PK OMV AG "ERGEBNIS 1. HALBJAHR":

Essig im Öl: Intrigen und Spitzelvorwürfe bei der OMV

Spitzelvorwürfe, das Fiasko einer Medienklage, Intrigen in der Chefetage und im Betriebsrat: Die teilstaatliche OMV kommt nicht zur Ruhe. Ein Blick in ein für Österreich wichtiges Unternehmen, dessen Reputation und Zukunft auf dem Spiel stehen.

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Ein Konzern klagt ein Medium wegen kritischer Berichterstattung. Das ist zunächst kein außergewöhnlicher Vorgang. Journalisten, die den Mächtigen auf die Finger schauen, müssen mit Gegenwehr rechnen - selbst wenn sie keinen Zweifel an der Validität ihrer Recherchen haben. Ein streitlustiger Medienanwalt ist schnell gefunden, eine Klage schnell formuliert, und vor Gericht liegt dann jedes Wort in der Waagschale, die Beweislast sowieso beim Medium. Da kann schon eine unbequeme Frage ausreichen, um die Einschüchterungsmaschinerie in Gang zu setzen. Wir bei profil kennen das - aus unzähligen Causen.

Der teilstaatliche OMV-Konzern - Öl, Gas, Chemie - hat im Dezember vergangenen Jahres die Online-Plattform dossier.at geklagt. Dossier hatte sich an der Frage abgearbeitet, ob die OMV für die Mehrheit am österreichischen Chemiekonzern Borealis 2020 einen überhöhten Preis bezahlt habe-was die OMV energisch mit Nein beantwortet.

Die börsennotierte OMV AG hatte Ende des Vorjahres einen Betrag von rund 4,2 Milliarden Euro in die Hand genommen, um ihre Beteiligung an der Borealis AG von 36 auf 75 Prozent aufzustocken. Auf der Verkäuferseite stand die Mubadala Holding des Emirats Abu Dhabi. Und diese ist zugleich auch eine Großaktionärin der OMV selbst. Die dem Finanzministerium unterstehende Staatsholding ÖBAG kontrolliert 31,5 Prozent der OMV, Mubadala 24,9 Prozent. Tatsache ist, dass die Borealis-Transaktion von Auffälligkeiten begleitet war, dossier.at recherchierte und interpretierte also keineswegs im luftleeren Raum (dazu später).Tatsache ist auch, dass die OMV-Konzernleitung die werbefreie Plattform mit dieser Klage existenziell bedrohte. Laut Dossier wurde der Streitwert mit 94.000 Euro angesetzt. Eine Niederlage vor Gericht hätte für das engagierte Team das Aus bedeutet, das nahm man seitens der OMV in Kauf. Folge: eine Solidaritätswelle für Dossier, ein Shitstorm für die OMV und ein nur noch größerer Imageschaden.

Vergangenen Donnerstag gab die OMV-Chefetage kleinlaut den Rückzug der Klage bekannt. Man wolle einem Medium, das ohnehin in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecke, nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten, sagte OMV-Vorstandsvorsitzender Rainer Seele gegenüber Journalisten (die Kritik an den Dossier-Recherchen hielt er aufrecht).Den Vorwurf, der teilstaatliche Konzern habe mit aller Macht kritische Berichterstattung unterdrücken wollen, bekam er damit jedenfalls nicht vom Tisch.

Seit 1. Juli 2015 steht Rainer Seele an der Spitze der OMV. Er darf für sich in Anspruch nehmen, dem Unternehmen eine Vorwärtsstrategie verordnet zu haben. Die Förderung von Öl und Gas mit dem hauptsächlichen Zweck, dieses anschließend zu verfeuern, ist bekanntlich kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell.

Die Geschäfte laufen gut. Das erste Quartal 2021 war eines des besten in der Unternehmensgeschichte, selbst das schwierige Vorjahr ging für die Aktionäre versöhnlich aus. Der nahenden Hauptversammlung am 2. Juni wird für das Geschäftsjahr 2020 eine Dividende von 1,85 Euro je Aktie vorgeschlagen-die höchste Ausschüttung seit der OMV-Teilprivatisierung und dem Börsengang 1987. Für die Republik Österreich allein bedeutet das einen Zufluss von rund 190 Millionen Euro. Rechnet man die Dividenden für die Jahre 2015 bis 2019 hinzu, dann hat der Staat in der Ära Seele 930 Millionen Euro aus der OMV gezogen. Das ist viel Geld-und womöglich auch eine Erklärung für das ohrenbetäubende Schweigen der österreichischen Eigentümervertreter zu den zunehmend unglaublichen Vorfällen in der OMV.

In materieller Hinsicht hatte Seele unzweifelhaft Erfolg, das manifestiert sich auch in einem Jahresgrundgehalt von 1,1 Millionen Euro brutto, plus Funktionszulage, plus Nebenleistungen, plus Pensionsbeiträgen, plus Jahresbonus, plus Ansprüche aus einem Aktien-Incentive-Programm. 2020 kam Seele so auf eine Gesamtvergütung von 4,72 Millionen Euro, im Jahr davor waren es 5,39 Millionen Euro.

Und doch ist Seele zumindest teilweise gescheitert. Vor wenigen Tagen gab der 60-Jährige überraschend seinen Abschied bekannt. Er wird sich nicht um eine Verlängerung des 2022 auslaufenden Vertrags bemühen. Private Gründe, wie es heißt. In einer für die OMV sehr viel schwierigeren Zeit, als die Geschäftsergebnisse vermuten lassen. In der Konzernzentrale im 2. Wiener Gemeindebezirk geht es seit Monaten drunter und drüber. Nicht zum ersten Mal. Machtkämpfe, Missgunst, Intrigen, Bespitzelungen, Heckenschützen, Unruhe, Verunsicherung. Der OMV-Aufsichtsratsvorsitzende Mark Garrett soll einerseits mit Rainer Seele im Clinch liegen, anderseits auch mit einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats. Der nunmehrige Borealis-Chef Thomas Gangl soll mit seinem Vorgänger Alfred Stern im Clinch liegen; Stern sitzt jetzt im OMV-Vorstand, kann seinerseits nicht mit Seele, wird aber von Garrett protegiert. Stern soll sich überdies Chancen auf Seeles Nachfolge ausrechnen, ein Job auf den allerdings auch Vorstandsdirektor Johann Pleininger spitzen soll-auch das Verhältnis der beiden Manager zueinander wird als angespannt beschrieben. Die nach wie vor einflussreichen Konzernbetriebsräte streiten einerseits untereinander, andererseits aber auch mit dem Vorstand.

Die Bruchlinien laufen kreuz und quer, Rechtsanwälte sind in der OMV derzeit noch besser gebucht als sonst - und das ist kein gutes Zeichen. Die fortgesetzten Konflikte hätten das Betriebsklima in Mitleidenschaft gezogen, erzählen OMVler. Seele verneint das. Das Atmosphäre im Haus sei "kooperativ" und "konstruktiv".

Bereits vor dem "Dossier"-Desaster war die OMV-Geschäftsleitung durch fragwürdige Entscheidungen und originelles Kommunikationsverhalten aufgefallen. Siehe die Auswertung der Telekommunikationsdaten von rund 100 Mitarbeiterin auf der Suche nach undichten Stellen-dies geschah zwar mit dem "Einverständnis" der Betroffenen, aber offenbar ohne Einbindung des Betriebsrats. Siehe die Vorwürfe, die OMV habe Umweltaktivisten durch sehr spezielle Sicherheitsberater bespitzeln lassen. Siehe die Widersprüche Seeles im "Ibiza"-Untersuchungsausschuss rund um seine Interventionen im Finanzministerium 2019 in Zusammenhang mit Steuerproblemen der OMV in Russland (profil berichtete). Siehe die Auseinandersetzungen zwischen Vorstand und Betriebsräten rund um die Auswertung der Mitarbeiterkommunikation, die neue Zusammensetzung der Belegschaftsvertretung und den gut dotierten Sozialund Wohlfahrtsfonds der OMV. Siehe schließlich auch die Vorgänge rund um den Borealis-Deal.

Für die Auswertung der Handys und E-Mails der OMV-Mitarbeiter interessiert sich mittlerweile die Datenschutzbehörde. Der Streit mit den Betriebsräten liegt beim Arbeits-und Sozialgericht. Und die Causa Borealis beschäftigt nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel - er ist gleichsam der oberste OMV-Eigentümervertreter-zog es bisher vor, sich aus all dem herauszuhalten. Wie auch der Chef der Staatsholding ÖBAG, Thomas Schmid, der zugleich auch stellvertretender Aufsichtsratschef der OMV ist. Von Schmid kein Piep. Das mag auch daran liegen, dass Schmid (wie auch Blümel) als Beschuldigter in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geführt wird und sich ohnehin längst aus dem Spiel genommen hat: Schmid wird die ÖBAG kommendes Jahr verlassen.

Eigentlich war Rainer Seele ja einst bestellt worden, um die OMV zu befrieden. Denn schon damals ging es in der OMV drunter und drüber. Seeles Vor gänger Gerhard Roiss war auf Grundlage falscher Schmiergeldvorwürfe öffentlich demontiert worden, nachdem er selbst die Demontage eines Vorstandskollegen betrieben hatte. Der damalige Chef der Staatsholding Rudolf Kemler spielte dabei eine undurchsichtige Rolle.

In Wahrheit hat die OMV heute nicht weniger offene Flanken als vor fünf Jahren, eher sogar mehr. Und auch daran muss sich Rainer Seele messen lassen.

"Projekt Opera"

Hat der damalige OMV-Vorstand und nunmehrige Borealis-Chef Thomas Gangl - ein Vertrauensmann Seeles - dem OMV-Aufsichtsrat am 11. März 2020 eine sensible Information vorenthalten? Das zumindest behauptete ein Informant von Mark Garrett erstmals im Herbst vergangenen Jahres und setzte damit eine Kette von Ereignissen in Gang (profil berichtete in Ausgabe Nr. 16/21).Bei dieser Sitzung am 11. März hatte der OMV-Aufsichtsrat die mehrheitliche Übernahme der Borealis AG auf der Tagesordnung, der Vorstand bekam für "Projekt Opera" auch grünes Licht. Dem Aufsichtsrat lag zur Beschlussfassung unter anderem eine "Fairness Opinion" der britischen Barclays Bank vor, wonach ein Kaufpreis zwischen 4,4 und 4,9 Milliarden Euro angemessen sei. Tatsächlich waren es am Ende rund 4,2 Milliarden Euro, also noch unterhalb der genannten Bandbreite. Aber war auch das zu viel? Laut Garretts Quelle soll der für das Chemiegeschäft zuständige OMV-Direktor Gangl (er saß damals auch im Borealis-Aufsichtsrat) kurz vor der Aufsichtsratssitzung erfahren haben, dass Borealis unmittelbar vor der Übernahme die internen Ergebnisprognosen für 2020 deutlich nach unten korrigiert hatte. Diese Information landete aber nicht beim Aufsichtsrat, der damals noch von Garretts Vorgänger Wolfgang Berndt präsidiert wurde.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Garrett beauftragte den Wiener Rechtsanwalt Florian Khol (Kanzlei Binder Grösswang),die internen Informationsflüsse zu untersuchen, zugleich ließ er die Barclays Bank die "Fairness Opinion" nachrechnen.

Am Ende blieb nichts Verwertbares hängen. Khol lieferte gleich zwei "Memoranden" bei Garrett ab. Beide liegen profil vor und ergeben in der Zusammenschau keinen Sinn. Im ersten Memorandum stellte der Rechtsanwalt zunächst fest, dass der "Vorstand" jedenfalls "verpflichtet" gewesen wäre, den OMV-Aufsichtsrat über den verschlechterten Ergebnisausblick bei Borealis zu informieren-ganz gleich, ob dies für die Beschlussfassung "erheblich" war oder nicht.

Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, der allerdings im zweiten Memorandum wieder zurückgenommen wurde. Da stellte Khol nämlich fest, dass die Information dann doch nicht so wichtig war, weshalb von keiner "Verletzung der aktienrechtlichen Informationspflichten des Vorstands" auszugehen sei. Die Barclays Bank war bei der Neuberechnung der "Fairness Opinion" zu dem Schluss gekommen, dass auch die Information über schlechtere Ergebnisprognosen bei Borealis das vorgeschlagene Preisband nur marginal verschoben hätte.

Nach profil-Recherchen war das nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem Fall. Gangl soll mehrfach vergeblich versucht haben, einen Gesprächstermin bei Khol zu bekommen, um seine Sicht auf die Ereignisse darzulegen. Wenn es so war, war die Rekonstruktion der Vorgänge durch den Rechtsanwalt einseitig.

Khols erstes Memorandum wurde bereits vor einiger Zeit an die Öffentlichkeit gespielt, es erzählt erkennbar nur einen Teil der Geschichte. Das riecht nach einer Intrige, die auch nicht ohne Folgen blieb. Die NEOS-Abgeordnete Karin Doppelbauer verfasste eine Sachverhaltsdarstellung, diese liegt derzeit bei der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (die bereits nach einer anonymen Anzeige Ende 2020 ermittelt, den Fall aber alsbald zu den Akten gelegt hatte).

Die OMV und die Spitzel

"Die OMV überwacht offenbar systematisch Klimaschützerinnen und Klimaschützer und schreckt auch nicht davor zurück, Schulkinder auszuspionieren", behauptete die Umweltschutzorganisation Greenpeace vor einigen Tagen in einer Aussendung. Die drängende Frage steht im Raum, ob der Konzern über eine private Sicherheitsfirma Aktivisten ausspionieren ließ. In Neuseeland war sogar der-unbestätigte-Vorwurf erhoben worden, Privatschnüffler hätten Häuser und Autos observiert. Die OMV wies das umgehend als "schlichtweg falsch" zurück. Es seien lediglich öffentlich zugängliche Informationen gesammelt worden, etwa in Medien oder im Internet.

Fest steht jedenfalls, dass die OMV durchaus Erfahrung mit privaten Sicherheitsoperationen unter eigentümlichen Umständen hat: Wie profil im Vorjahr aufdeckte, zahlte der OMV-Konzern insgesamt 9,1 Millionen Euro für ein umstrittenes Sicherheitsprojekt namens "Scout" (Nr. 28/20).Offiziell ging es dabei unter anderem um die Eindämmung von Öldiebstählen in Rumänien-inklusive "Observationsund Aufklärungsleistungen vor Ort".Das Projekt lief von 2008 bis 2013 und wurde offenbar weitgehend ohne inhaltliche Einbindung der Sicherheitsabteilung des Konzerns abgewickelt-deren Chef durfte gerade einmal die Zahlungen freigeben. Das Geld floss nicht etwa direkt an ein renommiertes Security-Unternehmen, sondern an eine Firma mit Sitz in einer Wiener Anwaltskanzlei. Einiges deutet darauf hin, dass es sich dabei um eine reine Verrechnungsgesellschaft handelte, die das Geld erhielt und ihrerseits an eine bunte Truppe aus Sub-Auftragnehmern weiterverteilte.

Mit von der Partie waren unter anderem Christina "Nina" W.-eine deutsche Privatagentin mit Stasi-Vergangenheit und illustrem Kundenstock in Österreich-sowie zwei ihrer engsten Vertrauten: ein Mitarbeiter des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und ein deutscher Kriminalkommissar mit guten Verbindungen zum Bundesnachrichtendienst (BND). Wie profil-Recherchen zeigen, beschäftigte sich dieser Personenkreis auch noch nach Ende des Projekts "Scout" mit der OMV-und zwar auf eine höchst bemerkenswerte Art und Weise.

Am 6. Mai 2014 traf der mit "Nina" eng verbandelte deutsche Kommissar-quasi als Informant-einen langjährigen BND-Mitarbeiter. Der Kommissar berichtete zunächst über andere Vorgänge, dann kam er auf die OMV zu sprechen. Er erzählte dem deutschen

Nachrichtendienstler brühwarm, dass die russische Gazprom die Mehrheit bei der OMV übernehmen wolle: Innerhalb der OMV gebe es angeblich seitens des damaligen Generaldirektors Gerhard Roiss die Bestrebung, den österreichischen Staatsanteil am Ölkonzern die Russen zu verkaufen, heißt es in einem Gesprächsprotokoll des BND, das profil vorliegt.

Derartige Behauptungen durch einen-beim BND als glaubhaft eingestuften-Beamten sind keine Lappalie. Eine OMV-Übernahme durch Gazprom hätte geopolitische Implikationen. Nun könnte man vielleicht annehmen, dass dem deutschen Kriminalkommissar gegenüber dem BND lediglich ein bisschen die Fantasie durchgegangen ist. Gäbe es da nicht einen drei Monate später, am 4. August 2014, erstellten Informantenbericht-diesmal aus den Archiven des österreichischen BVT.

In dem Papier hieß es: "Es wurde auch darüber gesprochen, dass Gasprom [sic!] die Übernahme von Petrom (eine rumänische OMV-Tochter, Anm.) und in weiterer Folge der OMV anstrebe. Dabei soll es sich um aktuelle Erkenntnisse des FSB (russischer Inlandsgeheimdienst, Anm.) und des rum. SIE (rumänischer Auslandsnachrichtendienst, Anm.) handeln." Diese etwas abenteuerlich anmutende Information stammte demnach von einem "Gelegenheitsinformanten" mit dem Decknamen "Bertram". Tatsächlich handelte es sich jedoch um die Privatagentin W. aus Deutschland. Erstellt wurde der Bericht von jenem BVT-Mitarbeiter, der zu ihren engsten Vertrauten in Österreich zählte.

Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass "Bertram", alias "Nina", alias Christina W. über diese Schiene mutmaßlich "heiße" Infos zur OMV im BVT platzierten. Im Februar 2016 (da war Seele bereits ein halbes Jahr im Amt) sprudelten bei "Bertram" die angeblichen Erkenntnisse. Fast schon im Wochentakt legte der mit W. verbandelte BVT-Mitarbeiter Informantenberichte an. Wieder ging es um die "Befürchtung der OMV-Übernahme durch Gasprom [sic!]". Diesmal wurde ein prominenter österreichischer Investor als potenzieller Mittelsmann für russische Interessen ins Spiel gebracht.

Insgesamt scheute sich das Gespann aus Privatagentin und BVTler nicht davor, schwere Vorwürfe gegen bestimmte Personen zu den Akten zu nehmen: In einem weiteren Bericht zur Quelle "Bertram" hieß es, ein Vorstandsmitglied der OMV sei als Informant des britischen Geheimdienstes MI6 identifiziert worden, weshalb man den Vertrag mit ihm gelöst habe. Auch die Substanz dieser Mitteilung schien jedoch eher dürftig gewesen zu sein. Der betreffende Vorstand wurde damals jedenfalls nicht abgelöst.

Zwei Fragen drängen sich auf: Weshalb interessierte sich Christina W. derart für die OMV-und woher hatte sie ihre angeblichen Informationen? "Bertram" sei "mit mehreren Entscheidungsträgern des Unternehmens gut vernetzt", notierte der BVT-Mitarbeiter in einem seiner Berichte im Februar 2016.

Fest steht, dass Christina W. mit einem-zu diesem Zeitpunkt längst ausgeschiedenen-ehemaligen OMV-Vorstand bekannt war. Noch bemerkenswerter scheint jedoch eine andere Connection. Im April 2016 wurde die Privatagentin wegen Bestechungsverdachts in Deutschland festgenommen. In einer Beschuldigtenvernehmung wurde sie auch zur OMV gefragt. W. gab an, zum damaligen Zeitpunkt kein diesbezügliches Projekt, aber Kontakte mit einem bestimmten-von ihr auch namentlich genannten-Mann gehabt zu haben. Diesen habe sie rund zweieinhalb bis drei Jahre zuvor kennengelernt, und sie hätten eine freundschaftliche Beziehung.

Fest steht auch, dass sich ein Mann mit diesem Namen zumindest zweimal mit W. getroffen hat, als diese im März und im April 2016 in Wien war. Es handelte sich ausgerechnet um einen hochrangigen damaligen OMV-Betriebsrat. Nach einem der Treffen-nur wenige Tage, bevor das System "Nina" auffliegen sollte-chauffierte der Mann die deutsche Privatagentin mit seinem auf die OMV zugelassenen BMW sogar noch zum Flughafen.

Auf profil-Anfrage teilte ein Anwalt von Christina W. mit, dass sie "keinerlei Auskünfte mehr über ihre vergangene Berufstätigkeit" erteile. Die vorliegenden Fakten scheinen sich freilich gut in die-ständig zwischen Geopolitik und internen Grabenkämpfen oszillierende-Kultur rund um die OMV zu fügen. Seeles Vorgänger Gerhard Roiss war Opfer einer Intrige geworden, und auch rund um dessen Vorgänger Wolfgang Ruttenstorfer war es zumindest gegen Ende der Amtszeit ungemütlich geworden.

In den vergangenen Jahren gab es zudem wiederholt interne Untersuchungen, um vermutete Informationslecks zu finden. Nach einer derartigen Ermittlungsaktion räumte im Vorjahr die damalige Betriebsratschefin ihren Sessel. Nun gibt es eben wieder Wirbel, weil die Konzernführung Diensthandys und E-Mails zahlreicher Mitarbeiter durchsuchen ließ-mit deren formeller Einwilligung, aber ohne Einbindung des Betriebsrats. Wie schon gesagt, untersucht jetzt die Datenschutzbehörde den Vorgang.

Die OMV und die letzten Kaiser

Die Stellung der Betriebsräte in der OMV ist heute nicht mehr ganz so stark wie zu Zeiten der Verstaatlichten Industrie, als das Kürzel ÖMV tatsächlich noch einen Sinn ergab. Die "Österreichische Mineralölverwaltung" hatte lange auch einflussreiche Belegschaftsvertreter wie den legendären Zentralbetriebsratsvorsitzenden Leopold Abraham hervorgebracht (Abraham schied 2012 aus).Diese Zeiten sind passé, doch die OMV-Betriebsräte haben weiterhin Gewicht. Wobei sich in jüngerer Vergangenheit manches verschoben haben dürfte. So soll das Verhältnis zwischen Rainer Seele und Herbert Lindner, seines Zeichens Downstream-Betriebsratschef, nicht nur gut, sondern fast schon zu gut sein. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass ein Belegschaftsvertreter einen höheren Bonus für den Boss fordert. Genau das tat Lindner als Mitglied des Präsidial-und Nominierungsausschuss bei einer Aufsichtsratssitzung im Herbst 2019. Seele hat in Lindner einen Fürsprecher, auf den er sich bis heute verlassen kann. Seele sei "sehr erfolgreich" und habe "großes Interesse" an der Zufriedenheit der Mitarbeiter, lässt er gern wissen, ob in Medien oder intern.

Da kam es eher ungelegen, dass Lindners Position durch den Borealis-Kauf arg ins Wanken geriet. Denn auch dem Borealis-Betriebsrat steht ein Sitz in der Konzernvertretung zu, wodurch sich die Machtverhältnisse dort deutlich verschoben haben. Im Jänner konstituierte sich die neue Konzernvertretung, zum Vorsitzenden wurde Alfred Redlich gewählt. Und es wurde entschieden, dass Lindner im wichtigen Präsidial-und Nominierungsausschuss nicht mehr vertreten ist. Ein Ergebnis, das Rainer Seele alles andere als recht war: Es gebe rechtliche Zweifel am Zustandekommen des Gremiums, der Vorstand erkenne die neue Konzernvertretung nicht an, erklärte der OMV-Boss den Betroffenen per E-Mail. Katharina Körber-Risak, Anwältin des Konzernbetriebsrats, brachte daraufhin Klage beim Arbeits-und Sozialgericht ein. Kurz darauf änderte der OMV-Vorstand seine Rechtsmeinung und akzeptierte den neuen Konzernbetriebsrat doch. Die Mühlen der Justiz mahlten da aber bereits: "Weil vonseiten der OMV niemand bei der ersten Tagsatzung erschien, fällte das Gericht ein Versäumungsurteil in unserem Sinne",sagt Körber-Risak.

Herbert Lindner hält indes krampfhaft an einem weiteren Posten fest: Als Nachfolger der früheren OMV-Betriebsratschefin Christine Asperger sitzt er auch im Aufsichtsrat der ÖBAG. Wodurch die Staatsholding die gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent nicht mehr erreicht. Dabei hat der neue Konzernbetriebsrat längst Nicole Schachenhofer für die Entsendung in den ÖBAG-Aufsichtsrat nominiert. Wann er gedenke den Platz zu räumen? Diese Frage ließ Lindner bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Die hochnotpeinliche Causa hat abermals die NEOS auf den Plan gerufen. Sozialsprecher Gerald Loacker brachte vergangene Woche eine parlamentarische Anfrage an ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel ein, welche Schritte dieser gesetzt habe, um die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sicherzustellen.

Die OMV und das Klima

Zurück zum Start. Seeles Nachfolger wird die OMV zunächst einmal befrieden müssen. Von wegen Betriebsklima und so. Überhaupt, das Klima. Die OMV müsse eine Strategie entwickeln, damit sie auch 2050 noch ein Geschäftsmodell habe, sagte Umweltministerin Leonore Gewessler erst vergangene Woche. Denn mit der angestrebten Klimaneutralität in der EU sei es nicht mehr möglich, mit Öl oder Gas Geld zu verdienen.

Wie verfährt die OMV angesichts derartiger Ansagen? Bisher eher defensiv. "Die strategische Fantasie im Konzern reicht gerade einmal fünf bis zehn Jahre", sagt ein Firmen-Insider. Es herrsche eine Boni-getriebene Haltung, bei der auf Zukunftsfähigkeit wenig Rücksicht genommen wird.

In seiner im März 2018 vorgestellten "Wachstumsstrategie 2025" etwa betont Rainer Seele, dass die Ölund Gasnachfrage weltweit laut Einschätzung der Internationalen Energieagentur noch bis zum Jahr 2030 steigen wird. "Wir haben noch ein paar Jahre", klingt aus derartigen Ausführungen durch.

Tatsächlich will man sich angesichts der Klimakrise verstärkt aufs Gasgeschäft konzentrieren. Die Verbrennung von Gas ist zwar ebenfalls schädlich, es entsteht dabei aber weniger Treibhausgas als bei der Verbrennung von Öl. Erdgas gilt deshalb auch als "Brückentechnologie". "Wir sehen eindeutig die gute Perspektive von Erdgas",betonte Seele im Jahr 2015 im profil-Interview.

Aktuell baut die OMV in der Raffinerie Schwechat Österreichs größte Elektrolyseanlage. Ab dem Jahr 2023 soll diese jährlich 1500 Tonnen sogenannten grünen Wasserstoff liefern-also solchen, für dessen Herstellung ausschließlich Erneuerbare Energien genutzt werden. Dieser soll wiederum als Treibstoff für LKW und Busse dienen-wenn es diese Fahrzeuge denn jemals in großer Anzahl auf die Straße schaffen.

Generell wird versucht, die OMV in einen Chemiekonzern mit angeschlossener Rohstoffpipeline umzuwandeln. Das Credo lautet: Öl ist zu wertvoll, um es zu verbrennen, es soll zur Herstellung hochwertiger Kunststoffe verwendet werden. Umweltschutzorganisationen sind von den Maßnahmen jedoch nicht überzeugt: "Viele der von der OMV unter dem Stichwort "Klimaschutz" präsentierten Projekte, sind einfach nur Greenwashing",sagt etwa Greenpeace-Klimaexpertin Jasmin Duregger.

Die OMV und das Klima, das Klima in der OMV: Auf den (oder die) nächste/n CEO wartet viel Arbeit. Schon wieder. Oder noch immer, je nachdem.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.