In dieser kleinen Straße in Wiener Neustadt reihen sich die Einfamilienhäuser aneinander, die Vögel zwitschern, alles blüht. Mittendrin erklingen sanfte Klaviertöne. Ein Fenster ist offen, drinnen sitzt eine junge Frau und stimmt in aller Ruhe einen brandneuen Bösendorfer-Flügel. Sechs Monate wurde daran gearbeitet, jetzt ist er fast fertig.
Das Chaos und die Eskalation im Welthandel durch US-Präsident Donald Trump wirken in der niederösterreichischen Bösendorfer-Fabrik fern. Doch die angekündigten Zölle treffen den Klavierfabrikanten hart. Rund ein Drittel der Edelflügel geht in die USA, im Gegensatz zum Hauptkonkurrenten Steinway gelten für Bösendorfer dort jetzt zehn Prozent Zoll, in wenigen Wochen vermutlich 20 Prozent. Doch das ist nicht die einzige Krise der vergangenen Jahre. Wie umschifft ein Traditionsbetrieb die Wirren unserer Zeit?
„Wir müssen vorsichtig planen"
Es beginnt staubig und laut. Im Erdgeschoss wird das Holz zugeschnitten, angepasst und zusammengebaut. „Mahlzeit“, tönt es von allen Seiten, als wir mit Sabine Grubmüller durch den Betrieb gehen. „Zehn Prozent mehr Zoll, das gilt jetzt schon, wir müssen daher vorsichtig planen“, sagt die Geschäftsführerin. „Und dazu kommen noch 20 Prozent ab Juli.“
In seinen ersten 100 Tagen versetzte Donald Trump Börsen, einige Regierungschefs und Unternehmen in ziemliche Panik. Er verhängte in seinen ersten Wochen zehn Prozent Zoll auf EU-Importe. Am 2. April, dem „Liberation Day“, ging es dann weiter. Trump kündigte umfassende Zölle für mehr als 100 Staaten an. Für China sollen es über 50 Prozent werden, für die EU 20 Prozent. Börsenkurse stürzten ab, Finanzexperten gaben in den Medien Durchhalteparolen aus. Zwei Tage später, als die Zölle tatsächlich in Kraft treten sollten, ruderte er zurück und setzte sie für 90 Tage aus. Außer für China. Doch auch da erwägt er jetzt zurückzurudern.
Die Konkurrenz bleibt zollfrei
Das 1828 von Ignaz Bösendorfer gegründete Unternehmen gehörte in der Nachkriegszeit für knapp 50 Jahre einem US-amerikanischen Holzhersteller. Die geschäftlichen Beziehungen in die USA verdichteten sich damals. Die Firma wurde in den frühen 2000er-Jahren an die Bawag verkauft, einige Jahre später an den japanischen Yamaha-Konzern. „Unser Hauptmarkt ist Europa, dann Nordamerika, gefolgt von Asien und den arabischen Ländern. Es teilt sich grob auf je ein Drittel auf“, sagt Grubmüller.
„Unser Hauptmarkt ist Europa, dann Nordamerika, gefolgt von Asien und den arabischen Ländern. Es teilt sich grob auf je ein Drittel auf."
Blöderweise gelten die Zölle nicht für alle Konkurrenten, vor allem nicht für den Konkurrenten im Bereich Konzertflügel – und zwar Steinway. Seit Jahrzehnten diskutieren Pianisten Steinway oder Bösendorfer mit seinem warmen Klang. Doch Steinway produziert seine Instrumente in den USA und hat damit einen enormen Vorteil: Die Zölle treffen die Firma nicht. Verstimmt das Sabine Grubmüller? „Mich ärgert das prinzipiell nicht, wir müssen seit 200 Jahren mit allen möglichen Herausforderungen klarkommen. Jemand, der in den USA einen Bösendorfer möchte, wird ihn sich auch in Zukunft leisten.“
Und Grubmüller hat tatsächlich einen langen Atem. Bösendorfer schrieb in den Nullerjahren kräftige Minuszahlen, nach der Übernahme folgten Jahre der Umstrukturierung, die Zahl der Mitarbeiter sank. Die Umsätze stiegen in den letzten Jahren wieder, Bösendorfer erzielte zuletzt rund eine Million operativen Gewinn.
Im ersten Stock geht es weiter, hier wird zusammengebaut, verfeinert und geleimt. Ein Mitarbeiter dreht die Basssaiten, im Nebenzimmer werden sie eingespannt – hier steigt der Frauenanteil der Mitarbeitenden merklich. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Beschäftigten wieder . Auch die Pandemie bremste nicht. „Am Anfang war es sehr schwierig, aber die Leute konnten weniger Geld für Urlaube ausgeben und eben mehr für Instrumente. Das war vor allem in den USA ein wesentlicher Faktor.“
Kaum ebbte Covid ab, marschierte Russland in die Ukraine ein. Für Bösendorfer hieß das: Der russische Markt fällt weg. „In Russland ist der Bösendorfer-Klang sehr beliebt. Man schätzt seine besondere Wärme. Die Sanktionen sind sehr bitter für uns.“ Auch die nach der Inflation angezogenen Lohnkosten schlagen durch. „Es stecken an die 600 Arbeitsstunden in jedem unserer Flügel.“
Im Ausstellungsraum steht auch das Objekt, das den Ex-Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka in seinen Bann zog. Der goldene Wiener-Secessions-Flügel. Die 3000 Euro Monatsmiete für das Instrument im Parlament erhitzte die Gemüter, ein Mindestpensionist klebte sich aus Protest daran fest. Der Mietvertrag wurde nicht mehr verlängert. Normalerweise seien die Kunden sehr reiche Einzelpersonen, Institutionen oder Konzerthäuser, erzählt die Chefin. Das kleinste Modell kostet 95.000, die Konzertflügel um die 200.000 Euro. Ein Flügel mit der „Großen Welle von Kanagawa“ wurde gerade für die Expo nach Japan verschickt. In Wiener Neustadt kann man spielen, in Japan bewegen sich die Tasten zeitversetzt, und die Klänge ertönen im Flügel.
Doch ganz konkret – wie stellt sich Sabine Grubmüller auf den Gegenwind aus den USA ein? Bösendorfer möchte sich jetzt stärker auf Asien konzentrieren. In den vergangenen Jahren habe man wenige öffentliche Ausschreibungen gewonnen, heißt es im letzten Jahresbericht. Man will offensiver auftreten und Steinway dort mehr Konkurrenz machen. Zudem gebe es die sogenannten High Net Worth Individuals in zunehmender Zahl. Doch auch dort spürt Grubmüller eine kleine Veränderung. „In China gab es im Schulprogramm ein Punktesystem, auch die musikalische Ausbildung war dabei. Jetzt aber nicht mehr, und das merken wir.“
Mittlerweile sind wir wieder im Erdgeschoss angekommen. Das Fenster steht noch immer offen, ein Mitarbeiter im Nebenzimmer testet mit kleinen Gewichten, ob alle Tasten gleich auf Druck reagieren. Eine junge Frau stimmt weiterhin. Die Tonfolgen wiederholen sich, Saite für Saite geht es langsam, aber beständig weiter.