Herrin der Corona-Zahlen: Die Johns Hopkins University

Die Johns Hopkins University: Herrin der Zahlen

Auf ihre Corona-Karte blickt die ganze Welt: Wie die Johns Hopkins University zur zentralen statistischen Instanz in der Krise wurde.

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"Die nächste schwere Pandemie wird nicht nur Krankheit und den Verlust vieler Leben verursachen, sie könnte auch eine wirtschaftliche Abwärtsspirale und gesellschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen, die das globale Leiden verschlimmern." Geradezu prophetisch klingt dieser Satz, der vom 18. Oktober des Vorjahres stammt. An jenem Tag hatte die Johns Hopkins University zu einer hochkarätig besetzten Simulationsübung in New York geladen. Die Annahme: Ein neuartiges Coronavirus springt in einer Farm in Brasilien von Fledermäusen auf Schweine, dann auf den Menschen über und verbreitet sich von den Millionenstädten Südamerikas aus über den gesamten Globus.

Es ist kein Zufall, dass die Eliteuni in Baltimore das Ausmaß der realen Pandemie frühzeitig erkannte und inzwischen zur international anerkannten Herrin der Zahlen avanciert ist. Eine Milliarde Menschen blickt täglich auf die schwarze Corona-Weltkarte, darunter Regierungschefs und Gesundheitsminister aus aller Welt. Mit ihrem zwölfköpfigen Team und hochkomplexer Software destilliert die Systemwissenschafterin Lauren Gardner aus den Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und lokaler Gesundheitsbehörden sowie aus Medienberichten die Zahl der Infizierten in Echtzeit - und benennt die Krisenherde von morgen: "Wir machen Risikoanalysen und warnen jene Staaten, auf die das Virus zurollt", sagte Gardner kürzlich im Fachblatt "Science". Mindestens ein Jahr lang werde sie das Virus noch verfolgen müssen. 260 ihrer Kollegen forschen zudem unter Hochdruck an dem neuen Erreger, für den die Hopkins University ein neues Labor eingerichtet hat.

Gegründet wurde die Spitzenuniversität samt Lehrkrankenhaus 1876 mit dem Erbe des Unternehmers Johns Hopkins (dessen ungewöhnlicher Vorname vom Mädchennamen der Urgroßmutter Margaret Johns stammt). Die Uni revolutionierte die höhere Bildung in den USA, indem sie Forschung und Lehre nach dem Vorbild deutscher Universitäten kombinierte. Heute zählt sie zu den 20 besten Hochschulen der Welt, brachte zahlreiche Nobelpreisträger und medizinische Errungenschaften wie den Defibrillator hervor.

Was die Hopkins-Forscher bei der pandemischen Trockenübung namens "Event 201" im Herbst erarbeitet hatten, verhallte indes ungehört. In ihrem Leitfaden plädierten sie mit Vertretern der Bill-und Melinda-Gates-Stiftung und des Weltwirtschaftsforums dafür, große Depots mit Schutzkleidung und Arzneien anzulegen sowie gut gefüllte Pandemie-Fonds einzurichten. Internationale Solidarität sollte an erster Stelle stehen - und nicht kleinkariertes Nationalstaatsdenken.

65 Millionen Tote nach 18 Monaten Pandemie waren in der Simulation für den Fall prognostiziert worden, dass die Abwehrmaßnahmen nicht greifen sollten. Von solchen Zahlen sind wir zum Glück weit entfernt - was der Mythenbildung im Internet aber keinen Abbruch tut: Bill Gates und die Forscher hätten frühzeitig von dem Covid-19-Ausbruch gewusst, ihn vorhergesagt oder gar herbeigeführt, behaupten Verschwörungstheoretiker . Die Uni dementierte entschieden: "Das fiktive Virus ist nicht mit dem aktuellen vergleichbar." Bill Gates nahm es gelassen: "Wir befinden uns in einer verrückten Situation, entsprechend verrückt sind auch die Gerüchte."

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.