Wirtschaft

Hafermilch: Das Produkt, das die Welt etwas besser machen soll

Die Generation Z liebt sie, der Handel hofiert sie, die Molkereien kopieren sie: die „Hafermilch“, die nicht so heißen darf.

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Sie sieht aus wie Kuhmilch, hat eine ähnliche Konsistenz, eignet sich zum Kochen, Backen und geht auch zum Kaffee. Sie hält verschlossen monatelang, enthält keine Laktose, kein Milcheiweiß, kein Cholesterin und hat vor allem eine Kuh noch nie gesehen – vegan also. Das sind Zutaten für ein Produkt, das längst nicht nur als Lebensmittel dient. Es spiegelt auch das Lebensgefühl der Generation Z, das sind Jugendliche und junge Erwachsene, die um die Jahrtausendwende geboren wurden.

Es geht um die „Hafermilch“, die, wie der Name schon sagt, aus Getreide hergestellt wird und damit formell keine Milch sein darf. Das zumindest hatte 2017 der Europäische Gerichtshof entschieden. Seither dürfen rein pflanzliche Produkte nicht als „Milch“, „Butter“, „Käse“, „Rahm“ oder „Joghurt“ vermarktet werden – das bleibt Produkten tierischen Ursprungs vorbehalten.

Dem Zuspruch gerade unter jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten tut das keinen Abbruch. Milchersatz aus Getreide behauptet zunehmend Marktanteile. Laut der sogenannten Rollanalyse der Agrarmarkt Austria (kurz AMA), die kontinuierlich Haushaltseinkäufe beobachtet, bestehen vier Prozent der in Österreich verkauften Milchprodukte nicht mehr aus Kuhmilch, sondern aus Hafer, Dinkel, Reis, Mandeln und Soja. Das ist doppelt so viel wie noch vor fünf Jahren. Pflanzliche „Milch“ ist damit noch immer eine Nische am Milchmarkt, aber eine, die wächst. Am beliebtesten ist  derzeit Milch aus Getreide – etwa aus Hafer –, knapp vor Soja- und Reismilch.

Gleichzeitig konsumieren die Menschen in Österreich aber um sechs Kilo (das entspricht ziemlich genau sechs Litern) weniger Milch als noch vor fünf Jahren, erhob die AMA. Bei dieser Rechnung gewinnen also nicht alle: Es wird nicht insgesamt mehr gekauft, vielmehr verdrängt Milch aus Pflanzen die Milch von Kühen.

Kuhmilch verliert

Der Milchmarkt ist im Umbruch: Vier Prozent der gekauften Milchprodukte bestehen mittlerweile aus Hafer, Soja, und Reis, nicht mehr aus Kuhmilch. Vor fünf Jahren waren es nur zwei Prozent. In Österreich wird aber auch pro Kopf um sechs Kilo (etwa sechs Liter)  weniger Milch getrunken als noch vor fünf Jahren.

Der prominenteste Herausforderer der Kuhmilch ist das schwedische Unternehmen Oatly AB, gegründet 1994 vom Brüderpaar Rickard und Björn Öste. Rickard gilt auch als Erfinder der Hafermilch. Oatly mit Sitz in Malmö ist heute börsennotiert und internationalisiert. Vor allem aber ist Oatly im Auftreten schrill und angriffig. Vor einem Jahr verhüllte ein riesiges Plakat Teile der eingerüsteten Wiener Votivkirche, darauf stand: „Like milk but made for humans“. Die Kuhmilch den Kälbern (und nur diesen) – das ist eine der zentralen Botschaften der Schweden. 

Zuvor hatte Oatly in Großbritannien den Zorn der Landwirte auf sich gezogen, nachdem man diesen öffentlich vorgerechnet hatte, dass die Milch- und Fleischerzeugung weltweit mehr ausstießen als alle Flugzeuge, Züge, Autos und Boote der Welt zusammen. Die britische Werbeaufsicht verbot die Kampagne, da sie irreführend sei.

In Österreich ist Oatly seit nunmehr drei Jahren auf dem Markt. Die Konkurrenz sei hier vor allem die Kuhmilch- und Molkereiindustrie, heißt es vom zuständigen Vertriebsdirektor Roland Griesebner gegenüber profil: „Wir agieren in einem System, das die Tierhaltungsindustrie massiv bevorteilt, das muss sich ändern.“

Auf der anderen Seite steht der Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Milchverarbeiter, Johann Költringer, der die Interessen von Molkereien vertritt. Deren Struktur hat sich verändert: Einige große Betriebe, die  in den vergangenen  30 Jahren kleinere aufgekauft haben, dominieren den österreichischen Markt. Neben internationalen Lebensmittelkonzernen wie Danone wirken sie wiederum klein. Jetzt kommt  pflanzliche Konkurrenz mit neuen, hippen Produkten dazu. „Es ist kein Sakrileg. Wenn wer glaubt, das trinken zu müssen, soll er“, sagt er.

Der Hype sei größer als der tatsächliche Markt. Költringer legt wenig überraschend aber großen Wert auf die Feststellung, dass es „Hafermilch ja gar nicht gibt“. 

Der Hype war jedenfalls groß, als Oatley im Mai 2021 sein Debüt an der Börse hinlegte. Das Unternehmen wurde beim US-amerikanischen NASDAQ am 20. Mai 2021 mit zehn Milliarden US-Dollar bewertet, der Ausgabepreis der Oatly-Aktie lag bei 17 Dollar. Seitdem hat die Aktie mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren – sie kostet jetzt 2,11 Dollar. Doch bei Oatly kriselt es nicht, weil die Hafermilch nicht gekauft würde, sondern weil die Konkurrenz wächst. Womit wir wieder bei der Milchindustrie wären.

Der französische Joghurt-, Milch- und Molkemacher Danone kaufte in den vergangenen fünf Jahren munter Hersteller pflanzlicher Milchimitate auf, angefangen mit White Wave.  Die US-amerikanische Firma spezialisierte sich schon früh auf pflanzlichen Milchersatz, in Europa sind vor allem deren Sojaprodukte „Alpro“ und „Provamel“ bekannt. Mit diesem Kauf wagte sich der französische Danone-Konzern aber nicht langsam an ein neues Terrain heran, sondern katapultierte sich mitten ins Geschehen.

Danone kaufte die Firma um 10,4 Milliarden Dollar, deren Umsatz lag damals bei über vier Milliarden Dollar im Jahr. Im Vergleich dazu: Oatly erwirtschaftete im Vorjahr 643 Millionen Dollar. Mittlerweile ist Danone der weltweit größte Anbieter in dieser Kategorie. In drei Jahren soll etwa ein Fünftel des Umsatzes mit pflanzlichen Produkten gemacht werden. Das wären fünf Milliarden Euro bei knapp 25 Milliarden Euro Umsatz.

Doch Danone kauft nicht nur auf, man stellt auch um. Vor einem Jahr kündigte der Konzern an, in einem der Werke im Südwesten Frankreichs nur mehr Pflanzenmilchprodukte herzustellen. Die Verträge mit über 200 Bauern wurden gekündigt, sehr zu deren Empörung: „Es ist bitter. Es ist das Gefühl, dass man fallengelassen wird, weil man mit Pflanzen mehr Geld verdienen kann als mit Tieren“, kommentierte ein Vertreter der Landwirte damals die Entscheidung. 

In Österreich rechnet Danone mit „ähnlich dynamischem Wachstum“ wie in den Jahren davor, heißt es von der heimischen Zweigstelle in Wien. Und: „Natürlich kann es dabei auch zu Kannibalisierungseffekten im Bereich der klassischen Milchprodukte kommen.“ 
    

Dabei ist in Österreich die Milchwirtschaft der bedeutendste landwirtschaftliche Sektor. Rund 24.000 Landwirte produzieren drei Millionen Tonnen Milch mit 520.000 Kühen. Vor 25 Jahren haben drei Mal so viele Bauern mit 100.000 Kühen mehr um die 2,4 Millionen Tonnen produziert. Das heißt: Weniger Bauern mit weniger Kühen produzieren mehr Milch.

Einer dieser 24.000 Milchbauern ist Anton Wagner im Mostviertel. Auch in seiner Großfamilie stand bereits Hafermilch im Kühlschrank. „Sie ist aber – ohne mein Zutun – schnell wieder verschwunden.“ Der Geschmack habe nicht überzeugt. Die pflanzliche Milch werde unter Landwirten sehr kritisch gesehen. Trends könne man aber nicht aufhalten, sagt Wagner. Er setzt darauf, dass es in Österreich mit dem hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Milch ein anderes Ernährungsbewusstsein gebe.

Doch auch die Molkerei, die er beliefert, hat mittlerweile Hafermilch im Sortiment. Die Berglandmilch, zu der etwa Tirol Milch und Schärdinger gehören, verkauft seit zwei Jahren pflanzliche Milchalternativen. Sie würden sich gut entwickeln, aber nicht explodieren, heißt es vom Chef der größten Molkerei des Landes Josef Braunshofer. Doch der Hafer dafür werde nur von den eigenen Milchbauern produziert, betont er. Die derzeitige Plakatkampagne des Unternehmens erinnert keineswegs an Oatly, sondern fällt eher in die Kategorie nett und unauffällig: „Ich streiche lieber meine Produktvorzüge heraus, als wen anzupatzen. Als E-Auto-Vertreiber schimpfe ich ja nicht über Dieselmotoren“, erzählt der Molkereichef.

Die Milchindustrie hat mittlerweile Argumente gesammelt und nachgeschliffen. „Wir sind da sicher toleranter als die vegane Gemeinschaft bei tierischen Produkten.“ Er hat vor einiger Zeit einen Artikel geschrieben, der die Vorzüge der Kuhmilch im Vergleich zu dem verarbeiteten Getreide auflistet. Sie enthält mehr Eiweiß, mehr Nährstoffe und keine Zusatzstoffe. Touristen kämen wegen Almen, nicht wegen Haferfelder nach Österreich. Er betont die hohen Qualitätsstandards in Österreich und dass in den vergangenen zehn Jahren die -Emissionen reduziert wurden.  

Das ist nämlich ein Hauptargument der Freunde und Produzenten pflanzlicher Milch. Rein umwelttechnisch schneiden diese pro Liter besser ab. Um Hafermilch herzustellen, braucht es elf Mal weniger Anbaufläche pro Liter, drei Mal weniger -Emissionen werden dabei ausgestoßen. Die Milchproduzenten kontern: Kuhmilch habe Nährstoffe, die den Getreidedrinks fehlen. Und wenn man die Nährstoffdichte betrachtet, dann kann die pflanzliche Milch nicht mithalten. Das heißt, man muss viel weniger Kuhmilch als pflanzliche Milch trinken, um die gleiche Nährstoffmenge zu erreichen.

Ein wichtiges Argument für die Milchproduzenten ist der Preis: Trotz Teuerung kostet sie eindeutig weniger als pflanzliche Milch. Laut Költringer ist Letztere beim Handel besonders beliebt, weil die Spanne höher sei: „Der Milchbauer kriegt 55 Cent, im Geschäft kostet die Milch ab 1 Euro 30. Ein Kilo Hafer, aus dem man acht Liter Haferdrink machen kann, kostet 30 bis 40 Cent. Sie können nachrechnen, wo der Rest bleibt.“

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.