Guantanamo, Wien-Josefstadt

Zwei Terrorverdächtige sitzen noch immer in Haft

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Der Terrorverdächtige Mohamed Mahmoud und Innenminister Günther Platter haben mehr gemeinsam, als ihnen wahrscheinlich recht ist. Beide sind Österreicher, von mittelgroßer Statur, beide verfügen über eine harte, über den hinteren Gaumen schabende Aussprache des „Ch“, und beide wollen etwas mit Al Kaida zu tun gehabt haben: der eine als eine Art Kommunikationsoffizier und wichtiger Mitarbeiter; der andere will dem Terrornetzwerk einen Schlag versetzt haben – durch die Festnahme Mahmouds. Und für keinen der beiden hat es gereicht, mit ihrem Kampf für oder gegen den Terror auf CNN erwähnt zu werden. Jetzt steht der Prozess bevor. Und jetzt wird Klarheit darüber erwartet, wie groß die Terrorgefahr tatsächlich war, die von Mahmoud ausgegangen ist.

Am 12. September vergangenen Jahres brach eine schwarz vermummte Anti-Terror-Einheit der Polizei durch die Eingangs­tür einer kleinen Substandardwohnung in Wien-Fünfhaus und hob „Österreichs ers­te Terrorzelle“ aus. Im Kinderzimmer wurden der 21-jährige Mohamed Mahmoud sowie seine 20-jährige Frau Mona Salem Ahmed festgenommen. Etwa zeitgleich wurde eine weitere Person in Wien-Simmering arretiert, nach drei Tagen aber wieder freigelassen. Ein „Droh­video“ hatte zuvor für große Aufregung gesorgt, weil darin Vermummte Österreich und Deutschland ultimativ aufforderten, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Mahmoud und seine Frau Mona sollen daran beteiligt gewesen sein: Er habe den Text verlesen, sie soll ihn zuvor aus dem Englischen übersetzt haben.

Erstmals Terroranklage. Ab 3. März müssen sich die beiden in Wien vor Gericht verantworten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik wird der Paragraf 278b („Bilden und Fördern einer terroristischen Vereinigung“) angeklagt. Der Richter überlegt sogar, die Öffentlichkeit vom Prozess auszuschließen, denn die brisanten Inhalte könnten die Sicherheit der Republik gefährden. Unter anderem liege das Verbrechen der „Nötigung eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers, einer Regierung, des Verfassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes oder des Obersten Gerichtshofes“ vor, behauptet die Staatsanwaltschaft in ihrer flammenden Anklageschrift. Die 35 Seiten umfassende Anklage hat kriegerische Anklänge: Mohamed Mahmoud sei „Mitglied einer terroristischen Vereinigung, nämlich der Al Kaida bzw. anderen international tätigen radikal-islamischen Terrornetzwerken, insbesondere an in Afghanistan und im Irak operierenden Mujaheddin-Gruppen“. Er habe die Vorbereitung und Durchführung von Terrorakten geplant, er wolle „mit dem Islam und dem Schwert … nach Rom und Washington aufbrechen“ und habe unter anderem Mitglieder für die genannten terroristischen Vereinigungen zu rekrutieren versucht. Er habe zu Terroranschlägen auf Stadien und Zuseher der Fußballeuropameisterschaft 2008 aufgerufen. Mohamed Mahmoud sei der Chef der terroristischen Internetplattform „Globale Islamische Medienfront“ (GIMF) gewesen, habe Ausbildung in irakischen Terrorcamps erhalten und habe selbst eine „Kriegsverletzung“ an der Hand erlitten.

Gut möglich, dass diese Anklage vor Gericht in wesentlichen Punkten einknickt: Allein schon die objektive und juris­tisch präzise Darstellung dessen, wer oder was Al Kaida oder „andere Terrornetzwerke“ überhaupt sein sollen, dürfte schwierig sein, erwartet auch Mahmouds Anwalt Lennart Binder. Bereits in der Begründung ihrer Vorwürfe klingt die Staatsanwaltschaft dann schon nicht mehr so aggressiv: Mahmoud habe in der Tat „im Wissen, dadurch die genannten terroristischen Vereinigungen zu fördern, wiederholt propagandistische Botschaften, welche die Ideologie dieser terroristischen Vereinigungen verbreiten, überarbeitet … und … veröffentlicht“. Das komme juristisch einer Mitgliedschaft gleich. Seine Frau wiederum habe übersetzt.

Die Verteidigungslinie. Doch selbst das nachzuweisen wird nicht einfach. Anwalt Lennart: „Mein Mandant hat nichts davon gemacht. Die Anklage muss alles erst einmal beweisen. Wer im Internet welchen Text wann veröffentlicht hat, ist nicht objektivierbar. Mein Mandant war ein kleines Nichts, das sich als Großmaul aufgeblasen hat. Die Justiz nimmt alle diese Brustklopfereien für bare Münze.“ Im landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Wien fährt man auch kurz vor dem Prozess noch immer das volle „Terrorprogramm“. Für die beiden Untersuchungshäftlinge Mohamed Mahmoud und Mona Salem Ahmed herrschen Haftbedingungen, die frappant an das skandalumwitterte US-Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo auf Kuba erinnern. „Schlafentzug, Schläge, Zwang zur häufigen vollständigen Entkleidung vor fremden Personen, Missachtung religiöser Vorschriften, Drohung, intime Vorgänge zu veröffentlichen, die durch Lauschangriff bekannt wurden, Versuche, Geständnisse abzupressen, rassis­tische Beschimpfungen“, hielt Anwalt Binder in einem Protestschreiben an Justizministerin Maria Berger Ende 2007 fest. Und weiter: Mona Salem Ahmed werde unter Druck gesetzt, ihren Mann zu belasten, wofür ihr Straffreiheit angeboten worden sei. Sie habe auch unter dem psychischen Druck der Haftbedingungen ein Kind verloren. Beschwerden würden ignoriert.

Berger antwortete sechs Wochen später, am 8. Jänner 2008. Und sie verteidigt das Vorgehen der Justizwache. Berger hält fest, dass es sich bei den „genannten Insassen … um extrem gefährliche Mitglieder eines Terrornetzes handeln soll“. Daher seien „Einzelunterbringung“, der „Ausschluss von sämtlichen Veranstaltungen“ und auch „vermehrte unregelmäßige Kontrollen im Nachtdienst angeordnet“ worden. Die Ministerin hält außerdem fest, die Staatsanwaltschaft von Mahmouds Vorwurf informiert zu haben, wonach dieser während des Betens von einem Justizwachebeamten geschlagen worden sei, weil er beim Eintreten des Beamten sein Gebet nicht sofort abgebrochen habe. Und: „Die Angaben der in Untersuchungshaft befindlichen Salem Ahmed, während der U-Haft ein Kind verloren zu haben, wurden von dieser nochmals bestätigt.“ Ab­schließend zeigt sich Berger hilflos bezüglich verbaler Übergriffe auf die Gefangenen: „Hinsichtlich der von den Beschwerdeführern behaupteten Vorverurteilungen und rassistischen Äußerungen durch diverse Justizwachebeamten (sic!) wurde von der Justizanstalt Wien-Josefstadt mitgeteilt, dass regelmäßig sämtliche in der Jus­tizanstalt beschäftigten Strafvollzugsbediensteten von den Anstaltsleitern zum korrekten Umgang mit allen Insassen aufgefordert werden.“ Verteidiger Lennart Binder beschuldigt die Polizei, „das Gewäsch eines harmlosen Dampfplauderers hochzustilisieren, um die Einführung der Online-Fahndung zu rechtfertigen, was ja mit Jahresbeginn bereits passiert ist“. Mohamed Mahmoud ist auch unter seinen Bekannten wenig beliebt. Er wird als egozentrisch, selbstdarstellerisch und ignorant beschrieben. Immer wieder sei er mit „jihadistischem“ Vokabular aufgefallen. Oft habe er gesagt: „Wenn die mich erwischen, nehme ich sie mit ins Paradies.“ Er habe ständig fundamentalistisch antiwestlich argumentiert. Doch ein Terrorist sei etwas anderes.

Die Anklageschrift strotze vor falschen Fakten, die, so Advokat Lennart Binder, „durch einfache Recherchen überprüfbar gewesen wären“. So könne Mohamed Mahmoud an keiner Terrorausbildung in einem irakischen Camp teilgenommen haben, weil er „nachweislich niemals im Irak war“. Seine „Kriegsverletzung“ an der rechten Hand sei erwiesenermaßen 2003 beim Fußballspielen in Wien passiert, was aus einem profil vorliegenden Arztbrief des Wiener AKH hervorgeht. Mahmoud, der sich nicht in ein Terrorcamp, sondern zum Zivildienst gemeldet hätte, sei wegen der Handverletzung als untauglich eingestuft worden. Auch dieser Bescheid liegt profil vor.

Konspirative Foren. Warum aber war Mahmoud dann in konspirativen Kreisen im Internet unterwegs, zu denen Außenstehende keinen Zugang haben? Was hatte er in Foren zu suchen, die tatsächlich Randbereichen der Al Kaida zugeordnet werden? Mahmoud tischt erstmals eine Antwort auf diese Frage auf, die er auch im Prozess vorbringen will: Alles habe begonnen mit seiner Bekanntschaft zu Gerhard Tuschla, einem Journalisten, der mitunter auch für den ORF-„Report“ arbeitet. Er, Mahmoud, habe sich in die entsprechenden Internet-Foren „eingeschlichen“, um letztlich prominente Persönlichkeiten der Al Kaida für Interviews mit Tuschla zu gewinnen. Die durch den möglicherweise weltweiten Verkauf derartig gefragter Interviews eingespielten Beträge habe man sich teilen wollen. Jetzt, so Mahmoud, habe er Angst vor der Al Kaida, weil er wohl als Verräter gesehen werde.

Diese Angst verspürt auch Gerhard ­Tuschla „ein bisschen“. Seine Darstellung weicht ein wenig von der Mahmouds ab. Tuschla erzählt, er habe Mahmoud 2005 kennen gelernt. Dabei habe man auch über Chancen gesprochen, an Al-Kaida-Prominenz heranzukommen. Tuschla: „Mich hätte nur Osama Bin Laden oder höchs­tens seine Nummer zwei interessiert. Wir haben aber nie abgemacht, etwaige Einnahmen zu teilen. Richtig ist, dass ich ihm für den Erfolgsfall ein Honorar versprochen habe. Aber das hat mit dem ORF nichts zu tun.“ Wenige Wochen später sei ihm, Tuschla, anonym ein Hinweis auf den Internet-Auftritt der GIMF (ausgeschrieben: „Global Islamic Media Front“) und eine dort untergebrachte Postbox zugespielt worden. In der GIMF-Box würden, so der Hinweis, Nachrichten bezüglich der angestrebten Exklusivinterviews abfragbar sein. Tuschla ging gleich an die Arbeit: Um für das deutsche „Spiegel-TV“ einen Beitrag über die GIMF selbst gestalten zu können, ersuchte er über seine Postbox um Vermittlung eines Interviewpartners. ­Tuschla: „Ich dachte, nach Deutschland fahren zu müssen.“ Doch sei ihm gleich ein Wiener Kontakt angeboten worden: ein nächtliches Treffen auf dem Wiener Karlsplatz im Februar 2007. Dort habe er einen vollkommen vermummten Mann getroffen, „der mir schon komisch oder irgendwie bekannt vorkam“. Tuschla machte Interviews und sendete sie auch. Einige Wochen später entdeckte Tuschla in seiner GIMF-Postbox eine neue Sendung: Es war das berühmte erste Drohvideo.

Von Emil Bobi