Todesfolgen: Wie gefährlich ist das Coronavirus nun wirklich?

Todesfolgen

Eine populäre These ist nicht aus der Welt zu schaffen: So gefährlich sei das Coronavirus gar nicht, die Sterblichkeit liege höchstens im Bereich einer starken Grippewelle. Die Zahlen belegen freilich das Gegenteil.

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Ist Covid-19 in Wahrheit gar nicht so schlimm? Man könnte es meinen, wenn man dem hoch angesehenen US-Epidemiologen John Ioannidis zuhört. In einem TV-Interview sagte er: "Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass Covid-19 eine ähnliche Sterblichkeitsrate aufweist wie die saisonale Grippe." Ioannidis errechnete im wenig betroffenen Santa Clara County in Kalifornien anhand von Antikörpertests, wie viele Menschen sich mit dem Virus infiziert hatten. Es seien weitaus mehr gewesen als angenommen, weshalb man die Sterblichkeitsraten nach unten revidieren müsse, so Ioannidis.

Vielerorts hohe Übersterblichkeit

Nur: Wie erklärt sich der Forscher die enormen Todesraten in New York, in der Lombardei, in Madrid und Paris? Die Antwort darauf blieb Ioannidis schuldig, während Fachkollegen seine Studie heftig zerpflückten. Die Realität zeigt: In vielen Ländern, die zu zögerlich oder zu spät auf die Pandemie reagierten, schoss die sogenannte Übersterblichkeit in die Höhe. Sie gibt an, ob sich Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum gegenüber dem mehrjährigen Trend häufen. Auch wenn hier nicht nur Corona-Tote, sondern alle Verstorbenen gezählt werden, sehen Experten die Pandemie als Hauptverursacherin.

In Österreich sterben pro Woche durchschnittlich 1500 Menschen, im Winter mehr, im Sommer weniger. In der Osterwoche wurden heuer mit 1762 um gut 14 Prozent mehr Todesfälle registriert als im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre. Ähnlich verliefen auch die anderen Wochen des April - eine vergleichsweise moderate Übersterblichkeit, verglichen mit den Hotspots der Pandemie: In New York zählte man im April täglich sechs Mal mehr Tote als üblich, in Paris mehr als doppelt so viel. Dramatische Zahlen lieferten auch Spanien, Belgien und Großbritannien. Schweden, dessen Shutdown light immer wieder gelobt wurde, verzeichnet ebenso eine hohe Übersterblichkeit.

Wären die Erkrankten ohnehin bald an anderen Leiden gestorben, wie immer wieder behauptet wird? Wohl kaum, wie nicht nur die überproportional steigenden Todeszahlen zeigen. Erste Autopsien von Corona-Toten in der Schweiz lassen erkennen, welche Verwüstungen das Virus im Körper hinterlassen hat. Die Pathologen berichten von "diffusen Gefäßentzündungen" in Lunge, Herz, Leber, Darm oder Nieren. Dazu kamen "sehr schwere, blutgestaute Lungen mit ausgeprägten Ödemen", wie Alexander Tzankov vom Universitätsspital Basel in "Spektrum der Wissenschaft" sagte. Alle 21 von ihm obduzierten Toten hatten Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Gefäßschäden, Diabetes, Leber-oder Nierenschäden oder die Lungenkrankheit COPD; knapp die Hälfte waren Raucher. Dennoch sagt Pathologe Tzankov: "Ohne Covid hätten die meisten der Patienten, die ich untersucht habe, noch Wochen, Monate oder sogar Jahre gelebt."

Und was ist mit dem Grippe-Vergleich? In Österreich übersteigt der Covid-Ausbruch zahlenmäßig nicht die schwereren Grippewellen der vergangenen Jahre, dank der strengen Maßnahmen. In anderen Ländern ist dies sehr wohl und in verheerendem Ausmaß der Fall. Außerdem kann wohl niemand wollen, dass sich künftig zu den Grippe-Toten die Corona-Toten gesellen.

Dagegen kann im Herbst jeder Einzelne etwas tun: sich gegen die Grippe impfen lassen (was bisher unverständlicherweise nur zehn Prozent der Österreicher machten). Denn an Grippe und Covid-19 zu erkranken, verheißt selbst für junge Menschen keine guten Aussichten.

Anmerkung aus der Redaktion: Die Informationen zum Coronavirus ändern sich rasch. Daher können einige der Inhalte in diesem Artikel veraltet sein. Die aktuellsten Infos finden Sie hier.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.