Österreich, deine Produkte | Teil 20

Wie baut man ein gutes Lastenrad, Herr Vodev?

Das Wiener Radunternehmen Vello bringt das erste österreichische Lastenrad mit Elektromotor auf den Markt.

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In einem kleinen Geschäft auf der Reinprechtsdorfer Straße in Wien-Margareten verkaufen Valentin Vodev und Valerie Wolff ihre Räder. Falträder – mit oder ohne Elektromotor – sind ihre Spezialität. Mitten im Geschäft steht aber auch schon das neueste Modell, und zwar das neue Lastenrad SUB mit Elektromotor. Ein Novum für die beiden, 2023 sollen die ersten 300 Stück verkauft werden. Derzeit ist das Lastenrad auf Tour, gestern war es in Paris, morgen fährt es nach Leipzig.

Wie reist ein Lastenrad?
Wolff
Leider nicht mit dem Nachtzug. Da gibt es auf wenigen Routen Radabstellplätze. Wir hoffen, dass sich das bald ändert. Daher sind wir mit dem Rad nach Paris geflogen. Morgen geht es mit dem Zug weiter nach Leipzig. Da es so kurz ist (1,80 Meter lang), passt es in die normalen Radstellplätze. Das war uns wichtig.
Was macht ein Lastenrad zu einem guten Lastenrad?
Vodev
Was definitiv für uns extrem wichtig ist: dass man, wie der Name sagt, wirklich Lasten transportieren kann. Das heißt, wir bauen ein Rad, da kann man wirklich 120 Kilo aufladen. Man kann von mir aus eine Waschmaschine mitnehmen, zwei Kinder mit Kindersitzen oder eine erwachsene Person. Aber uns war gleichzeitig sehr wichtig, dass das Rad leicht ist. Bei Mitbewerbern ist das oft nicht der Fall. Man sagt: Wer Lasten transportiert, braucht kein leichtes Rad. Aber wir sehen das anders. Unser Rad wiegt 24 Kilo, das ist fast zehn Kilo weniger als normale Lastenräder.
Wolff
Und ich war gerade mit unserem Lastenrad in Paris. Stellen Sie sich da ein schweres Rad vor? Ein Horror! Es fahren viele Autos, ab und zu muss man das Rad auf den Gehsteig heben und ausweichen, weil wieder mal jemand einen Fahrradweg zugeparkt hat. Man muss in der Stadt oft Hindernisse umgehen. Und in Paris, genauso wie in Wien, hat man Sorge, dass es gestohlen wird, und will das Rad im Haus abstellen. Viele wohnen aber in alten Gebäuden, da gibt es keine guten Aufzüge, Fahrradkeller, Abstellplätze, sondern einmal sechs Stufen beim Eingang.  Da braucht man ein leichtes Rad. Und wir erreichen viele Frauen mit unseren Produkten, weil sie so leicht sind.

Vello

Vor acht Jahren stellten sie das erste offizielle Vello-Modell vor und finanzierten die erste Serie über eine Crowdfunding-Kampagne. Die Teile für die Räder stammen aus aller Welt, werden aber in Wien zusammengebaut und -geschraubt. Auch für das Lastenrad Sub starteten die beiden eine Crowdfunding-Kampagne, die ihr Ziel bereits mehrfach überschritten hat. Vodev designt die Räder und ist für die technische Entwicklung zuständig, Wolff verantwortet die Finanzen und die  Unternehmensentwicklung.

Bei den meisten Lastenrädern ist die Last vorn. Wieso bei Ihnen nicht?
Wolff
Wenn Kinder vorn in der Kiste sitzen, habe ich nicht das Gefühl, dass ich die Kontrolle darüber habe. Wenn sie hinten sitzen, fühlt sich das viel besser an. Ich kann besser lenken, wenn die Last hinten ist, denn ich habe keine Verzögerung bei der Lenkung.  
Vodev
Und der Lenker ist die erste Knautschstelle. Da ist es besser, wenn sich vorn nur der Lenker befindet und nicht die Last.
Wolff
Und das andere Thema ist Dooring (Unfälle, bei denen Autofahrer plötzlich und unachtsam die Tür öffnen und Radfahrer dadurch stürzen), weil das ist echt ein Wahnsinn. Es werden viele Unfälle vermieden, weil die Radfahrer in letzter Sekunde noch abbremsen können. Wenn die Last vorn ist, ist sie mehr in Gefahr.
Sie machen seit bald zehn Jahren Falträder. Sie sind wie Lastenräder ein Nischenprodukt. Wie verändern sich jetzt Ihre Kunden?
Wolff
Wir merken: Beide Produkte kommen aus der Nische raus. Ökologisches Bewusstsein fällt da mit neuen Bedürfnissen zusammen. Bei den Falträdern kommen Menschen zu uns, die gerade angefangen haben zu arbeiten oder deren Kinder schon groß sind. Viele pendeln in die Arbeit, wollen aber nicht mehr mit dem Auto fahren, sondern nehmen den Zug und das Faltrad. Oder es kommen auch Menschen, denen das Rad gestohlen wurde und die es daher nicht mehr draußen stehen lassen wollen. 
Vodev
Aber das Mitnehmen von Kindern war nicht miteingeplant. Also ab und zu mal fragt jemand, ob man einen Aufsatz für einen Hund auf das Faltrad bauen kann. Aber jetzt haben wir viele Kunden, die sagen: Ich brauche ein Rad für die ganze Familie. Man kann Sitz und Lenker ohne Werkzeug verstellen. Dann können die 1,65 Meter große Mutter und auch der 1,84 Meter große Vater damit fahren und ihre Kinder transportieren. Und größere Kinder können auch schon damit selber fahren.
Das heißt, statt Pendlern kommen jetzt junge Familien?
Vodev
Ich sehe sie da reinspazieren mit den zwei Kids, die kaum gehen können oder gerade eben. 
Wolff
Die gut planen, kommen schon mit dem Säugling.
Vodev
Das sind auch Leute, die sich bewusst entscheiden: Ich verzichte auf das Familienauto, weil ich diesen Stress nicht haben möchte. Ich sehe bei der Schule von meinem Sohn immer die Autoschlangen vor der Schule. Nach acht Uhr ist die Straße leer. Diesen Stress kann man vermeiden mit einem Fahrrad. 
Wieso zieht die Vello-Werkstatt um?
Wolff
Wir ziehen um, weil wir im letzten Jahr stark gewachsen sind – wir haben mehr Personal in der Produktion und auch mehr Teile, die wir jetzt im 12. Bezirk auf rund 1000 Quadratmetern zusammenbauen können.  Vorher war die Montage der Räder im Erdgeschoss eines kleinen 400  Biedermeierhauses im 6. Bezirk in Wien. Wir mussten die Komponenten an verschiedenen Plätzen zwischenlagern, denn wir hatten im letzten Jahr schon zu wenig Platz. Jetzt können wir effizienter und auch mehr produzieren.
Aber wie viel vom  Lastenrad entsteht in Wien?
Wolff
Die meisten Teile von unserem Rad sind selbst entwickelt, und wir lassen sie in verschiedenen Ländern produzieren. In Thailand, Taiwan, Deutschland, China, aber auch viel in Italien.  Diese Teile werden importiert und dann von uns zusammengebaut. Wir fahren bald nach Taiwan und treffen die Hersteller unseres Lenkers und der Sattelstütze. Wir kennen unsere Zulieferer auf persönlicher Ebene alle sehr gut – die meisten sind kleinere Familienunternehmen.
Das Lastenrad ist symbolisch stark aufgeladen: Es steht für einen neuen, pragmatisch nachhaltigen Zeitgeist, schrieb mein Kollege vor ein paar Monaten. Stört Sie das?
Vodev
Überhaupt nicht, muss ich ehrlich sagen. Vorgestern kam eine Familie, und ich habe mir gedacht: So jemanden würde ich für eine Autowerbung buchen. Ich habe früher Schauspiel studiert und deshalb manchmal solche Bilder im Kopf. Aber die kamen einfach bei uns rein und interessierten sich für unser Lastenrad. Und wenn wir schon diese Leute erreichen, dann ändert sich wirklich etwas. 
Aber ersetzt das Rad dann auch wirklich das Auto? 
Vodev
Ich glaube schon, dass sich viele für ein Lastenrad statt für eine Familienkutsche entscheiden. Kein SUV, sondern ein SUB. Deswegen haben wir unser Rad SUB – Smart Utility Bike – genannt.

Wir erreichen viele Frauen mit unseren Produkten, weil sie so leicht sind.
 

Valerie Wolff

Vello-Gründerin

Lastenräder, die neuen SUVs?
Vodev
Ja, aber das liegt an einem Irrtum. SUV heißt ja Sport Utility Vehicle. Der SUV war nie für Städte gedacht, hat sich aber leider so durchgesetzt. Deswegen heißt unser Rad nicht Sport Utility Bike, sondern wir haben uns für Smart Utility Bike entschieden. Die Idee ist: Ich kaufe mir ein Rad, das dasselbe mitschleppen kann, denn in der Regel fährt niemand tagtäglich mit fünf Leuten im Auto mit vollem Kofferraum.  Kinder, Rucksack, Arbeitstasche, Gitarre, Koffer, das schafft man locker mit dem Lastenrad. Man kann zwei Kinder mitnehmen, mit einem Aufsatz sogar ein drittes. 
Das Lastenrad kostet jetzt 4199 Euro. In ein paar Monaten steigt der Preis auf 6998 Euro. Das ist schon sehr viel in einem Jahr, in dem die Wirtschaftsaussichten nicht so rosig sind?
Vodev
Der Preis ist momentan reduziert. Es wird dann nicht teurer, sondern zum normalen Preis verkauft. Beim Fahrrad bekommt man das, was man bezahlt, als Qualität. Es ist nicht wie bei Designermode. Wir verbauen beste Motoren, Antriebe, Bremsen, und das hat zum Schluss einen Preis im Sinne der Langlebigkeit. Teuer und günstig, das gilt nur heute. Wie lange will man das Rad haben? Elektroräder vom Discounter kann man oft nur 100 Mal laden, dann ist die Batterie futsch. Bei uns hat man 3000 Ladezyklen. Es ist fast eine Investition, könnte man sagen, vor allem bei dieser Inflation. Man schlägt sogar Gewinn draus, wenn man es jetzt reduziert kauft und dann in einem Jahr verkauft. Das ist verrückt, aber es ist so. Man muss auch dazusagen: Es gibt Förderungen für Lastenräder vom Bund und von der Stadt Wien etwa. Deswegen ist es wichtig, dass der Preis wirklich nicht eins zu eins gesehen wird. Und vor allem nicht mit dem eines gebrauchten Autos verglichen wird.
Warum nicht dieser Vergleich? Vom Preisniveau liegt er auf der Hand.
Vodev
Jeder weiß, dass man den Preis für ein gebrauchtes Auto verdoppeln muss wegen der Reparaturen.  Ohne Versicherung, ohne Parkgebühren, nur damit es wegfährt. Viel Spaß. 
Aber das heißt, Sie vergleichen sich mit Autos und nicht mit Rädern? Es gibt auch günstigere Lastenräder.
Wolff
Also ich glaube, prinzipiell sind nur Falträder und Lastenräder wirklich Alternativen zum Auto. Wenn ich sage, ich werde mehr mit dem Zug fahren und lass mein Auto stehen, dann brauche ich ein Rad, um Gegenstände, Kinder und so weiter zu transportieren. Mountainbikes sind ja kein Ersatz, sondern einfach nett für die Freizeit. Sie verändern das Mobilitätsverhalten nicht grundsätzlich.
Vodev
Wir sehen das Rad als eine Erweiterung des Lebensstiles. Es geht nicht um Auto gegen Fahrrad, sondern um Mobilitätslösungen.
Was meinen Sie damit?
Vodev
Wir sehen gerade einen großen Umbruch, wie Menschen Mobilität leben, aber die Stadt verändert sich noch zu langsam. Es passiert zwar schon viel, aber wir hinken in der Umsetzung der Infrastruktur hinterher, und deswegen gibt es diese Konfliktpunkte zwischen Fahrradfahrern, Fußgängern und Autos. Bis jetzt war das Auto die bevorzugte Mobilitätslösung, jetzt muss der Platz geteilt werden, weil viele das nicht mehr so sehen.  Vor uns (schaut auf den Verkehr in der Reinprechtsdorfer Straße) haben Autos 90 Prozent des Platzes. Wir haben eigentlich ziemlich breite Straßen in Wien, aber wir können sie nur nutzen, wenn wir den Platz gerechter aufteilen.

Valentin Vodev in der Werkstatt

Er geht davon aus, dass sich seine Kunden für Lastenräder statt für Familienkutschen entscheiden.

Zurück zum Rad: Wenn man jetzt ein Lastenrad bestellt, wann kann man mit ihm rechnen? 
Vodev
Im Sommer 2023. Wir bauen eine neue Motorgeneration ein, die auch smart ist. Das heißt, man kann mit dem Mobiltelefon das Rad absperren und alarmsichern. Und man kann es auch tracken. Wenn es doch gestohlen wird, kann man sehen, wo es hingebracht wird. Wir haben vor, heuer 300 Stück auszuliefern. 
Und wie viele sind schon vorverkauft?
Vodev
Wir haben schon die Hälfte verkauft. Wir haben das Material dafür gesichert, und das wäre dann die erste Lastenradserie.
Wolff
Bis kurz vor Weihnachten läuft noch unser Crowdfunding. Wir stehen bei fast 200.000 Euro, unser Ziel waren 50.000 Euro. Manche haben auch schon beim Crowdfunding für das Faltrad mitgemacht. Ein Mann war vor sechs Jahren bei unserem ersten Crowdfunding dabei, jetzt bekommt er ein zweites Kind. Daher interessiert ihn das Lastenrad, und er beteiligt sich. 

Zu den Personen

Valentin Vodev und Valerie Wolff führen das Wiener Fahrradunternehmen Vello. Vor zehn Jahren hat Produktdesigner Valentin Vodev für ihre gemeinsame Reise nach Kuba ein Faltrad gebaut, weil sie so flexibler unterwegs sein konnten. Mit den existierenden Modellen waren die beiden nämlich nicht zufrieden. Kurz darauf wurde das Reisemodell Vorbild für die erste Serie.

Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.