Wirtschaft

Immobilien: Österreich droht ein Wohnungsmangel

Steigende Kosten und hohe Zinsen führen aktuell zu einer sinkenden Nachfrage nach neuen Wohnungen und einer erlahmenden Bautätigkeit. Damit droht ein Wohnungsmangel, der die angespannte Lage bei den Mieten noch verschärfen würde.

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Sommerzeit ist Baustellenzeit. Wenn es wieder wärmer wird, wachsen Kräne in den Himmel, fahren die Bagger auf, weichen Parkplätze rostigen Baucontainern und staubigen Schüttmulden. Und es wird laut, wenn Bauarbeiter in der Früh die Kreissägen auspacken, Presslufthämmer anwerfen und riesige Betonmischer entleeren.

Und trotzdem: Heuer wird es deutlich ruhiger sein. Denn vor allem der Bau von neuen Wohnungen ist stark eingebrochen. „Wir bemerken seit über einem Jahr einen extremen Rückgang beim Neubau“, sagt der Immobilienunternehmer Michael Pisecky. „Das ist noch nicht so sichtbar, weil es noch viele Baustellen gibt, aber es kommen sehr wenig neue dazu.“ Fast alle Häuser und Wohnungen, die dieses und nächstes Jahr fertiggestellt werden, seien Projekte, die schon vor längerer Zeit gestartet wurden, so Pisecky, der in der Wirtschaftskammer der Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder vorsteht. Er schätzt, dass im Jahr 2025 um zwei Drittel weniger Wohnungen auf den Markt kommen, als aktuell fertiggestellt werden.

Konkrete Zahlen gibt es seitens der Statistik Austria nur für 2021 – damals wurden österreichweit knapp über 70.000 Wohnungen neu errichtet, etwas mehr als die Hälfte davon in Gebäuden mit mehreren Geschossen und rund ein Viertel in Ein- und Zweifamilienhäusern. Laut Statistik waren das die höchsten Werte seit etwa 40 Jahren, es wurde also lange nicht mehr so viel gebaut wie 2021.

Michael Pisecky, WKO

„Wir sehen seit über einem Jahr einen extremen Rückgang beim Neubau.“

Appetit auf Wohnungen vergeht

Dass es mit dem Boom jetzt vorbei ist, hat vor allem mit der hohen Inflation zu tun. Nach einem massiven Anstieg der Baukosten in der ersten Hälfte des Vorjahres (siehe Grafik) haben dann auch die Energiekosten stark zugelegt. Zur Bekämpfung der Teuerung hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen schrittweise erhöht. Das hat zur Folge, dass auch Wohnkredite teurer werden und Firmen, die neue Wohnungen errichten, schwerer an Finanzierungen kommen, weil die Kosten dafür stark steigen.

Die Nachfrage bei Immobilienkäufen sei schon vergangenen Herbst eingebrochen, sagt Pisecky. Das spiegelt sich auch bei den Kosten für Wohneigentum wider: Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg sind die Immobilienpreise seit dem Höchststand im vergangenen Jahr um bis zu zwölf Prozent gesunken. Der Verband der Immobilienwirtschaft in Österreich sieht den Einbruch weniger dramatisch – zweistellige Rückgänge gebe es nur in Einzelfällen, hieß es dort zuletzt.

Eine Auswertung der österreichischen Online-Plattform Willhaben zeigt: Per Ende März sind die durchschnittlichen Angebotspreise bei Eigentumswohnungen pro Quadratmeter in der Hälfte aller Bezirke Österreichs zurückgegangen. In Melk etwa um fast 14 Prozent, in Wien-Neubau immerhin um sechs Prozent – jeweils im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres. Aber nicht nur bei Wohnungen, sondern auch bei Büros, Hotels, in der Industrie und im Gewerbe hat der Immobilienmarkt stark nachgelassen. Laut der US-Investmentfirma CBRE gab es in Österreich im ersten Quartal Immobiliendeals im Wert von rund 450 Millionen Euro – um mehr als die Hälfte weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. „Verkäufer sind in vielen Fällen noch nicht bereit, die Preise zu senken – aber genau darauf warten die Käufer. Dadurch treffen sich die Vorstellungen nicht, und die Transaktionen sind rückläufig“, heißt es in dem Bericht vom Mai.

Kreditvergabe heiß gelaufen

Bei Wohnhäusern gab es um ein Drittel weniger Deals – mitverantwortlich dafür ist auch, dass seit letztem Sommer strengere Regeln bei der Vergabe von Wohnkrediten herrschen. Die Oesterreichische Nationalbank und die Finanzmarktaufsicht hatten bereits vor zwei Jahren kritisiert, dass heimische Banken bei der Kreditvergabe zu lax seien – bei mehr als der Hälfte der neuen Kredite werde mit zu wenig Eigenmitteln finanziert, und die Schuldenlast mache oft einen zu großen Teil des Einkommens der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer aus, warnte etwa die OeNB (siehe profil 20/2023). Vergangenen Juli verpflichtete die FMA die Banken schließlich zu strengeren Kriterien, wonach bei der Kreditvergabe mindestens 20 Prozent Eigenmittel vorhanden sein müssen und der Schuldendienst maximal 40 Prozent des Nettoeinkommens ausmachen darf. Gleichzeitig wirkten sich die steigenden Leitzinsen stark auf die laufenden Kosten für Kredite aus: Gegenüber Jänner des Vorjahres verlangten Banken in Österreich zu Jahresbeginn durchschnittlich fast den dreifachen Zinssatz für neue Wohnkredite. Viele Menschen, die variabel verzinste Kredite aufgenommen haben, kommen dadurch in finanzielle Schwierigkeiten.

Die Luft ist also draußen – und viele neue Bauvorhaben wurden bereits vor dem Einbruch im vergangenen Jahr abgesagt oder werden jetzt auf Eis gelegt. „Es gibt viele Projekte, die nicht begonnen werden, weil man auf einen Preis kommt, der auf dem Immobilienmarkt nicht unterzubringen ist“, sagt Pisecky. Denn zu den stark gestiegenen Grundstückspreisen kämen auch noch die höheren Finanzierungskosten und eben der Druck am Bau. „Es gab Zeiten, wo man gar keine konkreten Angebote mehr von den Baufirmen bekommen hat, weil die ihre Preise immer nur tageweise angegeben haben. Man konnte gar nicht kalkulieren“, so der WKO-Branchenvertreter.

Dass Immobilienprojekte stillstehen, lässt sich in Wien durchaus an zahlreichen verwaisten Baustellen feststellen. Vor allem in Gegenden, wo die Preise zuletzt stark gestiegen sind, denn dort wurden besonders viele Bauprojekte begonnen. Typischerweise gehen viele Neubauprojekte erst in die volle Umsetzung, wenn der Bauträger zumindest einen Großteil der neuen Wohnungen bereits verkauft hat. Das ist meistens auch eine Voraussetzung der Banken, die solche Projekte mit Krediten finanzieren. Wenn die Banken abspringen, weil es zu wenig Interesse an den Wohnungen gibt, dann hat ein Bauprojekt sehr schlechte Karten.

Ächzen unter hohen Kosten

Immobilienentwickler sind in der Regel von Bankfinanzierungen abhängig und haben nicht viel Liquidität zur Verfügung. Der Großteil des Eigenkapitals ist im Grundstück oder in bestehenden Immobilien gebunden. Wenn die Kreditvergabe stockt, kommen oft auch die Baustellen zum Stehen. Dazu kommt, dass Bankfinanzierungen während des Baus oft variabel verzinst sind, was die Kosten weiter in die Höhe treibt. Erst wenn ein Wohnhaus fertig gebaut und übergeben ist, könne auf eine Fixverzinsung umgestellt werden, was unter den aktuellen Voraussetzungen für viele Entwickler aber in weite Ferne gerückt sei, heißt es in Branchenkreisen.

Aktuell sind die Kosten für neue Eigentumswohnungen so hoch, dass ein Bauträger im Bundesland Salzburg heute etwa einen Quadratmeterpreis von rund 6200 Euro verrechnen müsste – während man bei einem kürzlich fertiggestellten Projekt mit fast drei Dutzend Wohnungen zu maximal 4200 Euro verkauft habe, gab die Salzburg Wohnbau zuletzt bekannt. Laut dem Österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen ist die Nachfrage bei Eigentumswohnungen innerhalb von acht Monaten um 80 Prozent gefallen. Bei einer Veranstaltung der Branche letzte Woche hieß es aber auch, dass Baufirmen aufgrund der Flaute für Wohnungsprojekte wieder fixe Preise anbieten und bei Ausschreibungen mehr Angebote eingehen als in der Vergangenheit.

Richtige Entspannung bei den Baukosten ist nicht in Sicht. Wegen der hohen Inflation sind die Löhne am Bau dieses Jahr um fast zehn Prozent gestiegen, das werde dazu beitragen, dass Hausbauen weiterhin sehr teuer bleibt, sagt Stephan Jainöcker, Geschäftsführer des Bauunternehmens Mischek, welches zur Strabag gehört. Die Firma, die vor allem Wohnbauten in Wien errichtet, habe bis dato noch keine Projekte zurückgestellt. „Das kann sich allerdings ändern“, so Jainöcker gegenüber profil. „Noch ist die Nachfrage da, aber die Finanzierung für die Käufer ist schwieriger geworden.“

Auch wenn jetzt weniger gebaut wird, sei die Situation noch nicht dramatisch, denn man habe in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viele Wohnungen errichtet. In Wien habe sich das Angebot mehr als verdoppelt. Bei den Immobilien und am Bau gebe es immer wieder Phasen der Konsolidierung. „Wenn man jetzt wieder auf ein normales Maß zurückkommt, ist man im langjährigen Schnitt wie in den Jahren vor 2015“, sagt der Mischek-Chef. Es sei klar, dass der Wohnungsneubau zurückgeht, wenn der Verkauf nachlässt. „Ob die Zahl der neuen Wohnungen dann reichen wird, muss man sehen.“

Es könnte wieder knapp werden

Wohnungsnot – das war in Österreich und vor allem in den großen Städten schon länger kein Thema mehr. Michael Klien, Ökonom beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), geht aber davon aus, dass ein Mangel an neuem Wohnraum durchaus wieder akut werden könnte. Denn der Zuzug sei weiterhin stark und letztes Jahr auch überraschend hoch ausgefallen. In Wien etwa kamen 2022 circa 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner hinzu, damit liegt die Bundeshauptstadt nur noch knapp unter der Zwei-Millionen-Grenze, die laut aktuellen Prognosen sehr bald überschritten werden könnte. „Das Problem dabei: Der Bau reagiert nicht so schnell. Es fehlen die Projekte in den nächsten Jahren“, erklärt Klien.

Auch Sandra Bauernfeind, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft Heimat Österreich, geht davon aus, dass in den kommenden Jahren weniger neuer Wohnraum zur Verfügung stehen wird, weil die Nachfrage jetzt stark zurückgeht und die Finanzierung schwieriger geworden ist. Das betreffe gewerbliche genauso wie gemeinnützige Bauträger. „Das wird großen Druck auf den Wohnungsmarkt ausüben“, so Bauernfeind.Konkret bedeutet das: weiter steigende Mieten, auch bei neuen Abschlüssen. WIFO-Experte Klien prognostiziert, dass die Mietkosten durch einen möglichen Wohnungsmangel in den kommenden Jahren durchaus über der Inflationsrate steigen könnten, die Teuerung beim Wohnen also überdurchschnittlich hoch ausfallen würde.

Sandra Bauernfeind, Heimat Österreich

„In den kommenden Jahren wird weniger neuer Wohnraum zur Verfügung stehen.“


Wohnen oft schon unerschwinglich

 

Dabei können sich viele Menschen ihre Wohnungen schon jetzt kaum mehr leisten. In einer Studie der Statistik Austria zu Jahresende gab mehr als ein Drittel der Befragten an, mit Zahlungsschwierigkeiten bei Miete, Wohnkredit, Wohnnebenkosten oder Betriebskosten zu rechnen. Hochgerechnet hatten etwas mehr als eine Million Menschen große Schwierigkeiten, mit ihrem Haushaltseinkommen die laufenden Ausgaben zu decken, heißt es in der Studie.

Bei den sogenannten Kategoriemieten – also Altbauwohnungen, für die der Mietvertrag vor 1994 abgeschlossen wurde und je nach Größe und Ausstattung gesetzliche Höchstwerte gelten – steigen die Mieten Anfang Juli wieder um über fünf Prozent, die vierte Erhöhung in Folge. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr sind die Kategoriemieten, die rund 135.00 Mietverträge in Österreich betreffen, um fast ein Viertel in die Höhe geschossen. Auch die Richtwertmieten – die etwa ein Drittel aller Mietverhältnisse in Österreich ausmachen – sind stark gestiegen. Das von der Arbeiterkammer unterstützte Momentum Institut warnte zuletzt, dass die Kosten bis 2025 auch hier innerhalb von vier Jahren um ein Viertel steigen könnten.

Auf der politischen Ebene fordert die SPÖ die Regierung seit Monaten auf, bei den Mieten einzugreifen und weitere Steigerungen zu verhindern. Weder ÖVP noch Grüne sind diesen Forderungen bisher nachgekommen. Und während sich die Immobilien-branche wenig überraschend vehement gegen solche Maßnahmen ausspricht, kann WIFO-Chef Gabriel

Felbermayr einer Mietpreisbremse mittlerweile durchaus etwas abgewinnen. „Ich glaube, darüber müsste man weiter nachdenken“, sagte er Ende Mai.

Für Michael Pisecky von der WKO steht fest, dass das Thema leistbares Wohnen nicht über den Bau von neuen Wohnungen gelöst werden könne, denn die seien immer am teuersten – und dabei werde es auch bleiben. Es gehe also vor allem darum, den bestehenden Wohnraum besser zu nutzen, sagt der Immo-Branchenvertreter. „Wir haben genug günstige Wohnungen – wir kümmern uns aber nicht darum, wer darin wohnt und ob überhaupt jemand darin wohnt.“