Interview
Post-Chef Pölzl: „Die Mitbewerber halten sich die Bäuche vor Lachen“
Georg Pölzl, scheidender Chef der Österreichischen Post, über eine lähmende Bürokratie, den langsamen Tod des Briefgeschäfts, Drogenhunde im Logistikzentrum und weshalb er keine lahme Ente ist.
22.04.24
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Herr Pölzl, Ihr Kollege Tobias Meyer, Vorstandschef der Deutschen Post, fährt einen Tag im Quartal mit den Zustellern Pakete aus. Machen Sie das auch?
Pölzl
Nicht pro Quartal, doch immer wieder. Aber der Tobias ist ja noch relativ neu im Geschäft. Scherz beiseite: Bei uns ist das fixer Bestandteil der Unternehmenskultur und etwas, das wir von all unseren Führungskräften verlangen. Voriges Jahr hatten wir im Weihnachtsgeschäft ein echtes Ressourcenthema, und auch bei der Auszahlung des Klimabonus hatten wir in den Filialen Engpässe. Da sind dann auch die Vorstände und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Zentrale angehalten, mitzuarbeiten. Es schadet auch niemandem, der im Controlling oder in der Buchhaltung arbeitet, zu wissen, wie sich die Arbeit vor Ort – in den Logistikzentren, in der Zustellung, in den Filialen – anfühlt. Man hilft gerne, und das wird auch sehr wertschätzend wahrgenommen.
Im vergangenen Jahr wurde das Briefgeschäft vom Paketgeschäft überholt. Nach 2021 zum zweiten Mal in der Geschichte der Post. Bedeutet das, dass die Ära des Briefes, der ja immer eine Cashcow war, nun endgültig zu Ende ist?
Pölzl
Noch lange nicht. Der Briefrückgang wurde bereits mit der Wirtschaftskrise 2008/2009 spürbar. Schon damals war ganz klar, dass das Briefgeschäft durch die Digitalisierung schrumpfen wird. Deswegen haben wir in unserer Strategie festgelegt, dass wir auch in anderen Geschäftsfeldern wachsen wollen. Wir reden seit 40 Jahren vom papierlosen Büro, aber wir haben noch immer genug Papier. Und andererseits treibt ja die Bürokratie vor allem in Österreich herrliche Blüten. Da ist bei Weitem nicht alles digitalisiert. Das Briefgeschäft hatte in den vergangenen Jahren eine Rückgangsrate von vier, fünf Prozent. Die Coronazeit hat einen Digitalisierungsschub gebracht, der dem Briefgeschäft einmalig außerordentlich geschadet hat. Jetzt geht es von einem geringeren Niveau langsam weiter bergab.
Wer, außer Behörden, schreibt denn heutzutage noch Briefe?
Pölzl
Das typische Briefgeschäft geht von großen Versendern hin zu privaten Empfängern. Behörden, Versicherungen, Banken, Telekommunikationsunternehmen und Energieversorger sind die größten Versender. Die versuchen natürlich auch zu digitalisieren. Ich weiß nicht, ob Sie noch eine Telefonrechnung bekommen?
Das wird Sie jetzt nicht begeistern, aber nein.
Pölzl
Das begeistert mich überhaupt nicht, aber das ist eben ein Grund für den Rückgang.
Ich finde auch erstaunlich, dass man noch immer so viele Postwurfsendungen bekommt. Das schmeißen die Leute doch ohnehin gleich ins Altpapier.
Pölzl
Das stimmt nicht. Wir merken gerade jetzt, dass das Flugblatt für den Einzelhandel wichtig ist, weil die Leute anfangen, Preise zu vergleichen. Es gibt sehr viele Menschen und sehr viele Käufergruppen, die mit dem Hofer- oder Billa-Flugblatt einkaufen gehen und so über Aktionen informiert werden. An den Stückzahlen gemessen ist das Flugblatt-Geschäft nach wie vor bedeutend. Österreich ist da Weltmeister. Kein anderes Land hat so eine hohe Flugblattdichte. Aber der Umsatzanteil am Briefgeschäft ist deutlich weniger als die Hälfte. Die Schwäche im Einzelhandel der vergangenen Jahre ist natürlich spürbar. Jeder Konkurs tut uns weh.
Den Umsatzgleichstand zwischen Paket- und Briefgeschäft haben wir nur geschafft, weil die Türkei so stark wächst. Ohne das Auslandsgeschäft wäre das nicht gelungen.
Ich nehme an, mit den vorhin erwähnten Wachstumsfeldern, die das kompensieren sollen, haben Sie das Paketgeschäft gemeint?
Pölzl
Das war natürlich naheliegend, weil es immer schon Teil unseres Kerngeschäfts war. Klar war damals aber auch, dass das Paketgeschäft in Österreich bei Weitem nicht ausreicht, um das Briefgeschäft zu ersetzen. Deshalb sind wir auch aktiv auf Suche nach Auslandsbeteiligungen gegangen. Da waren wir nicht die einzigen. Die großen Paketplayer wie DHL, DPD oder GLS haben den Markt ebenfalls beobachtet. Da waren wir in vielen Fällen als relativ kleines Unternehmen gar nicht satisfaktionsfähig. Deshalb haben wir uns auf kleine und schwierige Märkte in Südosteuropa konzentriert und in weiterer Folge auf die Türkei (die Post AG hält 80 Prozent am türkischen Paketdienstleister Aras Kargo, Anm.).
Die ist aber kein kleiner Markt …
Pölzl
Das ist ein extrem attraktiver Markt, in den wir 2013 als erste Ausländer eingestiegen sind. Und diesen Umsatzgleichstand zwischen Paket- und Briefgeschäft haben wir nur geschafft, weil die Türkei so stark wächst. Ohne das Auslandsgeschäft wäre das nicht gelungen. Jetzt haben wir im Paketgeschäft insgesamt ein Wachstum im hohen einstelligen Prozentbereich.
Teilweise geht das auch zurück auf die – sehr zum Ärger des heimischen Handels – aus China von billigen Onlinehändlern ins Land strömende Packerlflut.
Pölzl
Ich weiß, über das chinesische Volumen diskutieren jetzt alle, aber das macht in unserem Paketvolumen, zwar mit starkem Wachstum, drei oder vier Prozent aus. Das ist noch relativ wenig. Und man muss schon sagen, dass sich der heimische Handel mit dem Thema Versandhandel viel zu wenig auseinandersetzt. Er könnte in dem Bereich viel erfolgreicher zu sein. Wir versuchen dem Handel hier auch etwas anzubieten. Wir haben die Online-Plattform „shöpping“, und wir bieten performante Paketzustellung an, auch den kleinen Händlern. Das Paketgeschäft ist immer schneller geworden. Wir haben von „next day“ gesprochen, jetzt sprechen wir schon von „now“. Das heißt, der Kunde bestellt und möchte die Ware noch am selben Tag haben. Das alles bieten wir den österreichischen Händlern an, aber die nutzen es halt zu wenig.
Das heißt, die steigenden Paketvolumen gehen hauptsächlich auf Amazon zurück?
Pölzl
Generell auf die großen Versandhäuser wie etwa Zalando. Aber es stimmt, Amazon ist mit Abstand unser größter Kunde, obwohl er inzwischen ja auch Mitbewerber ist. Die Hälfte des Volumens stellt Amazon selbst zu, vor allem in Wien und den Ballungsräumen. Die andere Hälfte, dort wo es schwierig ist, machen wir. Amazon ist für uns ein sehr wichtiger, aber auch ein sehr schwieriger Partner.
In den Logistikzentren ist der Zoll mit Drogenspürhunden vor Ort. Und die finden auch ständig was.
Sie hatten im vergangenen Jahr rund 200 Millionen Paketsendungen in Österreich. Wie viel davon wird eigentlich wieder retour geschickt?
Pölzl
Das betrifft vor allem Bekleidung. Da ist eine Retourenquote von 30 bis 40 Prozent systemimmanent. Das ist ein Thema, welches vom Handel auch gerne etwas größer gemacht wird, aber das ist keines, das uns beschäftigt. Im Gegenteil. Retouren sind für einen Paketdienst ein gutes Geschäft. Vor allem für uns, weil wir im Retourenbereich einen noch höheren Marktanteil haben als im Zustellbereich. Da wir mit unseren österreichweit 1700 Filialen und Post Partnern und 120.000 Fächern in den Selbstbedienungsstationen sehr komfortable Lösungen haben. Wenn Sie etwas von Amazon oder einem anderen Lieferdienst bekommen haben, schicken Sie es wahrscheinlich mit uns zurück.
Und wie viele Pakete werden gar nicht erst abgeholt?
Pölzl
Das spielt sich im Promillebereich ab. Das sind Einzelfälle.
Ich könnte mir vorstellen, dass es sich dabei um Drogenbestellungen aus dem Darknet handelt, bei denen die Kunden dann doch kalte Füße bekommen haben. Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Zusteller unwissentlich zu Drogenkurieren werden? Ist das ein Thema?
Pölzl
Man versucht das schon in den Logistikzentren abzufangen. Dort ist der Zoll mit Drogenspürhunden vor Ort. Und die finden auch ständig was. Ein bisschen was wird vielleicht auch durchkommen, aber das erfahren wir ja nicht.
Klopfen Sie eigentlich manchmal bei der Finanz an, damit die Ihre Mitbewerber etwas genauer unter die Lupe nimmt?
Pölzl
Nein. Das müssen die schon selber machen. Und das machen sie auch. Wir haben da keine Insidertipps. Wir kümmern uns um unsere eigene Performance, und die anderen agieren halt, wie sie agieren.
Haben Sie gegenüber Mitbewerbern, die das Arbeitsrecht vielleicht nicht so streng sehen, einen Wettbewerbsnachteil?
Pölzl
Das ist ein echter Nachteil, den man deutlich im Preis merkt. Wir sind sicher nicht die Billigsten am Markt, können wir aufgrund unserer Kostenstruktur auch gar nicht sein. Wir kommen ja aus einer Beamtenwelt. 2009 haben wir den neuen Kollektivvertrag eingeführt. Wenn wir das nicht getan hätten, gäbe es die Österreichische Post heute so nicht mehr. Wir haben einen hohen Marktanteil und eine hohe Zustellqualität, das macht es dann wieder wett. Wir haben das Österreich-Geschäft von DHL und Hermes übernommen, die gedacht haben, sie können es in Österreich besser machen. Kurz gesagt: Wir kämpfen schon um unsere Marktposition.
Postchef Pölzl
mit profil-Redakteurin Christina Hiptmayr in der Unternehmenszentrale in Wien
Es gibt auch immer wieder Kritik an Subunternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht den Gesetzen entsprechend behandeln.
Pölzl
Wir sind das Paketunternehmen, das im höchsten Ausmaß mit eigenen Mitarbeitern arbeitet. Aber natürlich beschäftigen auch wir Subunternehmen. Dabei haben wir die mit Abstand strengsten vertraglichen Bedingungen und auch laufend die strengsten Kontrollen. Das ist uns wirklich wichtig. Jeder Einzelfall, der hochkocht, ist für uns immer eine Katastrophe. Ich möchte gar nicht wissen, was das für Konsequenzen hat, wenn die Finanz auch nur über einen Subunternehmer jemanden entdeckt, der hier illegal unterwegs sein sollte. Da sind wir extrem streng. Das ist praktisch auszuschließen.
Die Wirtschaft steckt in der Krise, die Angst vor Deindustrialisierung geht um. Belastet Sie das auch?
Pölzl
Das ist nicht speziell eine Angst, die ich als Post-Chef habe, sondern generell als Wirtschaftstreibender. Wenn wir so weitermachen in Europa, die Bürokratie immer weiter vorantreiben und den Wirtschaftsstandort weiter schwächen, dann gute Nacht! Wenn man sich anschaut, wie die politischen Diskussionen geführt werden: Da geht es doch nirgends um die Wirtschaft, sondern um irgendwelche hochgezogenen Skandalthemen des politischen Gegners. Aber dass sich irgendjemand Gedanken macht um die wirtschaftliche Entwicklung, um Europa oder Österreich als Wirtschaftsstandort, das interessiert doch kaum jemanden in der Politik.
Sowohl in Österreich als auch auf EU-Ebene sind deklarierte Wirtschaftsparteien an der Macht …
Pölzl
Die sich aber auch mit anderen und nicht mit wirtschaftlichen Themen beschäftigen. Grundsätzlich interessieren sich ja sowieso nur fünf Prozent der Bevölkerung für Wirtschaft. Für den Rest kommt das Geld aus dem Bankomaten und der Strom aus der Steckdose. Dass man dafür Kraftwerke und hinter dem Geld ein Wirtschaftstreiben braucht, das verstehen die wenigsten. Vor allem nicht die, die sich in der Bürokratie aufhalten oder dort beschäftigt sind. Da kommen immer wieder neue Gesetze, sei es den Datenschutz betreffend oder die ESG-Berichterstattung, mit denen sich die Unternehmen dann beschäftigen müssen. Unsere weltwirtschaftlichen Mitbewerber halten sich nur noch die Bäuche vor Lachen.
Mit Ende September verlassen Sie hier diesen Chefsessel. Was möchten Sie bis dahin noch unbedingt erledigen?
Pölzl
Ich habe keine großen Pläne mehr, muss ich gestehen.
Sind Sie eine „Lame Duck“?
Pölzl
Nein, ich betreibe einfach unser Geschäft weiter. Wir arbeiten an unserem Serviceangebot, am Thema Selbstbedienung, an vielen anderen Dingen. Ich bin also keine „Lame Duck“. Aber die eine große Sache, die ich noch schaffen möchte, gibt es nicht. Ich kann das Unternehmen guten Gewissens meinen Nachfolgern übergeben, weil wir eine extrem performante Führungsmannschaft haben. Ich muss mich schon lange nicht mehr ständig ins Tagesgeschäft einmischen. Meine Hauptaufgabe war, dieses Unternehmen zu transformieren, und das ist gelungen. Aber die Unternehmenskultur will immer weiterentwickelt werden. Und das werde ich auch tun, bis ich das Unternehmen im September verlassen werde.
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Christina Hiptmayr
war bis September 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.