Allerheiligen

Sterben in Österreich: Die letzte Rechnung

Sterben hat in Österreich seinen Preis, ist bürokratisch aufwendig und in jedem Bundesland anders. Eine Recherche an den letzten Ruhestätten.

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Die ewige Ruhe. Ein Thema, mit dem sich vor allem ältere Menschen häufiger beschäftigen. Soll es eine klassische Erdbestattung oder eine Feuerbestattung sein? Und wo will man überhaupt in Ewigkeit ruhen? Gibt es ein Familiengrab? Oder hat man in einer neuen Stadt eine Familie gegründet und möchte dort begraben werden? Auch einige der Personen, die in den rund 25.000 Gräbern der Friedhöfe Dornbach und Hernals im 17. Wiener Gemeindebezirk bestattet wurden, haben sich vermutlich mit ihrem Ableben beschäftigt. Die ewige Ruhe hat dort – zumindest akustisch – aber niemand gefunden. Denn schräg gegenüber, mit der Anschrift Alszeile 19, befindet sich eines der ältesten Fußballstadien Österreichs: die Heimstätte des Wiener Sport-Clubs. Und an Spieltagen sorgen dort fast 2000 Fans regelmäßig für lautstarke Stimmung – auch auf der legendären Friedhofstribüne. Aber während der Sport-Club seit mehr als fünf Jahren auf einen Ausbau seiner Infrastruktur wartet, wurde am Friedhof Hernals im Sommer 2023 ein neues Areal eröffnet: der junge Waldfriedhof.

Vorbei am Grab von Christine Nöstlinger, erreicht man das 2000 Quadratmeter große Areal. 32 Bäume wurden hier, am fast höchsten Punkt des Friedhofs mit Blick auf ganz Wien, vor einigen Wochen gepflanzt. Rund um einen solchen Baum haben bis zu 24 biologisch abbaubare Urnen Platz. Die Idee: Im Lauf der Zeit verrottet die Urne, und aus der Asche eines verstorbenen Menschen wächst neues Leben. Aus den kleinen Bäumchen soll irgendwann ein Wald werden. Es ist ein naturnahes Abschiednehmen. Und Pflege braucht ein Grab, das es eigentlich nicht gibt, auch nicht. Das Interesse und die Nachfrage nach solchen Plätzen seien groß, erzählt eine Friedhofsmitarbeiterin: „Im Einklang mit der Natur und ohne Angehörigen später zur Last zu fallen“, sagt sie. Wohl auch, weil es meist eine kostengünstige Bestattung ist.

Und obwohl solche alternativen Bestattungsformen längst nicht neu sind, boomen sie. Waldfriedhöfe, das Ablassen einer Urne auf den Grund der Donau oder eine Diamantenbestattung – es gilt der Trend zur Einzigartigkeit, den die Branche seit der Liberalisierung des Bestattungsmarktes im Jahr 2002 spürt. „Begräbnisse sind im Lauf der Zeit immer individueller geworden“, sagt der Geschäftsführer der Bestattung Wien, Jürgen Sild. „Wir haben auch schon Fälle abgewickelt, wo sich ein Kunde den billigsten Sarg ausgesucht hat, auf die Trauerfeier verzichtet hat, aber drei bis vier Diamanten im Wert von je 3000 bis 4000 Euro in den Sarg eingearbeitet haben wollte“, erzählt der 51-jährige Jurist. Wie viel ein Begräbnis kostet, lasse sich nur schwer beziffern. Zu verschieden seien die Wünsche, zu groß die individuellen Auswahlmöglichkeiten. Zahlen verrät Sild im Gespräch mit profil aber dann doch: „Mit 5000 bis 5500 Euro muss man circa rechnen, wobei gut die Hälfte davon für Friedhofsentgelte anfällt.“ Auf Preisänderungen reagiere die Kundschaft sehr sensibel, nicht zuletzt aufgrund der Teuerung. Günstiger ist die Feuerbestattung. Die Preise beginnen hier bei etwas mehr als 2000 Euro. „Sich verbrennen zu lassen“ ist es auch, was in Österreich immer beliebter wurde. Aber der Umgang mit so einer Urne – vor allem, wenn es um die Aufbewahrung daheim geht – ist kompliziert und bürokratisch aufwendig.

Sterben ist Ländersache

Denn ob eine Urne mit nach Hause genommen werden darf oder nicht, entscheiden die Behörden. Welche Behörden das sind, kommt wiederum auf das Bundesland an. In Tirol ist es die zuständige Bezirkshauptmannschaft, in der Steiermark (Ausnahme Graz, dort ist es der Magistrat; Anm.) und Salzburg sind wiederum die Bürgermeister dafür zuständig. In Wien – wo dieser Wunsch im Jahr 2021 mehr als 700 Mal beantragt wurde – entscheidet die MA15 (der Gesundheitsdienst der Stadt Wien; Anm). Renate Niklas, Geschäftsführerin der Wiener Friedhöfe, äußert beim Gedanken, die Asche der verstorbenen Person zu Hause aufzubewahren, Bedenken: „Immer wieder kommen Urnen zurück auf den Friedhof, weil die Betroffenen sagen, dass sie zu Hause nicht loslassen können.“ Möglich soll die Bestattung in den eigenen vier Wänden weiterhin sein, aber künftig könnten dafür strengere Regeln gelten, wie aus einem Entwurf zu einer Novelle des Wiener Leichen- und Bestattungsgesetzes (WLBG) hervorgeht.

Die Urne als Geschäftsmodell: Weil sich laut der Stadt Wien ein Trend abzeichnete, dass Privatpersonen mit Bestattungsstätten auf schönen Grundstücken oder solchen mit Ausblick über ganz Wien ein Geschäft wittern, soll das WLBG angepasst werden. Zwar brauchte es auch bisher ein Einverständnis der Person, auf dessen Grund die Urne künftig aufbewahrt werden soll. Ein Naheverhältnis zwischen dem Verstorbenen und dem Grundstückeigentümer war rechtlich aber keine Voraussetzung. Das soll sich jetzt ändern. In Zukunft braucht es für eine private Bestattungsanlage, also die Unterschrift der Partnerin beziehungsweise des Partners oder der gemeinsamen Kinder. Oft fehlt von ihnen aber nach dem Ableben jede Spur.

Angehörige gesucht

Immer häufiger melden sich gar keine Verwandten nach dem Tod eines Menschen. Und damit ist auch unklar, wer für die Beerdigung zahlen soll. Im Jahr 2018 war das in Wien 1400 Mal der Fall. Dann passiert Folgendes: „Wenn ein Verstorbener in der zentralen Kühlkammer abgestellt wird, beobachten wir, ob eine Beisetzung bestellt wird. Ist dem nicht so, geht nach zehn bis 14 Tagen eine Meldung an die MA15 mit dem Hinweis, dass keine Informationen vorliegen. Die versucht dann zu recherchieren, ob es Angehörige gibt, die man zu einer Beisetzung veranlassen kann“, sagt Niklas.

399 Mal konnte man im Vorjahr so Verwandte aufspüren. „Findet sich niemand, springt der Magistrat ein und führt diese behördlich angeordneten Bestattungen durch. Das passiert bei uns in Wien ausschließlich am Wiener Zentralfriedhof“, erklärt sie. Die Verstorbenen erhalten eine Erdbestattung inklusive Einzelgrab, „eine pietätvolle Verabschiedung, Trauerfeier und einen Trauerzug von der Aufbahrungshalle bis zum Grab“, so der Chef der Bestattung Wien, Jürgen Sild.

Zwischen 60 und 80 Jahre alt sind Personen in Österreich im Schnitt, wenn sie sich das erste Mal mit Fragen des Sterbens beschäftigen. Wie es sich hingegen anfühlt, wenn rund um das Ableben wenig geklärt wurde, hat die 42-jährige Petra (Name von der Redaktion geändert) aus dem Linzer Speckgürtel erst vor wenigen Wochen schmerzlich erfahren. Als ihr Vater nach kurzer schwerer Krankheit starb, war bis auf seinen Wunsch, eingeäschert zu werden, nichts besprochen. Gemeinsam mit ihrer Mutter und der neuen Gattin des Verstorbenen musste sie in kürzester Zeit alles – von der Grabstelle bis hin zum Rahmen der Verabschiedung – organisieren. „Da sind Herausforderungen auf uns zugekommen, mit denen wir nicht gerechnet hatten.“ In finanzieller Hinsicht sei es außerdem wichtig gewesen, dass beide Ehepartner über das Konto des jeweils anderen verfügen durften, um die Kosten des Begräbnisses zu decken. Sild empfiehlt deshalb, sich um all das vorab zu kümmern, denn „die Wünsche ins Testament zu schreiben, ist die schlechteste Form. Warum? Das Begräbnis findet in der Regel sieben bis zehn Tage nach dem Tod statt, während das Testament meistens erst mehrere Wochen später eröffnet wird.“

„Digitales Grab ist wie E-Banking“

Und auch die Digitalisierung hat während der Corona-Pandemie ihren Weg über die Friedhofsmauern gefunden. 2019, also im Jahr vor den Corona-Lockdowns, haben die Wiener Friedhöfe das Digitale Grab entwickelt. „Das Digi-Grab müssen Sie sich wie Online-Banking vorstellen“, erklärt die Chefin der Friedhöfe Wien: „Bei jedem physischen Grab haben Sie automatisch ein digitales Grabkonto gratis dabei.“ Auf den ersten Blick erfüllt es den Zweck eines Kundenkontos: Man kann die Stammdaten verändern, ein Grab auf jemand anderen übertragen oder das Bezahlintervall flexibel anpassen.

Aufgrund der Corona-Pandemie wurde aber schnell auch ein zweiter Schwerpunkt zum Geschäftsmodell. Noch Mitte April 2020, während des ersten Lockdowns, ging das Digitale Grab online. „Dort besteht für Familien die Möglichkeit, Gedenkräume zu gestalten. Verwandte oder Bekannte können eingeladen, Worte, Fotos und Videos zu teilen“, so Niklas. Außerdem möglich: Die Bestellung einer frischen Kerze für die echte Grabstelle plus Foto davon. Gedacht sei das vor allem für jene, die es räumlich und zeitlich nicht so schnell zur letzten Ruhestätte der verstorbenen Person schaffen, aber ihr dennoch gedenken wollen. Und dann ist auch noch der Klimawandel bei der Bestattung angekommen.

Der Friedhof und der Klimawandel

Der Karlsplatz unter Wasser oder U-Bahn-Schächte in New York, die zu Wasserfällen werden. Starkregenereignisse nehmen wegen des Klimawandels zu. Weshalb auch die Friedhöfe Wien begonnen haben, die Wege am Friedhof zu entsiegeln und Gräber ohne Grabdeckel zu fördern. „Sobald Sie das Grab versiegeln, zahlen Sie das Doppelte“, sagt Niklas. „Ganz bewusst und eigentlich schon seit Jahrzehnten, weil wir nicht wollen, dass der Friedhof versiegelt wird.“

Das Austrian Institute of Technology (AIT) hat in einer Studie zu Beginn des Jahres festgestellt, dass bei begrünten Friedhöfen in Wien bereits jetzt doppelt so viel Regenwasser versickert wie bei versiegelten. Während sich das Land Oberösterreich beispielsweise weigert, das von der Bundesregierung angestrebte Ziel beim Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu bremsen, sehen die Studienautoren in Wien enormes Potenzial im Entsiegeln und zusätzlichen Begrünen: Umgerechnet könnten diese Maßnahmen auf den Wiener Friedhöfen die Tropennächte in der Bundeshauptstadt um bis zu drei Nächte pro Jahr reduzieren, resümieren die Forscher des AIT. Also grün sterben für das Klima, quasi.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im profil-Digitalteam. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.