An diesem Punkt soll der Bohrsturm stehen (Skizze im Maßstab). Die Nähe zum Nationalpark Kalkalpen sorgt für heftige Kritik am Gasförderprojekt von ADX (Geschäftsführer Paul Fink).
Wirtschaft

Gas aus Österreich: Bohren gegen Putin

Die Weichen für eine der spektakulärsten Gasbohrungen sind gestellt. Die Stimmung in Molln ist aufgeheizt. Jetzt kündigen auch die „Klimakleber“ Widerstand im Kalkalpental an.

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Paul Fink ist fast am Ziel. Fürs profil-Foto posiert er in einer frisch gemähten Wiese neben einem orange gefärbten Holzpfeiler. Hinter ihm erheben sich die Kalkalpen. Der markierte Punkt 18 Kilometer außerhalb des Ortszentrums von Molln im Bezirk Kirchdorf, Oberösterreich, sorgt seit Anfang des Jahres für Schlagzeilen. Hier will ADX, eine australische Börsenfirma, 2000 Meter in den Boden bohren und ein riesiges Gasvorkommen erschließen.

Geschäftsführer Fink ist Montanist der Uni Leoben mit OMV-Vergangenheit. Im Explorationsgeschäft ist er seit 25 Jahren. Die Fundwahrscheinlichkeit unter seinen Fußsohlen beziffert er mit „0 bis 50 Prozent“. Nach Öl und Gas zu bohren, ist ein teures und riskantes Geschäft. Das erklärt den Firmenhauptsitz von ADX. In Australien sind Investoren noch bereit, in den Bergbau zu investieren. Molln ist geeignet, die Fantasie der Spekulanten zu beflügeln. Das Gasfeld könnte bis zu 22 Milliarden Kubikmeter fassen. Das entspricht dem Dreifachen des jährlichen Erdgasverbrauchs in Österreich. Nach aktuellen Gaspreisen wäre das Vorkommen bis zu 300 Millionen Euro wert. Die Gasgräberstimmung hat auch Teile der lokalen Bevölkerung erfasst. Naturschützer sind allerdings in Untergangsstimmung. In Sichtweite zum markierten Bohrplatz verläuft die Grenze zum Nationalpark Kalkalpen.

Ab Oktober soll es in die Tiefe gehen; im Falle eines Fundes an bis zu fünf weiteren Stellen. Danach braucht es Pipelines. In circa drei Jahren könnte das Gas an die Endverbraucher strömen. 20 weitere Bohrplätze hat ADX im oberen Salzkammergut als Potenzial definiert. Auch die OMV hat in Wittau im Weinviertel neu gebohrt. Diese Renaissance der heimischen Erdgasförderung entspricht der politischen Devise: „Raus aus russischem Gas.“ Gleichzeitig wirkt sie retro, lautet das vereinbarte Klimaziel doch: „Raus aus Öl und Gas.“ Egal, woher es kommt. Widerstand ist programmiert. Nicht nur durch lokale Aktivisten, die um die Artenvielfalt im Naturschutzgebiet fürchten. Auch die Letzte Generation, die fürs Klimakleben bekannt ist, kündigt heftigen Widerstand an.

Vergangenen Mittwoch prüfte die Montanbehörde die Pläne für die Probebohrung. Sie untersteht – weil Bodenschätze – dem Finanzministerium. Naturschutzrechtlich prüft parallel dazu die oberösterreichische Landesbehörde. Ein negativer Bescheid wäre in beiden Fällen eine Überraschung. Hat doch die Republik selbst ADX per Lizenz mit der Gas-Suche beauftragt.

Flutlicht im stockdunklen Tal

Die Vorbereitungen in Molln sind weit gediehen. Weitere orange Holzpfeiler stecken eine 4500 Quadratmeter große Fläche ab. Gleich einem Ufo, das in der Finsternis und Stille des entlegenen Tals landet, würde hier acht Wochen lang mit Flutlicht durchgearbeitet. Mit Schichtarbeitern, die in Containern schlafen und Baufahrzeugen, die ein- und ausfahren. Fink betont, dass keine Spur von der Bohrung zurückbleibe, sollte sie fehlschlagen.

So oder so würden Licht und Lärm seltene Tierarten im nahen Nationalpark bedrohen, warnt Christian Hatzenbichler von der Bürgerinitiative Pro Natur Steyrtal. „Es gibt keine physische Grenze.“ Beim Lokalaugenschein im Rahmen der Bauverhandlung sind Naturschützer nicht zugelassen. Dafür Anrainer, die dem Projekt positiv gegenüberstehen. „Da hinten ist eine meiner Weiden“, zeigt Landwirt Manfred Zelinka auf einen Punkt jenseits der Bohrstelle. „Ich brauche Energie für meine Viehwirtschaft und meinen Haushalt. Es kann doch nicht sein, dass wir das Gas hier im Boden drinlassen und dafür viel umweltschädlicheres Fracking-Gas aus Amerika importieren.“ Ein ehemaliger Baggerfahrer aus Molln, der mit seinem Jeep schaulustig vorbeifährt, stoppt und gibt ihm recht: „Lieber die Energie von da als aus den USA“, zeigt er auf die Wiese.

Dicke Luft in Molln

Umweltaktivisten und besorgte Bürger machen ihrem Ärger über das Gasbohrprojekt bei einer Pressekonferenz Luft.

„Im Namen der Republik“

Laut Bürgermeister Andreas Rußmann ist diese Meinung im Ort verbreitet. Ein weiterer Teil sei verunsichert, und ein kleiner Teil „fundamental“ gegen die Bohrung. Mit dieser Gruppe liefert sich der ADX-Geschäftsführer am selben Tag einen Schlagabtausch. Parallel zur Montanbehörde, die in einem Mollner Wirtshaus tagt, gibt Fink in einem anderen Gast-haussaal eine Pressekonferenz. Den füllen nicht Journalisten, sondern besorgte Bürger und Umweltaktivisten.

Fink klickt sich durch seine Powerpoint-Präsentation und betont dabei, im Namen der Republik zu arbeiten. Österreich kaufe jährlich um fünf Milliarden „schmutziges“ Gas aus Russland, während man in Molln einen Beitrag zur „sauberen Energieversorgung Österreichs“ leisten könne. Vom Förderzins, den ADX an den Staat bezahle (22 Prozent des Marktpreises fürs Gas), werde auch Molln profitieren, versichert er. Ein weiteres Versprechen: neue Radwege. Die könnten beim Verlegen der Pipelines zum nächsten Gasknotenpunkt gleich mitgebaut werden.

Fink hat sich sichtlich eine Taktik für Öko-Aktivisten zurechtgelegt. Er isoliert sie vom Beginn der Pressekonferenz rhetorisch vom Rest der Bevölkerung. Der angebliche „Widerstand“ existiere nicht. Bis auf eine „kleine Gruppe von Aufgeregten“ stünden alle im Dorf hinter dem Projekt. Die Gemeinde habe sich, vertreten durch den Gemeindevorstand, ausdrücklich für die Erdgasprobebohrung ausgesprochen, um zu profitieren. Dass Bürgermeister Rußmann in einer amtlichen Mitteilung per Versalien hervorstreicht, „weder FÜR noch GEGEN“ das Bohrprojekt zu sein, erwähnt Fink nicht. Mit ADX am Podium sitzt ein Ziviltechniker, den die Firma für das Bohrprojekt engagiert hat. „Ich lebe selbst in Molln. Von einer gespaltenen Gesellschaft kann keine Rede sein. ADX ist ein seriöses Unternehmen“, sagt er. Die Argumente der Aktivisten nimmt der der ADX-Boss vorweg und bezeichnet sie als „Tribunal“ oder „stalinistischen Schauprozess“.

„Keine Angst, verhaftet zu werden“

Nach 50 Minuten kippt die Stimmung. „Einen Staubsauger würde ich Ihnen abkaufen. Diese Präsentation nicht“, ruft Aktivist Hatzenbichler. Den Mollner Ziviltechniker im ADX-Lager kritisiert er weniger harsch. Er ist sein Großcousin. Ein älterer Herr steht auf und ruft Fink wild gestikulierend zu, er gehöre als „Mitverursacher des Klimawandels persönlich verklagt“. Ein junger Anrainer, der sechs Kilometer vom Bohrplatz entfernt lebt, kündigt einen „Aktivismus an, wie Sie ihn noch nie erlebt haben“. Das klingt angesichts der überschaubaren Zahl an Projektgegnern wie eine leere Drohung.

Doch ADX muss sich für Aktivisten von außerhalb wappnen. Neben Greenpeace wollen auch die radikalen Umweltaktivisten der Letzten Generation das Gasprojekt verhindern. „Keine neuen Bohrungen“ ist neben „Tempo 100 auf der Autobahn“ deren Hauptforderung. „Wir haben diesen fossilen Irrsinn am Schirm. Es darf keine einzige weitere Öl- oder Gasbohrung geben. Egal wo auf der Welt“, sagt die Leitfigur der Letzten Generation, Martha Krumpeck. Wie würden die auf Straßenblockaden spezialisierten „Klimakleber“ im entlegenen Alpental vorgehen?

„Es gibt sicher Möglichkeiten, das technische Gerät, mit dem gebohrt werden soll, abzudrehen“, stellt Krumpeck Sabotageakte in den Raum. „Wir haben nichts mehr zu verlieren und keine Angst, verhaftet zu werden.“

Gewesslers Duldung

Deutlich nüchterner argumentiert das Klimaministerium. Die grüne Ministerin Leonore Gewessler dürfte sich mit den Bohrplänen abgefunden haben. „Wir haben im letzten Jahr schmerzhaft spüren müssen, wie sehr wir von russischen Erdgaslieferungen abhängig sind und wie hoch die Kosten sind, wenn plötzlich kein Gas mehr aus Russland kommt. Deswegen ist es wichtig, diese Abhängigkeit zu reduzieren, auch mit Erdgas, das in Österreich gewonnen wird.“ Über 2030 hinaus sei es aber nicht vertretbar, neue Erdgasvorkommen zu erschließen, weil die Verwendung von Erdgas bis 2040 beendet werde.

Fink zieht am Bohrplatz mit dem Finger eine Linie entlang der Nationalparkgrenze. Hier wäre eine Plexiglaswand vorstellbar, damit Insekten nicht ins Flutlicht fliegen und verbrennen. Außerdem wäre es denkbar, erst im Winter zu bohren, wenn sich Tiere weniger fortpflanzen. Ob er dabei auch auf Schneemassen als natürliche Barriere für menschliche Störenfriede spekuliert?

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.