Dossier: Klima

Was wurde eigentlich aus den Forderungen des Klimarats?

Ministerin Leonore Gewessler antwortete mit einem 130-Seiten-Dokument. profil hat es analysiert.

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Eine Delegation von fünf Klimarätinnen und Klimaräten fand sich Anfang Dezember 2022 im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) in der Wiener Radetzkystraße 2 ein, um Antworten zu erhalten. Antworten auf jene 93 Vorschläge, welche der Klimarat in einem mehrmonatigen Prozess erarbeitet und der Regierung Anfang Juli überreicht hatte. 84 Bürger-repräsentativ für die heimische Bevölkerung-hatten Ideen entwickelt, wie Österreich die Klimaneutralität bis 2040 schaffen könnte.

„132 Seiten Hirnschmalz aus dem BMK", sagte Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Montag und überreichte das Werk. Das war freilich ein bisschen hochgestapelt, denn in die Stellungnahme flossen auch Denkleistungen aus anderen zuständigen Ministerien. Tatsächlich gingen die Beamten auf jede einzelne Forderung ein. Mal sehr detailreich und konstruktiv, an anderen Stellen ausweichend oder ablehnend.

Es fehlt die Verbindlichkeit

„Teilweise sind die Antworten so vage, dass man nicht weiß: Wird etwas passieren, und wenn ja, wann?", sagt Ines Omann im aktuellen Tauwetter-Podcast. Die Nachhaltigkeitsforscherin und Moderatorin war im Klimarat für die Prozessbegleitung verantwortlich. Sie lobt die präzise Erhebung des Status quo, ist aber enttäuscht von der mangelnden Verbindlichkeit des Papiers.

profil hat das Dokument einer Auswertung unterzogen. So viel vorweg: Umgesetzt ist noch kaum etwas, vieles wird versprochen - und für das seit Jahren überfällige Klimaschutzgesetz heißt es weiterhin lapidar: „derzeit noch in politischer Verhandlung“.

28% der Forderungen sind teilweise umgesetzt

„Tatsächlich gibt es in vielen Projekten Ansätze, die unseren Vorschlägen entsprechen", sagt Werner Fischer, einer der 84 Klimaräte. So wird etwa die verpflichtende Verwendung von klimafreundlichen Lebensmitteln in Restaurants und Großküchen gefordert. In den Großküchen des Bundes sei eine teilweise Umsetzung mit dem „Aktionsplan nachhaltige Beschaffung“ und dem Projekt „Österreich isst regional“ bereits erfolgt. Privaten Restaurants möchte man hingegen keine Vorschriften machen, welche Lebensmittel sie zu verwenden hätten. In diesem Bereich setze man auf Bewusstseinsbildung und Aufklärung.

Einen Schritt näher an der Erfüllung ist auch die Forderung nach der Reduzierung der Schul-und Kindergartenwege mit dem Privat-Pkw. Seit Anfang Oktober ist eine Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft, wonach in Schulstraßen Kfz-Verkehr verboten ist. Damit soll der Andrang der Elterntaxis reduziert, zum Radeln und Zufußgehen motiviert und die Sicherheit für die Kinder erhöht werden.

2 Forderungen sind tatsächlich umgesetzt

So forderten die Klimaräte beispielsweise grüne Staatsanleihen, deren Erlöse zweckgebunden klimafreundlichen Projekten zugutekommen sollen. Mit dem „Austrian Green Bond“ hat die Republik im vergangenen Mai eine Bundesanleihe begeben, die genau das leisten soll. Weitere Emissionen sind geplant. Und mit dem Nachhaltigkeitsindex Vönix der Wiener Börse gibt es auch bereits den geforderten grünen Aktienindex. Was freilich nicht heißt, dass dessen Kriterien nicht noch verschärft werden können.

Mit der seit 2004 bestehenden Initiative des Umweltministeriums "klimaaktiv" mag die Forderung nach einer "Koordinationsstelle für klimawirksame Synergien zwischen Unternehmen" vielleicht nicht nach Punkt und Komma erfüllt sein, kommt dem aber sehr nahe.

Für 14% der Klimarats-Empfehlungen fühlt sich der Bund nicht zuständig

Er verweist auf die Länder oder Gemeinden. Das betrifft durchaus entscheidende Bereiche wie etwa die Bodenversiegelung. Kaum ein Land Europas ist dermaßen zubetoniert wie Österreich, was Hitzeinseln und Überschwemmungen fördert. Die Empfehlung des Klimarats: gewidmete Grundstücke mit einer Bebauungsfrist von drei Jahren zu belegen, nach deren Ablauf eine automatische Rückwidmung in Grünland erfolgt. Die Antwort des Ministeriums: „Fällt nicht in die Zuständigkeit des Bundes.“

Ähnlich reagiert man bei dem Vorschlag, Neubauten verpflichtend mit Photovoltaik-Anlagen auszustatten. „Dennoch wäre es wünschenswert, wenn hier der Bund die Bereitschaft zeigen würde, den Dialog mit den anderen Gebietskörperschaften zu suchen, um mit ihnen diese Empfehlungen zu diskutieren“ ,sagt Birgit Hollaus von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU),die den Klimarat juristisch begleitet hat.

In mindestens 2 Fällen dürften sich die Klimaräte gefrotzelt fühlen

Erst auf deren Basis könne man die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, ließ das Klimaschutzministerium wissen. Konkret geht es um die Forderung, klimaschädliche Subventionen und solche für fossile Energien abzuschaffen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo wurde beauftragt, eine solche Studie zu erstellen. Auf dieser Grundlage könne dann „ein Prozess zur schrittweisen Abschaffung aufgesetzt werden“. Man hätte es aber auch längst einfach angehen können. Schon 2016 hat das Wifo diesbezüglich Daten erhoben und kam damals zu dem Ergebnis, dass die klimaschädlichen Subventionen jährlich zwischen 3,8 und 4,7 Milliarden Euro betragen. Und dass beispielsweise Dieselprivileg und Pendlerpauschale zu den großen Brocken gehören, ist lange bekannt. Kein Wunder, wenn sich die Klimarätinnen und Klimaräte hier gefrotzelt fühlen.

16% der Forderungen stoßen auf Ablehnung

Ein Beispiel ist die CO2-Bepreisung. Seit vergangenem Oktober werden erstmals 30 Euro pro Tonne CO2 fällig, 2025 werden es 55 Euro sein. Der Klimarat empfiehlt hingegen eine raschere Erhöhung auf 120 Euro je Tonne bis 2025,240 Euro bis 2030. Die Antwort des Finanzministeriums: Das geltende nationale Emissionshandelsgesetz sehe nicht mehr vor, und es sei „keine weitere Anhebung des CO2-Preises geplant“. Das ist in zweierlei Hinsicht unbefriedigend: Der Klimarat war ja angetreten, um Veränderungen anzustoßen. Bestehende Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Und umweltschädliches Verhalten muss schnell deutlich teurer werden, um einen Lenkungseffekt zu erzielen.

In 10 Fällen könne man nichts tun, weil es das EU-Recht nicht zulasse, so die Argumentation der Ministerin. Ein Beispiel: Der Klimarat hat gefordert, für Lkw-Gütertransporte maximal zulässige Distanzen festzulegen. Ab einer gewissen Anzahl an Kilometern sollen die Güter also auf die Schiene verlegt werden. Tatsächlich schränkt das Unionsrecht den Handlungsspielraum bis zu einem gewissen Grad ein. Jedoch: „Regelungen zum Umweltschutz, wozu auch der Klimaschutz zählt, haben eine gewisse Sonderstellung“, sagt WU-Expertin Hollaus. „Den LKW-Gütertransport beschränkende Maßnahmen sollten deshalb nicht von Vornherein pauschal ausgeschlossen werden.“

In 4 Fällen hat man sich wortreich um eine Antwort gedrückt

Wie etwa bei der Forderung nach strengeren Tempolimits. „Die Reduktion der Geschwindigkeit ist eine gut evaluierte, schnell umsetzbare Maßnahme, bei der einer gewissen Verlängerung von Reisezeiten neben der Reduktion von Treibstoffverbrauch und CO2-Ausstoß zahlreiche weitere positive Effekte gegenüberstehen, insbesondere eine Erhöhung der Verkehrssicherheit, Reduktion von Lärmemissionen und in der Regel auch von Luftschadstoffen mit entsprechender Reduktion von menschlichem Leid und volkswirtschaftlichen Kosten“, heißt es in der Antwort. Verkehrsministerin Gewessler scheint aber nicht gewillt, der eigenen Argumentation zu folgen. Keine Silbe dazu, dass die Einführung von strengeren Tempolimits geplant wäre.

19% der Vorschläge sind in Arbeit

Prominentestes Beispiel ist das Vernichtungsverbot von Neuwaren, das Klimaministerin Leonore Gewessler vor Kurzem ankündigte. Greenpeace zufolge wurden in Österreich im Vorjahr 4,6 Millionen Kilogramm ungenutzter Textilien vernichtet-mindestens 1,31 Millionen Retourenpakete mit Kleidung und 120.000 mit Elektroartikeln landeten demnach im Müll. Damit soll Schluss sein. Die Frage ist nur: Wann? Die Abstimmung mit dem Koalitionspartner ÖVP läuft noch, einen Plan, wie sie die Online-Riesen verpflichten will, blieb Gewessler bislang schuldig. „Es sind alles dicke Bretter, die wir hier bohren“ ,sagte sie, verwies aber darauf, dass es in Spanien, Frankreich und Deutschland bereits Vernichtungsverbote gebe.

Das vom Klimarat vorgeschlagene Zentrum für Kreislaufwirtschaft soll Ressourcenkreisläufe zwischen Unternehmen und Branchen fördern sowie Aus-und Weiterbildungsmöglichkeiten schaffen. Das Ministerium gibt hierfür grünes Licht, bleibt aber einen Eröffnungstermin schuldig: "Das BMK wird diese Empfehlung dem Grundsatz nach umsetzen und ein Circularity Lab Austria gründen. Es wird in das bereits bestehende Climate Lab integriert werden",heißt es in der Stellungnahme.

Ebenfalls in Arbeit sind mehr Ladestationen für E-Autos, der Ausbau von Car-Sharing, Rad-und Fußwegen, die Energiegewinnung aus Bioabfällen, Kampagnen für unbequeme Maßnahmen oder die Förderung von Umweltberufen. Teils sind hier die Antworten sehr konkret und mit einem Zeithorizont versehen, andere wiederum sehr vage.

Bilder:
"Oft weiß man nicht: Wird etwas passieren, und wenn ja, wann?" Ines Omann, Moderatorin und Nachhaltigkeitsforscherin

"132 Seiten Hirnschmalz" Leonore Gewessler, Klimaministeri

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.