Land im Waffenstillstand

17 Jahre nach dem Noricum-Skandal: Land im Waffenstillstand

Österreichs Rüstungs- industrie vor dem Aus

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Der Skandal ist konserviert für die Ewigkeit. Seit bald 20 Jahren lagern auf einem Fabriksgelände im steirischen Liezen 100 sorgsam versiegelte Kanonenrohre – stumme Zeugen der größten Waffenaffäre der Zweiten Repulik. Sie werden wohl nie mehr einen Schuss abfeuern. Diejenigen, die sie haben könnten, wollen sie nicht. Und jene, die sie möglicherweise wollen, dürfen sie nicht bekommen.

Die Läufe gehören zum Tödlichsten, das Österreichs Rüstungsindustrie jemals hervorgebracht hat: Das Artilleriegeschütz Gun Howitzer Noricum (GHN-45), Kaliber 155 Millimeter. Mehrere hundert Stück der einst gefürchteten, weil überaus effektiven Offensivwaffe waren bis Mitte der achtziger Jahre von der damaligen Voest-Tochter Noricum gebaut worden. Dann kam der Noricum-Skandal, der zur Pleite führte.

Heute erzeugt die Maschinenfabrik Liezen völlig unverdächtig Spezialmaschinen, Sägen und Fräsen. Geschäftsführer und Mitgesellschafter Heinrich Obernhuber: „Wir wären die Kanonenrohre gerne los. Aber das ist aus vielerlei Gründen nicht möglich.“
Die eingemotteten Geschützläufe sind symptomatisch für den Zustand der österreichischen Waffenindustrie. 17 Jahre nach dem Noricum-Skandal ist von dem einst durchaus potenten Wirtschaftszweig praktisch nichts mehr übrig. Zählten Rüstungsbetriebe wie Noricum, Steyr, Hirtenberger, Assmann und Dynamit Nobel in den achtziger Jahren noch mehr als 10.000 Beschäftigte, so finden heute in dieser Branche in Österreich gerade einmal ein paar hundert Menschen Arbeit. Die jährlichen Exporte sind von ehedem bis zu 500 Millionen Euro auf gerade einmal ein Zehntel dieses Volumens geschrumpft. Noricum und Assmann gingen Pleite, Dynamit Nobel stellte auf zivile Produkte um, Hirtenberger fuhr die Produktion massiv zurück, Steyr wurde tranchiert.

Flucht ins Ausland. Rudolf Lohberger, Sprecher der Waffenindustrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO): „Die Noricum-Affäre hat alles verändert. Das Geschäftsfeld ist extrem negativ besetzt. Damit kann man schwer punkten.“
Jetzt legen auch die letzten Kombattanten die Waffen nieder.

Vor wenigen Tagen erst kündigte die oberösterreichische Waffenschmiede Steyr Mannlicher an, die Produktion des Sturmgewehrs AUG (in Österreich als STG-77 bekannt) zur Gänze nach Malaysia zu verlagern. Mehr als zehntausend Stück pro Jahr sollen künftig bei den National Aerospace and Defence Industries (NADI) in Kuala Lumpur gefertigt werden. Steyr-Mannlicher-Alleineigentümer Wolfgang Fürlinger: „Wir produzieren hierzulande künftig kein Kriegsmaterial mehr. Ich habe es als Geschäftsmann satt, in Österreich mit meinen Produkten in die Nähe von Drogendealern und Zuhältern gerückt zu werden.“

Fürlinger hatte das traditionsreiche Unternehmen, Gründungsjahr 1864, vor mittlerweile drei Jahren von der Bank Austria Creditanstalt gekauft. Ursprünglich war Steyr Mannlicher Teil des Steyr-Konzerns, der 1998 zerschlagen wurde. Frank Stronachs Magna-Gruppe übernahm den gesamten zivilen Bereich. Die Büchsenschmiede blieb vorerst bei der Bank, der Panzerproduzent Steyr-Daimler-Puch-Spezialfahrzeuge (SSF) in Wien-Simmering ging an ein Konsortium rund um den Industriellen Hans-Michael Malzacher. Dieser hat den Laden vergangenes Jahr an die US-amerikanische General-Dynamics-Gruppe verkauft und sich ins Management zurückgezogen.

Stillstand. Seither ist auch bei SSF nicht mehr viel los. Zur Jahresmitte läuft die letzte Tranche des Schützenpanzers Ulan für das österreichische Bundesheer vom Band. Unterschriftsreife Nachfolgeaufträge liegen derzeit nicht vor. Man macht sich Hoffnungen auf Griechenland. Der Radpanzer Pandur, lange Zeit ein Vorzeigeprodukt des Hauses, wird überhaupt nicht mehr gefertigt. Es gibt zwar Interessenten aus Tschechien, Portugal und den baltischen Staaten. Ob diese jedoch wirklich zugreifen, ist völlig ungewiss.

Ein Großauftrag des österreichischen Verteidigungsministeriums steht in nächster Zeit jedenfalls bevor. Die Militärs wollen neue Panzer und Fahrzeuge für internationale Einsätze anschaffen – und zwar eine ganze Menge. Die Uniformierten sind sich zwar noch nicht darüber einig, ob es mehr Schützenpanzer oder Truppentransporter sein sollen. Minen- und splittersichere Geländeautos vom Zuschnitt des amerikanischen Humvee stehen aber in jedem Fall auf ihrer Wunschliste.

Je nachdem, welche Gruppe im Militär sich durchsetzt, könnte die SSF mit dem Ulan, auf den das Heer noch eine Option hat, durchaus noch einen Treffer landen. Allerdings sind einflussreiche Lobbys im Verteidigungsministerium ziemlich sauer auf Hans-Michael Malzacher: erstens, weil er die SFF umstandslos an die Amerikaner verkauft hat, zweitens, weil seine Verhandlungsmethoden nicht auf ungeteiltes Wohlwollen stoßen.

„Wenn wir einen Radpanzer kaufen – warum dann nicht gegen Schuldenerlass bei den Russen?“, sinniert ein Offizier: „Bei den Abfangjägern waren ihre Angebote uninteressant. Bei den Fahrzeugen gibt es aber durchaus überlegenswerte Varianten.“ Gut möglich also, dass die SSF auch um diesen Autrag umfällt. Malzacher, Vorsitzender der General-Dynamics-Division „European Land Combat Systems“, will dazu keine Stellung nehmen.

Unter Kuratel. Pleiten, Pech, Pannen und Skandale einerseits, die schizophrene politische Haltung der Bundesregierung andererseits haben den Niedergang der heimischen Rüstungsindustrie beschleunigt, wenn nicht überhaupt besiegelt. Seit dem Noricum-Skandal war die Waffenerzeugung in Österreich allenfalls geduldet.

Die große Koalition konnte sich unter Druck der Gewerkschaften nie dazu durchringen, die einst verstaatlichten Rüstungsbetriebe zu schließen. Gleichzeitig aber wurden die Erzeuger in so hohem Maße unter Kuratel gestellt, dass sie international unmöglich wettbewerbsfähig sein konnten. Mit dem österreichischen Bundesheer als einzigem nennenswerten Kunden hatten sie zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Im Vorjahr ließen sich österreichische Waffenschmieden laut einem Bericht der Europäischen Union 1660 Ausfuhrgenehmigungen für 124 Staaten im Wert von rund 264 Millionen Euro ausstellen. Tatsächlich in Anspruch genommen wurde nur ein Bruchteil: Das Gesamtvolumen der schlussendlich durchgeführten Waffendeals betrug bloß 48 Millionen Euro.

Ob Neutralitäts-, Kriegsmaterial- oder Außenhandelsgesetz: Irgendwo fand und findet sich nahezu immer ein Passus, der gute Geschäfte verhindert. Steyr-Mannlicher-Eigentümer Fürlinger: „Wenn ich Sturmgewehre exportieren möchte, muss ich die Regierung um Erlaubnis fragen. Bis ich die Genehmigung habe, vergehen schon einmal sechs Monate. Wenn ich überhaupt eine bekomme. Da läuft dir jeder Kunde davon.“

Laut Kriegsmaterialgesetz müssen etwa bei der Ausfuhr von Waffensystemen das Innenministerium, das Verteidigungsministerium und das Außenamt zustimmen. Der Lieferant ist verpflichtet, mittels so genannter „End User Certificates“ nachzuweisen, für wen die Ware letztendlich bestimmt ist. Von vornherein ausgeschlossen sind Länder, die von EU, UN oder OSZE mit Embargos belegt sind.

Keine Rückendeckung. Rational sind die Entscheidungen freilich nicht immer. 1998 erteilte die Regierung der SSF die Genehmigung, Kürassier-Panzer in das politisch instabile Botswana zu exportieren, obwohl das Bundeskanzleramt schwere Bedenken angemeldet hatte. Wenige Tage später wurde das Bundesheer mit genau dem gleichen Ansinnen vorstellig – und blitzte ab.

Ähnliche Erfahrungen musste Steyr-Mannlicher-Eigentümer Fürlinger machen: „Ich wollte letztes Jahr Sturmgewehre in ein südamerikanisches Land liefern, das nicht unter Embargo steht. Es ist mir mit Hinweis auf dort existierende Terroristen untersagt worden.“ Und nicht einmal bei eher unverdächtigen Abnehmern habe er Rückendeckung durch die Politik erhalten. „Ich habe das Außenministerium vergeblich gebeten, mich bei Verhandlungen mit der norwegischen Regierung zu unterstützen. Den Auftrag bekamen schließlich die Italiener.“

Auch staatliche Förderungsstellen haben mit Rüstungstechnologie offenbar nichts am Hut. Der private Ranshofener Flugsimulatorenentwickler AMST reichte kürzlich beim Forschungsförderungsfonds ein 6-Millionen-Euro-Projekt ein und holte sich eine glatte Abfuhr. Marketingchef Wolfgang Lindlbauer: „Wir hatten für einen Flugsimulator Förderungen beantragt. Das wurde mit der Begründung abgelehnt, das System könne auch für militärische Zwecke eingesetzt werden.“ Und Steyr-Mannlicher-Eigentümer Fürlinger versuchte vergeblich, beim ERP-Fonds einen Investitionszuschuss zum Kapazitätsausbau in Österreich zu ergattern. „Mir wurde dort erklärt, dass man mit Waffen nichts zu tun haben will.“

Derlei Unbill bleibt dem Unternehmer, der in Südostasien zehn Millionen Euro investieren und hierzulande nur mehr Jagdgewehre und Pistolen erzeugen wird, künftig erspart. Die Export- und Subventionspolitik der Malayen ist weitaus rüstungsfreundlicher.

Auch die US-Eigentümer der Wiener SSF haben vorgesorgt. Der Schützenpanzer Ulan wird – so es Aufträge gibt – in Kooperation mit der spanischen General-Dynamics-Tochter Santa Barbara Sistemas gebaut. Und die kennt kein österreichisches Kriegsmaterial- oder Neutralitätsgesetz. WKO-Branchensprecher Lohberger: „Für mich bedeutet jede Produktionsverlagerung ins Ausland das Ende einer Tradition.“

Schmutzige Schlachten. Zudem erweisen sich die gut gemeinten Exportbestimmungen, die verhindern sollen, dass mit heimischer Wertarbeit schmutzige Schlachten geschlagen werden, jetzt als Bumerang. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Die Republik hat sich letztlich zwar ihrer ungeliebten und skandalumwitterten Rüstungsindustrie entledigt – gleichzeitig aber auch jede Kontrolle über Rüstungsprodukte verloren.

Was umso schwerer wiegt, als Waffen österreichischer Provenienz schon in der Vergangenheit immer wieder in Händen auftauchten, in denen sie weiß Gott nichts verloren hatten.

Weshalb Sicherheitsexperten bereits beginnen, Katastrophenszenarien zu bemühen. „Dass die Ersatzteile für unsere Sturmgewehre aus Malaysia kommen, ist nicht unbedingt beruhigend“, sagt ein hoher Bundesheeroffizier – und zeichnet das apokalyptische Bild vom Kampf der Kulturen, in dem Österreich den Kürzeren ziehen könnte: „Immerhin ist das ein muslimisches Land. Was, wenn sich die dortige Regierung entschließt, keine Geschäfte mehr mit dem Westen zu machen?“ Fürlinger hält dem entgegen, Malaysia sei „in jeder Hinsicht toleranter“ als Österreich sowohl was die Religion betreffe als auch in Bezug auf Rüstungsgeschäfte.

Für das Bundesheer machen sich die Absetzbewegungen der Waffenindustrie jedoch schon jetzt unangenehm bemerkbar. Die ehemals verstaatlichte niederösterreichische Hirtenberger AG, lange Jahre wichtigster Munitionslieferant des Verteidigungsministeriums, hat die Produktion von Patronen für Infanteriewaffen eingestellt. Die Militärs müssen sich nun im Ausland eindecken – etwa in Ungarn. Die dort eingekaufte Munition soll sich allerdings als so schlecht gefüllt erwiesen haben, dass sie aus Sicherheitsgründen für automatische Waffen gesperrt waren.
„Wenn eine Krise ausbricht, müssen wir am internationalen Markt einkaufen“, sagt ein Generalstäbler: „Dann brauchen wir schnell Munition, aber das brauchen dann alle. Und das heißt: Erstens wird es teuer, zweitens ist nicht sichergestellt, dass wir überhaupt genug davon bekommen.“

Steyr-Mannlicher-Eigentümer Fürlinger will sich indessen keinesfalls den schwarzen Peter zuschieben lassen: „Österreich“, sagt er, „hätte alle Zeit der Welt gehabt, mich zu halten. Aber das ist nicht passiert.“