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Lebensmittel im Test: Wie sinnvoll ist der Nutri-Score?

"Nutri-Score" heißt ein neues, transparentes System der Lebensmittelkennzeichnung, das in der EU verpflichtend werden soll. Was sagen Österreichs Nahrungsmittelhersteller dazu?

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Wie ausgewogen sind die Nährstoffe zum Beispiel einer Dose Erdäpfelgulasch der Marke Inzersdorfer? Um das zu erfahren, kann man das Kleingedruckte auf der Verpackung studieren, alle Angaben zu Zutaten und Nährstoffen. Doch die Informationen sind komplex. Die meisten Konsumenten bleiben ratlos zurück.

Nun will die EU-Kommission Abhilfe schaffen. Bis Ende dieses Jahres plant sie einen Gesetzesvorschlag. Er sieht ein neues, leicht verständliches System der Lebensmittelkennzeichnung in der ganzen EU verpflichtend vor, den sogenannten Nutri-Score. Entwickelt im Jahr 2017 in Frankreich und in einigen EU-Staaten bereits eingeführt, funktioniert der Nutri-Score nach einem Punktesystem.

Manche Nährstoffe (Eiweiß, Ballaststoffe) schneiden gut ab; andere (Salz, Zucker, gesättigte Fettsäuren) schlecht. Die Punkte je Nährstoff gießt ein Algorithmus in ein einfaches Ampel- und Buchstabensystem. Vom grünen A bis zum roten E soll der Konsument dann sogleich erkennen, wie hochwertig die Nährwerte eines Lebensmittels im Supermarkt sind. Es ist, wenn man so will, wie in der Schule; das Spektrum reicht von "Sehr gut" bis "Nicht genügend".

Die Informationen hinter dem Nutri-Score sind zwar dieselben, die sich bereits heute auf jeder Verpackung finden. "Doch diese neue Form der Darstellung ist verständlich, simpel und nachvollziehbar aufbereitet", lobt Heidi Porstner von Verein Foodwatch Österreich das geplante System.

Dennoch gibt es in vielen Ländern Widerstand. Vor allem traditionelle Lebensmittel drohen im Nutri-Score schlecht abzuschneiden, fürchten Kritiker. Der französische Käsekonzern Lactalis beispielsweise, der unter anderem Roquefort und Camembert herstellt, wehrt sich wütend gegen die Reform. Genauso wie die italienische Lebensmittelindustrie. Deren Unternehmen fürchten schlechte Noten etwa für Mozzarella, Prosciutto und Tiramisu.

Einer der Kritikpunkte: Der Nutri-Score nimmt keine Rücksicht auf die Menge des konsumierten Essens. Die meisten Leute genießen wohl nur wenige Scheiben Prosciutto, dennoch wäre das Nutri-Score-Label tiefrot. Und noch ein kritischer Aspekt: Hochverarbeitete Lebensmittel - etwa Fertiggerichte oder unzählige Varianten Cornflakes - sind beim Nutri-Score-System tendenziell bevorzugt im Vergleich zu einfacher und traditioneller Nahrung. Der Grund ist, dass beim hochverarbeiteten Produkt der Hersteller die Rezeptur geringfügig ändern kann, sodass eine bessere Bewertung herauskommt, beispielsweise durch den stärkeren Einsatz künstlicher Süßstoffe statt Zucker. Bei Roquefort und Ähnlichem hingegen gehen derlei Tricks nicht. "Der Nutri-Score ist kein Allheilmittel", sagt dazu Foodwatch-Expertin Porstner. "Er ist eines von vielen Werkzeugen, die es für Konsumentinnen leichter machen, sich ausgewogen zu ernähren."

In Österreich jedenfalls ist die Nutri-Score-Debatte bislang kaum angekommen. Auf manchen Lebensmitteln ausländischer Herkunft - zum Beispiel von Nestlé und Danone - findet sich das Siegel zwar schon heute. Österreichische Hersteller jedoch dürfen es streng genommen noch gar nicht verwenden, selbst wenn sie es wollen (auch wenn es einzelne trotzdem bereits tun, wie die niederösterreichische NÖM). Denn der Einsatz des Nutri-Score in einem EU-Land erfordert bisher laut EU-Lebensmittelinformationsverordnung eine Notifizierung durch die EU, die für Österreich nicht vorliegt.

Wie aber würden Lebensmittel abschneiden, gäbe es den Nutri-Score in Österreich bereits? profil hat Foodwatch gebeten, bei drei weitverbreiteten Produkten heimischer Provenienz den Nutri-Score zu berechnen. Die Auswahl: die besagte Dose Erdäpfelgulasch der Marke Inzersdorfer, eine Packung Kelly's Chips und geräucherter Bergbaron-Käse der Marke "Schärdinger". Die Bilanz: mittelprächtig.

Die Chips bekommen ein gelbes "C" (übertragen ins Schulnotensystem ein "Befriedigend")genauso wie das Gulasch. Der Käse landet dahinter auf dem orangenen D (siehe Bilder oben).

Anfrage bei Österreichs Lebensmittelherstellern. Wie stehen sie zur geplanten Reform? Am liebsten hätte man überhaupt kein Ampelsystem, erklärt Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin im Fachverband der Lebensmittelindustrie der Wirtschaftskammer, ob es nun Nutri-Score heißt oder sonst wie. "Wir wollen nicht, dass Lebensmittel diskriminiert werden." Denn: "Rot ist traditionell die Farbe der Gefahr, und ein Gefahrensignal für Lebensmittel ist schlicht nicht zutreffend."

In Staaten wie Großbritannien, wo es Ampelsysteme bei Nahrung schon länger gibt, sei ein Effekt auf die allgemeine Gesundheit nicht feststellbar, sagt Koßdorff, etwa bei der Anzahl der Übergewichtigen. "Deshalb wäre es besser, wenn man beispielsweise im Bildungssystem für mehr Ernährungswissen sorgt; das kann ja schon im Kindergarten beginnen. Überdies arbeitet die Lebensmittelindustrie auch ohne Siegel laufend an der Optimierung ihrer Produkte, etwa zur Kalorienreduktion", so Koßdorff.

profil hat auch bei den drei österreichischen Unternehmen angefragt, deren Produkte hier bewertet sind: bei der oberösterreichischen Genossenschaft Berglandmilch ("Schärdinger") sowie bei der Kelly GmbH und der Maresi GmbH ("Inzersdorfer") in Wien. Maresi reagierte nicht auf die profil-Anfrage; bei Berglandmilch und Kelly fielen die Antworten durchaus unterschiedlich aus.

Beim Chipshersteller sieht man die Causa "neutral", wie Sprecherin Petra Trimmel sagt. "Die Gesellschaft hat ein Bedürfnis nach mehr Informationstransparenz bei Produkten. Das ist den Konsumenten wichtig, das müssen wir anerkennen." Dass die Chips im Nutri-Score eher im Mittelfeld zu liegen kommen, beunruhigt Trimmel nicht. "Chips und anderes Knabbergebäck sind Genussmittel, bei denen der Geschmack im Vordergrund steht."

Durchaus entschiedener fällt die Reaktion bei Berglandmilch aus. "Wir verstehen die Kritik, die aus Italien und Frankreich kommt, und wir teilen sie", so Sprecher Georg Lehner. "Hochverarbeitete Lebensmittel schneiden im Nutri-Score toll ab, während unsere Produkte schlechter wirken, als sie tatsächlich sind." Lehners Beispiel: Cola-Zero komme wegen seines künstlichen Süßstoffs auf eine gute Note im Nutri-Score, während Bio-Schlagobers - "von dem man noch dazu nur eine kleine Menge verwendet" - aufgrund des Fettgehalts eine schlechte Bewertung abbekommt. "Das wird nur für Verwirrung sorgen, das lehnen wir ab", so Lehner. Man werde sich gegen den Nutri-Score engagieren, etwa in den zuständigen Gremien der Wirtschaftskammer.

Foodwatch-Expertin Heidi Porstner hält dagegen, dass der Nutri-Score vor allem bei Vergleichen innerhalb derselben Produktgruppe Sinn hat. "Käse mit Cola-Zero zu vergleichen, das bringt nichts. Aber wenn ich zum Beispiel im Supermarkt vor dem Joghurtregal stehe, kann ich mich bei der Auswahl am Nutri-Score orientieren. Dann erkenne ich schnell, welches Produkt das gesündere ist."

Im Übrigen, fordert Porstner, sollte Österreich dem Beispiel anderer Länder folgen und den Nutri-Score möglichst schnell einführen - unabhängig von dem mitunter jahrelangen Procedere auf EU-Ebene.

Branchenkenner sind sich im profil-Gespräch einig: Zwar sei die genaue Ausgestaltung des bevorstehenden EU-Kennzeichnungssystems für Nahrungsmittel noch offen, aber kommen wird es wohl. Die Konsumenten würden es wollen; der Zug der Zeit gehe schlicht in diese Richtung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gibt es also im Supermarkt bald ein weiteres Label zu beachten. Diesmal hoffentlich ein verständliches.