Wolga an der Enns: Wie geht es weiter mit Steyr Automotives Russland-Geschäft?

Das Lkw-Werk Steyr Automotive im Besitz von Siegfried Wolf setzt auf eine Kooperation mit Russland. Vor wenigen Wochen wirkte das noch vielversprechend. Und heute?

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Am 7. April 2021 entschied sich das Schicksal des MAN-Lkw-Werks in Steyr, einer alten Industriestadt am Fluss Enns in Oberösterreich. Die rund 2100 Mitarbeiter bekamen einen Stimmzettel vorgelegt. "Stimmst du einem Übertritt in die WSA Beteiligungs GmbH unter den dir bekannten geänderten Rahmenbedingungen zu?" Die WSA, dahinter steckt der schillernde österreichische Unternehmer Siegfried Wolf. Er wollte die von der Schließung bedrohte Fabrik erwerben und retten. Doch die Belegschaft war skeptisch. Für Bedenken sorgten unter anderem Wolfs gute Verbindungen nach Russland und die Angst vor künftigen Sanktionen.

Wolf war trotzdem erfolgreich. Die Mitarbeiter entschieden sich letztlich für ihn. Inzwischen trägt das Werk einen neuen Namen ("Steyr Automotive"), hat ein neues schmuckes Logo in Petrol-Farben und plant die Neuaufstellung, vor allem in zukunftsträchtigen Bereichen der E-Mobilität. Konkret will Wolf etwa Kastenwagen und City-Busse mit Elektroantrieben produzieren. Tausende Arbeitsplätze in einem der wichtigsten Industriebetriebe Oberösterreichs sind gerettet.

Zumindest vorerst. Denn heute weiß man - die Sorgen der Belegschaft waren voll und ganz gerechtfertigt.

Die jüngere Geschichte von MAN Steyr, nunmehr Steyr Automotive, ist auch die Geschichte eines Managers, der Österreichs Autoindustrie neu beleben will - mit potenter Hilfe von einem der reichsten russischen Geschäftsmänner, des Industriellen Oleg Deripaska. Heute allerdings muss Wolf angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und der einschneidenden Sanktionen des Westens grundlegend umdisponieren.

Oleg Deripaska, 54 Jahre, gilt als enger Vertrauter von Russlands Premier Wladimir Putin (auch wenn Deripaska zuletzt den Ukraine-Krieg kritisierte). Er steckt hinter dem russischen Mischkonzern Basic Element. Zu diesem gehören unter anderem Ölraffinerien, Banken, Flughäfen und UC Rusal, einer der weltgrößten Aluminiumhersteller mit Sitz in Moskau. Ebenso gehört Deripaska der russische Lkw-Fertiger GAZ in der Stadt Nischni Nowgorod, der aus der einstigen sowjetischen Autoschmiede "Wolga" hervorging.

Überdies unterhält Deripaska vielfältige Beziehungen nach Österreich. Im niederösterreichischen Laa an der Thaya ließ er etwa eine russisch-orthodoxe Kirche errichten, zum Gedenken an seinen Großvater, der hier im Weltkrieg fiel. Selbst die Schwiegereltern des mächtigen Russen sollen in Wien leben. Die Beziehungen reichen über das Private hinaus; auch geschäftlich gibt es jede Menge Engagements. Sie alle stehen nun auf dem Prüfstand.

Da wäre beispielsweise Deripaskas Luxushotel Aurelio im Vorarlberger Skiort Lech am Arlberg, Österreichs einziges Fünf-Sterne-Plus-Haus. Es gehörte bis vor Kurzem Deripaska, nun wurde es an ein Unternehmen verkauft, hinter dem Deripaskas Cousin steckt

Da wäre weiters der 27,8-Prozent-Anteil einer zyprischen Deripaska-Firma an der Wiener Strabag SE, einem der größten Bauunternehmen Europas. Wobei die anderen Strabag-Aktionäre-unter anderem die Stiftung des Ex-Chefs Hans Peter Haselsteiner-soeben den Syndikatsvertrag mit Deripaska gekündigt, also die Zusammenarbeit beendet haben (Deripaska ist aber weiterhin am Baukonzern beteiligt).

Und da wäre vor allem Siegfried "Sigi" Wolf, der kleinere österreichische Oligarch, mit seinen engen Verbindungen nach Russland und zu Deripaska. Wolf - 64 Jahre, ein Bauernsohn aus neunköpfiger Familie in der Oststeiermark - wurde in den 1990er-Jahren in Frank Stronachs Automobilzulieferer-Konzern Magna groß. Im Jahr 2010 folgte der Wechsel nach Russland: Wolf wurde Chef und Zehn-Prozent-Miteigentümer von Deripaskas Autokonzern GAZ. Es folgten weitere Engagements mit Russland-Bezug, etwa fungierte Wolf als Aufsichtsratsvorsitzender der russischen Sberbank Europe AG mit Sitz in Wien-ein Mandat, das er kürzlich zurückgelegt hat.

In Österreich kennt man Wolf vor allem wegen seiner guten Kontakte in die ÖVP. Das zeigen die Chat-Enthüllungen der vergangenen Monate. Aus ihnen geht beispielsweise hervor, dass Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz im Jahr 2019 gern einen gewissen "SW" zum Aufsichtsratschef der Verstaatlichtenholding ÖBAG bestellen wollte. Allerdings hatte man Bedenken wegen der "Außenwirkung" dieser Personalie, chatteten Thomas Schmid, Kurz-Vertrauter und damals Generalsekretär im Finanzministerium, und eine Mitarbeiterin. Schließlich wurde doch nicht Wolf zum ÖBAG-Aufsichtsratschef gemacht, sondern Helmut Kern. Wolf hat eine Vergangenheit in der Verstaatlichtenholding. Als diese noch ÖIAG hieß, saß er zwischen 2002 und 2015 in deren Aufsichtsrat, ab 2014 war er Vorsitzender (und zudem Teil eines Personenkreises um den oberösterreichischen Industriellen und früheren Präsidenten der Industriellenvereinigung Peter Mitterbauer).

Eine andere Chat-Episode handelt von einem mutmaßlich illegalen Steuernachlass der Finanzbehörden für Wolf 2016. Unter anderem deshalb ermittelt derzeit die heimische Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft, etwa gegen Thomas Schmid und Ex-ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling. Im Zusammenhang mit dieser Causa tippte Thomas Schmid einen mittlerweile legendären Satz in sein Handy an einen Untergebenen im Finanzministerium: "Vergiss nicht - du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!"

Das Lkw-Werk in Steyr sollte vermutlich Wolfs Lebenswerk als Auto-Manager krönen. Bereits seit mehr als einem Jahrhundert werden am traditionsreichen Standort Steyr Lastwagen produziert. Zuletzt liefen viele Jahre Lkw der Marke MAN vom Band, die zum VW-Konzern gehört. Doch im Jahr 2020 gab MAN bekannt, seine Produktion aus Kostengründen ins polnische Krakau zu verlagern. Eine Garantie seitens des Konzerns für den Standort Steyr, der eigentlich die Produktion bis zum Jahr 2030 sicherstellen sollte, wurde kurzerhand aufgekündigt.

Die Schließung hätte die ganze Region in wirtschaftliche Probleme gestürzt. Hektisch suchten Politiker nach einer Lösung; sogar von einer Verstaatlichung war die Rede. Bis schließlich Wolf zum Zug kam. Er redete von Elektromobilität, von der Wiederherstellung der alten Marke Steyr-und von seiner vielversprechenden Partnerschaft mit den Russen. Nun läuft die Produktion für MAN noch bis kommendes Jahr. Danach soll Wolfs neue Firma Steyr Automotive GmbH endgültig auf eigenen Füßen stehen.

"Russland wird ein wesentlicher Kunde und ein wesentlicher Lieferant sein", verkündete Wolf bei der Übernahme. So sollen 10.000 Fahrerkabinen jährlich von Steyr an den russischen GAZ-Konzern geliefert werden (dessen Chef ja ebenfalls Wolf ist). Außerdem sollen Kleintransporter, die vom russischen GAZ-Konzern entwickelt wurden, künftig in Steyr gefertigt und an die europäischen Anforderungen angepasst werden. Doch all die großen Pläne liegen jetzt in Trümmern.

Selbst wenn sich Oleg Deripaska nicht auf der offiziellen EU-Sanktionsliste findet (warum, darüber rätseln Experten europaweit) - gute Geschäfte mit engen Putin-Vertrauten, das geht sich in Zeiten der Ukraine-Invasion schlicht nicht mehr aus. Noch dazu, wo Deripaska gar vorgeworfen wird, selbst Panzer und anderes Militärgerät für den Ukraine-Krieg in seinen Betrieben produzieren zu lassen. Siegfried Wolf versicherte dazu vor wenigen Tagen via Aussendung, er sei "niemals in militärische Produktion involviert" gewesen.

Wie es angesichts des Ukraine-Krieges und seiner Folgen mit Steyr Automotive weitergehen soll, dazu will das Unternehmen gegenüber profil keine Stellungnahme abgeben. Die Sprecherin verweist lediglich auf eine aktuelle Aussendung. Darin heißt es: "So lange gemeinsame europäische Maßnahmen einen Warenaustausch mit Russland sanktionieren, wird die Kooperation mit GAZ nicht wie geplant fortgesetzt." Zugleich versichert Steyr, dass "sich grundsätzlich am Geschäftsmodell von Steyr Automotive nichts ändern" werde.

Was genau bedeutet das vorläufige Ende der GAZ-Partnerschaft für Steyr und seine Zukunft? Das lässt sich derzeit noch nicht einschätzen. Steyr-Arbeiterbetriebsrat Helmut Elmer meinte kürzlich - etwas kryptisch - gegenüber der Austria Presse-Agentur (APA), man müsse die Zusammenarbeit mit GAZ "genau analysieren". Oberösterreichs Landesregierung gibt sich gegenüber profil optimistisch: "Steyr Automotive hat bekanntgegeben, dass sich nichts am Geschäftsmodell ändern werde. Daher gehen wir davon aus, dass die Entwicklung und Produktion von Nutzfahrzeugen und Bussen der Marke Steyr wie geplant stattfinden werden",heißt es aus dem Büro von Oberösterreichs ÖVP-Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner. Außerdem stünden dem Unternehmen ja Unterstützungen zu wie etwa "das Kurzarbeitsmodell des Bundes".

Ob GAZ-Kooperation oder nicht, derzeit stehen im Lkw-Werk in Steyr sowieso alle Fließbänder still. Zumindest vorübergehend bis Ende März. Das liegt nicht etwa am Abbruch der Partnerschaft mit den Russen, sondern an massiven Lieferausfällen. Es fehlt an Kabelbäumen, die für die Fertigung von Lkw unabdingbar sind.

Sie kamen bisher aus der Ukraine. Aber dort rollen ja jetzt die russischen Panzer.