Komplexitätsforscher Klimek: „Trumps Zölle sind größte Herausforderung seit Corona“
Der Komplexitätsforscher Peter Klimek hat gerade ein Déjà-vu. Und keines der angenehmen Art. Zusammen mit seinen Forscherkolleginnen und -kollegen des Complexity Science Hub, des Supply Chain Intelligence Institute Austria und der TU Delft hat er in einer aktuellen Studie die Effekte von Donald Trumps Zollpolitik und des Zollkriegs zwischen den USA und China auf die internationalen Lieferketten sowie den Welthandel untersucht. Ganz konkret erforschten die Modelle der Komplexitätsforscher:innen die Effekte der 90-tägigen Zollpause im Zollstreit zwischen den USA und China auf den bilateralen und globalen Seehandel.
Die Studienergebnisse sind besorgniserregend: Es drohen logistische Engpässe im internationalen Frachthandel wie zuletzt während der Covid19-Pandemie. 90 Prozent des Welthandels erfolgen auf dem Seeweg. Die 90-tägige Zollpause, auf die sich China und die USA zuletzt verständigt haben, könnte dabei sogar einen noch drastischeren Effekt auf den Welthandel haben als die angekündigten Zölle, so die Studie.
2020 und 2021 stand der Welthandel aufgrund der weitreichenden Lockdowns de facto still. Das hatte massive Engpässe bei vielen Waren wie Medikamenten und Mikroelektronik zur Folge, die Frachtkosten explodierten und die Inflation nahm an Fahrt auf – und zwar noch vor der Energiekrise 2023. Jetzt droht ähnliches Ungemach. „Donald Trumps Zölle sind die größte Herausforderung (für die Lieferketten, Anm.) seit Corona“, erklärt Studienautor Peter Klimek. Mit Herausforderungen kennt sich Klimek aus. Er wurde durch seine akkuraten Prognosen zum Verlauf der Corona-Pandemie bekannt und 2021 zum Wissenschafter des Jahres gekürt.
Zölle auf eh alles
Im April hatten die USA Zölle für Importe aus China von 145 Prozent angekündigt, woraufhin China mit 125-prozentigen Zöllen auf US-Importe konterte. Als Folge brach der Handel zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt um 60 Prozent ein. Mitte Mai einigten sich beide Länder schließlich auf eine 90-tägige Zollpause. Aber eben diese könnte über sogenannte „Rebound-Effekte“ zu groben Verwerfungen im Welthandel führen. In den USA droht laut Studie eine plötzliche Nachfragesteigerung von 150 Prozent, weil viele Händlerinnen und Händler jetzt auf Vorrat Waren bestellen, die später unter ein noch strengeres Zollregime fallen könnten. Die Handelsströme wurden laut Studie zunächst in geringem Ausmaß in Richtung EU, Japan oder Südkorea umgeleitet.
Und genau das „könnte die größte Disruption seit Corona sein“, meint Klimek. Die hohe Nachfrage in den USA treibt die Preise nämlich weltweit in die Höhe. Außerdem wird auch der Transport teurer. Weil jetzt besonders viele Frachtschiffe zwischen den USA und China unterwegs sind, drohen wieder lange Wartezeiten und Verzögerungen an anderen Welt-Häfen. Und die Frachtpreise für Schiffsfahrten in die EU und anderswo steigen. „Die Containerpreise steigen wieder beziehungsweise sind Container-Schiffe schlicht nicht verfügbar“, warnt Klimek.
„Am grundlegenden Problem, dass wir hohe Abhängigkeiten etwa von China haben, hat sich nichts geändert“
zu den Abhängigkeiten in den Lieferketten
In der aktuellen Studie sind die erst am vergangenen Freitag angedrohten Zölle von 50 Prozent auf alle EU-Importe noch gar nicht berücksichtigt. Oder die am Montag gewährte Schonfrist bis 9. Juli. Die Unberechenbarkeit von Trumps Zollpolitik ist Gift für den Welthandel. Denn die beschriebenen Verwerfungen und Engpässe führen in der Regel dazu, dass bei uns die Güterpreise wieder steigen – und mit ihnen die Inflation.
Bescheidene Bilanz
Das Zollchaos, das der US-Präsident auf den Weltmärkten verursacht hat, führt noch etwas Unerfreuliches zutage: Die Bemühungen im Zuge der Pandemie, Lieferketten zu diversifizieren und Produktion etwa von Medikamenten oder Mikrochips nach Europa zurückzuholen, waren leider nicht erfolgreich.
„Am grundlegenden Problem, dass wir hohe Abhängigkeiten etwa von China haben, hat sich nichts geändert“, erklärt Klimek. „Das Thema Diversifizierung der Lieferketten wurde zwar ganz oben auf die Agenda der EU-Staaten gesetzt, etwa durch den EU-Chips-Act. Aber der Erfolg ist bisher bescheiden.“
Das hängt einerseits mit den damit verbundenen, deutlich höheren Kosten zusammen. Medikamente und Chips in Europa herzustellen ist einfach teurer als in China oder Indien. Zum anderen befindet sich die europäische Industrie in einer tiefen Krise und viele Unternehmen können oder wollen sich die notwendigen Investitionen für Verlagerungen nach Europa nicht leisten.
Fünf Monate Zollchaos machen sich jedenfalls allmählich in den Geschäftsregalen und den Inflationsstatistiken bemerkbar – zunächst in den USA, aber mittelfristig auch hier in Europa.