Alwin Schönberger: Funkstille

Alwin Schönberger: Funkstille

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Preisfrage: Wann häufen sich Klagen über Gesundheitsbeschwerden durch den Mobilfunk ganz besonders? Wenn irgendwo ein Handymast aufgestellt wird – bevor dieser jedoch den Betrieb aufnimmt. Der blanke Anblick einer potenziellen Gefahrenquelle führt bei manchen Menschen also dazu, exakt jene Symptome auszulösen, deren Eintreten sie erwarten. Angst kann krank machen, und genau dies ist mein Vorwurf an Klaus Scheidstegers Film: Er schürt Angst, ohne belastbare Fakten zu liefern, dass diese berechtigt sein könnte. Wer so etwas tut, muss sich bewusst sein, dass er noch weitere Menschen in Panik versetzt – und Leiden womöglich befördert oder verstärkt.

Im Kern geht es um die Frage, ob die Benützung von Handys schädlich ist, insbesondere Gehirnkrebs erzeugen kann. Verhandelt der Film diese Frage auf Basis eines breiten aktuellen Kenntnisstandes? Nein, er entwirft das Szenario einer skrupellosen Industrie, die Kritiker systematisch mundtot macht. Um Wissenschaft, sagt sogar der Regisseur, sei es ihm weniger gegangen als um das Aufzeigen dunkler Machenschaften. Dies ist, mit Verlaub, ein billiges Argument: Erstens suggeriert der Film selbst Wissenschaftlichkeit, indem ständig Forscher vor diffus definierten Gefahren warnen (wobei nur eine sehr kleine, eingeschworene Gruppe von Experten als glaubwürdig dargestellt wird).

Wissenschaftlichkeit wird hier vor allem als Stilmittel vorgeschützt, um der Dramatik – etwa von Patientengeschichten, die jeden Beleg für die Ursache ihrer Krankheit vermissen lassen – ein scheinbar solides Fundament zu verpassen. Zweitens kann man keinen Film über Gesundheitsrisiken machen, ohne zuvorderst zu fragen: Wie groß ist das Problem aus medizinischer Sicht?

Es gibt sogar Studien, die in einzelnen Altersgruppen bei häufigem Telefonieren ein geringeres Risiko für Hirnkrebs darlegen.

Versuchen wir eine knappe Antwort. Seien wir gnädig, ziehen wir eine besonders kritische Studie jüngeren Datums heran (ja, solche gibt es, was sich übrigens mit der Behauptung des Films schlägt, solche Arbeiten würden permanent unterdrückt): eine schwedische Studie aus dem Jahr 2014, deren Autor als einer der lautesten Warner vor dem Mobilfunk gilt. Ignorieren wir das Faktum, dass viele Kollegen allein bei der Nennung des Namens die Augen verdrehen, lassen wir methodische Schwächen sowie den Umstand außer Acht, dass es sich um eine Außenseiterposition handelt. Nehmen wir für einen Moment an, die Resultate seien unstrittig und stünden im Mainstream. Was käme heraus? Dass Mobilfunknutzer ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko für Gehirnkrebs haben (speziell für eine Form davon, das bösartige Gliom). Ist das viel?

Nein, weil bösartige Gliome extrem selten sind. Etwa drei von 100.000 Menschen müssen eines Tages mit solch einer Diagnose rechnen. Eine 30-prozentige Risikosteigerung bedeutet nun, dass in Summe 3,9 Personen betroffen sind. Unter 100.000 Menschen findet man damit nicht einmal eine Person, die aufgrund der Handynutzung erkrankt. Und selbst dies gilt eben nur unter der Annahme, dass man die Konklusio dieser Studie akzeptiert und all jene großen Arbeiten beiseite lässt, die gar keine Effekte ausweisen. Es gibt sogar Studien, die in einzelnen Altersgruppen bei häufigem Telefonieren ein geringeres Risiko für Hirnkrebs darlegen. Natürlich wäre es Unsinn, zu folgern, dass Handys vor Krebs schützen – doch solche Daten zeigen, dass zwei Faktoren, nur weil sie gleichzeitig auftreten, längst nicht ursächlich verknüpft sein müssen. Das gilt aber umgekehrt auch für vermeintliche Gefahren. Und wenn wir schon beim Aufrechnen sind: Ebenso gut könnte man behaupten, Handys seien hauptsächlich lebensrettend, weil sie die Alarmierungszeit von Notärzten verkürzen.

Doch fraglos wohnt dem Entwurf einer ungeheuerlichen globalen Intrige gegen unangenehme Wahrheiten mehr Thrill inne als nüchternen Zahlen.

Unterm Strich trifft wohl Folgendes zu: Möglicherweise gibt es tatsächlich einzelne Personen, bei denen Handystrahlen das Tumorwachstum antreiben. Aber es sind sehr wenige – so wenige, dass sie kaum erfassbar sind, worauf auch Daten aus Österreich hinweisen: Seit Beginn der 1990er-Jahre stieg die Zahl der Handyverträge auf mehr als 13 Millionen. Die Rate der Hirnkrebsdiagnosen blieb jedoch konstant oder ist sogar dezent rückläufig: Addiert man sämtliche Formen, erleiden sechs von 100.000 Menschen Gehirnkrebs, 1992 genauso wie 2012. Auch die offizielle Gefährdungseinstufung der WHO, gerne als Indiz für veritable Gefahren herangezogen, ist in Wahrheit kein Anlass zur Beunruhigung: Demnach ist etwa der Verzehr roten Fleisches bedenklicher als Mobilfunk.

Doch fraglos wohnt dem Entwurf einer ungeheuerlichen globalen Intrige gegen unangenehme Wahrheiten mehr Thrill inne als nüchternen Zahlen (wobei Klaus Scheidsteger wohl vom eigenen „Fang“ elektrisiert war, wie die Nebenseite verrät). Und es lassen sich wohl schwerlich 90 Minuten Doku gestalten, deren zentrale Aussage lautet: Vielleicht bekommen 0,9 von 100.000 Menschen Gehirnkrebs durch Handys. Vielleicht aber auch nicht.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft