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SPÖ und FPÖ: Das bisher Undenkbare wurde einmal noch im Keim erstickt

Rot-Blau. Die Debatte über das bisher Undenkbare wurde einmal noch im Keim erstickt

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Seit Jahren schon genießt Karl Schlögl nach jeder geschlagenen Wahl seine fünf Minuten Ruhm. Verlässlich meldet sich der frühere Innenminister zu Wort und meint, jetzt sei aber wirklich die Zeit für Rot-Blau gekommen. Bisher konnte die SPÖ-Führung das als Einzelmeinung abtun.

Diesmal aber ist alles anders. Schlögls Stimme ist nicht die einzige. Ein anschwellender Chor, von linksliberalen Intellektuellen bis zu erdigen Gewerkschaftern, brach das Tabu und denkt über eine Regierung aus SPÖ und FPÖ nach. „Die SPÖ muss mit den Strache-Wählern koalieren“, formulierte der linksliberale Rechtsanwalt Alfred J. Noll das bisher für Antifaschisten Undenkbare. In der liberalen „Zeit“ empfiehlt Joachim Riedl der SPÖ den „mutigen Schritt zu wagen“. Der Jugendforscher und Ex-Juso Berhard Heinzlmaier meinte, die SPÖ sei „auf dem besten Weg, sich zum Narren zu machen“. Im Kampf der „unterprivilegierten Arbeiterschaft gegen eine immer radikaler agierende Wirtschaftslobby“ sei „die FPÖ ein besserer Partner als die ÖVP“.

Vor allem im Gewerkschaftsflügel der SPÖ brachen die Dämme, vom steirischen ÖGB-Chef Horst Schachner („Die Ausgrenzung der FPÖ ist Blödsinn.“) über den Salzburger Arbeiterkammer-Präsidenten Siegfried Pichler („Gespräche mit der FPÖ wären sinnvoll.“) bis zum Vorarlberger Norbert Loacker („Die FPÖ hat gute Leute.“) erschallte der Ruf nach Rot-Blau. So hielt es die Fraktion roter Gewerkschafter (FSG) am vergangenen Donnerstag für angebracht, sich in einer Sondersitzung formell und in Anwesenheit von SPÖ-Vorsitzendem Werner Faymann gegen eine Koa-lition mit der FPÖ auszusprechen. „Wenn die SPÖ das tun würde, wäre es nicht mehr meine Partei“, gab FSG-Sekretär Willi Mernyi, auch Vorsitzender des Maushausen-Komitees, den Ton vor. Der Rest der Gewerkschafter folgte. Diesmal noch.

Im Grunde sind es drei Motivlagen, die Genossen mit der FPÖ liebäugeln lassen: Strategie, Angst und Klassenkampf. Alle drei wurzeln im Frust über die ewige Koa-lition mit der ÖVP, der einzigen Option, die der SPÖ zur Verfügung steht. Nur mit einem zweiten potenziellen Regierungspartner könne sich die SPÖ bei Koalitionsverhandlungen gegen die ÖVP durchsetzen, argumentieren Machiavellisten. Eng damit verwandt ist jene Angstlust, die von der Überzeugung lebt, dass die FPÖ bei der nächsten Wahl die stärkste Partei sein wird, wenn SPÖ-ÖVP fünf quälende Jahre weiterstreiten. Warum also, statt wie Lemminge dem Abgrund zuzustreben, nicht als Kanzlerpartei mit Strache regieren, die Qualverwandtschaft mit der Arbeiterpartei FPÖ nützen und endlich linke Politik umsetzen, die mit der ÖVP nie möglich sein wird? SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann sagte dazu: Njet. Ein Parteitagsbeschluss verbietet eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ, ein Bruch dieser Festlegung würde die SPÖ zerreißen.

Dennoch ist es eine Ironie der Geschichte. Der moralische Kitt, der bisher die Sozialdemokratie zusammenhielt – nämlich aus Gründen des Anstands niemals mit der FPÖ zu koalieren – bekommt zusehends Konkurrenz von einem anderen moralischen Grundsatz: Dem Auftrag, soziale Fragen in den Vordergrund zu stellen und Verteilungspolitik zu machen.

Selbst der junge Volkswirt Niki Kowall, der sich mit der Sektion 8 den Status eines neuen Paradelinken in der SPÖ ertrotzt, ordnet die FPÖ als „sozialpopulistisch“ und im Zweifelsfall links ein. Er trommelt für eine Urabstimmung über einen etwaigen Koalitionsvertrag mit der ÖVP. In einem ganz anderen Spektrum der SPÖ formuliert der Arbeitervertreter Josef Muchitsch, Vorsitzender der Bau-Holz-Gewerkschaft: „Sozialpolitisch steht uns die FPÖ näher als die ÖVP.“

Eine Feinanalyse der Wahlprogramme von SPÖ und FPÖ ergibt in der Tat eine nicht unerhebliche Schnittmenge: Beide plädieren dafür, niedrige Pensionen deutlich zu erhöhen und das Frauenpensionsalter so lange wie möglich bei 60 Jahren zu belassen. Nach zwei Jahrzehnten, in denen die unteren Einkommensgruppen Reallohnverluste hinnehmen mussten, fordern beide Parteien eine Anhebung des Mindestlohns. Unisono findet sich bei beiden Parteien auch der Wunsch nach einer rechtlichen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, etwa im Kündigungs- und Krankheitsfall, und der vage Plan, all das durch „Millionärssteuern“ zu finanzieren. Reicht das?

„Die FPÖ ist wie eine Colaflasche: außen ein rotes Pickerl, innen viel braun“, ätzt Christoph Peschek, Lehrlingssprecher der Wiener SPÖ. Er gehört zwar zu jenen, die als Konsequenz aus der Wahlniederlage fordern, dass die SPÖ sich wieder der Verbesserung der Arbeitswelt widmen müsse – warnt aber davor, das mit der FPÖ zu versuchen. In der Tat funktioniert die Suche nach Übereinstimmungen nur dann, wenn rassistische Forderungen der FPÖ, etwa jene nach einer eigenen Ausländer-Krankenkasse, ausgeblendet werden und man sich, wie manche Genossen, damit beruhigt, dass das EU-Recht derlei Unsinn ohnehin verhindern werde.

Es sieht ganz so aus, als gerate die sozialdemokratische Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der FPÖ aus moralischen Gründen immer mehr zu einer leeren Phrase. Frei von Opportunismus war der Umgang der SPÖ mit der FPÖ ohnehin nie. In den ersten Nachkriegsjahren hatte die Sozialdemokratie größtes Interesse daran, dass die FPÖ, damals VDU genannt, als Sammelbewegung ehemaliger Nazis bei Parlamentswahlen kandidieren durfte. Man erwartete sich davon eine Spaltung des bürgerlichen Lagers. SPÖ-Vorsitzender Bruno Kreisky ging nach seinem ersten Wahlerfolg im Jahr 1970 kühl kalkulierend vor. Noch in der Wahlnacht rief er den damaligen FPÖ-Obmann Friedrich Peter zu sich und bot der FPÖ eine für sie günstige Wahlrechtsreform und den dritten Nationalratspäsidenten an. Kreiskys Minderheitsregierung wurde dafür ein Jahr lang unterstützt. Kreisky hielt an der theoretischen FPÖ-Option auch dann fest, als bekannt wurde, dass Peter einer SS-Mordbrigade an der Ostfront angehört hatte.

Die erste Koalition von Sozialdemokraten und Freiheitlichen (1983 bis 1986) wurde nach dem Verlust der absoluten Mehrheit noch in der Wahlnacht fixiert. Der Koalitionspakt stand bereits nach zwei Wochen. Die SPÖ hatte ihr Wahlprogramm weitgehend durchgesetzt. Die Funktionäre waren dennoch skeptisch, und es brauchte einen Sonderparteitag, auf dem Kreisky alle Register zog, um die Genossen davon zu überzeugen, dass es sich bei der FPÖ um eine „liberale Partei“ handle.

Norbert Steger, der freiheitliche Regierungspartner, der sich der Sisyphusarbeit gestellt hatte, die sogenannten „Kellernazis“ aus der FPÖ zu entfernen, wurde allerdings von eben diesen „Kellernazis“ unter Führung Jörg Haiders aus dem Amt gejagt. Haider hatte seinen Putsch auf eine Lüge gegründet. Er hatte vor den Delegierten des Innsbrucker Parteitags 1986 behauptet, die Kleine Koalition würde auch mit ihm als Parteiobmann fortgeführt, obwohl Vranitzky ihm in einem Telefonat ein paar Tage zuvor gesagt hatte, er würde bei Haiders Machtübernahme die Zusammenarbeit mit der FPÖ beenden. Von da an galt in der SPÖ-Spitze die Haltung: Wegen menschenverachtender Stimmungsmache und mangelnder Distanzierung zum Geist des Nationalsozialismus könne die FPÖ kein Partner sein.

In den Parteizentralen der Länder sah man das nicht so strikt. Eine FPÖ-Unterstützung für die Wahl zum Landeshauptmann wollte man weder im Burgenland noch in der Steiermark ausschließen. Und bevor Michael Häupl in Wien die SPÖ übernahm, hatten die Genossen auch in der Bundeshauptstadt die FPÖ als „prinzipiell regierungsfähig“ betrachtet.
Am weitesten gedieh die rot-blaue Achse freilich in Kärnten. Im Frühjahr 1994 wollte der damalige Kärntner SPÖ-Obmann Michael Ausserwinkler Haider „den Nimbus des Ausgegrenzten nehmen“ und ging in Verhandlungen um den Posten des Landeshauptmanns. Beim vierten Treffen ließ Haider neun Flaschen Brunello und Vino Nobile di Montepulciano auffahren. Posten und Pöstchen waren schon unter Dach und Fach, bis Franz Vranitzky der „Brunello“-Runde in die Parade fuhr und öffentlich sagte, das gehe so nicht.

Noch einmal drei Jahre später inserierte der Kärntner Sozialdemokrat Siegbert Metelko in der Kärntner FPÖ-Zeitung, er habe vor, „auch und vor allem mit den Freiheitlichen“ zusammenzuarbeiten, wenn sie ihn bei der Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Klagenfurt unterstützten. Auch Metelko wurde zurückgepfiffen. 1999, nach dem Wahlsieg Haiders in Kärnten, nahm der damalige SPÖ-Kanzler Viktor Klima vorsorglich am Kärntner Landesparteivorstand teil, um seine Genossen davon abzuhalten, Haider zum Landeshauptmann zu wählen. Haider wurde nur mit FPÖ-Stimmen gekürt.

Die Quarantäne war von oben verordnet und wurde unter SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer auch von oben aufgeweicht. Im Beisein eines Kamerateams und einer Reihe Fotografen traf er sich mit Haider in einem steirischen Gasthaus zum „Spargel-essen“. Für eine Zusammenarbeit in sozialen Fragen sei ihm „jede Stimme recht“, rechtfertigte sich Gusenbauer. Wenige Monate später, im Frühjahr 2004, wurde in Klagenfurt ein Pakt zwischen SPÖ und FPÖ geschlossen. Sie wurde „Chianti-Koa-lition“ genannt, weil in der entscheidenden Verhandlungsnacht bis zum Morgengrauen über das Maß hinaus dem italienischen Rotwein zugesprochen worden war. Sie war kurz und ruhmlos. Sie hielt ein Jahr. In dieser Zeit wurden die Haidersche Politik von Brot und Spielen, das Schulden-Machen und die Verhöhnung des Rechtsstaats in der Ortstafelfrage ungebremst fortgesetzt. Gleichzeitig wurde 2004 auf einem SPÖ-Bundesparteitag beschlossen, dass eine „rechtspopulistische FPÖ niemals ein Partner für die SP֓ sein könne.

Abseits der hehren Reden wankte die Sozialdemokratie auch in der Ausländerpolitik seit Jahrzehnten zwischen Anstand und Stammtisch, mit Tendenz zum Letzteren. Auch das hat historische Tradition: Die Gewerkschaften fühlen sich traditionell dem Schutz heimischer Arbeiter vor ausländischer Konkurrenz verpflichtet, schon in der Ersten Republik ertrotzten sie ein „Inlandsarbeiterschutzgesetz“. Selbst in den 1960er-Jahren, als Österreich händeringend Gastarbeiter suchte, durften die Fremden nur in dem Betrieb werken, der sie angefordert hatte. Arbeitsplatzwechsel oder Weiterqualifizierung waren untersagt, Integration nicht vorgesehen. Mit der Wirtschaftskrise 1973 verordnete Kreisky einen „Gastarbeiter-Stopp“.

An diese Ideologie knüpfte die Sozialdemokratie nahtlos an, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Flüchtlinge nach Österreich strömten und Haider mit Ausländerhetze einen Erdrutschsieg nach dem anderen feierte. „Das Boot ist voll“, verkündete die SPÖ-Spitze in den 1990er-Jahren und beschloss Aufenthaltsgesetze, die kaum Schikanen ausließen. Selbst ein Unwort wie „Überfremdung“ fand sich in den Bescheiden der Ratshausbürokratie des roten Wien. Mit diesem Argument wurden Aufenthaltsanträge abgelehnt.

Bis heute hat die SPÖ die Frage nicht entschieden, ob sie Ressentiments gegen Ausländer bekämpfen oder ihnen nachgeben soll. In Wien wird mit Deutschkursen und Sozialarbeitern viel unternommen, um Konflikte zu verringern. Doch auf Bundesebene votiert die SPÖ ungebrochen für restriktive Fremdengesetze: Selbst 2005, als sie in Opposition war, stimmte sie der schwarz-blauen Verschärfung der Ausländergesetze zu, nach der Wiedererringung des Kanzleramts wurde mehrmals nachjustiert. Nirgendwo in der EU ist es so teuer und aufwändig, Staatsbürger zu werden.

Auch auf der symbolischen Ebene der Politik ging die SPÖ den Weg der Annäherung weiter. Straches rechtsradikale Vergangenheit wurde – von Gusenbauer – im Jahr 2007 als „Jugendsünde“ verharmlost, woraufhin der nationale EU-Abgeordnete Andreas Mölzer öffentlich die Vorteile einer freiheitlichen Unterstützung einer SPÖ-Minderheitsregierung erwog.
Derzeit „sondiert“ SPÖ-Klubobmann Cap mit Heinz Christian Strache etwaige gemeinsame Wege für Gesetze, die eine Verfassungsmehrheit brauchen.

Einer richtigen Zusammenarbeit steht nicht mehr die Vernunft, sondern nur noch das Herz der Partei im Wege, das derzeit noch anders schlägt.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin