Vermögensskandal um Böden in Tirol

Vermögensskandal um Böden in Tirol: Von Agrargemeinschaften gesetzlos angeeignet

Agrargemeinschaften eigneten gesetzlos an

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Von Edith Meinhart

Dreimal täglich führt Ulrich Stern seinen Riesenschnauzer äußerln. An den Reaktionen der Mieminger, die ihm dabei über den Weg laufen, kann er die Stimmung in der Tiroler Berggemeinde abschätzen: „Es unterliegt gewissen Schwankungen, ob ich gegrüßt werde oder nicht.“

Stern ist ein Zugereister. 1985 bezog er mit seiner Frau ein schönes, großes Haus am Mieminger Plateau, das als pittoreske „Bergdoktor“-Kulisse übers Land hinaus berühmt wurde und das die Innsbrucker seit den siebziger Jahren als Wochenenddomizil schätzen. Malerisch gelegen, umrahmt von schroffen Bergketten, der ideale Ort, um seine Pension zu genießen, fand Stern. Doch als der ehemalige Casinos-Austria-Manager auf einer ÖVP-Namensliste in den Mieminger Gemeinderat gewählt wurde, war es mit seiner Ruhe vorbei.

Stern war in seiner neuen Funktion bald „allen möglichen Kuhhandeln“ auf die Schliche gekommen. Er bohrte nach, stieß auf neue, bohrte weiter und förderte schließlich eine skandalöse Chronik zutage, mit der Mieming – die Heimatgemeinde des legendären Landesvaters Eduard Wallnöfer und heute Wohnsitz von Herwig van Staa – noch von sich reden machen wird.
Sieben Agrargemeinschaften gibt es im Ort. Diese bäuerlichen Zusammenschlüsse sind, wie auch Tourismusverbände, Körperschaften öffentlichen Rechts. Ihre Mitglieder haben ein historisch gewachsenes Recht, ihr Vieh auf die allgemeinen Gründe zu treiben und so viel Holz aus dem Wald zu holen, wie sie zum Heizen und zum Bau ihrer Ställe und Scheunen brauchen.

Um zu verhindern, dass die Bauern mehr abholzen als nachwächst, hatte man den Wald in Streifen geteilt. Jedem Agrargemeinschaftsmitglied wurde einer davon zur Nutzung zugeteilt. Doch das reichte den Bauernfunktionären in den fünfziger Jahren nicht mehr: Aus dem Nutzungsrecht am Teilwald sollte – rechtswidrig – Eigentum werden. Die Agrarbehörde spielte mit, der einfärbig schwarze Gemeinderat hielt still, ebenso die Gemeindeaufsicht, der Agrarlandesrat, die Staatsanwaltschaft, die Medien und die Oppositionsparteien im Landtag.

Über 2000 Hektar eigneten sich die Mieminger Agrargemeinschaften seit den fünfziger Jahren grundbücherlich an. Ein Großteil des ehemaligen Föhrenwaldes ist inzwischen gerodet, als Baugrund zu lächerlichen Preisen an ausgewählte Mitglieder verschachert, billig an Verwandte weitergereicht, die ihn für Nachkommen horten oder teuer an Auswärtige verkauften. Von den Erlösen hat die Gemeinde keinen Euro gesehen. Mieming besitzt heute noch ein Gemeindegebäude, ein Schulhaus und ein paar Hek­tar Lawinenwald; alles andere – bis hin zum Platz, auf dem die Kirche steht – rissen die Agrargemeinschaften an sich.

Schamlos ausgeweidet. Dass die Mieminger Bauern so wenig Genierer hatten, ist mit schuld daran, dass die wahrscheinlich größte Vermögensverschiebung der Zweiten Republik jetzt allmählich ans Tageslicht kommt. Mieming ist vermutlich die am schamlosesten ausgeweidete Gemeinde Tirols. „Man sieht hier die Auswüchse des Systems besonders gut“, sagt Grünen-Chef Georg Willi. In den vergangenen Jahrzehnten wurden in 175 von 289 Gemeinden insgesamt zwischen 2000 und 3000 Quadratkilometer an öffentlichem Grund und Boden entwendet. Das entspricht der Fläche von ganz Osttirol – oder fünfmal Wien.

Der Schaden ist nicht zu beziffern. Selbst wenn man für einen Quadratmeter nur einen Euro veranschlagt, sind das in Summe zwei bis drei Milliarden Euro. Tatsächlich befinden sich unter den Grundstücken aber viele – teure – „Gunstlagen“. Dazu kommen entgangene Erträge aus dem
so genannten Substanzwert, wie etwa Jagdpachtschillinge, Dienstbarkeiten für Lifte und Seilbahnen oder Einnahmen von Autobahnraststätten, die von Agrargemeinschaften eingestreift werden. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass den betroffenen Gemeinden so noch einmal 30 bis 50 ­Millionen Euro entgehen – pro Jahr.

Schon 1982 hatte der Verfassungsgerichtshof alle diese Einkünfte den Gemeinden zugestanden. Doch bis hinauf zu den Spitzen des Landes setzte man sich darüber hinweg. „Die Machtbauern haben damals einen Strafzettel bekommen, aber sie haben ihn weggeworfen. Es gab und gibt bis heute so gut wie kein Unrechtsbewusstsein“, sagt ÖVP-Dissident Fritz Dinkhauser, der das Thema im vergangenen Landtagswahlkampf aufs Tapet brachte.

Im Gegenteil: Um den rechtswidrigen Status quo einzuzementieren, trat 1984, also zwei Jahre nach dem Erkenntnis, ein eigenes Gesetz in Kraft, das die Gemeinden davon abhalten sollte, um ihr Hab und Gut zu kämpfen. Die Tiroler Landesregierung legte dem Landtag vor der Abstimmung nahe, darauf zu achten, „dass ergangene rechtskräftige Entscheidungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können“. Ein Teil der Agrargemeinschaften – es geht um 400 von rund 2000 im Land – kassierte weiter Millionenbeträge und schüttete sogar Gewinne an Mitglieder aus, als wären es Ak­tionäre. Bürgermeister, die sich wehrten, blitzten im Land ab. Die Behörde stellte sich fast immer auf die Seite der Bauern. In Stronach entging ein aufmüpfiger Gemeinderat mit Müh und Not einer Verleumdungsklage durch das Land.

Das änderte sich nur langsam. Einer der wenigen, die
die Verfassungsrichter beim Wort nahmen, war der mittlerweile in die Frühpension gemobbte frühere Leiter der Agrarbehörde, Josef Guggenberger. 2006 entschied er im Fall des Ortes Mieders im Stubaital zugunsten der Gemeinde und brachte damit eine Lawine ins Rollen. Weil seine vorgesetzte Behörde, der Landesagrarsenat, den Bescheid aufhob, wanderte die Causa zum Höchstgericht. Und der Verfassungsgerichtshof sagte im Sommer des Vorjahres, was er bereits 1982 gesagt hatte – nur deutlicher: Wenn Agrarbehörden in den fünfziger oder sechziger Jahren Eigentum auf Agrargemeinschaften übertragen haben, war das „offenkundig verfassungswidrig“. Die Gemeinden waren immer Eigentümer und sind es noch heute, die Agrargemeinschaften dürfen nur treuhändisch verwalten.

Damit war klargestellt, dass jedes weitere Vorenthalten von Geld oder Grund und Boden ein rechtswidriger Griff in die öffentlichen Kassen ist. Die Landespolitik, allen voran Agrarlandesrat Anton Steixner, versuchte daraufhin, eine Eigentumsdebatte zu verhindern, die sich zum Flächenbrand auswachsen könnte. Landeshauptmann Günther Platter trommelte eine Sonderkommission zusammen, die helfen soll, das Höchstgerichtserkenntnis umzusetzen. „Was den Gemeinden gehört, sollen sie auch bekommen“, sagt er. Hinter den Kulissen jedoch arbeitet man daran, dass der Skandal nicht vor dem kommenden Frühjahr losgeht – da werden in Tirol die Gemeinderäte neu gewählt.

Eine Weile schien es, als könnte der glosende Brandherd kontrolliert werden. Doch dann fing es an allen Ecken und Enden zu brennen an: Peter Riedmann ist Bürgermeister von Lans. Jedes Mal, wenn die kleine Innsbrucker Umlandgemeinde eine Fläche brauchte – für einen Kanal oder ein Wasserreservoir –, musste er „auf den Knien zu den Agrargemeinschaften rutschen“. Und die sagten meistens zuerst Nein und hielten dann die Hand auf. 2005 platzte Riedmann der Kragen. Der gelernte Rechtsanwalt begann, sich öffentlich über die „heimlichen Zweitregierungen“ aufzuregen.

Das ermutigte den frisch ins Amt gewählten Neustifter Bürgermeister Peter Schönherr. Er betraute den Innsbrucker Anwalt Andreas Brugger, seit dem Vorjahr auch Landtagsabgeordneter für die „Liste Fritz“, mit Nachforschungen. Brugger war fassungslos: Anfang der sechziger Jahre hatte Neustift noch 2000 Hektar Grund besessen. Im Archiv fand er einen Dreizeiler mit der nackten Feststellung, dass die Agrargemeinschaft seit dem April 1963 Eigentümerin sei: „Aber keine Zeile von Begründung.“ Dabei gab es die Körperschaft offiziell gar nicht, sie wurde erst Anfang 1964 aktenkundig.

Verfassungsbruch als Methode. Bald befassten sich immer mehr Tiroler Bürgermeister mit der Geschichte. Und es zeigte sich, dass der Verfassungsbruch von den fünfziger Jahren an zur Methode geworden war und sich in manchen Gemeinden bis in die neunziger Jahre fortgesetzt hatte. 2005 sprach der Grüne Willi erstmals vom „größten Vermögensdelikt der Zweiten Republik“. Doch die regionalen Medien – allen voran die „Tiroler Tageszeitung“ – hatten wenig Ehrgeiz, die Affäre restlos aufzudecken. Brugger hatte eine Fülle von skandalösem Material beisammen und stellte es ins Internet (www.­ra-brugger.at). Er argumentierte, offensichtliches Unrecht dürfe nicht einzementiert werden, nur weil Bescheide rechtskräftig sind – und verlor drei Verfahren. Bauernbundvertreter und Agrarlandesrat Anton Steixner verunglimpfte den mutigen Rechtsanwalt bei jeder Gelegenheit. Brugger: „Sie hätten mich zur Schnecke gemacht, wenn ich nicht irgendwann Recht bekommen hätte.“

Das Blatt wendete sich, als ihm ein Spitzenbeamter im Ruhestand in einem Zeitungsinterview zur Seite sprang. Hermann Arnold war von 1965 bis 1974 Leiter der ­Agrarbehörde, danach als Landesamtsdirektor der höchste Beamte Tirols. Im profil-Interview sagt er: „Fehler zu machen ist keine Schande. Doch man muss sie berichtigen, sonst bekennt man sich nicht zum Rechtsstaat.“ Es gibt keinen juristischen Begriff für das, was in den Nachkriegsjahren in Tirol passierte: Diebstahl heißt es bei beweglichen Sachen. Für Diebstahl von Land sieht das Strafgesetzbuch keinen Paragrafen vor. Selbst Brugger hätte bis vor wenigen Jahren nicht geglaubt, dass eine derartige Vermögensverschiebung unter demokratischen Vorzeichen möglich ist: „Das Irre ist, dass sie ja nicht unter dem Kaiser oder unter den Nazis stattfand, sondern in der Zweiten Republik.“

Nicht alle Agrargemeinschaften Tirols bedienten sich: Im Oberland war es fast Usus, im Unterland – wo viele Großbauern zu Hause sind – gibt es kaum enteignete Gemeinden. Besonders dreist griffen die Agrargemeinschaften zu, wo kein Widerstand zu erwarten war. Bis heute erzählen Bauernvertreter eine – nachweislich falsche – Version der Geschichte: Sie seien geradezu verpflichtet gewesen, sich des Eigentums anzunehmen. Die Gemeinden seien gar nicht in der Lage gewesen, die Wälder zu bewirtschaften. Sie, die Bauern, hätten außerdem immer schon die „wahren“ Gemeinden gebildet. Wenn man, wie der Mieminger Gemeinderat Ulrich Stern, aber nur ein bisschen nachforscht, findet man dicke Urkunden, die belegen, „dass 1848 viele Grundstücke von der Herrschaft auf die politischen Gemeinden übergingen“.

Agrargemeinschaften, die bisher Millionengeschäfte machten, schlossen sich zur Plattform Agrar zusammen (www.plattform.agrar.at). Diese organisiert nicht nur die landesweite Geschichtsklitterung, sondern sammelt auch Spenden für einen Rechtsbeistand, der helfen soll, die Umsetzung des Höchstrichterspruchs zu verzögern. Zu ihren inoffiziellen Sympathisanten gehört angeblich auch Agrarlandesrat Anton Steixner. Er warf allen, die die Vermögensverschiebungen zulasten der Gemeinden anprangerten, vor, Missgunst, Neid und kommunistisches Gedankengut zu verbreiten. Noch vergangene Woche behauptete Steixner im ­profil-Interview, Eigentum sei nur dort übertragen worden, „wo die Gemeinden das wollten“.

Grundherren. In Wahrheit hatten die Bauern früh begriffen, dass Grundbesitz ihnen auch künftig Einfluss und Ansehen sichern würde – erst recht in einem Land, in dem nur zwölf Prozent der Fläche besiedelbar sind. Der Lanser Bürgermeister Peter Riedmann hat ein Schriftstück aus dem Jahr 1955 ausgegraben, in dem es heißt, dass die Gemeinde von „Überfremdung“ bedroht sei und zu befürchten stehe, dass die Bauern nach der Wahl – gemeint war die Gemeinderatswahl 1956 – nicht mehr die Mehrheit hätten.

„Wo der Widerstand zu schwach war, wanderte das Eigentum ohne Gemeinderat, ohne Gemeindeaufsicht“, resümiert Ex-Landesamtsdirektor Arnold. Nicht immer ging es dabei ohne Kämpfe ab: In Zams schmiss ein Bürgermeister das Amt hin, weil man seiner Gemeinde den Wald weggenommen hatte.

Erwin Aloys, von 1975 bis 1986 Bürgermeister von Ischgl, schreib in seiner Autobiografie „b’sinna“, dass es ihm bei Durchsicht der Grundbücher den Atem verschlagen habe: Wälder, Fluren, das Ödland, alle Straßen und die Pardatsch-Wallfahrtskapelle waren 1968 und 1972 den Agrargemeinschaften übertragen worden. 141 von ins­gesamt 1250 Einwohnern hatten sich den ­öffentlichen Besitz einverleibt. Nur vom Friedhof, vom Gemeindehaus und vom Schulgebäude hatten sie die Finger gelassen. Das ließ sich der leutselige Skilehrer und Hüttenwirt nicht gefallen. Flankiert von einem Rechtsanwalt, pilgerte er ins Landhaus, um „seinen“ Besitz zurückzufordern. Man trat ihm 100 Hektar „Besiedelungsgrund“ ab, und Aloys bedauerte bis zuletzt, dass er sich damit hatte abspeisen lassen. Er war sicher, dass er beim Höchstgericht „jeden Quadratmeter zurückgewonnen hätte“.

Nun müssen, nach fast fünfzig Jahren Rechtsbruch, in ganz Tirol die Eigentumsverhältnisse zurechtgerückt werden. Juristisch ist die Lage sonnenklar: Der Verfassungsgerichtshof hat sinngemäß erklärt, dass Eigentum „offenkundig verfassungswidrig“ übertragen worden ist. Das sei nun nicht mehr änderbar, weil die Entscheidungen zwar falsch, aber rechtskräftig sind. Allerdings müssten Erträge aus Gemeindegütern abgeführt werden – und zwar an die Gemeinden, die stets Eigentümer geblieben seien. „Was den Bauern bleibt, sind die Nutzungsrechte, aber nur, wenn sie wirklich Bauern sind“, sagt Arnold. Der nächste Konflikt ist ­damit programmiert: Ein Drittel der Agrargemeinschaftsmitglieder hat Insidern zufolge keinen bäuerlichen Betrieb mehr. Von ehemals 40.000 Höfen in Tirol hat jeder zweite in den vergangenen Jahrzehnten die Stalltüre zugesperrt.

Verdacht der Untreue. Vor zwei Jahren nahm sich das Tiroler Monatsblatt „Echo“ der Agrargemeinschaften an und bleibt seither hartnäckig an dem Thema dran. Inzwischen ist eine landesweite Debatte kaum noch zu verhindern. Bürgermeister, die der Gemeinde nicht die ihr zustehenden Gründe und Erträge sichern, bringen sich in den Verdacht der Untreue. Doch kaum jemand will es sich so kurz vor der Landtagswahl mit den Bauernvertretern verscherzen. Landeshauptmann Platter, der bei seiner Obmannwahl im Jänner noch auf die Unterstützung des Bauernbündlers Steixner angewiesen war, will zwar das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs „zu 100 Prozent umsetzen“, sich aber nicht weiter exponieren.

Den Beamten jener Behörde, die bei den rechtswidrigen Eigentumsübertragungen mitgespielt haben, könnte es ähnlich gehen. Doch wer heute noch am Verfassungsgerichtshofserkenntnis rüttelt, riskiert eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs. Ungewöhnlich deutlich hatten die Höchstrichter auch den Landesagrarsenat – die zweite Instanz bei Streitigkeiten mit Agrargemeinschaften – gerüffelt. Noch einmal wird man die Höchstrichter nicht ignorieren können.

Auch der Druck von unten nimmt zu, sagt der Lanser Bürgermeister Riedmann: „Die Wirtschaftskrise spüren sowohl die Bürger als auch die Gemeinden, da ist nicht einzusehen, warum ein paar wenige viel haben und die anderen dafür zahlen.“ Noch hat sich nicht herumgesprochen, dass die normalen Bürger für die Eigentumsverschiebung zugunsten weniger Bauern – über Gebühren und Abgaben – zur Kasse gebeten werden: Die Stadt Innsbruck etwa überweist jedes Jahr 600.000 Euro Pacht für eine Mülldeponie im Ahrental, das ihr laut Verfassungsgerichtshof ohnehin gehört. Der größte Teil fließt in die Agrargemeinschaft Vill. Die Innsbrucker Bürgermeisterin Hilde Zach will nun das Eigentum zurückfordern.

Noch hat keine Gemeinde einen Cent gesehen. Vor drei Wochen veschickte die Agrarbehörde den ersten von 400 zu erwartenden Bescheiden. Es geht um eine Almwirtschaft in Musau, 1550 Festmeter Holz und Rücklagen in Höhe von 175.000 Euro – ein vergleichsweise leichter Fall für den Einstieg. In Mieming hingegen sind immense Grundstücksspekulationen zu beleuchten. „Rund 100 Hektar Baugrund zum heutigen Verkehrswert von 200 Millionen Euro wurden den Bürgern seit den fünfziger Jahren genommen“, schätzt Gemeinderat Stern. Keine vier Monate nach dem Verfassungsgerichtshofsurteil wurden wieder Baugründe zu Spottpreisen verklopft: darunter 1200 Quadratmeter zu je 2,90 Euro – an ein Agrargemeinschaftsmitglied. Der Deal wurde von der Agrarbehörde abgesegnet. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck in dieser Causa. Drei von Stern im Vorjahr eingebrachte Anzeigen waren geräuschlos eingestellt worden.

Gemeinderat Stern wurde der Zugang zum Landesarchiv versperrt. Doch er ist ein ruhiger, zäher Kämpfer, das hat er im Fechtsporttraining gelernt. Für die Habenichtse unter den Tirolern ist er inzwischen so etwas wie ein Ombudsmann. Immer wieder raunen ihm Mieminger im Vorübergehen zu, wie gut sie es finden, dass „endlich einer den Mund aufmacht“. Vor einigen Monaten lief dem gebürtigen Kärntner Stern in Innsbruck ein Kaufmann über den Weg, der von seinem Kampf gegen die Grundherren gelesen ­hatte. Er sagte: „Wir Tiroler sind doch alles Weicheier. Da muss erst wieder einer von außen kommen.“

Fotos: Marc Beckmann