Russisches Gas

OMV: Im Vorjahr Gas für 6,8 Milliarden Euro von Gazprom

Die geheimnisumwitterten Lieferverträge mit Russland waren ein zentrales Thema bei der Hauptversammlung des teilstaatlichen Öl- und Gaskonzerns am Mittwoch. Ebenso wie der frühere Vorstandsvorsitzende Rainer Seele.

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Zwei Anläufe benötigte die versammelte Führungsspitze der OMV am Mittwoch, um diese heikle Frage klar zu beantworten: Wie hoch war das aus den umstrittenen Lieferverträgen mit der russischen Gazprom bezogene Gesamtvolumen von Erdgas im Jahr 2022 – jenem Jahr, in dem Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ und Mitteleuropa eigentlich unabhängiger von Gas aus dem Land des Kriegstreibers werden wollte? Berislav Gaso, neuer OMV-Vorstand für den Geschäftsbereich „Energy“, versuchte es zunächst verklausuliert: Demnach hätten die Lieferungen nach Deutschland und Österreich „mehrere Milliarden Euro“ ausgemacht – „mehr als die Hälfte“ davon nach Österreich.

Es war eine Antwort, wie sie die OMV mitunter auch gerne Journalisten gibt: so unkonkret wie nur möglich. Bei der Hauptversammlung arbeiteten im Hintergrund übrigens 76 Personen daran, den Vorständen quasi in Echtzeit passende Antworten zu den mehr als 200 Aktionärsfragen auszuarbeiten, welche die Manager auf dem Podium dann nur noch von Bildschirmen ablesen mussten. Das mag aus rechtlicher Vorsicht verständlich sein. Freier Diskurs ergab sich so freilich nur sporadisch.

Doch Aktionäre haben im Rahmen von Hauptversammlungen mitunter weitergehende Informationsrechte, und Anlegervertreter ließen der OMV-Spitze diesen Versuch, ja keine unangenehmen Details preiszugeben, nicht durchgehen. Sie bohrten nach – und letztlich musste Gaso doch mit einer Zahl herausrücken: 6,8 Milliarden Euro. Das war der enorme Gegenwert des Erdgases, welches die OMV im Vorjahr von Gazprom bezog. Immerhin 76 Prozent davon gingen laut dem OMV-Vorstand nach Österreich. Das wäre somit Gas für rund 5,2 Milliarden Euro. Von echter Unabhängigkeit ist man also weit entfernt. Dennoch könnte ein jähes Ende der Gasimporte aus Russland folgen: Der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss wies am Mittwochabend in der ORF-„ZiB2“ darauf hin, dass der Transitvertrag für russisches Gas durch die Ukraine seitens der Regierung in Kiew nicht verlängert werden könnte. Dieser Vertrag läuft Ende 2024 aus. Derzeit ist die Pipeline durch die Ukraine der einzige Weg für Erdgas aus Russland nach Österreich – profil berichtete zuletzt ausführlich über die Problematik.

Lieferverträge als Geheimsache

Zurück zur Hauptversammlung: Die umstrittenen Lieferverträge der OMV mit dem russischen Gaskonzern waren vielfach Thema bei dem mehr als elf Stunden lang dauernden Aktionärstreffen. Der frühere OMV-Generaldirektor Rainer Seele hatte diese im Jahr 2018 vorzeitig bis 2040 verlängert. Ursprünglich hätten sie bis 2028 laufen sollen – nun ist man bis weit in die Zukunft hinein daran gebunden. Der genaue Inhalt gilt als Geheimsache. Die OMV lässt nicht einmal die Staatsholding ÖBAG, über welche die Republik Österreich 31,5 Prozent der Anteile am Öl- und Gaskonzern hält, Einblick in das Vertragswerk nehmen. Wie Vorstand Gaso auf der Hauptversammlung erklärte, ist darin aber jedenfalls keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit vorgesehen.

Die Verlängerung der Gazprom-Verträge ist einer von mehreren Kritikpunkten gegenüber dem 2021 vorzeitig ausgeschiedenen Vorstandschef Seele – ein Russland-Freund erster Güte. Weitere heikle Fragen bezüglich Seele ergaben sich aus einem Millionen-Sponsoring an den russischen Fußballverein Zenit St. Petersburg (zufälligerweise der Lieblingsklub von Präsident Putin) und aus einer Nebenvereinbarung mit einem hochrangigen OMV-Mitarbeiter. Im Vorjahr verweigerte deshalb die Hauptversammlung Seele die Entlastung – ein hochgradig symbolischer Schritt.

RUSSISCHER PRÄSIDENT PUTIN IN ÖSTERREICH: PUTIN/MILLER/SEELE

Millionen für Putins Lieblingsverein

Seele – obwohl physisch nicht anwesend – war auch bei dieser Hauptversammlung ein bestimmendes Thema in zahlreichen Wortmeldungen von Aktionären. Letztlich hatten interne Prüfer im Vorjahr zwar „Hinweise auf Abweichungen von unternehmensinternen Vorgaben“ entdecken, jedoch „kein einklagbares Fehlverhalten“, weshalb die Entlastung nun nachgeholt werden sollte. Mehrere Anleger forderten die Veröffentlichung dieses Prüfberichts, was jedoch abgelehnt wurde. Die Prüfung kostete übrigens 407.000 Euro. Noch im Vorjahr, bevor das Sponsoring dann doch beendet werden konnte, musste die OMV 2,5 Millionen Euro an Zenit überweisen – nach 4,5 Millionen Euro im Jahr 2021. Letztlich stimmten Vertreter von nur rund 73 Prozent des Aktienkapitals für die nachträgliche Entlastung Seeles.

Dass das Thema Seele aus Sicht der OMV nun tatsächlich „ausgehaucht“ ist, wie ein Aktionär formulierte, ist allerdings eher nicht zu erwarten. Seele ist als Berater der Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) aktiv. Diese ist nicht nur gerade dabei, 24,9 Prozent der OMV-Aktien vom Staatsfonds Mubadala zu übernehmen, sondern hält auch 25 Prozent an der wichtigen OMV-Kunststofftochter Borealis. Zuletzt machten Gerüchte die Runde, die Borealis könnte gänzlich an Adnoc gehen. OMV-CEO Alfred Stern war auf der Hauptversammlung sichtlich bemüht, diesbezügliche Sorgen von Anlegern zu zerstreuen: Die Borealis sei ein integraler Bestandteil der OMV-Strategie. Man analysiere immer Potenziale und spreche diesbezüglich auch mit dem Partner Adnoc. Ein Verkauf der 75-Prozent-Beteiligung der OMV an der Borealis an Adnoc sei jedoch nicht Gegenstand dieser Gespräche. Es liege auch kein konkretes Angebot von Adnoc vor.

Wie fest sitzt Stern im Sattel?

Stern hat der OMV einen langfristigen Transformationskurs weg von Öl und Gas verordnet. Die OMV soll dabei quasi auch verstärkt ein Chemiekonzern werden, wobei die Kunststoff-Tochter Borealis eine wichtige Rolle spielt. Angesichts der angespannten Versorgungssituation mit fossilen Energieträgern nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, soll dieser Wandel auf Eigentümerebene nicht nur Fürsprecher haben. Der – auf Hauptversammlungen bekannt streitbare – Investor Rupert-Heinrich Staller fragte Stern direkt: „Sie halten an der Borealis fest, aber sind Sie auch im Glauben, dass man an Ihnen festhält?“ Der OMV-Chef meinte daraufhin, er hätte den Job nicht angenommen, „wenn ich nicht daran glauben würde, was man aus der OMV machen“ könne. Eine Energiewende in Österreich könne nur mit der OMV stattfinden. Was er jedoch auch gelernt habe, so Stern: „dass es wirklich viele Zurufe gibt“. Er werde jedoch nicht dafür bezahlt, auf alle Zurufe zu reagieren, sondern die OMV in die Zukunft zu führen.

Dass die OMV bis 2050 klimaneutral sein will, geht Umweltaktivisten viel zu langsam. Bereits vor Beginn der Hauptversammlung hatte sich vor der Wiener Messe, wo das Aktionärstreffen stattfand, ein kleines, aber gut gelauntes Grüppchen an – größtenteils jungen – Demonstrantinnen und Demonstranten formiert. Auf Konfrontation war man hier nicht gebürstet. Als sich ein Auto in die Nebenfahrbahn verirrte und plötzlich vor mehreren Aktivistinnen zu stehen kam, die just in diesem Moment Schilder mit der Aufschrift „End Fossil Crimes Now“ in die Höhe hielten, machten diese nach einem kurzen Moment der Verblüffung anstandslos Platz. 

Sprechchöre und Transparente

Deutlich konfrontativer fiel hingegen der Protest in der Veranstaltungshalle selbst aus. Eine Handvoll Aktivistinnen und Aktivisten hatte sich – strategisch verteilt – unter die Aktionäre gemischt. Ein Teil von ihnen startete schon unmittelbar vor Eröffnung der Hauptversammlung mit Protesten. Als ein Demonstrant vorwurfsvoll sagte: „Die Menschen müssen hohe Energiepreise zahlen“, meinte ein Anleger postwendend: „Gottseidank!“. Richtig hoch gingen die Wogen aber eine halbe Stunde nach Versammlungsbeginn, als anderenorts im Saal ein Demonstrant ein Banner mit der Aufschrift, „OMV enteignen“, in die Höhe hielt. „Ist der narrisch? Enteignen?“, stieß ein erzürnter Aktionär hervor. Eine ältere Dame kommentierte: „Die Eltern erhalten sie, und sie müssen nichts arbeiten.“ Nach ein paar Minuten mit Sprechchören war der Protest zu Ende. Die Demonstranten wurden aus dem Saal geleitet.

Ein erzürnter Anleger hatte es sich nicht nehmen lassen, den Anführer der Proteste höchstselbst durch die Tür zu drängen. Dann nahm er wieder Platz, um aufmerksam den Ausführungen von Stern und Finanzvorstand Reinhard Florey zu lauschen. Akribisch notierte er mit seinem türkisen „Die Neue Volkspartei“-Kugelschreiber einzelne Kennzahlen. Von „Enteignung“ war da naturgemäß keine Rede mehr – ganz im Gegenteil. Die OMV erzielte im Vorjahr nicht zuletzt dank der Verwerfungen auf den Energiemärkten einen Rekordgewinn von rund fünf Milliarden Euro nach Steuern. Den Anlegern wurde deshalb zusätzlich zu einer regulären Dividende eine Sonderdividende vorgeschlagen – insgesamt satte 5,05 Euro pro Aktie. Die Aktionäre stimmten dem Geldregen wenig überraschend mit großer Mehrheit zu.

Neuer Aufsichtsratschef

Ebenso fand die Wahl des deutschen Energieexperten Lutz Feldmann in den OMV-Aufsichtsrat die Zustimmung der Hauptversammlung. Feldmann soll den bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Mark Garrett beerben, der mit Ende des Aktionärstreffens den Hut nahm. Garrett zeigte sich bei der Moderation seiner Abschiedsveranstaltung durchaus humorvoll und gelöst. Am Ende – nach mehr als elf Stunden – wandte er sich ein letztes Mal an die Aktionäre und hob die aus seiner Sicht bestehenden Stärken der OMV hervor, jedoch nicht ohne einen kleinen Nebensatz anzufügen, den man durchaus auch als Mahnung verstehen könnte: „Ihr habt eine wunderbare Firma. Ihr könnt damit machen, was ihr wollt. It is up to you.“

OMV-Hauptversammlung am 31. Mai 2023 in Wien
Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).