Spion Zilk bespitzelte Kreisky, Klaus und Co.

Helmut Zilk, Spion: Zilk war jahrelang Informant des CSSR-Geheimdienstes

Zilk war Informant des CSSR-Geheimdienstes

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Von Herbert Lackner

Eine Absolution aus berufenerem Munde konnte es nicht geben. Das Wort Vaclav Havels, des gewesenen Freiheitspräsidenten Tschechiens, hatte Gewicht, und als er sich vergangenen November bei der Trauerfeier für Helmut Zilk „im Namen der Tschechen“ für „das Unrecht“ entschuldigte, „das wir ihm aufgrund unserer Unkenntnis zugefügt haben“, da war allen klar: Die bösen Gerüchte über eine angebliche Spionagetätigkeit Zilks für den Geheimdienst der kommunistischen Tschechoslowakei in den sechziger Jahren mussten übler Rufmord gewesen sein.

Aber hätte Havel am Sarg des toten Freundes die Wahrheit sagen sollen, die er als ehemaliger Staatspräsident wohl ­kannte? profil verfügt als erstes Medium über den „Geheimdienstakt Zilk“, angelegt in Prag in den Jahren 1965 bis 1974. Er enthält Protokolle von Gesprächen, die Zilk mit seinen an der CSSR-Botschaft in Wien stationierten Führungsoffizieren führte, Einschätzungen seiner Person und seiner Informationen durch die Prager Zentralstellen, Abhörprotokolle aus Zilks Hotelzimmern – und er enthält von Zilk unterschriebene Quittungen für die Honorare, die ihm Prag für seine Dienste zahlte.

Aus den hunderten Akten ergibt sich eine bittere Wahrheit: Helmut Zilk lieferte der Staatssicherheit der kommunistischen CSSR zwischen Dezember 1965 und Juni 1968 ­Informationen aus für sie unzugänglichen Kreisen der österreichischen Innenpolitik. Und er ließ sich dafür entschädigen: durch Geld, aber auch durch Geschenke. Für rund 70.000 Schilling liegen die Belege vor – nach heutiger Kaufkraft ungefähr 30.000 Euro. Sie hat er in diesen zweieinhalb Jahren gegen Quittung in bar zugesteckt bekommen. Die erste 5000-Schilling-Tranche unterzeichnete er noch mit eigenem Namen, später unterschrieb er mit „Johann Maiz“, einem von ihm selbst gewählten Tarnnamen. Die Staatssicherheit führte ihn unter „Holec“, erst als die Zusammenarbeit zu Ende ging, wurde in den Akten wieder sein Klarname verwendet: Helmut Zilk.

Widersprüchlich. Was kann einen so erfolgreichen, kaum 40-jährigen Fernsehjournalisten bewogen haben, für eine vergleichsweise geringe Summe alles aufs Spiel zu ­setzen? Wie konnte ein Mann für die Kommunisten spitzeln, der ab März 1967 als Fernsehdirektor engster Mitarbeiter des geeichten Antikommunisten Gerd Bacher war? Warum gerade Helmut Zilk, der wenige Monate nach Beendigung seiner Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit im ORF tapfer den Widerstand gegen die Invasoren unterstützte und dafür später Ehrenbürger von Prag und Bratislava wurde?

Ein Mensch in seinem Widerspruch. Nicht einmal die detailreichen Akten lassen ein eindeutiges Motiv erkennen: Zilk ging es, kann man daraus schließen, um seine Karriere, um den Nervenkitzel, aber auch um Geld. Selbst noch als Bachers wohlbestallter Fernsehdirektor ließ er sich regelmäßig die kleinen Geldpäckchen zustecken. Überdies schien Zilk nach seinen journalistischen Erfolgen in krasser Selbstüberschätzung geglaubt zu haben, den langsam anlaufenden Reformprozess in der Tschechoslowakei beschleunigen zu können. Einmal beklagte er, dass die tschechischen Bischöfe nicht zu einem internationalen Treffen in Mariazell anreisen durften, das fördere den Antikommunismus in Österreich nur noch weiter. Dann wieder ersuchte er seinen Führungsoffizier, bei den Behörden das Plazet für eine vom ORF grenzüberschreitend übertragene Humanismusdiskussion mit östlichen und westlichen Philosophen einzuholen. Auch eine dritte Ausgabe der „Stadtgespräche“ peilte er an, jener denkwürdigen Livesendung, die 1964 und 1965 aus Prag übertragen wurde. In Zeiten des Kalten Kriegs waren die von Zilk moderierten Saaldiskussionen ein unerhörtes Bravourstück, weil erstmals über den ­Eisernen Vorhang hinweg Fragen der bürgerlichen Freiheiten und der Menschenrechte debattiert wurden. Käme man ihm bei diesen Wünschen entgegen, wäre das dem Ansehen der Tschechoslowakei dienlich und auch für seinen persönlichen Aufstieg wichtig, meinte er in den Gesprächen mit den Geheimdienstlern. Auch für sie wäre das günstig, denn dann hätte er noch bessere Kontakte.

Die andere Seite ließ ihn abblitzen. Sie wollte Informationen, und sie zahlte dafür. Wenn Helmut Zilks Karriereweg weiter nach oben ging, war ihr das recht. Aber politische Konzessionen gab es dafür nicht. „Österreich war für die CSSR-Spionage ein wichtiges Operationsfeld. Bei der Anwerbung hatte man wenig Skrupel“, meint der Grazer Zeithistoriker Stefan Karner. „Die Residentur in Wien war überhaupt die personell am stärksten besetzte in ganz Europa.“ Grund: Die Prager Behörden suchten Nachweise für Anti-CSSR-Aktivitäten vertriebener Sudetendeutscher, die sich diplomatisch als Druckmittel nutzen ließen.

Bei Helmut Zilk ging es um andere Themen. Ein Mittagessen im Jänner 1965 – genau zwischen dem ersten und dem zweiten Prager „Stadtgespräch“ – ist laut Aktenlage der erste Kontakt mit dem Geheimdienst. Am Tisch sitzt auch ein in der CSSR-Botschaft in der Wiener Penzinger Straße tätiger „Referent“ namens Starek, den die Zentrale unter dem Decknamen „Mladik“ („Bursche“) auf Zilk angesetzt hatte. Starek sollte herausfinden, ob der rührige Fernsehjournalist für bezahlte Informationsdienste ansprechbar war. Was er in den folgenden Monaten beobachtet, ist Thema des ersten Aktenstücks, datiert mit 14. Dezember 1965: Zilk habe „ein gepflegtes Äußeres, er hat Erfolg bei Frauen und führt ein persönlich aufwändiges Leben. Isst in teuren Restaurants. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er Geld nicht im Überfluss hat.“

Drei Tage später werden aus Prag die von Zilk moderierten zweiten (und letzten) „Stadtgespräche“ gesendet. Von österreichischer Seite diskutieren die Autoren Hellmut Andics und Peter Weiser mit Vertretern der Tschechoslowakei über Kulturpolitik und kritisieren, dass die einzige in Prag erhältliche österreichische Zeitung das KPÖ-Zentralorgan „Volksstimme“ sei.
Nach der Sendung kam Zilk laut Akt auf seinen Konktaktmann zu: „Zilk hat Starek mit unnatürlichem Nachdruck ermahnt, dass sie sich noch vor Stareks Urlaub treffen sollten … Er sagte, dass er bereit ist, sich eine gemeinsame Zusammenarbeit anzusehen, und dass Starek sein Vertrauen genießt, dass eine von ihm unterschriebene Quittung nicht in die Hände der ÖVP gelangen würde.“

Abermals drei Tage später, am 20. Dezember 1965, wird das geheimdienstliche Stammblatt („Bescheid“) Helmut Zilks angelegt. Am selben Tag bekommt er in Wien das erste Honorar: 5000 Schilling. Wie aus den Akten hervorgeht, will ihn die Staatssicherheit von Beginn an festnageln. „Quittung für Zilk annehmbar, aber zugleich kompromittierend formulieren“, heißt es in der Anweisung an Starek. Zilk riecht den Braten und verlangt einen unverdächtigen Zahlungszweck auf dem Beleg: „als Konsulent“ oder „für diverse Materialien“ oder „als Rückgabe“. Man einigt sich auf „als Rückgabe“. Starek schreibt den Text der Quittung, Zilk unterzeichnet mit seinem eigenen Namen.

Alle weiteren Empfangsbestätigungen tragen nur noch das Datum, die Summe und die Unterschrift per Tarnname: „Erhalten. Johann Maiz.“ In den folgenden zweieinhalb Jahren, bis Juni 1968, wird Zilk seinen Führungsoffizier bzw. dessen Nachfolger im Durchschnitt alle zwei Wochen treffen. Die Kontakte finden anfangs noch in Zilks Büro in der Argentinierstraße statt, bald weicht man ins Restaurant Sacher, ins „Kerzenstüberl“, ins Hotel Intercontinental oder ins Hotel am Parkring aus. Auch in Zilks Wohnung trifft man sich. Der aufstrebende Journalist wohnt mit Gattin Erika und Sohn Thomas im 1957 fertig gestellten Hochhaus am Matzleinsdorfer Platz. Es ist Wiens modernster „Gemeindebau“ mit Zentralheizung, Müllabwurf auf jeder Etage und Tanzcafé im Dachgeschoß. Entsprechend hoch ist die Promi-Dichte. Neben Zilk wohnt auch der damalige „Kurier“-Chefredakteur Hans Dichand eine Zeit lang im Matzleinsdorfer Hochhaus.

Die Treffen in Prag finden stets im Hotel Alcron in der Altstadt statt. Zilk hat immer dasselbe Zimmer. Die Staatssicherheit hat es verwanzt. Die Abhörprotokolle liegen dem Akt bei. Auch Geldübergaben finden im Alcron statt. Der Rezeptionist – wie in vielen damaligen Ostblock-Hotels ein Mitarbeiter der Staatssicherheit – schiebt mit dem Zimmerschlüssel ein Kuvert über den Tresen, Zilk lässt diskret die Quittung liegen.
Der tschechoslowakischen Seite geht es um ganz bestimmte Themen: die außenpolitische Linie der neuen ÖVP-Alleinregierung; den Machtkampf in der SPÖ nach der Wahlniederlage vom März 1966; die Position der österreichischen Bundesregierung in den bevorstehenden Restitutionsverhandlungen für die vertriebenen „Altösterreicher“. Ab 1967 sind Zilks Kontaktleute auch an den Machtverhältnissen im neuen ORF interessiert.

Sie überschätzen dabei seine Möglichkeiten. Zu den schwarzen Regierungsspitzen hat Zilk so viel Zugang wie jeder halbwegs namhafte Politik-Journalist. Obwohl bekennender Sozialdemokrat, hat er in der SPÖ keine bedeutende Funktion; er ist auf das angewiesen, was ihm Freunde aus dem Inneren der Partei erzählen. Bruno Kreisky – ab Februar 1967 ist er SPÖ-Vorsitzender – mag Zilk nicht. Dass Gerd Bacher im März 1967 Zilk als „roten“ Fernsehdirektor in­stalliert, ist für Kreisky eine Provokation. An Staatsgeheimnisse kommt Zilk also nicht heran. Als sein Führungsoffizier immer drängender schriftliches Material aus den Eingeweiden der SPÖ verlangt, bringt er Standard-Redeunterlagen des Zentralsekretariats und das Mitarbeiter-Infoblatt „Politik und Dokumentation“ mit, das alle zwei Wochen an 70.000 Funktionäre verschickt wird. Nicht eben heiße Ware.

Andere Informationen sind für die auf Zilk angesetzten Agenten wertvoller: So liefert „Holec“ durchaus schlüssige Analysen der SP-internen Debatten um eine EWG-Annäherung und der zu erwartenden Ostpolitik der ÖVP-Alleinregierung unter ­Josef Klaus. Auch die „Schmerzgrenze“ der Österreicher bei den Restitutionsverhandlungen verrät er den Tschechen.
Strittig ist die Form der Informationsübergabe. Zilk will selbst keine Berichte verfassen, worauf ihn sein Führungsoffizier mit einem „Magnetofon“ ausstattet. Zu Beginn bespricht Zilk allmonatlich ein ganzes Band, später geht er aus Sicherheitsgründen zu mündlichen Berichten über. Seine Stimme sei zu bekannt, begründet er die Rückgabe des Tonbandgeräts.

Neben Bargeld verlangt „Holec“ manchmal auch Sachgeschenke, etwa einen Luster aus böhmischem Bleikristall für sein Wohnzimmer. Aus Prag wird ein Prospekt angefordert, Zilk darf sich ein Modell aussuchen. Prag meldet dem Wiener Führungsoffizier, die Lieferzeit des Lusters betrage vier Monate. Außerdem werde man praktischerweise gleich ein Abhörmikrofon installieren. Nach seiner Bestellung zum Fernsehdirektor im März 1967 wird Zilk nervöser. Einmal besucht ihn sein Kontaktmann im Hotel Alcron, obwohl Gerd Bacher, der neue Generalintendant, ein Zimmer im selben Stockwerk hat.

Stapo fragt. Im Jänner 1968 wird der Reformer Alexander Dubcek Parteichef der KP, langsam öffnet sich das Land. Zilk fürchtet, Geheimdienstleute könnten überlaufen und ihn auffliegen lassen. Das wäre auch beinahe passiert. Nach der Invasion durch die Truppen des Warschauer Pakts springen alle drei Führungsoffiziere Zilks innerhalb weniger Wochen in den Westen ab. Einer von ihnen, Major Ladislav Bittman, geht in die USA und wird vom CIA „abgeschöpft“. Er erzählt auch von Zilk. Die CIA leitet die ­Information an die österreichische Staatspolizei weiter.

Im Jänner 1969 wird Führungsoffizier Starek von der österreichischen Fremdenpolizei zu Zilk befragt. Im Juli 1969 hält die tschechoslowakische Staatssicherheit in ­einem internen Akt fest: „Die österreichische Staatspolizei ist voll über unsere Beziehung zu ‚Holec‘ informiert. Es wurde mit ihm auch ein Gespräch geführt.“ Gerd Bacher wird zweimal von der Stapo befragt, er hält die Vorwürfe für blanken Rufmord. Auf Anfrage von profil teilte Gregor Schütze, Pressesprecher des Innenministeriums, vergangenen Freitag mit, ein Akt der Staatspolizei zu diesem Thema sei nicht auffindbar.

Die Akte Zilk aus den Jahren 1965 bis 1974