symposium zum Thema Drohnen und Verteidigung statt. „DroneVation & Defence“ ist eine Mischung aus Rüstungsschau und Expertenkonferenz, und das ist scheinbar nicht jedem recht. In der Nacht kippten Unbekannte einen Behälter mit Buttersäure auf den Teppich im Empfangsbereich. Der Schaden ist überschaubar, aber nachhaltig. Besuchern – die allermeisten sind männlich – schlägt der üble Geruch noch Stunden später entgegen.
Gleich nebenan, im Panzerwerk von General Dynamics European Land Systems-Steyr (GDELS-Steyr), werden die Radpanzer Pandur für das heimische Bundesheer produziert. Ein Modell parkt vor dem Eingang. Beim heutigen Symposium geht es aber um die Landesverteidigung in der Luft. Auf Hunderten Quadratmetern präsentieren internationale Rüstungskonzerne Störsender und unbemannte Luftfahrzeuge aller Art.
Die erste Drohnen-Konferenz in Wien, die von der Fachzeitschrift „Militär Aktuell“ organisiert wurde, ist eine Leistungsschau des Who’s Who der Rüstungsindustrie. Der deutsche Militärgüterhersteller Rheinmetall hat die größte und prominenteste Ausstellungsfläche gebucht. Gleich nach dem Eingang weht die Rheinmetallfahne sanft im Durchzug. Der Konzern stellt hier unter anderem „Luna NY-vitro“ aus. Die Aufklärungsdrohne fliegt in bis zu 2000 Meter Höhe und führt bei Bedarf eine Gleitsprengbombe mit, die ein ganzes Haus in Flammen aufgehen lassen kann.
Lockhead Martin, Thales, Diel – unter den 49 Ausstellern sind die mächtigsten Rüstungskonzerne der Welt, die hier selbstbewusst ihre neueste Drohnentechnologie präsentieren. In sechs Monaten wird die Technik, die hier ausgestellt ist, eigentlich schon wieder veraltet sein. Kriege werden heute nicht nur auf dem Boden, sondern vor allem in der Luft geführt. Und die Geschwindigkeit, mit der Innovationen auf den Markt kommen, ist atemberaubend. Am Vorabend zur Konferenz hatten Drohnen unbekannten Ursprungs die Flughäfen in Kopenhagen und Oslo stundenlang lahmgelegt. Der Westen wertet das als Provokation Moskaus – mittlerweile eine von vielen. Auch die Gefechte in der Ukraine werden heute mittels ferngesteuerter Luftfahrzeuge ausgetragen. Und erst vor Kurzem hatten 19 Flugkörper, mutmaßlich aus Russland, den polnischen Luftraum verletzt. Der globale militärische Drohnenmarkt wurde im Vorjahr mit gut 16 Milliarden US-Dollar bewertet. Bis 2032 soll die Marktgröße auf 47,1 Milliarden US-Dollar steigen. Das geht aus einer Analyse des Beratungsunternehmens Fortune Business Insights hervor. Der Markt wächst in Windeseile – zumindest der globale.
Davon profitieren österreichische Hersteller wie Schiebel oder List bisher aber herzlich wenig. Im direkten Vergleich wirken die heimischen Aussteller auf der „DroneVation“ geradezu bescheiden. Und sie alle beklagen hinter vorgehaltener Hand, dass sie auch bei der Beschaffungsinitiative des Bundesheeres so gut wie nicht zum Zug kommen.
Dabei gibt das österreichische Bundesheer gerade Milliarden für Aufrüstung aus – auch für Drohnen. Von 2022 bis 2024 hat das Bundesheer 3,4 Milliarden Euro in Ausrüstung aller Art investiert. Heuer kommen noch einmal 1,7 Milliarden Euro dazu. Die Landesverteidigung ist das einzige Ressort, in dem die Bundesregierung vorerst nicht spart. Vorgesehen ist eigentlich, dass dabei 60 Prozent der Wertschöpfung im Land bleiben. Wie kann es also sein, dass kleinere, heimische Dual-Use-Hersteller, die sowohl zivile als auch militärisch nutzbare Produkte herstellen, bei der Beschaffung des Bundesheeres so gut wie nicht zum Zug kommen?
Rheinmetall hat bei der Drohnen-Messe die größte und prominenteste Ausstellungsfläche. Die Rüstungsindustrie tritt heute selbstbewusst und mächtig auf. Das war vor dem Ukraine-Krieg noch anders.
Rheinmetall hat bei der Drohnen-Messe die größte und prominenteste Ausstellungsfläche. Die Rüstungsindustrie tritt heute selbstbewusst und mächtig auf. Das war vor dem Ukraine-Krieg noch anders.
Wirft man einen genaueren Blick auf die Beschaffung des Heeres, wird schnell klar, dass zumindest Drohnen, Munition und Radartechnologien aus dem Ausland kommen. Die Drohnen, die das heimische Militär für den Ernstfall wappnen sollen, kommen zum Beispiel nicht aus Österreich. Bestellt wurden 315 Exemplare des Typs Magni-X vom israelischen Hersteller Elbit Systems. Der senkrecht startende Quadkopter der kleinsten Kategorie verfügt über Nachtsichtkameras und KI-Software, zusammengefaltet kann er im Rucksack verstaut werden und ist innerhalb von wenigen Minuten einsetzbar. Gekostet hat das 8,48 Millionen Euro. Zumindest bei diesem Deal bleibt keine Wertschöpfung im Land: Die Wartung übernimmt der israelische Hersteller.
Dass die deutsche Dependence des israelischen Elbit die Drohnen liefert und nicht österreichische Hersteller, sei schlicht mit der Qualität begründet, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Die Geräte hätten sich in einem ordentlichen Bieterverfahren als bestes und im Feld erprobtes Material durchgesetzt.
Streit zwischen Industrie und Regierung
Für die Beschaffung, also für die internationale Ausschreibung, Bieterverfahren und für den Kauf, ist das Verteidigungsministerium zuständig. „Unsere Aufgabe ist es, den Soldaten und die Soldatin bestmöglich für den Ernstfall auszurüsten und damit unser Land zu schützen. Wir sind kein Wirtschaftsförderungsprogramm“, sagt ein ranghoher Militär. Für das Wirtschaftsförderungsprogramm ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Genauer gesagt für das Verhandeln von Industriekooperationen sowie für Gegengeschäfte, sogenannte Offset-Deals. Bei einem Rüstungsdeal mit einem globalen Player wird dann zum Beispiel vereinbart, dass bei der Wartung und bei der Beschaffung von Ersatzteilen oder Komponenten heimische Betriebe beauftragt werden, damit die Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze im Land bleiben. Erst im Sommer hat das Wirtschaftsministerium unter Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) eine eigene Taskforce „Industriekooperation“ eingerichtet, die sich genau mit solchen Fragen beschäftigen soll. Gegengeschäfte wurden bisher aber keine vereinbart. Beide Ministerien schieben einander die Schuld zu.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner ihr Ressort sind für die Ausrüstung des Bundesheers zuständig. Dort sieht man sich aber nicht für Gegengeschäfte oder Industriekooperationen verantwortlich, das soll das Wirtschaftsministerium machen.
Für Gegengeschäfte sei das Wirtschaftsministerium zuständig, das dürfe man gar nicht selbst machen, heißt es aus dem Bundesheer. Im Wirtschaftsministerium erwidert ein Sprecher: „Wie bereits öffentlich kommuniziert, prüfen Wirtschaftsministerium und Verteidigungsministerium derzeit alle rechtlichen Möglichkeiten zur Umsetzung von Industriekooperationen unter Einbindung der Finanzprokuratur.“ Man arbeite zwar an der gesetzlichen Ausgestaltung und künftigen Kooperationen. Konkrete Ergebnisse oder gar Deals hat die Taskforce bisher aber noch nicht an Land gezogen.
Dass das Wirtschaftsministerium bis vor Kurzem eher zögerlich agierte, hat auch mit der Eurofighter-Affäre Anfang der Nuller-Jahre samt U-Ausschüssen zu tun. Seither sind solche Geschäftspraktiken, die eigentlich nach gesetzlich klar definierten Regeln vergeben werden und Wertschöpfung im Land generieren sollen, in Verruf geraten – und kein Minister will mehr anstreifen. Das Bundesheer hat im Vorjahr für rund eine Milliarde Euro einen Vertrag für vier Transportflugzeuge des brasilianischen Herstellers Embraer unterzeichnet – ohne Gegengeschäft für heimische Firmen. Auch bei der Beschaffung der italienischen Leonardo-Jets wurde auf ähnliche Kooperationen verzichtet.
PG WIRTSCHAFTSMINISTERIUM "VORBEREITUNGEN AUF US-ZOLLANKÜNDIGUNG": HATTMANNSDORFER
Welche Gegengeschäfte?
Im Wirtschaftsministerium unter Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) wartet man wiederum auf Zurufe aus dem Verteidigungsressort und ist zögerlich beim Thema Gegengeschäfte.
Für die heimische Industrie, die seit drei Jahren in der Rezession steckt, ist das ein Ärgernis. Dass sich die zuständigen Ministerien nicht stärker für heimische Betriebe einsetzen, sorgt innerhalb der Interessenvertretung für Unmut. Wie profil aus involvierten Kreisen erfuhr, soll es deshalb vor ein paar Monaten zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und den Spitzen der Industriellenvereinigung (IV) gekommen sein. Diese hat vor Kurzem eine eigene Taskforce für Industriekooperationen unter der Leitung von Ex-Siemens-Chef Wolfgang Hesoun und Raiffeisen-Generalanwalt Erwin Hameseder eingerichtet. Heute seien Verhältnis und Austausch mit den zuständigen Ministerien aber viel besser, betont IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.
Do-it-yourself-Drohne
Beim Bundesheer selbst verfolgt man ungeachtet der Beschaffungsdebatte neuerdings einen Do-it-yourself-Ansatz. In der Ukraine bestimmen mittlerweile sogenannte Kamikaze-Drohnen das Schlachtfeld. Solche kann das Heer sogar selbst herstellen, wie Oberst Markus Reisner und sein Team zeigen. Auf der Bühne in Simmering demonstrieren Reisner, der an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt Offiziere ausbildet, und seine Fähnriche, wie das geht. Der an der Militärakademie zusammengestückelte „flying circus“ besteht aus den Prototypen „Flip“, „Biene Maja“ und „Puck“ – kleine Drohnen, die theoretisch mit Sprengstoff beladen werden können.
In der Ukraine sind diese Kamikaze-Flieger hocheffizient. Das Livebild ist nicht besonders gut, aber der Pilot weiß, worauf er achten muss, und steuert die billige Drohne gezielt auf die Schwachstelle des Panzers.
Lediglich 400 Euro kostet so eine Drohne in der Anschaffung, ein Bruchteil des Wertes eines Panzers. Bei einer Trefferquote von 15 Prozent und im Schnitt drei benötigten Einschlägen bis zur Zerstörung des Panzers, rechnet ein Fähnrich vor, macht das 13.600 Euro pro gesprengtem feindlichen Panzer. „Do-it-yourself als Hochpräzisionswaffe“, sagt Reisner.
Aber wofür? Was wollen wir in die Luft sprengen?
„Hoffentlich keine Panzer“, sagt Reisner, „aber wir müssen verstehen, dass sich das Gefechtsfeld verändert hat und dementsprechend unsere Ausbildung anpassen.“ Die Drohnen gingen nicht in die Produktion, es handle sich um reine Lehrmodelle, und die Fähnriche sollten zumindest einmal eine im Zusammenbau gesehen haben. All das für den Ernstfall, von dem alle hoffen, dass er nie eintreten wird.
Für den Nachmittag ist eine Demonstration vor den Werkshallen in Simmering angekündigt – gegen Krieg und globales Wettrüsten. Vier oder fünf Polizeibusse sollen die Demonstrierenden in Schach halten und am Eindringen in das Gelände hindern. Allein, es kommt fast niemand zur Demo. Als profil die Konferenz verlässt, hat sich gerade einmal eine Handvoll Demonstrierender versammelt. Aus einem Lautsprecher dröhnt Bob Dylan, eine KPÖ-Fahne weht einsam im Wind. Die Polizisten machen sich nicht einmal die Mühe, aus ihren Bussen auszusteigen. Es hat angefangen zu regnen.