Verbund-Chef: „Es wird nicht mehr so günstig wie vor der Krise“

Von Marina Delcheva
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Der Blick auf die Stromrechnung ist noch immer unangenehm. Wann wird Strom denn wieder so billig wie vor der Energiekrise?
Michael Strugl
Nicht so bald, das ist die kurze Antwort. Insgesamt wird es aber schon billiger. Auf den Terminmärkten sinken gerade die Großhandelspreise für nächstes und übernächstes Jahr. Aber es wird nicht mehr so günstig wie vor der Krise.
Warum nicht?
Strugl
Wir sind nach wie vor von fossilen Importen abhängig, und unser Strompreis hängt nach wie vor am Gaspreis, der jetzt einfach höher ist. Wir haben durch die Gaspreiskrise sehr hohe Strompreise bekommen. Das hängt mit der Merit Order (dem Preissetzungsmodell, Anm.) zusammen. Wir müssen noch immer viele Megawattstunden Strom aus Gaskraftwerken zuschalten, und das letzte zugeschaltete Kraftwerk bestimmt den Strompreis.
Es wurde in der Energiekrise viel darüber diskutiert, wie man den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln kann. Letzten Endes ist nichts dergleichen passiert. Warum?
Strugl
Es haben sich europaweit Hunderte sehr kluge Menschen monatelang den Kopf darüber zerbrochen. Nach der Krise gab es eine Anpassung des Marktdesigns, aber die Basis ist nach wie vor die Merit Order. Im Kern passiert dort nichts anderes, als dass Angebot und Nachfrage den Strompreis bestimmen. Der Preis steigt so lange, bis der Strombedarf gedeckt ist. Die EU hat zumindest versucht, Mechanismen einzubauen, um exponierte Verbraucher vor massiven Preisausschlägen zu schützen, durch Eingriffe in den Markt oder durch mehr langfristige Lieferverträge mit fixen Abnahmepreisen. Wir haben bis heute kein besseres Marktsystem gefunden. Die Entkoppelung vom Gaspreis, wie das Spanien gemacht hat, um die Inflation zu drücken, würde in Zentraleuropa nur funktionieren, wenn das alle Länder in Europa um uns herum machen. Ansonsten fließt unser subventionierter billiger Strom über den integrierten Markt ins Ausland, und wir müssen teuren Strom zukaufen. Der Effekt wäre geringer, und die Kosten würden die Steuerzahler tragen. Die österreichische Energiebranche hat das vorgeschlagen, aber europaweit konnten sich die Länder nicht darauf einigen.
Was kann der Verbund als unser größter Energieversorger tun, um Strom jetzt billiger zu machen?
Strugl
Wenn die Großhandelspreise sinken, dann sinken auch unsere Beschaffungskosten, und dann können wir auch die Endkundenpreise senken. Und wir haben heuer schon zwei Mal die Preise für Endkunden gesenkt.
Die Unternehmen müssen mit Marktpreisen kalkulieren, und wir können nicht unter dem Marktpreis verkaufen. Das hat wettbewerbsrechtliche und aktienrechtliche Gründe.
Michael Strugl
über den Strompreis
Alle unsere großen Energieversorger – Verbund, Wien Energie, EVN, TIWAG – gehören ganz oder großteils dem Bund oder den Ländern. Das heißt auch, dass der Großteil der Dividenden aus den üppigen Gewinnen der letzten Jahre in die Länderbudgets und ins Bundesbudget fließen. Warum verzichtet man denn nicht einfach auf ein bisschen Dividende und bietet stattdessen günstigere Preise für die eigenen Bürger an?
Strugl
Die Unternehmen müssen mit Marktpreisen kalkulieren, und wir können nicht unter dem Marktpreis verkaufen. Das hat wettbewerbsrechtliche und aktienrechtliche Gründe. Ich sage das immer wieder, aber das kann man auch nicht oft genug sagen. Richtig ist aber auch, dass wir relativ viel an den Staat abliefern. An Dividende und jetzt auch mit einem sogenannten Energiekrisenbeitrag.
Mit dem haben Sie ja so gar keine Freude …
Strugl
Die Bezeichnung ist irreführend.
Wie würden Sie es denn nennen?
Strugl
Budgetsanierungsbeitrag wäre ehrlicher, denn eine Energiekrise haben wir ja nicht mehr. Die europäische Notverordnung für den Krisenbeitrag ist ausgelaufen. Österreich hat sich entschieden, dieses Energiekrisenbeitragsgesetz zu verlängern. Für die E-Wirtschaft in Österreich bedeutet das jährlich 200 Millionen Euro zusätzlich, die abgeführt werden. Also eine Milliarde in fünf Jahren. Allein Verbund zahlt heuer zwischen 50 und 100 Millionen extra. Das ist unser Beitrag zur Budgetsanierung. Wir jammern nicht, aber erfreut sind wir auch nicht.
Was stört Sie denn ganz konkret daran?
Strugl
Es ist ein schlechtes Standortsignal für Investoren. Das ist für den Kapitalmarkt keine vertrauensbildende Maßnahme, wenn Gewinne abgeschöpft werden. Und es schwächt die Investitionskraft von Unternehmen.
Werden Sie im Verbund denn wegen des Krisenbeitrags Investitionen streichen oder verschieben?
Strugl
Wir halten an unserem Investitionsprogramm fest, aber es ist natürlich eine Herausforderung. Wir haben zum Glück eine starke Finanzkraft, aber das ist nicht bei allen in der Branche so. Was ich sagen will, ist: Wenn man den Unternehmen Kapital entzieht, das sie für Investitionen brauchen, dann ist das ein Nachteil.
Budgetsanierungsbeitrag
"Allein Verbund zahlt heuer zwischen 50 und 100 Millionen extra. Das ist unser Beitrag zur Budgetsanierung. Wir jammern nicht, aber erfreut sind wir auch nicht", sagt Verbund-Chef Michael Strugl zum Energiekrisenbeitrag.
Mit ein Grund für den Krisenbeitrag jetzt ist, dass die Vorgängerregierung sehr viel Geld für die Bewältigung der Energiekrise ausgegeben hat.
Strugl
Es war ein Fehler, dass man über alle Haushalte und Unternehmen hinweg mit der Gießkanne gefördert hat. Dennoch ist es wichtig, besonders exponierte Gruppen ganz gezielt zu unterstützen. Das können von Energiearmut betroffene Haushalte sein, die Schwierigkeiten haben, die Stromrechnung zu bezahlen. Das können auch sehr energieintensive Unternehmen sein, die unter hohen Energiepreisen besonders leiden.
Bleiben wir kurz bei der Industrie. Die ist das dritte Jahr in der Krise, auch weil Energie schon so lange so teuer ist. Wie soll man denn zum Beispiel bei den Industriestrompreisen gegensteuern?
Strugl
Die Frage beschäftigt alle Regierungen in Europa, weil es eine Standortfrage ist. Europa hatte immer einen Kostennachteil bei der Energie im Vergleich zu den USA. Allerdings ist dieser Preis-Gap in der Energiekrise aufgegangen, vor allem beim Gas, beim Strom etwas weniger. Die Frage ist, wie wir den Gap wieder kleiner bekommen. Ganz verschwinden wird er nie, aus dem einfachen Grund, dass wir in Europa viel Gas importieren müssen und sehr wenig selbst erzeugen. Das ist immer teurer, als wenn man direkt an der Quelle sitzt. Beim Strompreis gibt es eine Möglichkeit, ihn ganz schnell billiger zu machen: indem man die Steuern senkt (die Elektrizitätsabgabe u. a. Anm.). Deutschland tut das, Österreich hat diese Möglichkeit aber wegen der budgetären Situation nicht.
Die Gießkanne ist jetzt leer.
Strugl
Das ist eine politische Entscheidung, wie budgetiert wird und wie Steuergeld eingesetzt wird.
In der Branche befürchten einige Energieerzeuger, dass wegen der Gewinnabschöpfung und der gestrichenen Klimaförderungen der Ausbau der Erneuerbaren ins Stocken gerät. Sehen Sie das auch so?
Strugl
Bei den Förderungen bin ich der Meinung, dass man sie auf jeden Fall auf Effektivität und auf Effizienz überprüfen muss. In der Vergangenheit wurden nicht alle Förderungen nach diesem Grundsatz gewährt.
Welche zum Beispiel?
Strugl
Die private Photovoltaik wurde massiv gefördert, obwohl die Leute sowieso in diese Anlagen investiert haben, um ihre Stromkosten zu senken. Es wäre sicher effizienter und auch effektiver gewesen, beispielsweise die Speicher stärker zu fördern. Das hätte den Vorteil gehabt, dass der privat erzeugte Strom auf den unteren Netzebenen geblieben wäre und es jetzt nicht so einen massiven Netzausbau bräuchte, den wiederum alle bezahlen. Das Thema Förderungen ist nicht unser größtes Problem, sondern: Wie gestalten wir den Umbau des Energiesystems? Wir sind mitten in der größten Transformation, die der Energiesektor jemals gesehen hat. Dieser Umbau des Systems in Richtung Erneuerbare ist alternativlos.
Und sehr langwierig. Nächste Woche geht in Salzburg die 380 KV-Leitung in Betrieb. Allein das Genehmigungsverfahren hat 77 Monate gedauert. Warum ist der Ausbau so behäbig in Österreich?
Strugl
Wir brauchen zu lange für solche Ausbauprojekte, und das macht alles noch teurer. Die Salzburger Leitung hat in der Genehmigung 77 Monate gedauert, dann kommen noch vier bis fünf Jahre Bauzeit dazu, die ganzen Korridor-Untersuchungen im Vorfeld. Also wenn Sie so wollen, haben wir „from scratch“ bis zur Inbetriebnahme fast 20 Jahre gebraucht. In dieser Zeit haben sich die ursprünglich kalkulierten Kosten verdoppelt. Österreich ist im EU-Vergleich besonders langsam. Wir brauchen die Transformation nicht nur zur Erreichung der Klimaziele, sondern wegen der Versorgungssicherheit und der Leistbarkeit. Wir müssen viel stärker in einer energiewirtschaftlichen, industriellen Logik denken und nicht in einer politischen. Der Strom folgt der Physik, nicht einer Ideologie. Wir müssen in diesen Umbau Milliarden investieren, und daher muss er klug geplant werden. Dabei wurden bisher auch Fehler gemacht.
Welche Fehler meinen Sie?
Strugl
Der „Österreichische Netzinfrastrukturplan für die Klimawende“ (ÖNIP) (unter der vergangenen schwarz-grünen Regierung erarbeitet, Anm.) ist von nicht mehr gültigen Prämissen ausgegangen, und bei schlechter Planung verteuert sich der Umbau der Netze um 30 bis 40 Prozent. Das muss dann am Ende der Stromkunde bezahlen. Oder der Steuerzahler. Der aktuelle ÖNIP sieht für 2040 zum Beispiel 40 Gigawatt an Leistung allein bei privaten Photovoltaik-Anlagen vor. Dafür brauchen wir aber einen ganz massiven Ausbau der Netze, der auch sehr teuer ist. Ein ausgewogenerer Mix aus Wind und PV würde hingegen die Netzkosten signifikant senken.
Wir bauen ja auch Anlagen in anderen Ländern: in Deutschland, Rumänien, Spanien, Italien und Albanien. Das ist überall leichter als in Österreich.
Verbund-CEO Michael Strugl
zum Ausbau der Windkraft in Österreich
Apropos Windkraft: Was sagen Sie dazu, dass sich ausgerechnet Ihr Heimatland Oberösterreich mit am vehementesten gegen neue Windparks wehrt und die Landesregierung sogar Ausschlusszonen verordnet?
Stugl
Das ist kein oberösterreichisches Spezifikum. Das gilt auch für die Steiermark und Kärnten. Wir bauen ja auch Anlagen in anderen Ländern: in Deutschland, Rumänien, Spanien, Italien und Albanien. Das ist überall leichter als in Österreich. Das tut mir schon weh, das gebe ich zu.
Warum stören sich Spanierinnen oder Rumäninnen weniger an einem Windrad als Österreicher?
Strugl
Das wird vielfältige Gründe haben. Wir sind relativ kleinräumig in Österreich. Das heißt, solche Windparks sind oft in der Nähe von Wohnsiedlungen. Wir haben in den östlichen Bundesländern wesentlich mehr Anlagen als in den westlichen Bundesländern. Man muss weiterhin daran arbeiten, Verständnis dafür zu schaffen, dass es einfach wichtig ist, unseren eigenen Strom zu erzeugen. Ich kann ein Windrad nicht unterirdisch bauen, so wie ein Pumpspeicherkraftwerk. Also wird man sie immer sehen.
Für einen einfacheren Ausbau fehlt auch noch eine Reihe von Gesetzesbeschlüssen: das Erneuerbare-Ausbau-Beschleunigungsgesetz, das Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Eigentlich sollten diese Gesetze von der Vorgängerregierung umgesetzt werden. Wann rechnen Sie denn mit einem Beschluss im Parlament?
Strugl
Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz ist sehr weit gediehen. Es soll vor dem Sommer in die Begutachtung und in die Beschlussfassung gehen. Beim Beschleunigungsgesetz ist man noch nicht ganz so weit, aber da gibt es massive Anstrengungen, das auf jeden Fall in diesem Jahr zu beschließen. Hier kommt der Widerstand vor allem von den Ländern. Sie müssten die Flächen für die Anlagen bereitstellen und fühlen sich in ihrer raumordnerischen Kompetenz eingeschränkt. Aber ich bin durchaus zuversichtlich, dass eine Einigung gelingt. Man darf bei all dem eines nicht vergessen: Wir sind jetzt im dritten Rezessionsjahr. Der Ausbau der Erneuerbaren und der Kraftwerksbau gehören im Moment zu unseren größten Konjunkturprogrammen.
Wie sieht denn konkret der Ausbauplan von Verbund aus?
Strugl
Wir investieren in den nächsten fünf Jahren 5,9 Milliarden Euro. Zwei Milliarden fließen in den Ausbau der Übertragungsnetze und gut 1,3 Milliarden in die Wasserkraft. Das investieren wir ausschließlich in Österreich und generieren hier Wertschöpfung. 1,7 Milliarden fließen in Erneuerbare, also Wind und Solar.
Und wie viel davon investieren Sie in Österreich?
Strugl
In Summe investieren wir rund 80 Prozent im Heimmarkt, bei Wind und Sonne allerdings überwiegen die Auslandsinvestitionen. In Österreich sind vor allem Windkraftprojekte schwierig, das macht mich wirklich traurig.
Verbund ist zusammen mit der Beteiligungsgesellschaft ÖBAG vom nunmehr roten Finanzministerium in das ÖVP-geführte Wirtschaftsministerium gewandert. War das eine pragmatische oder doch eine parteipolitische Entscheidung?
Zur Person
Michael Strugl, 61, ist seit 2021 Vorstand von Österreichs größtem Energieversorger und Netzbetreiber, der Verbund AG. Außerdem ist Strugl Präsident von Österreichs E-Wirtschaft und Vizepräsident der Industriellenvereinigung Wien. 2017 und 2018 war er Landeshauptmann-Stellvertreter (ÖVP) der oberösterreichischen Landesregierung Stelzer I. Der Verbund gehört zu 51 Prozent der Republik Österreich, EVN und Wien Energie halten über ein Konsortium weitere 25 Prozent. Fünf Prozent hält der Tiroler Energieversorger TIWAG, der Rest ist in Streubesitz. Im Vorjahr erwirtschaftete der Verbund einen Umsatz von 8,22 Milliarden Euro und ein Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen von 3,48 Milliarden Euro.
Strugl
Es ist jedenfalls eine nachvollziehbare Entscheidung. Es macht schon Sinn, ein Standortressort zu schaffen mitsamt den Energieagenden und dem Beteiligungsmanagement. Aber letztlich ist ein Bundesministeriengesetz eine politische Entscheidung, und die treffen andere, nicht ich.
Letzte Frage: Wird die Stromrechnung nächsten Winter billiger oder teurer?
Strugl
Die Konsumentinnen und Konsumenten spüren jetzt das Auslaufen der Stromkostenbremse sowie der steuerlichen Entlastungen, auch die Netztarife sind gestiegen. An den reinen Energiepreisen liegt der Anstieg nicht. Die sind zuletzt bei allen Anbietern gesunken. Netzentgelte, Steuern und Abgaben liegen nicht in unserem Einflussbereich.

Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".