Kasachische Kabale: Affäre Rakhat Aliyev

Affäre: Kasachische Kabale

Politkrimi um Kasachs- tans Botschafter in Wien

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Zholdas Timraliyev muss geahnt haben, dass er einen Weg ohne Wiederkehr antrat, als er am 31. Jänner 2007 sein Haus verließ: Sonst hätte er seine Frau wohl kaum gebeten, die Polizei zu alarmieren, wenn er bis zum Abend nicht zurück sein sollte – ungewöhnlich für einen Bankier, der bloß einen Termin mit dem Hauptaktionär seines Instituts hat.

Aber die Geschichte des Zholdas Timraliyev spielt in Kasachstan, in höchsten Kreisen, in einem Labyrinth von Intrigen und Machtkämpfen. Deshalb überrascht seine Vorsichtsmaßnahme ebenso wenig wie die Tatsache, dass er tatsächlich nicht mehr heimkam. Nicht am Abend, nicht am darauf folgenden Morgen, nicht seit nunmehr fast vier Monaten.

Gekidnappt, wie seine Frau befürchtet? Auf der Flucht, wie die kasachische Polizei wochenlang behauptete? Oder längst tot?

Sicher ist bloß: Der Fall Timraliyev hat sich inzwischen zu einem Politskandal ausgewachsen, der bis nach Österreich reicht. Denn der Mann, dessen Namen im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Bankmanagers immer wieder genannt wird, heißt Rakhat Aliyev und residiert an der Ecke Kärntner Straße/Walfischgasse in der Wiener Innenstadt.

Aliyev ist: Mitgründer und Hauptaktionär der Nurbank. Botschafter der Republik Kasachstan in Österreich und bei den hier angesiedelten internationalen Organisationen. Schwiegersohn von Präsident Nursultan Nasarbajew. Mit ihm wollte sich Timraliyev treffen.

Aliyev war zuvor bereits: Chef der Steuerfahndung. Vizechef des Geheimdienstes. Stellvertretender Außenminister.

Rakhat Aliyev, 44, sitzt an einem blank geputzten Glastisch im Büro der ständigen Vertretung Kasachstans bei der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und gießt sich gelassen einen Schluck Perrier ein: „Ich bin weder in diesen so genannten Entführungsfall involviert noch in andere illegale Aktivitäten“, sagt er. Wenn ihm die Sache Kopfzerbrechen machen sollte, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.

Dafür hat er schon zu viel kasachische Kabale er- und überlebt.

Aliyev kennt das System Kasachstan in allen Facetten – die alte, sowjetische Nomenklatura durch seinen Vater, der in den achtziger Jahren als Minister amtierte und bis heute politisch tätig ist; das neue Machtzentrum durch seine Heirat mit Nasarbajews Tochter Dariga, die ihm nicht nur Zugang zum Präsidenten verschaffte, sondern auch zu lukrativen Geschäften.

Clans. Um Dariga und Rakhat ist einer von mehreren Clans entstanden, die im Dunstkreis Nasarbajews um Einfluss rittern. Die Gruppe kontrolliert TV-Stationen, Radiosender und Zeitungen, ist mit der Nurbank im Finanzsektor und im landwirtschaftlichen Bereich in der Zuckerindustrie tätig. Inzwischen gibt es auch ihr nahestehende Unternehmen und eine Privatstiftung in Wien. Was fehlt, ist der Zugriff auf Rohstoffressourcen.

Den hat ihr schärfster Konkurrent, der Clan von Nasarbajews zweitem Schwiegersohn Timur Kulibaev.

Und mittendrin spielt der Präsident – glaubt man Beobachtern – alle gegeneinander aus. „Die politische Auseinandersetzung zwischen den Gruppen findet nicht um die Wählerschaft statt, sondern um den Einfluss auf das Staatsoberhaupt“, heißt es in einer Studie des Think Tanks „Eurasian Center for Political Research“. Die Konsequenz: „Schattenpolitik dominiert über öffentliche Politik.“

Machtkämpfe? Aber woher denn. Glaubt man Aliyev, dann ist das „eine Erfindung – die Menschen in postsowjetischen Ländern denken in Stereotypen, und deshalb denken sie, dass jeder Präsident wie ein mächtiger Monarch herrscht, während sich rund um ihn der Hofstaat bekriegt. Aber das ist reine Fantasie.“

Eines steht allerdings fest: Rakhat Aliyev ist in den vergangenen Jahren bei Präsident Nasarbayew sowohl hoch in der Gunst gestanden wie tief in Ungnade gefallen. Es begann mit einem Aufstieg, der möglicherweise allzu glatt verlief: Sowohl für sein Selbstbewusstsein als auch für die zahlreichen Konkurrenten.

Ende der neunziger Jahre macht sich der damals 36-Jährige mit durchaus handfesten Methoden einen Namen als Chef der Steuerfahndung. Wenig später wechselt er zum Geheimdienst. Als Chef will ihn Präsident Nasarbajew dort nicht fuhrwerken lassen, Stellvertreter muss genügen. Aber auch in dieser Funktion kann sich Aliyev als Hardliner präsentieren. Etwa, als er behauptet, seine Spezialsoldaten hätten ein illegal an den Kongo verscherbeltes Regierungsflugzeug in Afrika gekapert und bravourös nach Hause geflogen – eine Geschichte, die heftig in Zweifel gezogen wurde. Um den Mythos um die Heldentaten kasachischer Agenten weiterzustricken, wird auch eine TV-Serie über den Geheimdienst gedreht. Wozu hat man denn einen Sender?

„Legen Sie sich nicht mit Aliyev an“, hat das US-Magazin „Newsweek“ kurz zuvor eine Reportage über ihn betitelt und gefragt: „Kann er das Land retten?“

Gerüchte. Das Land retten – es scheint, als habe Aliyev diesen Wunsch im Jahr 2001 etwas zu forsch und zuungunsten seines Schwiegervaters vorangetrieben. Am 14. November muss er überraschend als Vize-Geheimdienstchef zurücktreten, zwei Tage später wird ein von seiner Frau Dariga und ihm kontrollierter TV-Sender abgeschaltet. Stimmen die Gerüchte, er habe einen Umsturz geplant? Oder wurden sie bloß von Gegnern in die Welt gesetzt, denen der zunehmende Einfluss der beiden zu viel wird? Im Zusammenhang mit den Ereignissen kommt es jedenfalls zur Bildung der Reformbewegung DCK, der sich maßgebliche Politiker anschließen. Das macht den Präsidenten sehr traurig und führt zu einer Reihe von Entlassungen.

Und Aliyev selbst: wird im Sommer 2002 als Botschafter nach Wien geschickt. Ins „Exil“, wie Oppositionelle behaupten. Dort muss er sich ausgerechnet mit der OSZE herumschlagen, deren Vertreter in Kasachstan ein „abscheuliches“ politisches System an der Macht sehen und in Präsident Nasarbajew einen „autoritären Diktator“ erkennen.

Was Aliyev auf einen nicht unkreativen Einfall bringt: Er macht sich daran, Kasachstan für das Jahr 2009 den OSZE-Vorsitz zu verschaffen. „Die Idee stammt von mir. Und ich will das Land dafür auf internationalen Standard bringen“, sagt der Botschafter gegenüber profil.

2005 verlässt er Österreich wieder. Präsident Nasarbajew will sich gerade wiederwählen lassen, da ist die Unterstützung eines Profis aus der Familie gefragt. Aliyev avanciert in Kasachstan zum stellvertretenden Außenminister, bleibt aber Sondervertreter bei der OSZE.

Am 13. Februar 2006 werden am Rand einer Straße nahe Almaty, der Finanzkapitale Kasachstans, drei von Kugeln durchsiebte Leichen gefunden: der Oppositionspolitiker Altynbek Sarsenbaev, sein Fahrer und sein Leibwächter. Die Täter sind rasch gefunden. Angehörige einer Eliteeinheit des Geheimdienstes sollten im Auftrag eines ehemaligen Freundes des Regimekritikers geschossen haben, um eine persönliche Beleidigung zu rächen. Tölpelhafterweise hätten die Spitzenagenten danach die Mobiltelefone der Opfer an ihre Freundinnen verschenkt und seien dadurch der Polizei ins Netz gegangen.

Vorwürfe. So weit, so schlecht. Wenig später erheben Oppositionelle schwere Vorwürfe. Hinter dem Auftragsmord stünden hochrangige Politiker, heißt es, Vizeaußenminister Aliyev und seine Frau müssten einvernommen werden. Worauf Dariga sich in einer ihrer Zeitungen zur Wehr setzt: Der Mord sei in Wirklichkeit ein politischer Attentatsversuch auf ihren Vater, den Präsidenten, „sorgfältig und geschickt geplant, um ihn zu diskreditieren“. Die Tat sei von „sehr einflussreichen Kräften“ geplant worden, vermutet auch sie.

Das wiederum geht unverhohlen gegen Nasarbajews zweiten Schwiegersohn Timur Kulibaev, den Chef der konkurrierenden Familienfraktion. Aus seinem Umfeld stammt nämlich der angebliche Auftraggeber des Mordes. Machtkämpfe rund um Nasarbajew: reine Fantasie?

Während all das geschieht, arbeitet bei der Nurbank Manager Zholdas Timraliyev brav und wenig auffällig vor sich hin. Das Institut ist nach Umsatz die siebtgrößte Bank des Landes. Vizeaußenminister Aliyev hält den größten Teil der Aktien, auch sein Vater ist daran beteiligt. Die Familie hat Pläne mit dem Kreditinstitut.

Gerichtsstreit. Im Jänner 2007 kommt es zu Änderungen in der Führungsstruktur. Aliyevs Sohn Nurali, frische 22 Jahre alt, wird in den „Rat der Direktoren“ gewählt, eine Mischung aus Vorstand und Aufsichtsrat. Am 19. Jänner reicht Bankier Timraliyev überraschend seinen Rücktritt ein. Später wird seine Frau aussagen, ihr Mann sei tags zuvor in ein Fitnesscenter verschleppt und gezwungen worden, lukrative Geschäftsbeteiligungen an Aliyev zu überschreiben. Diese und andere Behauptungen sind Gegenstand eines Gerichtsstreits in Kasachstan, in dem Aliyev Klage wegen Verleumdung erhoben hat.

„In letzter Zeit wird gewaltiger Druck auf mich, meine Familie und meine Kollegen ausgeübt“, beklagt sich der Botschafter jetzt gegenüber profil. Die Vorwürfe seien eine Schmutzkampagne, die Urheber könnten überall sein: „Die Opposition mag mich nicht, weil ich weiß, wie sie funktioniert, manipuliert und finanziert wird. Auf der anderen Seite weiß ich auch vieles über diverse Mitglieder der Regierung. Auch das macht mich nicht beliebt.“ Zudem habe er in früheren Jahren versucht, den Geheimdienst zu reformieren: „Das ist leider nicht gelungen, hat mir aber viele Feinde beschert – nicht zuletzt deshalb, weil ich aus meiner Tätigkeit über viele brisante Insiderinformationen verfüge.“

Es kommt der 31. Jänner, Bankier Timraliyev macht sich auf den Weg zur Nurbank. Als er bis zum Abend nicht nach Hause zurückkehrt, verständigt seine Frau wie vereinbart die Polizei. Gegen 18 Uhr fährt ein Einsatzkommando bei der Zentrale des Instituts vor.

Aus welchem Grund, ist umstritten: Sind sie auf der Suche nach dem verschwundenen Manager, wie die Opposition sagt? Oder wollen sie Dokumente und Wertsachen einsacken, also einen polizeilichen Banküberfall begehen, wie Aliyev – der von seinem Sohn in die Bank gerufen wird – weiß?

Als das Einsatzkommando anrückt, ist die Steuerfahndung (früherer Chef: Aliyev) jedenfalls bereits vor Ort, um nach Belegen für Malversationen zu suchen, die Bankier Timraliyev begangen haben soll.

Ein paar Tage später klingelt bei Timraliyevs Frau das Telefon. „Mein Mann hat angerufen“, erinnert sie sich. Er habe gesagt, er sei auf der Flucht. „Es war seine Stimme, aber er war hörbar unter Druck.“ Dann reißt die Verbindung ab.

Kidnapping. Keine zwei Wochen danach passiert mit Rakhat Aliyev, was in ähnlicher Form schon 2001 geschehen ist: Er gibt sein Amt, diesmal den Posten des Vize-außenministers, ab und düst nach Wien.

Offizielle Begründung: Er soll als Troubleshooter dafür sorgen, dass Kasachstan den OSZE-Vorsitz im Jahr 2009 erhält. In Kasachstan wird inzwischen immer noch nach dem verschwundenen Bankier Timraliyev gefahndet.

Bis zum Montag, dem 14. Mai. Da tritt ein Sprecher des Innenministeriums vor die Presse und verkündet, dass ab sofort wegen Kidnapping ermittelt wird: „Jeder, der am 31. Jänner in der Bank war, wird als Zeuge oder Verdächtiger betrachtet.“

Rakhat Aliyev, Schwiegersohn des Präsidenten, war in der Bank.

Er sagt, er verstehe nicht, warum es jetzt doch eine Entführung gewesen sein soll: „Nach Erkenntnissen der Finanzpolizei befindet sich der Verschwundene eindeutig auf der Flucht. Die Aktionäre der Nurbank, also auch ich, sind am meisten daran interessiert, dass Herr Timraliyev gefunden wird. Wir haben daher eine hohe Belohnung für jede Information ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung führt.“

Die Frage ist freilich: Würde es ein Nursultan Nasarbajew zulassen, dass jemand, der in seiner Gunst steht, in eine hochnotpeinliche Ermittlung hineingezogen wird wie jetzt Aliyev? Ein Autokrat, der sich gerade durch eine Wahlrechtsänderung de facto zum Präsidenten auf Lebenszeit machen lässt?

Damit hat er seinem Land auch die Chance vermasselt, den OSZE-Vorsitz durchzubringen. „Als Botschafter der Republik Kasachstan muss ich die Meinung der Regierung vertreten“, sagt Aliyev verhalten. „Als Diplomat in Wien habe ich bereits von meinen Kollegen erfahren, dass diese Neuigkeiten die Chancen von Kasachstan nicht vergrößern werden.“

Dann lehnt er sich zurück, nimmt noch einen Schluck Perrier und lächelt trotzdem. Sich etwas anmerken lassen? Zu viel erlebt. Und überlebt.

Von Martin Staudinger