Eine babyblaue Ozempic-Spritze
Medizin

Appell: Adipositas-Medikamente von „schwarzer Liste“ streichen

Ozempic auf Krankenschein? Gesundheitsexperten argumentieren: Je weniger Übergewicht, desto weniger Krankenbehandlungen muss die Sozialversicherung zahlen.

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Es sind Zahlen, die wachrütteln. Über die Hälfte der österreichischen Bevölkerung ist übergewichtig. Für Thomas Czypionka, Leiter der IHS-Abteilung für Gesundheitsökonomie, besonders dramatisch: Der Anteil übergewichtiger Kinder, die an Adipositas erkranken, steigt rasant an, um einen Prozentpunkt alle 5 Jahre.

Adipöse Menschen haben mehr Herzprobleme, höheren Blutdruck, häufiger Schlaganfälle und Demenz. So häufen sich auch die Krankenstände und vorzeitige Pensionierungen. Dazugehörige Krankenbehandlungen zahlen allgemein Krankenversicherte. Die Überlegung lautet deshalb: Durch Investitionen in die Prävention und Behandlung von Adipositas können Krankheitskosten abgefedert werden.

Wer an Adipositas erkrankt und sich behandeln lassen will, hat folgende Möglichkeiten: Den chirurgischen Eingriff, also die Magenverkleinerung. Seit einigen Jahren gibt es aber auch medikamentöse Therapien. Dazu gehören Ozempic, ursprünglich als Diabetesmittel verschrieben, und Wegovy, das gegen Adipositas zugelassen ist. Zwei Handelsnamen, ein Inhalt: Semaglutid.

Der Wirkstoff dämpft den Appetit und hilft stark übergewichtigen Menschen, ihr Körpergewicht zu reduzieren. Bisher sind fünf Substanzen in der EU zugelassen: Injektionen sowie Tabletten. 

Aber: Erkrankte müssen monatlich 140 bis 300 Euro für Ozempic hinblättern. Das ist für jene, die das Präparat gesundheitlich brauchen, oft nicht leistbar. Wegovy ist viel teurer als Ozempic (totz gleichen Wirkstoffs). Das Medikament ist nicht direkt am österreichischen Markt zugelassen und muss über Umwege importiert werden. Monatliche Kosten: 540 Euro.

Ozempic wird Off-Label von Ärzt:innen als Therapie gegen die Erkrankung Adipositas verschrieben. Kassenzuschüsse gibt es derzeit nur bei Magenverkleinerungen, die aber nicht für alle Patient:innen geeinget sind. Außerdem investiert die ÖGK in Präventionsprogramme für Kinder und Erwachsene.

Medikamentpackungen von der Abnehmspritze Ozempic

Dabei bieten private Versicherungsanstalten wie die Uniqa längst an, die Kosten für Ozempic und Wegovy zu übernehmen. Dafür muss lediglich eine ärztliche Bestätigung vorliegen, dass die Versicherten an Diabetes oder Übergewicht erkrankt sind. Gesundheitsexperten fordern eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse. 

Wenn Kilos lebensgefährlich werden

Gesundheitsökonomen und die Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sind sich einig, dass es sich bei Adipositas um eine Erkrankung handelt, die vielschichtige Ursachen hat und behandelt werden muss. „Wir können es uns als Gesellschaft einfach nicht leisten, dass eine chronische Erkrankung immer weitere Teile der Bevölkerung erfasst“, sagte beispielsweise der stellvertretende Obmann der ÖGK, Andreas Huss.

Diese Warnung ist durchaus wörtlich zu nehmen. Gesundheitsökonomen am Institut für höhere Studien (IHS) berechnen derzeit, wie teuer Adipositas dem Gesundheitssystem kommt – und wie hoch die Ersparnis bei einer Kostenübernahme der Behandlungen mit Ozempic und Co. wäre. Ein Richtwert: In den OECD-Ländern werden jährlich etwa 200 Euro pro Kopf für die Behandlung eines hohen Body-Mass-Index (BMI) und damit zusammenhängender Erkrankungen ausgegeben.

Laut OECD-Prognosen reduziert Adipositas das österreichische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 10 Milliarden Euro jährlich.

Wann gilt jemand als adipös?

Ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 spricht man nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Adipositas. Bei einem inem BMI von 40 und mehr spricht man von morbider Adipositas. Übergewicht beginnt bei einem Gewicht von BMI 25.

Quelle: Österreichische Adipositas Gesellschaft

Die Forderung nach medikamentösen Behandlungen auf Kasse unterstützt auch Czypionka. Er appelliert an die politisch Verantwortlichen, „entsprechende Strategien auszuarbeiten“. Gleichzeitig betont er die Wichtigkeit von Ernährungslehre in der Schule: „So lange Kinder sich zu Mittag von Pommes ernähren, und Süßigkeiten gezielt an sie vermarktet werden, wird Übergewicht das Gesundheitssystem belasten.“

„Versagen, nur in Prävention zu investieren“

Bianca Itariu, Vorstandsmitglied der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, sieht die zunehmenden Warnungen vor Übergewicht als gesundheits- und wirtschaftspolitisches Problem als Anlass, Adipositas als Krankheit ernst zu nehmen. Itariu leitete bis März 2023 die internistische Adipositas Ambulanz am Wiener AKH, nun hat die Internistin eine Praxis im 18. Wiener Gemeindebezirk. Sie fordert: „Gewichtsreduzierende Arzneimittel sollten von der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien wegfallen.“

Denn: Adipositas-Medikamente stehen seit 20 Jahren auf einer sogenannten „schwarzen Liste“ im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz ASVG. Diese Regelung komme aus einer Zeit, in der kokain-ähnliche Substanzen mit starken Nebenwirkungen zum Abnehmen verwendet worden sind, erklärt Public Health-Experte Czypionka. Im Vergleich dazu sei die Einnahme von Wegovy nicht so risikoreich, das wird im ASVG allerdings nicht berücksichtigt.

Prinzipiell kann sich die ÖGK vorstellen, Semaglutid von der Liste nicht erstattungsfähiger Medikamente zu nehmen – aber nicht, solange es Lieferengpässe gibt. „Die Verhandlungen [zu einer Kostenübernahme] wurden leider durch die noch immer anhaltende Lieferunfähigkeit der Medikamente unterbrochen“, erklärt eine Sprecherin der ÖGK. Bis dahin erstattete die Krankenkasse Ozempic für Diabetiker:innen.

Aufgrund der starken Nachfrage ist das Medikament noch immer knapp: Bekanntlich wird Ozempic gerne als Lifestyle-Wundermittel gespritzt – dazu entscheiden sich auch manche mit gesundheitlich unbedenklichem Gewicht. Das kritisiert Itariu stark: „Wir müssen unsere Schönheitsideale ändern. Schlankheit darf kein Statussymbol sein.“

Laut ÖGK gebe es weiterhin „Überlegungen“, die Abnehmspritze zu finanzieren. In „besonders kritischen Fällen“ werde Semaglutid bereits im Einzelfall ermöglicht.

Man sei weiterhin „bemüht, dass durch die richtigen Maßnahmen, eine erfolgreiche Therapie erfolgen kann.“ Dazu zähle ein sogenanntes „Disease Management Programm“ im niedergelassenen Bereich, bei dem eine Lebensstil-Umstellung angepeilt ist: Medikamente würden „auch nur zu einer Gewichtsreduktion zwischen 10% und 20% führen“. Heißt: Bei 160 Kilogramm schweren Erkrankten führt Wegovy zu einer Gewichtsreduktion von maximal 30 Kilos.

Lichtblick für günstigeren Ozempic-Zugang

Es obliegt formell den Pharmaunternehmen, die Kassenfinanzierung zu beantragen.

Eine derartige Finanzierung hat die Ozempic-Mutterfirma Novo Nordisk nicht nötig. Die dänischen Abnehmspritzen werden weltweit vertrieben, das erwirtschaftet dem Unternehmen satte Gewinne. Der Konzern hatte zeitweise einen höheren Börsenwert als das dänische BIP. 

Menschen mit Adipositas würden dafür „wie jede andere Patient:innengruppe mit chronischen Krankheiten“ Unterstützung von der Krankenkasse benötigen, so Itariu von der Adipositas Gesellschaft. Es sei ein „Versagen, nur in Prävention zu investieren. Als würde ein Haus brennen, und die Feuerwehr macht Brandschutzübungen in der Nachbarschaft.“

Laut Gesundheitsexperten Czypionka gibt es jedoch gute Gründe, warum sich Novo Nordisk darum bemühen könnte. Ende 2031 läuft das Patent für Ozempic aus. Dann werden die ersten Generika, also Produkte mit gleichem Wirkstoff, folgen. Bis dahin können Mitbewerber ähnliche Produkte auf den Markt bringen und den Preis drücken. Der dänische Konzern könnte sich gar dazu entscheiden, den Antrag an die ÖGK früher zu stellen, um seine Marktposition weiterhin zu sichern.

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.