Arbeit

„Für ein wenig mehr an Wohlstand will man sich nicht mehr schinden“

Julia Brandl, Professorin für Personalpolitik an der Universität Innsbruck, über eine veränderte Einstellung zur Arbeit und warum Vollzeit ein Auslaufmodell ist.

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Laut OECD sind sieben von zehn Eltern in Österreich in Sorge, dass ihre Kinder nicht mehr den gleichen Lebensstandard erreichen werden. Zu Recht?
Brandl
Wenn sie über Immobilien, Aktien und ähnliche Dinge verfügen, dann haben sie durchaus die Möglichkeit, ihren Kindern diesen Lebensstandard zu ermöglichen. Diejenigen, die über kein eigenes nennenswertes Vermögen verfügen, haben diese Sorge allerdings durchaus zu Recht.
Sie meinen also, für weite Teile der Gesellschaft ist es heute nicht mehr möglich, durch Arbeit Wohlstand zu erlangen?
Brandl
Genau. Hier ist tatsächlich eine Veränderung zu erkennen. Früher konnte man sich mit dem Geld, welches man allein durch Erwerbsarbeit verdient hat, später einmal eine Wohnung kaufen. Heute geht das nicht mehr. Die Gehälter steigen zwar, aber viel zu wenig im Verhältnis zu dem, was ich heute benötige, um materielle Ziele zu verwirklichen und mir eine Absicherung leisten zu können. Und für viele gehört da eine Immobilie als Sicherheit dazu.
Was macht das mit den Leuten?
Brandl
Es verändert natürlich die Einstellung zur Arbeit. Und es ändert die Antwort auf die Frage, welche Art von Arbeit ich suche und wie viel meiner Lebenszeit ich bereit bin, in Arbeit hineinzustecken. Ich diskutiere häufig mit meinen Studierenden, was ihnen hinsichtlich Karriere am wichtigsten ist. Ganz zentral ist – und das betrifft sowohl jene, die auf den finanziellen Background der Eltern vertrauen können, aber auch jene, die das nicht können –, dass sie sich für ein wenig mehr an Wohlstand nicht mehr schinden wollen. Da gibt es die Bewusstseinsentwicklung, dass Arbeitszeit eben auch ein Stück Lebenszeit ist. Und von dieser Lebenszeit sind sie immer weniger bereit, etwas für eine Arbeit abzugeben, die ihre Wünsche ohnehin nicht erfüllen kann. Das hat den Effekt, dass junge Leute weniger arbeiten wollen.
Stimmt der Vorwurf, die junge Generation wäre einfach faul, also doch?
Brandl
Sie hat andere Prioritäten. Ich denke nicht, dass man faul ist, wenn man einen gewissen Anspruch an das Berufsleben hat. Dass man will, dass Arbeit auch sinnstiftend ist. Das ist ja kein Aspekt der Faulheit, sondern eine Veränderung von Wertigkeiten. Denn dass junge Leute weniger arbeiten wollen, ist nur der sichtbarste Effekt. Darüber hinaus hat sich auch die Sichtweise darauf geändert, welche Arbeit gesucht wird. Wie soll ein Job sein, was muss ein Arbeitgeber bieten? Was jetzt von den jungen Leuten, aber auch teilweise von den älteren gesucht wird, ist Arbeit mit Sinn. Und da sind ja jetzt viele Arbeitgeber dabei, sich mit allen möglichen Angeboten zu übertrumpfen.
Wie soll eine solche Arbeit aussehen?
Brandl
Aus einer soziologischen Sicht kann Arbeit auf dreierlei Art Sinn stiften. Zum einen, indem ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Aber genau hier tun sich ja nun Fragezeichen auf. Arbeit ist zweitens auch ein Mittel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Wer arbeitet, ist sozial integriert, auch wenn andere soziale Netzwerke nicht existieren. Daher gehen manche Leute gern zur Arbeit, auch wenn sie dort nicht riesige Summen verdienen. Und drittens ist Arbeit Mittel zur Selbstverwirklichung. Kann ich meine Talente einbringen oder kann ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zu größeren gesellschaftlichen Anliegen leisten, beispielsweise um älteren Menschen zu helfen oder die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren? Das sind sehr hehre Ziele, und Firmen nutzen dies mittlerweile, um ihre offenen Stellen zu vermarkten.
Angesichts von Teuerung und multipler Krisen könnte das Teilzeitmodell aber schnell wieder an Attraktivität einbüßen. Um es mit Brecht zu sagen: Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral.
Brandl
Viele erkennen, dass sie vielleicht gar nicht so viel brauchen oder in gewissem Maße auch ihre Ausgaben kürzen können. Ich habe viel Kontakt zu Unternehmen. Die erzählen, dass kaum noch jemand 40 Stunden arbeiten will. Das ist bei den Bewerbungsgesprächen Thema Nummer eins. Ich denke außerdem, dass der Begriff Teilzeitarbeit in Zukunft nicht mehr so benannt werden wird. Weil Teilzeit immer davon ausgeht, dass es eine Norm gibt, die höher liegt – wie eben die Vollzeiterwerbsarbeit. Doch soche Normen sind ein Auslaufmodell.

 

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).