Von Mieten und Nieten: Ist der Richtwertmietzins noch zeitgemäß?

Der Großteil der privat vermieteten Wohnungen in Österreich unterliegt dem Richtwert. Doch mit der Realität hat er längst nichts mehr zu tun. Über ein System, unter dem sowohl Mieter als auch Vermieter leiden.

Drucken

Schriftgröße

Monatlich 150,01 Euro. Inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer. Für eine Einzimmerwohnung im 5. Wiener Gemeindebezirk. 26 Quadratmeter Wohnfläche. Altbau, top renoviert und parkettgeschmückt. Modernes Bad, im Vorraum eine gut ausgestattete Kochnische. Vermietet wird auf drei Jahre befristet. Der genannte Betrag ist der Mietzins, der für eine Altbauwohnung dieser Art, Lage und Ausstattung gesetzlich zulässig ist. Errechnet auf zwei Nachkommastellen genau mithilfe des Mietpreisrechners der Magistratsabteilung 25 der Stadt Wien (Abteilung Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser).

Es ist ein kleines, aber wirklich feines Objekt. Nicht nur Studierende würden bei diesem Offert sofort zum Hörer greifen. Wohnungssuchende werden einwenden, dass ein solches Angebot wohl eher einem Wunschtraum als der Realität entspringt. Sie haben nicht ganz Unrecht.

Tatsächlich wurde diese Garçonnière kürzlich für den stolzen Preis von 450 Euro Bruttomiete monatlich inseriert. Nur wenige Tage später fand sich ein neuer Mieter.

Der neue Bewohner zahlt drei Mal so viel, als er laut Gesetz eigentlich müsste. Eine nicht unerhebliche Differenz. Doch wer in jüngerer Vergangenheit auf Wohnungssuche war, weiß, dass die Mieten in Wien, aber auch in Linz, Salzburg und Graz, empfindliche Höhen erreicht haben. Das Richtwertsystem bei Altbaumieten soll eigentlich die Auswüchse des Marktes begrenzen. Es legt den maximalen Preis pro Quadratmeter fest. Theoretisch zumindest. In der Praxis haben die Richtwerte mit der Realität jedoch längst nichts mehr zu tun. Weder Mietervertreter noch Vermieter können diesem System noch etwas abgewinnen. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Seit 1994 gilt bei Neuvermietungen von Altbauwohnungen österreichweit der Richtwert. Er ist der maximal zulässige Hauptmietzins für eine sogenannte, im Gesetz beschriebene, Normwohnung. Werterhöhende oder wertmindernde Umstände sind mit entsprechenden Zu- oder Abschlägen zu berechnen. Bei der erstmaligen Ermittlung des Richtwerts wurden die durchschnittlichen Grund- und Baukosten des jeweiligen Bundeslandes herangezogen. Seither wird er regelmäßig mit dem Verbraucherpreisindex valorisiert. Zuletzt wurde der Richtwert mit ersten April dieses Jahres erhöht. In Wien beläuft sich der Basiszins nun auf 5,58 Euro. Niedriger ist er mit 5,09 Euro nur im Burgenland. Am höchsten ist der Vorarlberger Richtwert. Dort beläuft er sich aktuell auf 8,57 Euro (siehe Grafik Seite 35). Doch tatsächlich betrifft das Richtwertsystem hauptsächlich Wien. Zwei Drittel aller Wohnungen, die diesem Regime unterliegen, befinden sich in der Bundeshauptstadt. Das hat auch mit dem West-Ost-Gefälle im Land zu tun. Im Westen setzt man auf Eigentum, während die Wiener ein Volk von Mietern sind. Auch sind die typischen Gründerzeithäuser vorwiegend in der Hauptstadt zu finden.

Wenn ein System so etwas hevorbringt, dann ist es nicht tauglich

"Der Schwerpunkt unserer Beratung liegt beim Richtwertmietzins“, sagt Christian Bartok, Leiter der Mieterhilfe der Stadt Wien. Das ist wenig überraschend. Immerhin fallen 43 Prozent aller privat vermieteten Wohnungen in Wien unter das Richtwertregime. Und selbst Experten gelingt es nicht ohne Weiteres, den korrekten Mietpreis zu ermitteln. Denn was eigentlich recht simpel sein sollte, gleicht einer Wissenschaft. Für eine gute Lage, ein höheres Stockwerk, die Existenz eines Kellerabteils oder eines Fahrradraums können Zuschläge verrechnet werden. Für ein Bad ohne Belüftung, eine Küche ohne direkte Belichtung oder eine befristete Vermietung müssen indes Abschläge kalkuliert werden. Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien, weiß von Fällen, in denen der Vermieter einen Zuschlag von 80 Prozent aufgeschlagen hat, die Schlichtungsstelle auf maximal 20 Prozent kam, der Gerichtssachverständige einen 50-prozentigen Zuschlag errechnete und das Gericht letztlich einen Aufschlag von 30 Prozent als gerechtfertigt ansah. "Wenn ein System so etwas hevorbringt, dann ist es nicht tauglich“, sagt Rosifka.

Durch die aktuelle Richtwerterhöhung sind die Leute wieder viel aufmerksamer geworden

Die Einzigen, die von der Regelung tatsächlich profitieren, sind Rechtsanwälte mit entsprechendem Fachgebiet. Sowie jene Unternehmen, die sich das Thema "Mieterschutz“ auf die Fahnen geschrieben haben. Sie analysieren - üblicherweise kostenlos -, ob die Höhe der Miete gerechtfertigt ist. Wenn nicht, geben sie den Mietern Rechtsbeistand und gehen gegebenenfalls gerichtlich gegen die Vermieter vor. Im Erfolgsfall erhalten sie einen Anteil an dem erstrittenen Betrag. Üblicherweise zwischen 25 und 30 Prozent. "Durch die aktuelle Richtwerterhöhung sind die Leute wieder viel aufmerksamer geworden. Wir verzeichnen zur Zeit sehr viele Anfragen“, sagt Christian Pultar, Geschäftsführer der Miete runter GmbH. Die Geschäfte könnten also nicht besser laufen.

Bei gut der Hälfte aller Mieten im Altbau erkenne man schon auf den ersten Blick, dass sie zu hoch seien, erklärt Mieterhilfe-Chef Bartok. Das legt auch ein Blick auf die Internetplattform Immopreise.at nahe. Dort werden die Durchschnittspreise für Miet- und Eigentumswohnungen ermittelt, wie sie aktuell auf der Immobilienplattform von "Der Standard“ angeboten werden. Eine Altbauwohnung mit einer Wohnfläche von unter 80 Quadratmetern im 5. Bezirk kommt demnach auf einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 13,69 Euro inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer. Wer sich strikt an den Richtwert hält, kommt kaum auf diesen Mietzins - obwohl er offenbar die Regel ist. Selbst dann nicht, wenn alle möglichen Zuschläge voll ausgeschöpft werden.

Wenn hohe Nachfrage auf geringes Angebot trifft, steigen die Preise. Eine ökonomische Grundregel. Die Vermieter versuchen, das herauszuholen, was der Markt hergibt. Trotz Mietpreisdeckel. Denn das Mietrecht kennt für eine überhöhte Miete keine Sanktion. Im schlimmsten Fall muss die Differenz zurückbezahlt werden. Mit einer Verzinsung von vier Prozent per anno.

Im Schnitt wird pro Quadratmeter und Monat 2,30 Euro zu viel bezahlt

Doch die Zahl der Mieter, die ihren Mietzins überprüfen lassen, wird immer größer. Während die Wiener Schlichtungsstelle für Wohnrechtsangelegenheiten im Jahr 2011 1585 Mietzinsüberprüfungsverfahren durchgeführt hat, waren es 2016 schon knapp 3200. Für heuer rechnet man dort mit rund 4400 Fällen. "Im Schnitt wird pro Quadratmeter und Monat 2,30 Euro zu viel bezahlt“, sagt Mieterhilfe-Chef Bartok. Im vergangenen Jahr hätten sich Wiener Mieter in Summe rund acht Millionen Euro zurückgeholt. In den meisten Fällen werde auf den 25-prozentigen Befristungsabschlag "vergessen“ oder es würden zu hohe Lagezuschläge verrechnet, weiß Christian Pultar von Miete runter.

Wohnen ist ein Grundrecht, verankert in Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es gibt also durchaus Gründe, die Preisgestaltung nicht dem Markt alleine zu überlassen.

Es ist tatsächlich ein Dilemma. Auf der einen Seite Wohnungssuchende, die kaum noch leistbaren Wohnraum vorfinden. Auf der anderen Eigentümer, die beklagen, dass sich die Vermietung von Altbauwohnungen kaum noch lohne. Wer sich strikt an die Vorgaben des Richtwertsystems hält, wird es schwer haben, auf einen grünen Zweig zu kommen. Generell sind die Zeiten, in denen regelmäßige Mieteinnahmen das Vermögen stetig in die Höhe trieben, vorbei. Zwar sind die Mieten in den vergangenen Jahren empfindlich gestiegen, die Kaufpreise für Immobilien jedoch noch viel mehr. Das schmälert naturgemäß die Renditen. Dazu kommt: Instandhaltung und Sanierung von Altbauten sind recht kostspielig. Bei einer jahrzehntelang abgewohnten Wohnung kann eine Sanierung mit neuer Küche und Bad schnell um die 1000 Euro pro Quadratmeter kosten. Andreas Peter (Name geändert), Besitzer eines Wiener Zinshauses, rechnet vor: "Bei einer frisch renovierten 80-Quadratmeter-Wohnung kann ich laut Richtwert monatlich 600 Euro Miete einnehmen. Es dauert also 133 Monate oder elf Jahre, allein um die Sanierungskosten einzuspielen.“ Wenn dann der Zeitpunkt da ist, ab dem man eine Rendite lukrieren könnte, stünde bereits die nächste Renovierung an. Wer also versucht, an seinem Wohneigentum zu verdienen, bewegt sich häufig am Rande der Legalität. "Viele Vermieter sagen, das tue ich mir nicht mehr an“, erzählt Bernhard Reikersdorfer, Geschäftsführer des Maklernetzwerkes Remax Austria. Je nach Lage, Kategorie und Zustand könne man etwa innerhalb des Gürtels mit einer Rendite von ungefähr zwei Prozent rechnen. "Aufgrund der aktuellen Zinssituation lohnt es sich also noch“, sagt Reikersdorfer. Das gelte jedoch nur, wenn man unbefristet vermietet. Doch das sind Ausnahmefälle. Drei Viertel aller Mietverträge werden heutzutage befristet abgeschlossen.

Dem Vorstoß einer Gruppe von Vermietern auf Aufhebung von Bestimmungen des Richtwertgesetzes hat der Verfassungsgerichtshof im vergangenen Herbst jedoch eine Abfuhr erteilt. Ein sehr restriktiver Mieterschutz kann auch nachteilige Auswirkungen haben, wie etwa das Beispiel Lissabon zeigte. Allerdings lassen sich dort auch die Auswüchse einer völligen Liberalisierung beobachten. Auch in Wien lässt sich vermehrt beobachten, dass alte Gründerzeithäuser neuen Gebäuden weichen müssen. Schließlich können in Neubauten die Mieten völlig frei vereinbart werden. Außerdem kann auf derselben Grundfläche wegen der geringeren Geschoßhöhen deutlich mehr Wohnfläche errichtet werden. Da lohnt sich dann das Immobilieninvestment. Dass sich dadurch der historische Charakter einer Stadt wie Wien nachhaltig verändert, steht auf einem anderen Blatt.

Andreas Peter jedenfalls will die nächsten in seinem Zinshaus frei werdenden Wohnungen über die Internetplattform AirBnB an Touristen vermieten. Das sei deutlich lukrativer. Dass auf diese Weise dringend benötigter Wohnraum entzogen wird, kann wohl auch nicht im Sinne des Mieterschutzes sein.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 17 vom 24.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).