Dschihad am Riesenrad

Dschihad am Riesenrad: Die ISIS und ihre Sympathisanten in Österreich

ISIS. Gotteskrieger und Social Media

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An einem warmen Sommertag Ende Juni stehen zwei junge Männer auf dem Leopoldsberg, wo Wien in grüne Felder und Weingärten ausfranst. Hinter ihnen taucht die Sonne das Häusermeer in strahlend helles Licht, die Donau glitzert blau.

"Support from Austria“
Die beiden haben zwei Blatt Papier mitgebracht. Auf einem davon befindet sich eine Zeichnung, die aus einem Comic stammen könnte. Sie zeigt einen Mann mit Turban, der auf einer Klippe steht. In der linken Hand trägt er ein Sturmgewehr, mit der rechten zeigt er gen Himmel, von dem Kampfjets, Drohnen und Raketen herabdonnern. Kriegsschiffe steuern auf ihn zu, das größte trägt die US-Fahne, die kleineren russische und iranische Flaggen. "Ich bleibe!“, schreit ihnen der Mann laut Sprechblase entgegen. Auf der Hinterseite seiner Jacke steht auf Arabisch das islamische Glaubensbekenntnis geschrieben: "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“ Darunter prangt das Siegel des Propheten Mohammed. Beides zusammen ergibt das Logo der Terrororganisation ISIS. Auf den zweiten Zettel haben die Männer mit rotem Filzstift drei Worte geschrieben: "Support from Austria“ - Unterstützung aus Österreich.

Jetzt halten sie beide Blätter vor der Kulisse der Stadt in die Höhe, fertigen ein Handy-Foto davon an und versenden es.

Österreichische Unterstützer des Kalifats
Am Freitag, 27. Juni, erscheint es auf dem Twitter-Account eines ISIS-Propagandisten namens Abu Umar. Als Ort der Aufnahme ist zwar fälschlich der benachbarte Kahlenberg angegeben, an der Botschaft gibt es aber keinen Zweifel: Die radikal-islamischen Terroristen, die vergangene Woche nach blutigen Kämpfen in Syrien und dem Irak ein Kalifat von der Größe Jordaniens ausgerufen haben, verfügen auch in Österreich über Gefolgsleute. Ähnliche Fotos, die im Netz kursieren, zeigen Unterstützungsplakate vor dem Riesenrad, der Donauplatte und einem Einsatzfahrzeug der Wiener Polizei.

Die Bilder sind Teil einer groß angelegten Kampagne unter dem Motto "Eine Milliarde Muslime zur Unterstützung des islamischen Staates“, die ISIS seit Juni im Internet fährt. Sympathisanten sind aufgerufen, den Slogan individuell zu gestalten und vor Sehenswürdigkeiten oder landestypischen Szenerien zu fotografieren: einerseits, um neue Anhänger im Westen zu gewinnen; andererseits, um den Anspruch ihres Kommandanten Abu Bakr al-Baghdadi auf die Führung des Kalifats durch weltweite Sympathiebezeugungen zu legitimieren.

Hochmoderne Kommunikationsmittel
Die Gruppe, die sich inzwischen von ISIS (Islamischer Staat im Irak und Groß-Syrien) schlicht in IS (Islamischer Staat) umbenannt hat, mag für eine fundamentalistisch religiöse Gesellschaftsordnung kämpfen, die nach 1400 Jahren alten Gesetzen funktioniert - ihre Mittel aber sind hochmodern.

Propaganda über Soziale Medien
Auf YouTube laden die Propagandisten und Kämpfer des IS Werbe-, Bekenner- und Gewaltvideos hoch, auf Instagram Bilder, auf Soundcloud gesungene Koranverse und auf JustPaste.it die Hasstiraden ihres Anführers. Auf Facebook verbreiten sie gezielt persönliche Drohungen gegen ihre Feinde. Auf Twitter schließlich versorgen sie ihre Follower mit Updates von der Front und publizieren Tipps zur Umgehung von Internetsperren. Für den Kurznachrichtendienst haben sie auch eine eigenen App namens "Dämmerung“ entwickelt, um ihre Tweets breit zu streuen; sie hacken dort die populären Hashtags der Fußball-WM und der englischen Premier League.

Dabei kommt ihnen zugute, dass viele IS-Leute nicht nur mehrere Sprachen sprechen, sondern auch den jugendlichen, lässig-verknappten Tonfall treffen, der den sozialen Netzwerken eigen ist: Sie twittern meist auf Englisch und nennen sich gegenseitig "Bro“. Sie haben das deutsche Jugendwort des Jahres 2012 - "YOLO - You only live once“ (Akronym für "Du lebst nur einmal“) umgewandelt in "YODO - You only die once. Why not make it Martyrdom“ ("Du stirbst nur einmal. Warum nicht als Märtyrer“).

Kätzchen und Kalaschnikows
Damit gelingt es ihnen, den Krieg als gottgefälligen Abenteuerspielplatz und seine Teilnehmer als Horde cooler Jungs zu präsentieren. Wer ihre Accounts durchforstet, stößt auf brutalste Grausamkeiten ebenso wie auf harmlose Beobachtungen des Alltags: kameradschaftliches Teetrinken (Earl Grey), kleine Freuden ("Hätte nie gedacht, dass es hier Snickers gibt: =D“), Babykatzen, die um ihre Kalaschnikows und Handgranaten tollen (#CatsOfJihad) - und daneben Fotos von blutigen Händen ("mein erstes Mal“) und den abgetrennten Köpfen von Soldaten.

"Unter den bis zu 2000 militanten islamistischen Gruppierungen ist ISIS sicher die professionellste, was Propaganda betrifft“, heißt es aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gegenüber profil.

Als "äußerst professionell orchestriert“ bezeichnet auch Petra Bernhardt vom Institut für Politikwissenschaften in Wien die Online-Aktivitäten des IS: "Gerade die mangelhafte fotografische Qualität der Bilder lässt das Material besonders authentisch erscheinen und soll den Betrachtern eine, Echtheit‘ der Fotos nahelegen.“ Die Folge: Keine andere militante Organisation hat so viel Zulauf von Salafisten (Muslimen, die eine ultra-konservative Ausrichtung des Islam praktizieren) aus Europa, Asien und Nordafrika. Nach Schätzungen der Sicherheitsbehörden stammen inzwischen etwa 20 Prozent der ausländischen IS-Kämpfer in Syrien aus der EU.

Luxus für die Gotteskämpfer
Die Popularität von IS liegt aber auch darin begründet, dass er im Ruf steht, seine Kämpfer am besten zu behandeln. So stellt die Gruppe laut Shiraz Maher, der am Londoner King’s College die Aktivitäten der Dschihadisten im Internet erforscht, Wohnungen zur Verfügung, außerdem genügend Essen sowie 40 Dollar Taschengeld im Monat, so Maher gegenüber dem "SZ-Magazin“. Während man bei den meisten anderen Gruppen gar kein Geld erhält, prahlen ihre Söldner mit Fotos, auf denen sie in verlassenen Villen mit großen Pools übernachten - verbreitet via Internet.

Morddrohungen über Facebook
Doch die Ultra-Islamisten beherrschen nicht nur die Kunst der Selbstinszenierung perfekt. Die Terrororganisation nützt die sozialen Netzwerke inzwischen auch aus taktischem Kalkül. Bevor sie Ende Juni die irakische Stadt Mossul angriffen, verschickte der IS über Facebook Morddrohungen und Fotos von grausam getöteten Gegnern an Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte.

Auch diese Kampagne wirkte: In Mossul desertierten Soldaten massenhaft. Als die Regierung damit begann, die sozialen Netzwerke zu blockieren, war es längst zu spät: Zwei Armeedimensionen hatten sich aufgelöst, ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben. Die Stadt fiel den Kämpfer des IS mehr oder minder ohne Gegenwehr in die Hände.

Im Rausch des Erfolgs stellte die Terrororganisation eine Landkarte ins Netz, auf der sich der Islamische Staat vom Nahen Osten über die Türkei und den Balkan bis nach Westeuropa ausdehnt: Österreich inbegriffen.

Mit derartigen Allmachtsfantasien im Kopf dürften auch die beiden jungen Männer am Wiener Leopoldsberg ihr Foto aufgenommen haben. Das Bild, das auf dem Account des IS-Propagandisten Abu Umar landete, wurde 16 Mal retweetet, also weiterverschickt. 13 User klickten das gelbe Sternchen an, mit dem Beiträge auf Twitter "favorisiert“ und damit besonders gelobt werden.

Wer Abu Umar ist, wissen die Behörden nicht. Seinen Standort hat er mit "Dunya“ angegeben: "im Diesseits“. Er spricht fließend Englisch, hat knapp 5600 Follower, verfügt außerdem noch über einen Wordpress-Blog und einen zweiten Twitter-Account, sollte ihm irgendwann der erste abgestellt werden.

Im Prozess der Radikalisierung
Die Identität der Fotografen vom Leopoldsberg ist bislang unbekannt. "Vermutlich sind es junge Leute, die sich in einem Prozess der Radikalisierung befinden, der aber noch nicht abgeschlossen ist“, heißt es im BVT: "Es muss nicht sein, aber es ist durchaus denkbar, dass sie irgendwann tatsächlich für ISIS in den Krieg ziehen. Die Fotos beweisen jedenfalls, dass IS auch in Österreich Unterstützer hat.“

Fotos strafrechtlich irrelevant
Die IS-Sympathisanten zu finden, gestaltet sich allerdings schwierig. Technisch wäre das möglicherweise zu schaffen. Allerdings: "Seit Anfang Juli die Vorratsdatenspeicherung gestoppt wurde, können wir nicht mehr auf Rufdaten aus der Vergangenheit zurückgreifen, um möglicherweise Handyverbindungen zu identifizieren, mit denen diese Bilder hochgeladen wurden“, sagt ein BVT-Mitarbeiter. "Die bisher aufgetauchten Fotos sind zudem strafrechtlich irrelevant. Deshalb können auch keine justiziellen Verfolgungshandlungen gesetzt werden.“ Sprich: Die Ermittler können nicht damit rechnen, eine richterliche Anordnung auf Herausgabe der Rufdaten durch die Mobilfunkbetreiber zu bekommen.

"Knotenpunkt des gewaltsamen Dschihadismus"
Für den deutschen Sozialwissenschafter Thomas Tartsch, der sich intensiv mit dem Phänomen des Salafismus beschäftigt, hat sich Österreich inzwischen "zu einem Knotenpunkt des gewaltsamen Dschihadismus“ entwickelt. Die Zahlen sprechen für sich: Das BVT kennt rund 100 Syrien-Kämpfer aus Österreich; in Deutschland, das zehn Mal so viele Einwohner hat, sind es 350.

An ihrer historischen Bildung sollten die Austro-Dschihadisten des IS allerdings noch etwas arbeiten. Auf dem Kahlenberg, auf dem sie sich bei ihrer angeberischen Aufnahme wähnten, fand nämlich eine eher unrühmliche Episode der islamischen Kriegsgeschichte statt: Hier wurde die Armee von Kara Mustafa am 12. September 1683 vernichtend geschlagen - und damit die Zweite Wiener Türkenbelagerung beendet.

Am Wochenende rief der IS-Anführer Baghdadi alle Muslime in einem Video zu Gehorsam und zum "Heiligen Krieg" auf. Dessen Echtheit konnte nicht nachgewiesen werden.

Mitarbeit: Sara Hassan