Neue Corona-Variante Omikrom breitet sich aus (Symbolbild)

Corona-Variante Omikron: Wettlauf mit dem Virus

Es ist längst nicht sicher, ob die neue Variante Omikron veränderte Impfstoffe erfordert. Doch eines Tages wird man die Vakzine ziemlich sicher anpassen müssen. Wie funktioniert das eigentlich?

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Es klang, als stünde die Apokalypse unmittelbar bevor. Die Pandemie sei fortan nicht mehr dieselbe wie bisher, hieß es unheilvoll in den TV-Nachrichten des ORF, als das Auftreten der neuen Virusvariante B.1.1.529 bekannt wurde. Worauf die alarmistische Einschätzung der Gefahr durch die später "Omikron" getaufte Variante beruhte, war rätselhaft. Schließlich wusste man Ende November wenig über deren Profil-und noch weniger über ihr Bedrohungspotenzial. Sicher ist, dass Omikron mit 50 Mutationen im Genom relativ viele solche Zufallsveränderungen aufweist, 32 davon im Spike-Protein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte Omikron deshalb als "Variant of concern" ein, genau wie zuvor schon vier andere Varianten. Besorgnis, die in sorgfältige Analysen mündet, ist im Gegensatz zu Panik auch angebracht, wenn sich ein Virus derart auffällig verändert.

Ein Grund für solch eine starke Abweichung von den Vorgängern könnte eventuell ein Übersprung des Virus vom Menschen ins Tierreich und wieder zurück zum Menschen sein. Infektionen von Wild-und Haustieren sind nachgewiesen. Weiters stellen immunsupprimierte Personen eine mögliche Wiege für neue Varianten dar. So entstand 2020 die Alpha-Variante in Großbritannien. Den geschwächten Organismus solcher Personen, zu denen zum Beispiel HIV-Patienten zählen, können die Viren längerfristig infizieren-und finden dadurch ein ideales Umfeld und reichlich Gelegenheit für genetischen Wandel vor.

Doch all das ist momentan Spekulation, genau wie die Frage, ob Omikron schwerere Verläufe verursacht. Man weiß es nicht, aber zuletzt sah es nicht unbedingt danach aus: Es scheint inzwischen belegt, dass B.1.1.529 zumindest seit Oktober in verschiedenen Ländern zirkuliert, auch in Europa, ohne dass man davon Notiz genommen hätte. Einige Daten deuten allerdings darauf hin, dass die neue Variante leichter übertragbar ist. Dies verraten die Merkmale einiger Mutationen, die schon bei früheren Varianten auftraten-es sind somit keineswegs alle genetischen Veränderungen neu. Von den 32 Mutationen im Spike-Protein von Omikron wurden 26 bei dieser Variante erstmals festgestellt, die anderen kennt man bereits von anderen Subtypen.

Ungewöhnlich wäre eine höhere Übertragbarkeit bei gleichzeitig hoffentlich milden Verläufen keineswegs, im Gegenteil: Es ist das typische evolutionäre Bestreben eines Erregers, den eigenen Fortbestand zu sichern, indem er möglichst leicht möglichst viele Wirte infiziert, ohne sie dabei zu sehr zu schädigen. Das wäre schlicht der klassische Prozess von natürlicher Selektion und Adaption, wobei sich genetisch fittere Varianten durchsetzen. Omikron wird daher gewiss nicht die letzte neue Variante bleiben.

Diskutiert wird weiters, ob andere Mutationen dem Virus helfen könnten, der Immunantwort zu entgehen und den Impfschutz zu unterlaufen. Selbst wenn sich dies bestätigen sollte, heißt dies aber nicht, dass wir gleichsam nackt dastehen und plötzlich ungeschützt sind. "Auch wenn die Wirkung der Impfungen ein Stück reduziert sein sollte, bedeutet das noch lange nicht, dass sie keine Wirkung mehr haben",sagt die Wiener Virologin Christina Nicolodi. Die Frage sei dann, in welchem Ausmaß der Schutzeffekt sinke. Basierend darauf müsse man entscheiden, ob die bisherigen Impfstoffe ihren Zweck noch erfüllen (wie bei allen bisherigen Varianten) oder aber angepasst werden müssen.

Dass dies irgendwann nötig sein wird, gilt als ziemlich wahrscheinlich-sei es aufgrund weiterer Varianten mit noch mehr Mutationen, sei es aufgrund allmählicher Umgestaltung von SARS-CoV-2 zu einem Erreger saisonal wiederkehrender Atemwegsinfekte. Vermutlich wird das Coronavirus künftig solch ein regelmäßiger Begleiter, ähnlich der Influenza (siehe auch profil 47/2021).An der Grippe lässt sich auch ablesen, wie sich Impfstoffhersteller auf den genetischen Wandel einstellen: Jedes Jahr im Jänner gibt die WHO auf Basis vorheriger Sequenzierung das genetische Profil der aktuellen Viren bekannt. Bis September passen dann die Pharmaunternehmen die Impfstoffe an diese Stämme an. So könnte sich das Prozedere künftig auch mit Covid-Impfstoffen gestalten, obwohl Influenzaviren deutlich häufiger mutieren als Coronaviren.

Für Mikrobiologen und die pharmazeutische Industrie ist die Auseinandersetzung mit veränderten Varianten von Viren ohnehin Routine. "Im Labor befasst man sich generell mit solchen Varianten, völlig unabhängig vom Coronavirus",sagt Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller. Das US-Start-up Moderna, Hersteller eines der beiden mRNA-Vakzine gegen Covid, gab nach dem Auftauchen von Omikron bekannt, längst adaptierte Impfstoffe gegen frühere Varianten zu entwickeln-gleichsam zu Testzwecken, um zu prüfen, wie man die Produktion an veränderte Viren ausrichtet. Uğur Şahin, Geschäftsführer von BioN-Tech, das den in Europa wichtigsten mRNA-Impfstoff "Comirnaty" entwickelte, berichtete jüngst, binnen 100 Tagen aktualisierte Vakzine liefern zu können. Eine derartige Anpassung würde in mehreren Etappen erfolgen.

Erstens: Der Pseudoviren-Test

Zunächst muss man wissen, ob eine neue Variante tatsächlich der Neutralisierung durch bisherige Impfstoffe entkommt. Dazu kann man im Labor Pseudoviren benutzen. "Das sind Viren, die sich nicht vermehren und daher nicht pathogen sind",erklärt Virologin Nicolodi. In diese Mikroorganismen wird die Erbinformation für das Spike-Protein der neuen Variante eingebaut, etwa das entsprechende Mutationsmuster von Omikron. Dann kommen die Pseudoviren in Kontakt mit dem Blutserum geimpfter Personen-wodurch sich zeigt, ob die Antikörper darin auch gegen die neue Variante in Aktion treten. Falls nicht oder nicht ausreichend, bedarf es einer Anpassung.

Zweitens: Die neue Sequenz

Fast alle Covid-Impfungen beruhen auf dem Spike-Protein, mit dem das Virus an die humane Zelle andockt. Im Fall der mRNA-Vakzine regt ein künstlich hergestellter Abschnitt dieses Proteins unseren Körper an, selber Spike-Proteine zu produzieren und so immunologisches Rüstzeug gegen den Kontakt mit echten Viren zu erwerben. Basis für die Impfungen ist ein Teil des Spike-Proteins, wobei diese Abschnitte bei verschiedenen Herstellern nicht ident sind. Wenn Vakzine angepasst werden sollen, müssen Mutationen neuer Varianten wie Omikron in die synthetischen Protein-Schnipsel eingebaut werden. Dies ist Computerarbeit: Buchstabe für Buchstabe des genetischen Codes des gewählten Spike-Abschnitts wird aneinandergereiht, bis man eine aktualisierte Sequenz hat.

Drittens: Zellfreie Synthese

Die nächsten Schritte erfolgen im Labor. Allerdings wird nicht etwa in der Petrischale experimentiert, sondern gleich in großem Maßstab produziert-nach exakt jenen Abläufen, die bereits für frühere Generationen des Impfstoffs zugelassen wurden. Der adaptierte Bauplan des Spike-Proteins dient also gleich als Vorlage und "Rezept" für die Herstellung von marktfähigen Impfstoffmengen. Anders wäre es nicht möglich, relativ rasch angepasste Vakzine zur Verfügung zu stellen.

Zuerst wird vom Spike-Abschnitt eine DNA-Version erstellt und diese wiederum in mRNA umgeschrieben: in Boten-Ribonukleinsäure, die der Körperzelle nach der Impfung befiehlt, selber Spike-Proteine zu produzieren. Derart wird synthetisch eine neue Vorlage, ein "Template",des gewünschten mRNA-Abschnitts erstellt und mithilfe spezieller Enzyme vervielfältigt-mit einer Technologie, die inzwischen bekannt ist: Polymerase Chain Reaction (PCR).In weiteren Schritten sind Maßnahmen wie die Stabilisierung der mRNA notwendig. Außerdem muss das Material immer wieder gereinigt werden, wofür etwa Flüssigchromatografie zum Einsatz kommt.

Viertens: Die Verpackung

Nun muss die abgeänderte Spike-mRNA in Lipid-Nanopartikel eingebracht werden: in kleine Fettkügelchen, die die äußerst empfindliche mRNA davor schützen, sofort zu zerfallen. Der Transfer basiert auf elektrischer Ladung, wobei jeweils ein mRNA-Strang in ein Fettkügelchen gepackt wird. Anschließend folgen die Abfüllung des Impfstoffs sowie eine Reihe von Qualitätskontrollen.

Fünftens: Die klinische Studie

Zwar gehorchen alle Produktionsschritte exakt jenem Prozedere und jener Technologie, die im Rahmen der Zulassungsverfahren für den ursprünglichen Impfstoff genehmigt wurden-mit Ausnahme der abgeänderten Proteinstrangvorlage. Dennoch bedarf es auch zur bloßen Anpassung an neue Varianten klinischer Studien. Denn man muss prüfen, ob das abgeänderte Vakzin seine Funktion erfüllt und keine unerwünschten immunologischen Reaktionen auftreten. Allerdings muss man, wenn man sich an den genormten Fahrplan hält, nicht mehr Tausende Probanden über Monate beobachten, sondern kann sich in Absprache mit den nationalen Zulassungsbehörden respektive auf der europäischen Ebene mit der Dachorganisation EMA im Regelfall auf einige Hundert Teilnehmer beschränken.

Im Fall neuer Covid-Vakzine würde man zwei Probandengruppen definieren: In einer wären Personen eingeschlossen, die bisher weder geimpft noch infiziert waren. In der zweiten Gruppe hingegen würde der Effekt einer Booster-Impfung mit dem neuen Präparat untersucht, vorzugsweise bei Personen, die bereits an den einstigen Zulassungsstudien teilnahmen. Um schließlich eine Genehmigung erhalten zu können, dürfe die Wirkung des derart getesteten neuen Impfstoffs jener der alten Impfungen "zumindest nicht unterlegen sein", so Nicolodi.

Sechstens: Der Zeitplan

Dass all dies in Summe etwa 100 Tage dauert, ist durchaus realistisch. Am schnellsten geht die Erstellung der neuen mRNA-Vorlage vonstatten: Ist die Sequenz einer neuen Variante wie Omikron bekannt, ist das Design des passenden mRNA-Stranges eine Angelegenheit weniger Tage. Besonders zeitintensiv dagegen sind Prüfungen der Sterilität sowie die vielfältigen Qualitätskontrollen, die ein bis eineinhalb Monate in Anspruch nehmen. Wenn man nun noch auf die Resultate einer kleinen klinischen Studie wartet, ergibt sich ein Zeithorizont von etwa drei Monaten.

Bis dahin könne, wenn alles glattläuft, zwar keine Massenproduktion stattfinden, aber zumindest die Auslieferung einer Charge, erklärt Gallo-Daniel. Im Fall des BioNTech-Vakzins wären das ein bis drei Millionen Dosen. Sollte also tatsächlich in Zukunft eine Anpassung nötig sein, wäre relativ rasch adaptierter Impfstoff verfügbar-und bis dahin würden die bisherigen Präparate weiterhin ihren Zweck erfüllen. Schließlich verdrängt eine neue Virusvariante alle bisherigen nicht über Nacht.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft