Adenoviren. Sie lösen normalerweise harmlose Erkältungen aus, können aber in seltenen Fällen auch eine Hepatitis verursachen.

Was ist die Ursache der schweren Hepatitis-Erkrankungen unter Kindern?

Noch laufen die Analysen, doch wahrscheinlich sind massive Immunreaktionen infolge einer Infektion. Unter Verdacht steht auch das Coronavirus.

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Die Geschichte hat alle Zutaten eines Medizin-Krimis: Es gibt eine mysteriöse Krankheit, es gibt Verdächtige, Hinweise und Hypothesen, was sich zugetragen haben könnte. Über Fälle einer "akuten Hepatitis unbekannten Ursprungs", so die Formulierung der Gesundheitsbehörden, wurde vorige Woche erstmals breit berichtet. Tatsächlich jedoch begann die Serie von Hepatitis-Erkrankungen, die bisher ausschließlich Kinder unter 16 Jahren betrifft, deutlich früher: Erste Fälle wurden bereits vor 14 Monaten registriert, seit Jahresbeginn begannen sich die Berichte zu häufen-vor allem in Großbritannien.

Anfang April meldeten die Briten der Weltgesundheitsorganisation WHO zehn Patientengeschichten, die im ersten Quartal dieses Jahres in Schottland erfasst worden waren. Erwartbar wären dort sonst sieben bis acht Fälle im gesamten Jahr. Bis Ende voriger Woche stieg die Zahl in Großbritannien auf 111, weltweit wurden bis Freitag der Vorwoche 191 Fälle gemeldet, darunter aus den USA, aus Israel und Japan. Eine Häufung fand sich bei Drei-bis Fünfjährigen. Für den EU-Raum wies die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC bis vergangenen Freitag 55 Fälle aus, 17 davon in Italien und weitere zwölf in Spanien. Auch am Wiener St. Anna Kinderspital waren zwei Kinder in Behandlung: eines vorige Woche, das zweite bereits um den Jahreswechsel. Bei beiden schlugen die Therapien zum Glück an.

International sind die Verläufe leider nicht immer so günstig: Ein Kind starb, 17 benötigten eine Lebertransplantation. Es sind vor allem diese gravierenden Fälle, die Fachleute beunruhigen. Denn dass Hepatitis bei Kindern auftritt, ist zunächst noch nichts Ungewöhnliches. Es ist nicht einmal überraschend, dass die Ursache der Erkrankung im Dunkel liegt, meinte vorige Woche eine Kinderärztin aus Israel, wo zu dem Zeitpunkt zwölf Hepatitis-Fälle aktenkundig waren.

Auffällig ist jedoch die Schwere mancher Verläufe. Dieser Umstand schließt auch die Vermutung ziemlich aus, die momentane Fallhäufung sei auf eine allgemein höhere Aufmerksamkeit der Medizinwelt zurückzuführen, etwa als Folge der Pandemie. "Derart gravierende Erkrankungen und nötige Transplantationen wären ganz sicher auch früher nicht unbemerkt geblieben", meint der Wiener Virologe Norbert Nowotny.

Und so setzte sich eine Maschinerie in Gang, die stets aktiv wird, wenn Ausbrüche einer Krankheit unklarer Ursache stattfinden: Die WHO und die ECDC mobilisierten ihre Teams, Fachleute aus Gebieten wie Hepatologie, Virologie, Labor- und Kindermedizin machten sich an die Arbeit. Sie studierten die einzelnen Fallberichte, suchten nach Gemeinsamkeiten, verglichen die Symptomatik. Zunächst stellte sich rasch heraus, dass kein räumlicher Zusammenhang zu bestehen scheint - dass also nicht etwa Reisetätigkeiten zu einer Infektionskette führten. Außerdem stach die Ähnlichkeit der Symptome ins Auge: Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall.

Außerdem war bald klar, welche Faktoren sich ausschließen ließen: zum Beispiel eine Infektion mit einem der klassischen Hepatitisviren. Sämtliche Analysen ergaben, dass keine Infektion mit einem der fünf bekannten Hepatitisviren vorlag. "Viele Menschen denken bei Hepatitis automatisch an eine solche Infektion", sagt Thomas Müller, Direktor des Innsbrucker Departments für Kinder- und Jugendheilkunde. "Doch das muss keineswegs stimmen." Tatsächlich bezeichnet der Begriff "Hepatitis" lediglich den Umstand, dass eine Entzündung der Leber vorliegt. Über die Ursache trifft diese Diagnose keine Aussage. Die Medizin kennt heute viele verschiedene Auslöser.

Kein Zusammenhang mit Covid-Impfung

Ein weiterer Verdacht war ebenfalls rasch vom Tisch: ein Zusammenhang mit einer Covid-Impfung. Die überwiegende Zahl der erkrankten Kinder war nicht geimpft, unter den britischen kein einziges. Und auch sonst konnte keiner der bisher bekannten Auslöser einer Hepatitis identifiziert werden. Was aber kam dann als Ursache infrage?

Vorige Woche kristallisierte sich zunehmend eine vorläufige Hypothese heraus: Ursächlich könnte doch eine Infektion sein - aber eben nicht eine mit einem typischen Hepatitisvirus. Einige Fachleute vermuteten eine Infektion mit Adenoviren. Dabei handelt es sich um eine große Gruppe von Erregern, die im Regelfall eher harmlose Erkältungen hervorrufen. Manche bewirken aber auch Magen-Darm-Probleme oder Entzündungen der Augen. Bekannt ist zudem, dass Adenoviren prinzipiell in der Lage sind, eine Hepatitis auszulösen-bei Menschen sehr selten, bei Tieren wie Hunden und Vögeln dagegen häufiger.

Adenoviren sind sehr verbreitet und zirkulieren fast ständig, ohne bisher Anlass zu besonderer Sorge gegeben zu haben. Warum sollten sie plötzlich zu gravierenden Leberschäden bei Kindern und einem Anstieg der Fallzahlen führen? Eine Erklärung lautete, dass besonders das Immunsystem von Kleinkindern mit diesen Erregern überfordert gewesen sein könnte: Denn aufgrund der Isolation in den Phasen der Pandemie sei die sonst häufige Konfrontation mit Adenoviren stark eingeschränkt gewesen - und der nunmehrige Viruskontakt gleichsam eine neue Erfahrung. Virologe Nowotny hält diese These jedoch für nicht unbedingt plausibel: Es sei eher unwahrscheinlich, dass unser Immunsystem plötzlich gängige Erkältungserreger nicht verkrafte, die eigentlich ständige Begleiter sind.

Eine alternative Annahme lautet: Es könnte ein verändertes Adenovirus im Umlauf sein. Besonders wahrscheinlich ist diese These allerdings auch nicht. Denn man hat bereits einen Virustyp identifiziert, der bei vielen erkrankten Kindern nachgewiesen wurde: Er trägt die Bezeichnung 41F und ist ein bekannter Auslöser von Magen-Darm-Beschwerden, was immerhin zu den häufig berichteten Symptomen passen würde. In einer britischen Stichprobe von elf erkrankten Kindern wurde 41F in allen Fällen identifiziert. Insgesamt ergaben die Tests bei gut 75 Prozent der englischen und bei der Hälfte der schottischen Kinder positive Resultate für Adenoviren. Bei den beiden Wiener Patienten hingegen ließen sich keine Adenoviren nachweisen. Die Hinweise sind also im Moment noch uneinheitlich und widersprüchlich.

Es gibt aber noch ein anderes Erklärungsmodell, das der Innsbrucker Kindermediziner Thomas Müller eher präferiert: Demnach könnten die teils gravierenden Verläufe auf eine autoimmune Reaktion zurückzuführen sein - auf eine massive, überschießende Reaktion des Immunsystems. "Das ist im Grunde nichts Neues, dabei handelt es sich letztlich um eine schwere Entzündung", sagt Müller. Es ist bekannt, dass solche Komplikationen als Folge verschiedener Infektionen auftreten können: dann, wenn die Infektion zwar im Grunde überstanden ist, Reste der Viren aber in Körpergewebe einwandern und dort überdauern.

Überreste des Coronavirus schuld?

Nun könnte man detektivisch vorgehen und erstens konstatieren: Wir beobachten einen merklichen Anstieg von Fällen kindlicher Hepatitis seit dem vergangenen Jahr und zugleich auffallend schwere Verläufe - schließlich benötigten beinahe zehn Prozent der Erkrankten eine Lebertransplantation. Man könnte zweitens fragen: Welcher Faktor ist in jüngerer Vergangenheit hinzugekommen, der früher nicht auftrat? Die Antwort ist relativ naheliegend: das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Aus rein medizinischer Sicht ist ein Wirkzusammenhang möglich: Schon früh in der Pandemie deuteten Daten darauf hin, dass Covid-19 kein reines Atemwegsleiden ist, sondern eine systemische Erkrankung, die verschiedenstes Gewebe betreffen kann. Coronaviren wurden in mehreren Organen nachgewiesen, darunter auch in der Leber. Erwiesen ist weiters, dass Covid eine massive Entzündungsreaktion nach sich ziehen kann, den sogenannten Zytokinsturm. In vielen Fällen war diese Problematik für die schweren Verläufe und Hospitalisierungen verantwortlich.

Im konkreten Fall ergäbe sich folgendes Muster: Nach eigentlich überstandener Corona-Infektion verbergen sich Viren in der Leber von Kindern und lösen dort zeitversetzt eine überschießende Reaktion aus, für die T-Zellen des Immunsystems ausschlaggebend sind. Dazu passt, so Müller, dass beispielsweise in Israel die zwölf erkrankten Kinder ganz klassisch mit Cortison therapiert wurden - somit schlicht die Entzündung bekämpft wurde. In zehn Fällen hatte die Behandlung rasch Erfolg.

Nun die Preisfrage: Wie viele der erkrankten Kinder waren mit SARS-CoV-2 infiziert? Es waren 16 Prozent, was die These nicht sonderlich gut zu stützen scheint. Allerdings: Nur von 61 Kindern liegen laut ECDC überhaupt Informationen über eine vorangegangene Infektion vor. Was die Wiener Fälle betrifft, heißt es aus dem St. Anna Kinderspital, man habe keine Befunde dazu. Außerdem könnten die kleinen Patientinnen und Patienten zum Zeitpunkt der Hepatitis-Erkrankung längst nicht mehr coronapositiv gewesen sein, die Infektionen also eine Weile zurückgelegen sein (was ebenso auf Ansteckungen mit Adenoviren zutrifft).

Thomas Müller will sich freilich auch gar nicht auf das Coronavirus kaprizieren. Ebenso gut sei denkbar, dass sowohl Adeno- als auch Coronaviren eine Rolle spielen oder-womöglich besonders plausibel - eine Kombination aus beiden die überzeugendste Erklärung liefert: eine Koinfektion mit beiden Erregern, von denen einer noch relativ neu ist, sodass dies die Fallhäufung wie auch die Schwere der Symptome begründen könnte. In jedem Fall hält Müller eine überschießende Immunreaktion infolge einer viralen Infektion für ziemlich wahrscheinlich.

Beweise für eine der debattierten Hypothesen könnten demnächst Laboranalysen erbringen: zum Beispiel Sequenzierungen von Adeno-oder anderen Viren sowie Leberbiopsien: winzige Proben von Lebergewebe, in denen eventuell Coronaviren nachgewiesen werden könnten.

Was auch immer letztlich den Ausbruch am besten erklärt-bereits jetzt sieht Müller genügend Indizien vorliegen, die eine oft geäußerte Annahme hinfällig machen: dass eine Infektion mit dem Coronavirus, selbst wenn sie symptomfrei verläuft, für Kinder völlig harmlos sei.

Was ist eine Hepatitis?

Für eine Entzündung der Leber kann es zahlreiche Ursachen geben. Virale Infektionen sind nur ein möglicher Auslöser.

Eine Hepatitis ist eine Entzündung der Leber, für die es verschiedene Ursachen geben kann. Ein häufiger Auslöser ist eines der fünf bekannten Hepatitis-Viren (A, B, C, D oder E), wobei es sowohl akute als auch chronische Verläufe mit mehr als sechs Monaten Dauer gibt. Die Übertragung erfolgt je nach Typ durch verunreinigtes Wasser oder Essen, Kontaktinfektion, Blut, Sperma oder Speichel. Hepatitis A ist oft ein unerwünschtes Reisesouvenir, eine Infektion mit Hepatitis B erfolgt beispielsweise durch ungeschützte Sexualkontakte. Rund eine Viertelmilliarde Menschen weltweit trägt laut WHO Hepatitis B in sich. Die Ansteckung kann sehr leicht und nahezu unbemerkt verlaufen, es sind aber auch schwere Leberschäden möglich-bis hin zu Leberzirrhosen und Leberkrebs.

In seltenen Fällen können Hepatitiden jedoch auch durch Bakterien, Pilze und Parasiten ausgelöst werden. Eine weitere Ursache sind toxische Substanzen wie Alkohol und bestimmte Medikamente. Ebenfalls selten ist die Autoimmunhepatitis , die durch eine Fehlfunktion des Immunsystems entsteht.

Zusätzlich zu den Hepatitis-Viren sind noch weitere Viren bekannt, die-als Folge einer Infektion-zu Hepatitis führen können. Dazu zählen beispielsweise das Epstein-Barr-Virus (Auslöser des Pfeiffer'schen Drüsenfiebers),andere Herpesviren und das Mumps-Virus. Auch Adenoviren, die im Regelfall einfache Erkältungen oder Magen-Darm-Infekte hervorrufen, können Hepatitis verursachen, wenn auch beim Menschen eher selten. Diese Virengruppe geriet nun in Verdacht, am aktuellen Ausbruch schuld zu sein.