Aber der Veranstaltungssaal im Obergeschoß des Südstadtwirtes ist voll. Um die 200 Leute sind pünktlich um 18 Uhr gekommen, um an einem hochsommerlichen Tag mit dem Finanzminister zu diskutieren. Eigentlich ein Wunder: In der Gemeinde Perg haben zwei Freibäder geöffnet. Es herrscht drückende Hitze, der Saal ist nicht klimatisiert. Markus Marterbauer wird trotzdem den ganzen Abend sein graues Sakko anbehalten.
In langen Tischreihen sitzen die Besucher bei Fleischweckerl, Sommerspritzer und saurem Radler. Die Frauen tragen luftige Sommerkleider, die Männer Kurzarmhemden, der Anteil der Glatzenträger ist hoch. Es ist mit wenigen Ausnahmen ein Ü-50-Event. Auch Parteiprominenz ist gekommen: Die frühere EuGH-Richterin Maria Berger und die Nationalratsabgeordnete Sabine Schatz sind da, beide stammen aus der Gegend.
„Ich möchte zunächst einmal sagen, dass ich mir das ein bisschen anders vorgestellt habe“, erzählt Marterbauer über seine ersten Monate in der Regierung. Im März sei er mit einem Team ins Finanzministerium eingezogen, das die Welt verändert wollte. Stattdessen stand Budgetsanierung auf dem Programm. Illusionen verkauft der Ökonom seinen Parteifreunden an diesem Abend keine: „Jeder in diesem Raum wird vom Sparpaket betroffen sein“, so Marterbauer. Die Budgetsanierung sei unangenehm, aber der einzige Weg, den Sozialstaat zu erhalten. Marterbauer spricht frei – und das beinahe 40 Minuten lang. 40 Minuten, in denen es kaum jemand wagt, sich zur Selbstbedienungsschank zu schleichen. Marterbauer liefert eine niederschwellige Variante der Budgetrede, die er im Parlament gehalten hat. Jeder Milliardenbetrag wird in Kindergärtnerinnengehälter umgerechnet. Es gibt Lob für die feministische Politik der oberösterreichischen SPÖ-Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner und Selbstlob dafür, dass eine Bankenabgabe durchgesetzt werden konnte.
Marterbauer ist bei Weitem nicht der Einzige, der zu Wort kommt. Es ist eine informierte Debatte: Kerosinsteuer, Nachhaltigkeitsmechanismus, kalte Progression. Ulrich ist Pensionist. Er hat sich auf das Thema „zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik“ intensiv vorbereitet und hebt zu einem Referat an, das von der Politik des Sozialministers Alfred Dallinger in den 1980er-Jahren bis zu den jüngsten Prognosen der Alterssicherungskommission reicht. „Ich kann jetzt nicht einfach mittendrin aufhören“, antwortet er stoisch auf die mehrfache Bitte, sich kurz zu fassen. Er endet nach geschlagenen fünf Minuten mit den Worten: „Danke für eure Geduld, ich habe das gerne für euch zusammengefasst.“
Genug gestritten?
Das etwas überraschende Highlight ist Marterbauers Schilderung, wie bei den Budgetverhandlungen die Fetzen geflogen sind. „Wir haben massiv gestritten! Aber nicht ein Wort davon ist an die Öffentlichkeit gedrungen, deswegen bin ich auch so optimistisch, dass diese Regierung hält“, so der Finanzminister. Das gibt den größten Applaus überhaupt an diesem Abend. Von der parteipolitischen Polarisierung der letzten Jahre haben die Mühlviertler Sozialdemokraten offenbar genug.
Zumindest fast alle. Ein junger Mann mit Bart und blonden Strähnen im Haar liest Fragen vom Handy ab – und dem Finanzminister die Leviten. „Nicht jeder spürt das Sparpaket, sondern nur die Arbeiterklasse. Die Bürgerlichen und die Kapitalisten kommen relativ gemütlich weg mit dem bisschen Bankenabgabe.“ Er fordert Enteignung der großen Banken und Energiekonzerne, anstatt Symptombekämpfung zu machen. „Es braucht den Sozialismus in Österreich und weltweit!“
Auch Rosi ist nicht streng auf Parteilinie. Sie findet die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags für Pensionisten ungerecht, die hätten ja schließlich jahrzehntelang in das System eingezahlt. Sie werde immer wieder gefragt, wer die Entbindungskosten für Asylwerberinnen zahlen würde. „Die Frauen kriegen ein Kind nach dem anderen, das kostet ein Schweinegeld. Die Leute ärgert das“, sagt Rosi. Das Arbeitslosengeld findet sie zu hoch, und auch die alleinerziehenden Mütter kommen bei ihr nicht gut weg. „Die werden allerweil so arm hingestellt, aber die wollen nur zehn Stunden arbeiten, weil sie sonst aus den Förderungen rausfallen.“ Ein empörtes „Rosi!“ ist aus den vorderen Reihen zu hören. Widerspruch rührt sich. Rosi Hieß ist eine beherzte Lokalpolitikerin, seit mehr als 20 Jahren im Gemeinderat von Steyr. Sie ist aber auch dafür bekannt, sich regelmäßig um Kopf und Kragen zu reden. Vor zwei Jahren bezeichnete sie in einem Interview mit den „Oberösterreichischen Nachrichten“ Fahrradfahrer als „Koffer“ und „Egoistenlobby“, die sich ihre Radwege selber zahlen sollten. Hieß legte danach sogar ihre Funktion im Verkehrsausschuss zurück.
Im Südstadtwirt sind keine Konsequenten zu befürchten. Marterbauer gibt der Debatte elegant einen Linksdrall. Es gebe tatsächlich erhebliche Probleme mit einer Gruppe, die nichts beitragen will: „Jene höheren Töchter und Söhne, die von ihren Millionenerbschaften leben.“ Von der SPÖ wird es in dieser Legislaturperiode keine Initiative geben. Sollten die Koalitionspartner sich aber doch noch für eine Erbschaftssteuer erwärmen, ist der Finanzminister vorbereitet.
Marterbauer: „Dann ziehe ich das fertige Erbschaftssteuergesetz aus der Schublade. Wir haben nämlich eines!“