FPÖ: Der Aufstand des Jungtürken

Wiens FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache

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Zünftig und ausgelassen ging’s zu am parteiinternen Oktoberfest der Wiener FPÖ im Prater. Nach einigen Krügerln Bier im „Schweizerhaus“ saß Dienstagabend vergangener Woche auch die Zunge schon recht locker. „Wenn der Jörg meint, dass er noch mehr Türken in Wien haben will, dann soll er einmal zu mir in den Bezirk kommen und sich anhören, was die Leute sagen“, echauffierte sich ein Funktionär. Ein anderer grummelte: „Wenn Haider heute da wäre, da könnte er was erleben. Zerreißen würden s’ ihn.“

Der Unmut an der blauen Basis über Jörg Haider, der sich mit Verve für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in die Schlacht wirft, ist enorm. Prompt fand sich einer, der den Grant auch zu kanalisieren vermag: Wiens FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. „Ich will die Österreicher vertreten“, sagt Strache. „Die Türkei ist ein asiatisches Land und hat in der EU nichts verloren.“

Der Kärntner Landeshauptmann, auch nicht zimperlich, verhängte daraufhin Sanktionen über Strache: Bei der kommenden Wiener Gemeinderatswahl werde er die Landes-FPÖ nicht unterstützen. „Weil die Position des dortigen FPÖ-Spitzenkandidaten meiner Ansicht entgegengesetzt ist und ich alles tun will, um ihm einen Erfolg zu sichern“, so Haider vergangene Woche im profil-Interview.

HC Strache, wie sich der schnieke 35-Jährige selbst nennt, sucht in letzter Zeit immer öfter den Konflikt mit dem blauen Alt-Guru. Es geht um die Machtfrage in der FPÖ, um einen möglichen Generationswechsel.

Streitfrage. Nur: Hat Heinz-Christian Strache überhaupt das Zeug zum neuen Haider? Oder ist er bloß eine bemühte Kopie des einstigen blauen Stimmenmaximierers?

Darüber gehen selbst in Straches eigener Truppe, der Wiener FPÖ, die Meinungen weit auseinander. „Strache ist unsere einzige Hoffnung. Es gibt keinen anderen, der das Ruder in der Bundespartei herumreißen kann“, meint ein Wiener Funktionär mit bundespolitischer Erfahrung. Ein anderer ist skeptisch: „Strache ist kein Intellektueller. Um auf Dauer Erfolg zu haben, braucht man aber den nötigen geistigen Background.“ Und Strache befinde sich in einer Zwickmühle. „Er muss sich entscheiden: Ist er nun für oder gegen die Regierung, soll er selbst den Führungsanspruch stellen, sich mehr von Mölzer und Stadler abgrenzen – oder nicht?“

Mit den beiden blauen Rechtsaußen, Volksanwalt Ewald Stadler und EU-Mandatar Andreas Mölzer, hat sich Strache bislang gerne umgeben. Auch die Wiener Rechten wie der Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend, Johann Gudenus, Simmerings Bezirksparteichef Harald Stefan, Mitglied der berüchtigten Burschenschaft „Olympia“, oder der frühere Wissenschaftssprecher im Parlament, Martin Graf, zählten zur Strache-Clique.

Mit dem eher „liberaleren“ Flügel um Parlamentsklubobmann Herbert Scheibner oder den Gemeinderäten Heidrun Schmalenberg und Günther Barnet hat er wenig gemein. Als Straches wichtiger Einflüsterer gilt Landesparteisekretär Harald Vilimsky.

Neuerdings ist Strache allerdings überaus bemüht, sich vom rechten Rand abzusetzen. Bezeichnete er sich kurz nach seiner Wahl zum Wiener FPÖ-Chef im März 2004 noch als „Mitte-rechts“, so ist er heute, nach eigenem Bekunden, nur noch „Mitte“. Das hielt den Korporierten der pennalen Verbindung „Vandalia“ jedoch nicht davon ab, am diesjährigen 8. Mai die Totenrede bei der „Heldenehrung“ der national-freiheitlichen Burschenschaften am Wiener Heldenplatz zu halten. Ein überaus umstrittenes Ritual am Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands.

Innerhalb der Bundespartei wird das Beziehungsgemisch zwischen Heinz-Christian Strache und Jörg Haider immer explosiver. Haider soll von Straches Selbstdarstellungsallüren schon ziemlich genervt sein. Dies äußert sich nicht nur in Haiders Wahlkampfboykott.

Am 15. Juni dieses Jahres war in Wien der FPÖ-Bundesparteivorstand zusammengetreten, um einen neuen FPÖ-Chef zu küren. In den Tagen zuvor hatte Strache ein wenig mit einem Generationswechsel an der FPÖ-Spitze – mit ihm als Hauptdarsteller – kokettiert. Jörg Haider ging fintenreich in die Offensive und überrumpelte Strache in der Sitzung mit dem Angebot, neuer FPÖ-Bundesparteiobmann zu werden. Strache musste solche Ambitionen natürlich von sich weisen.

Der Weg für Ursula Haubner war frei.

Haider später: „Es war einfach zu überprüfen, wie weit recht junge Kandidaten bereit wären, diese Herausforderung anzunehmen. Es soll ja nichts Ungewöhnliches sein, dass ein 35-Jähriger Verantwortung übernimmt.“

Parallelen. Das war ein feiner Untergriff. Als Haider 1986 beim Innsbrucker Parteitag Norbert Steger von der Parteispitze putschte, war er auch erst 36 Jahre alt. Im Gegensatz zu Strache konnte der junge Haider damals allerdings schon eine recht umfangreiche politische Biografie vorweisen: Nationalrat, Landesrat, Kärntner Parteichef.

Strache ist bisher politisch über die Wiener Stadtgrenze nicht hinausgekommen. 1996 war er in den Gemeinderat eingezogen, seitdem versucht er sich dort „mit verbalem Bumbum“ (ÖVP-Klubobmann Matthias Tschirf) hochzuarbeiten.

Schwer zu sagen, was Jörg Haider an dem jungen Mann anfangs imponierte: War es Straches polterndes Auftreten oder dessen Bemühen, das große Vorbild in Stil und Sprache zu kopieren? Wie einst Haider gefällt sich der smarte Wiener in legerem, aber teurem Tuch, tummelt sich auf Society-Events und inszeniert sich mit Vorliebe in unterschiedlichsten Posen auf gut gemachten Werbeplakaten und Foldern.

Auch rhetorisch müht er sich redlich, an Haider heranzukommen. Doch Aussendungen, wonach das Schwesternwohnheim des Wiener AKH zum „Asylantenheim“ zu verkommen drohe, Aussagen, wonach die Maul- und Klauenseuche nach osteuropäischen Gastarbeitern benannt ist („Wenn sie im Westen arbeiten müssen, maulen sie. Wenn sie nicht arbeiten können, klauen sie“), werden von den anderen Parteien nur routinemäßig kommentiert.

Im Wiener Rathaus wird er als „miss-lungener Haider-Klon“ (Grünen-Chefin Maria Vassilakou) belächelt, den kaum einer so richtig ernst nimmt. Sein Hang, „bei jeder Kleinigkeit den Ausnahmezustand auszurufen“ (VP-Tschirf), mag vielleicht auf Wiener Vorstadtmärkten Beifall bringen. „Und mit einer Anti-Türkei-Kampagne reißt man auch nichts“, spielt ein Wiener Freiheitlicher auf die EU-Wahl an.

Zum wirklich guten Polemiker, meinen viele, fehle Strache die verbale Leichtfüßigkeit, das Geschick, zwischen Witz und Ernst herumzutänzeln, wie es Haider in seinen besten Zeiten beherrschte.

Der Jurist Haider spielte den volksnahen Oppositionspolitiker, der Zahntechniker Strache verkörpert ihn.

Sture Wiener. Dass die Beziehungen zwischen Wien und Kärnten eine Zeit lang intakt waren, lag durchaus im Interesse Haiders. Selbst zu Hochzeiten der FPÖ war ein Zugriff auf die Wiener Landespartei kaum möglich gewesen. Anderswo konnte Haider Obleute nach Belieben rüffeln und notfalls ganze Ortsgruppen austauschen, doch die mitglieder- und daher finanzstarke Wiener Partie hatte sich Einmischungen stets verbeten, personell wie organisatorisch.

Strache schien der Garant für eine gedeihlichere Zusammenarbeit. Dass ausgerechnet Straches Pakt mit Stadler, Mölzer und Co zum Bruch führen sollte, ist eine Pikanterie der Geschichte: Schließlich war auch Haider in seinen Aufstiegsjahren ein Zweckbündnis mit dem rechten Flügel eingegangen und hatte dieses erst aufgekündigt, als er seine innerparteiliche Macht nach allen Seiten abgesichert hatte.

Strache brachte der Deal immerhin in den Rang eines stellvertretenden Parteiobmannes. Um den rechten Flügel ruhig zu stellen, holte Parteiobfrau Ursula Haubner den Wiener pro forma in ihr Führungsteam.

Mit dem darauf folgenden gemeinsamen Presseauftritt dürfte sich die Zusammenarbeit allerdings erschöpft haben.

Dass Generalsekretär Uwe Scheuch, ein Kärntner, und der Wiener Strache einander nicht grün sind, ist kaum zu übersehen. Den Beweis lieferte Scheuch vergangene Woche: Nachdem sich Haider, entgegen der Parteilinie, für EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen hatte, kritisierte Strache, ganz auf Parteilinie, diesen Vorstoß. Und bekam dafür umgehend eine Rüge von Scheuch: Wenn ein junger Mandatar einen erfahrenen und über 20 Jahre erfolgreichen Politiker „belehren“ wolle, halte er das für „überflüssig“.

Günther Steinkellner, Haubners zweiter Vize, reagiert großzügiger: „Jeder hat seinen eigenen Stil. Strache muss halt momentan lauter auftreten, weil er bald Landtagswahlen zu schlagen hat.“

Die planmäßig im Frühjahr 2006 stattfindenden Landtagswahlen in Wien werden für Strache zum Lakmustest. Peter Hajek, Demoskop beim Meinungsforschungsinstitut OGM, meint, Strache wirke auf die FPÖ-Zielgruppe in Wien „durchaus gewinnend“, Werbelinie und Kommunikationsstil passten, allerdings müsse er sich noch deutlicher „von rechts abgrenzen“.

Von Straches Wahlergebnis wird es abhängen, ob ihm höhere Weihen in der Bundespolitik zuteil werden. Wohlmeinende sagen, dafür bräuchte er nur das letzte Nationalratswahl-Ergebnis von zehn Prozent zu übertreffen. Weniger Gutgesinnte erwarten das annähernde Halten des Wiener Ergebnisses von 2001.

Mag sein, dass Jörg Haiders Drohung, sich nicht in den Wahlkampf der Wiener einmischen zu wollen, letztlich sogar positive Effekte für die Hauptstadt-FP zeitigt. 2001 – die FPÖ lag Umfragen zufolge bei 24 Prozent – glaubte Haider, in den letzten zwei Wahlkampfwochen noch kräftig auf den Putz hauen zu müssen. Und stieg mit Getöse gegen Bürgermeister Michael Häupl in den Ring.

Die FPÖ kam bei 20 Prozent zu liegen. Die SPÖ fuhr die Absolute ein.