Marktmacht ausgenützt? Der Prozess gegen die Brau Union
Der Andrang ist im Wiener Justizpalast überschaubar. Vor den Verhandlungssälen beraten sich Anwälte, Studierende schlendern durch die Gänge, ein Häftling wartet in Handschellen auf seine Berufungsverhandlung.
Einen Saal weiter geht es vergleichsweise gelassen zu. Kein Strafprozess – und doch geht es um Millionen. Am Oberlandesgericht Wien wird am zweiten Verhandlungstag ein Kartellverfahren fortgesetzt. Es dreht sich um Bier – genauer gesagt, um den größten heimischen Braukonzern, die Brau Union, und die Frage, ob dieser in Österreich seine marktbeherrschende Stellung missbraucht haben könnte. Zur Konzerngruppe gehören Marken wie Gösser, Zipfer, Puntigamer oder Wieselburger.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Die Brau Union soll Abnehmer unter Druck gesetzt haben, nicht nur Bier, sondern auch andere Getränke aus dem Konzernportfolio zu beziehen – andernfalls drohe die Lieferverweigerung. Zudem sollen Händler verpflichtet worden sein, keine Konkurrenzprodukte zu vertreiben oder den Großteil ihres Sortiments bei der Brau Union zu beziehen. Dem Kartellverfahren gehen Ermittlungen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) voraus, die durch anonyme Hinweise aus der Branche auf den Plan gerufen worden sind.
Handschlagqualität
Der Sitzungssaal D ist zu klein für die zahlreich erschienenen Rechtsvertreter – einige müssen im Publikum Platz nehmen. Geladen ist ein Zeuge der BWB, ein ehemaliger Getränkehändler aus dem Waldviertel in Niederösterreich. Heute steht er im Privatkonkurs. Seinen Betrieb hat er nach einem Sanierungsverfahren verkaufen müssen, seinen Kundenstock – über Jahre aufgebaut – hält nun jener Konzern, der im Saal zu seiner Rechten sitzt. Er berichtet über seine einstige Branche und deren Verwerfungen.
„Wir wollten unabhängige Getränkehändler sein“, erzählt L. im Zeugenstand – unabhängig, das heißt: frei im Sortiment, nicht an einen Hersteller gebunden. L. ist Logistiker in zweiter Generation. Er übernahm den Betrieb seines Vaters, der mit Brau Union-Vertretern noch auf Augenhöhe verhandelte – mit „Handschlagqualität“, wie er erzählt.
Bis 2020 betrieb L. seinen Getränkehandel. Ganz unabhängig war er nicht – wegen betrieblicher Altlasten hatte er Logistikverträge mit der Brau Union übernommen. Konkret: Er belieferte im Auftrag des Konzerns bestimmte Routen – sogenannte „Strecken“ – darunter Wirte, Supermärkte und Festivals. Ob er vom Braukonzern abhängig war, fragte ihn Richterin Ramona Wieser. Man habe „sich beidseitig genährt“, antwortet L. Neben der Belieferung von Getränken stellte seine Firma Kühlschränke und Schanksysteme zur Verfügung. Ging bei einem Feuerwehrfest mitten in der Nacht das Bier aus, war es L. der Nachschub brachte.
Dabei geht es um große Mengen: Rund zehn Millionen Hektoliter (ein Hektoliter entspricht 100 Litern) werden in Österreich jährlich gebraut. Der Markt ist konzentriert: Fünf Marken – Gösser, Zipfer, Puntigamer, Stiegl und Ottakringer – teilen sich den Großteil des Absatzes. Drei davon gehören zur Brau Union, die etwa zwei Drittel des heimischen Markts beherrscht.
Für Getränkelieferanten ist eine Kooperation mit der Brau Union auf den ersten Blick lukrativ. Sie erhalten ein festgelegtes Kontingent an Kunden, die sie mit den Marken des Konzerns beliefern. Doch am reinen Bierverkauf sei wenig verdient, erzählt L. Die Brauereiwirtschaft arbeite mit Rabatten und Rückvergütungen – wer viel abnimmt, bekomme Boni über Nachlässe. Rabatte sind die Marge. Wer wie viel erhält, sei intransparent. Einmal habe er ernsthaft überlegt, Fassbier über einen Gastronomen zu beziehen, der wiederum sein Bier direkt von der Brau Union beziehe.
Warum dann überhaupt Bier vertreiben, wenn die Marge so gering ist? „Bier ist der Steigbügelhalter“, erklärt L. Die Gewinnmarge beginne erst bei nichtalkoholischen Getränken, die man dazu verkaufe. Auch auf diesen Markt hatte es die Brau Union zunehmend abgesehen – obwohl man dort, bis dahin eher „toleriert“ habe, dass Händler wie L. auch andere Getränke führten.
Loyales Verhalten würde bei jenen Partnern, die Brau Union Biere exklusiv vertreiben, belohnt werden. Dadurch dass L. auf Kooperationen mit anderen namhaften Getränke- und Biermarken setzte, sollen bei der Jahresabrechnung Rückvergütungen nicht gewährt worden sein – auch weil er in Gebiete geliefert haben soll, die ihm nicht zugesprochen wurden.
L. kämpfte dafür, dass er auch Biere anderer, nicht-Brau Union, Marken im Sortiment hielt. Als Getränkehändler arbeitete er stets kundenorientiert. Sein Liefergebiet reichte weit über die Grenzen von mehreren Gebietsbetreuern – bis nach Wien, wo wegen der Vielzahl an Konkurrenz ein freier Markt herrsche.
„Wenn ihr zu viel Fremdbiere macht’s, dann poscht’s“
Auf Kundenseite kam oftmals der Wunsch „alles aus einer Hand“ geliefert zu bekommen. Für L. hieß das auch andere Marken und Produkte ins Sortiment aufzunehmen – wohlgemerkt für seinen eigenen Kundenstock, den er parallel aufbaute. Von Seiten des Braukonzerns wurde er zu Recht gewiesen. „Wenn ihr zu viel Fremdbiere macht’s, dann poscht’s“, erzählte L. über einen Konzernvertreter in seiner Einvernahme bei den Wettbewerbshütern. Dass Biere der Brau Union in nahezu jedem Festzelt ausgeschenkt werden, sei ein Resultat der Struktur: ein weit verzweigtes Logistiksystem, das auch das Waldviertel umfasst. „Es war klar, dass bei jedem Fest Kaiser-Bier ausgeschenkt wird.“
Doch regte sich Widerstand: Nach anonymen Hinweisen leitete die Kartellbehörde BWB Ermittlungen ein, 2022 wurden die Büroräumlichkeiten der Brau Union durchsucht, die nun vor Gericht verhandelt werden. Besonders heikel: wettbewerbssensible Daten einzelner Brau-Union-Marken sollen konzernintern weitergegeben und Partnerbetriebe nach ihrer Loyalität kategorisiert worden sein – ein unfairer Wettbewerbsvorteil bei einer derart großen Marktdominanz.
„Es wurde Markentreue gefordert“, gibt L. zu Protokoll, auch berichtet er von Brau Union-Vertriebsmitarbeitern, die sich Zugang zu seinem Lager verschaffen, um genannte Markentreue zu überprüfen – „über das Hintertor“. Dass er andere Biere vertrieb, war hingegen ein offenes Geheimnis.
Heineken in der Verantwortung
Die BWB sieht die Muttergesellschaft in der Pflicht: Heineken, mit Sitz in den Niederlanden, habe zwar selbst kein wettbewerbswidriges Verhalten gezeigt – trage aber als Konzernmutter der Brau Union Verantwortung. Im Verfahren geht es auch um die Frage, ob Heineken einen „beherrschenden Einfluss“ auf die österreichische Tochter ausübte.
Heineken weist alle Vorwürfe zurück und versucht sich von etwaigem Fehlverhalten der Brau Union zu distanzieren. Die Zuständigkeitsfrage wird im Hinblick auf das Strafmaß zentral: Die BWB fordert ein Bußgeld von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Sollte Heineken mithaften, würde der Umsatz des Gesamtkonzerns zur Berechnung herangezogen – dieser betrug 2024 rund 30 Milliarden Euro.
Zwischen der BWB und der Brau Union stellen sich die neuen Logistikverträge als Zankapfel heraus: Während die Wettbewerbshüter auf einen Markttest pochen, der Logistikpartner und Lieferanten eine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumt, stößt der Vorschlag beim Braukonzern auf Widerstand. „Uns wird ein kartellrechtswidriges System vorgeworfen, Anmerkungen der BWB werden wir gern berücksichtigen, aber einen Markttest wollen wir nicht abwarten“, erklärt der Brau Union-Anwalt. Würden Logistikpartner den neuen Vertrag nicht annehmen wollen, könne man dies mittels Änderungskündigung durchsetzen – eine Vorgehensweise, die laut Kartellbehörde symptomatisch die Marktschieflage erklärt.
Zwischen der kartellrechtlichen Paragrafenschlacht sitzt L. mittlerweile bereits die sechste Stunde im Zeugenstand. „Man weiß, woher man kommt. Brau Union steht an erster Stelle“, zitiert er seinen mittlerweile verstorbenen Vater, der auf Handschlag-Vereinbarungen setzte. Mit dessen Tod verschwanden auch die einst vereinbarten Absprachen. 2020 kündigte die Brau Union den Vertrag mit L.s Firma – mitten in der Pandemie. Der Absatzmarkt Gastronomie und Events war praktisch am Boden. L. versuchte, neu zu verhandeln – vergeblich. Die Vertragsauflösung erfolgte durch die Brau Union ohne Angaben von Gründen in einem formlosen Schreiben.
„Vernachlässigung der Marktbearbeitung“
Interne Dokumente, die 2022 bei den Hausdurchsuchungen in den Brau Union Büros sichergestellt wurden, offenbaren die Motive: „Vernachlässigung der Marktbearbeitung“, heißt es darin. Auch die Listung einer steirischen Konkurrenzbrauerei bei L. wurde intern kritisch gesehen. Auf profil-Anfrage wollte der Braukonzern den Prozess nicht kommentieren, man „sei zuversichtlich, alle erhobenen Vorwürfe aufklären können“.
Unter Branchenkollegen ist die Zusammenarbeit mit der Brau Union mittlerweile umstritten, berichtet L. Man tausche sich aus, viele seien hin- und hergerissen. Vor allem mit Blick auf das Konzernmanagement. „Das nimmt tragische Auswüchse an.“