Die große Schieflage

Vermögen ist in Österreich noch konzentrierter, als bisher angenommen

Reichtum. Vermögen ist in Österreich noch konzentrierter, als bisher angenommen

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Selbst der derzeitige Rockstar der Wirtschaftsforschung musste vor Österreich kapitulieren. Über ein Jahrzehnt lang häufte der französische Ökonom Thomas Piketty Zahlen über Armut und Wohlstand für seine „weltweite Datensammlung der Superreichen“ an: aus Argentinien über Deutschland, Großbritannien und Frankreich bis China und die USA.

Eigentlich hätte auch Österreich in diesem Konglomerat aus Ziffern und Grafiken enthalten sein sollen, das in den Wälzer „Kapital im 21. Jahrhundert“ mündete und seit Wochen quer über den Globus und weit über den kleinen Kreis ökonomischer Feinspitze hinaus für Furore und Debatten darüber sorgt, wie viel Macht und Vermögen der kleine Klub der Reichen sammelt und vermehrt.

Allein, es haperte an den Daten. Darum kommt Österreich in Pikettys Bestseller nicht vor – wie sein Ökonomen­kollege Anthony Atkinson, der britische Altmeister der Vermögensforschung, vergangenes Wochenende auf einer Konferenz an der Wiener Wirtschaftsuniversität bedauernd erzählte. In der Tat wusste man hierzulande lange fast alles über Armut und den unteren Rand der Gesellschaft – aber so gut wie nichts über Reichtum. Kein Wunder: Das Bankgeheimnis macht Wohlstand zum Mysterium, Zahlen über Vermögen gibt es mangels Vermögenssteuern nicht, und was Immobilien und Grundstücke eigentlich wert sind, wollte seit dem Jahr 1973 niemand mehr wissen. Seit damals werden Villen, Bauernhöfe und Zinshäuser nach dem sogenannten Einheitswert bemessen. Erst die Europäische Zentralbank (EZB) machte dieser überaus dürftigen Datenlage ein Ende: In ihrem Auftrag befragte die heimische Nationalbank (OeNB) in großangelegten Untersuchungen tausende Haushalte, wie viele Aktien, welche Unternehmensanteile, Eigentumswohnungen, Kunstwerke und Schulden sie besitzen.

Für Piketty kamen diese Daten zu spät. Für die anschwellende heimische Debatte über Sinn oder Unsinn von Vermögenssteuern kommen sie gerade recht, werden doch seit der Veröffentlichung der OeNB-Erhebungen stets neue Puzzlesteine über die schiefe Verteilung des Wohlstandes bekannt. Ein Forscherteam der Wiener Wirtschaftsuniversität hat die Datensammlung der Nationalbank nun ein Jahr lang penibel ausgewertet und durchgerechnet und kam zu einigermaßen überraschenden Befunden, die profil vorliegen: Die Reichtumskonzentration ist noch stärker als bisher angenommen.

Vermögen sind in einer sehr kleinen Bevölkerungsgruppe versammelt, allein die reichsten fünf Prozent ragen mit einem durchschnittlichen Nettovermögen (abzüglich der Schulden) von 2,56 Millionen Euro deutlich hervor.

Der politisch viel zitierte „kleine Häusl-bauer“ ist ein Zerrbild, denn die unteren 50 Prozent wohnen fast ausschließlich zur Miete. Einkünfte aus Kapital, Zinsen, ­Aktien oder Mieten spielen für das Gros der Österreicher keine Rolle – das reichste Prozent bessert damit aber sein Einkommen um erkleckliche 100.000 Euro jährlich auf. Auch der Besitz von Unternehmen(santeilen) ist ein Minderheitenprogramm für die reichsten fünf Prozent. Nicht zuletzt birgt die Aufschlüsselung nach Berufsgruppen Aha-Momente: Landwirte sind überraschend häufig in den obersten zehn Prozent zu finden.

Das liegt nicht daran, dass Haus und Hof eine Kernkompetenz des heimischen Adels ist. Die Esterházy-Gruppe etwa oder andere sehr Wohlbetuchte sind in den Berechnungen gar nicht enthalten – wie alle anderen wirklich Reichen, von Red-Bull-Chef Didi Mateschitz bis zur Familie Porsche. „Alle, die man landläufig kennt, kommen im OeNB-Datensatz nicht vor“, formuliert es der Wirtschaftsuni-Ökonom und Studienautor Mathias Moser. Wenig überraschend ließen sich Milliardäre, sofern sie in der Stichprobe waren, nicht von der OeNB befragen, die Studie umfasst sozusagen nur die „armen Reichen“ – der wohlhabendste Haushalt in der Erhebung besitzt ein Nettovermögen von 16 Millionen Euro.

Zum Vergleich: Die Besitztümer der weniger Begüterten sind nur mit der Lupe auszumachen (profil-Grafik in profil 24/2014, Seite 18), der Balken mit den Vermögen der obersten fünf Prozent kommt hingegen auf eine Länge von 35 Zentimeter. Würde man die Superreichen miteinrechnen, würde dieser Balken auf satte 2300 Meter emporschnellen.

Aber auch ohne diese extrem Wohlbetuchten zeigt eine deutliche Ballung: Von den 1000 Milliarden an privatem Vermögen besitzt die untere Hälfte der Bevölkerung kümmerliche drei Prozent – erst ab den oberen zehn Prozent steigt der Wohlstand sprunghaft an, die wohlhabendsten fünf Prozent vereinen fast die Hälfte allen Vermögens auf sich.

Das Paarungsverhalten kann dabei helfen, etliche Stufen auf der Reichtumsskala hochzuklettern: Denn Single- und Alleinerziehenden-Haushalte versammeln sich in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung, in den obersten zehn Prozent findet sich nur ein Zehntel Einpersonenhaushalte. Das hat auch mit dem Phänomen des sogenannten „assortative mating“ zu tun – oder, weniger wissenschaftlich ausgedrückt: Reich und reich gesellt sich gern. Früher mag, streng nach Klischee, der Arzt die Krankenschwester geheiratet haben – heutzutage ist die statistische Wahrscheinlichkeit höher, dass sich Arzt und Ärztin zusammentun.

Auch eine Berufskarriere als Selbstständiger erhöht die Chance auf Wohlstand beträchtlich, Selbstständige haben im Schnitt rund sechs Mal so viel Vermögen wie Angestellte oder Beamte. Wenig überraschend steigt der Nettobesitz mit dem Alter: Über ein Drittel der heimischen Haushalte ist verschuldet, im Durchschnitt mit 47.000 Euro, bei Jüngeren liegen diese Verbindlichkeiten wesentlich höher. Für den Bildungsgrad gilt die simple Rechnung: Bildung macht sich bezahlt, je gebildeter, desto vermögender.

Verblüfft hat hingegen selbst die Forschergruppe die herausragende Stellung der Land- und Forstwirtschaft: Diese Haushalte weisen mit Abstand den größten Gesamtbesitz auf, kommen auf ein mittleres Vermögen von einer Million Euro und stellen in der Top-Gruppe der Reichsten immerhin einen Anteil von zehn Prozent. Allerdings sind Grundbesitz und die Immobilie Bauernhof für Landwirte quasi Arbeitsgeräte und kein frei verfügbares Vermögen, was diese Daten ein wenig relativiert.

Das Bild bei Zweitwohnsitzen und Immobilienbesitz ist hingegen eindeutig. Die untere Hälfte der Haushalte wohnt überwiegend zur Miete, erst ab der 50-Prozent-Marke steigt der Anteil der Eigenheim- oder Wohnungsbesitzer sprunghaft an. Nur das oberste Viertel der Wohlstandsskala verfügt über mehr als die selbst bewohnte Immobilie. Ein großer Teil davon ist ererbt – zumindest bei jenen 35 Prozent der Bevölkerung, die überhaupt in den Genuss einer Erbschaft kamen. Daraus zieht Matthias Schnetzer, Ökonom bei der Arbeiterkammer und Mitautor der Studie, den Schluss: „Erben ist de facto steuerfrei, das verstärkt die Schieflage zusätzlich.“

Noch stärker konzentriert ist die Vermögensvariante der Betriebsbeteiligungen: Die große Masse von 80 Prozent der Haushalte besitzt diese Wohlstandskomponente so gut wie nie, dann steigt diese Besitzform sprunghaft an: 108.000 Euro beträgt im Schnitt der Wert der Beteiligungen der Top 20, im obersten Vermögensbereich dann bereits 1,2 Millionen Euro.

Ein ähnliches Minderheitenprogramm sind Einkünfte aus Kapital. Der statistisch durchschnittliche Österreicher lukriert aus Zinsen, Dividenden und Mieterträgen 200 Euro pro Jahr – das reichste Prozent der Haushalte hingegen 8000 Euro pro Monat. Für die Top-Ten-Prozent machen die Einkommen aus Kapital mit rund 100.000 Euro pro Jahr ein Drittel der Gesamteinkünfte aus.

Das liegt auch daran, dass sich der Großteil der Österreicher auf Eckzinssparbuch und Co. verlässt und riskantes Finanzvermögen wie Wertpapiere oder Aktien erst in den Top Ten eine Rolle spielt. Damit lässt sich mehr gewinnen – oder auch verlieren.

Stefan Humer, einer der Autoren der Studie, bilanziert: „Vermögen ist noch ungleicher verteilt, als bisher angenommen. Gerade Unternehmensbeteiligungen und Kapitaleinkünfte sind auf eine sehr kleine Gruppe konzentriert.“

Die lang herrschende Illusion, dass der Wohlstand gleichmäßig über alle Bevölkerungsgruppen verteilt ist, wirkt dennoch nach. So gut wie jeder will in Österreich reich werden, wie an jeder Lotto­annahmestelle zu beobachten ist. 14 Milliarden Euro werden jährlich verzockt, nur die Finnen glauben noch unverdrossener an den Traum vom schnellen Geld. Reich sein will hingegen kaum jemand – fast jeder Österreicher ordnet sich selbst dem vagen „Mittelstand“ zu, fast niemand schätzt richtig ein, an welcher Stelle der Wohlstandspyramide der eigene Haushalt liegt.

Auf www.binichreich.at ist ein Selbsttest möglich. Auch diese Webseite ist eine Auswertung der Nationalbank-Daten – allerdings eine überaus spielerische.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin