profil 4/2025: Die Signa-Saga und René va plus
René Benko sitzt, sichtlich unerfreut über das Treffen, in seinem damaligen Signa-Büro in der Wiener Innenstadt. Alles am Interieur und an Benko selbst schreit: „Hier bin ich, und ich habe es geschafft!“ Der helle Marmor, der massive Schreibtisch (eine Sonderanfertigung), die Ledermöbel, der maßgeschneiderte Anzug. Es ist der 29. Juni 2023, und es ist das bis dato erste und letzte Treffen von profil mit dem Signa-Gründer. Ihm gegenüber sitzen Chefredakteurin Anna Thalhammer und Chefreporter Stefan Melichar. Er würde jetzt wohl viel lieber mit Investoren als mit Journalisten sprechen. Aber es hilft nichts.
Wir recherchierten damals schon seit geraumer Zeit zu Signa und hatten Wochen zuvor um ein Interview angefragt – ohne Erfolg. Zwei Tage später sollte eine große Coverstory über Signa und die Hintergründe der Kika/Leiner-Pleite erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt machten in der Finanzwelt schon Gerüchte die Runde, dass Signa in massiven Liquiditätsschwierigkeiten stecken soll. profil schickte einen sehr langen Fragenkatalog, der René Benko wohl in Rage gebracht haben dürfte. Denn kurze Zeit später rief er persönlich bei Chefredakteurin Anna Thalhammer an, um sie zuerst anzuschreien, dann ein Exklusiv-interview zu versprechen und es letzten Endes doch nur zu einem informellen Hintergrundgespräch werden zu lassen – um die „Missverständnisse“ in unserer Recherche aufzuklären. Auch ein hochrangiger Signa-Manager war bei dem Treffen im Sommer 2023 dabei. Das Sagen hatte aber Benko allein, das war sofort klar.
Benko ist ein Menschenfänger. Er hat sich auf das Treffen vorbereitet, hat über die Journalisten recherchiert und schmeichelt ihnen. Er hat viele Zahlen im Gepäck, um das lästige Gerücht, der Signa gehe es schlecht, zu zerstreuen. Und er ist offenbar keine Widerrede gewohnt. Jedes Mal, wenn Stefan Melichar auf Benkos Zahlen mit anderen Zahlen kontert, blitzt Wut auf, und die Antwort fällt ruppig aus. Wer so hoch oben steht, will eben nicht tief fallen.
Damals dachten wir, das Treffen mit Benko sei der Höhepunkt unserer Recherchen. Wie sich herausstellen sollte, war das aber erst der Beginn einer ganzen Signa-Saga.
Never Endig Story
102 Storys hat profil allein in den vergangenen zwei Jahren über Signa, ihren Gründer René Benko, über den Aufstieg und den tiefen Fall veröffentlicht. Dazu kommt ein zehnteiliger Benko-Podcast. Zu schreiben gab und gibt es mehr als genug. Die Geschichten führten uns – teilweise gedanklich, teilweise persönlich – vom Signa-Hauptquartier in der Wiener Herrengasse, in Benkos Keller, zum Haus seiner Mutter bis in die Emirate und nach Südkorea zu Milliarden Euro schweren Investoren. Sie führten uns nach Italien und Deutschland, zu Verwandten von Benkos Ehefrau, wo ein externer Tresor aufgestellt war – und in die Justizanstalt Josefstadt in Wien, wo René Benko derzeit in Untersuchungshaft sitzt. Es gab Wochen, in denen wir René Benko und seiner Signa mehr Aufmerksamkeit schenkten als unseren Familien.
Und es gibt Tage, an die erinnert man sich ganz automatisch. Alle die älter als 30 Jahre sind, wissen zum Beispiel noch ganz genau, wo sie am 11. September 2001 waren. Für die Autorinnen dieses Textes ist der 29. November 2023 ein solcher Tag. Es war ein Mittwoch, und plötzlich läuteten unsere Handys: Achtung, die Signa Holding, damals die Dachgesellschaft der Signa-Gruppe, ist zahlungsunfähig! Wenig später trudelte die offizielle Insolvenzmeldung in unsere Postfächer ein. Nur einen Monat danach, zwischen Weihnachten und Neujahr, schlitterten auch die zwei werthaltigsten Signa-Gesellschaften, Signa Prime und Signa Development, in die Pleite. Game over also. Und der Beginn der Aufarbeitung der größten Firmenpleite in Österreichs Wirtschaftsgeschichte.
Schon Anfang 2023 hatten die ersten Gerüchte über massive Liquiditätsschwierigkeiten bei Signa die Runde gemacht. Es wurde bekannt, dass die Europäische Zentralbank die Signa-Kredite deutscher und österreichischer Banken ins Visier genommen hatte. Kika/Leiner ging kurz nach dem Verkauf durch Signa pleite. Und nach und nach hörte Signa auf, seine Lieferanten und die unzähligen Subunternehmer auf den Baustellen zu bezahlen.
Lange Recherchen wie diese verlaufen in weiten Teilen sehr unspektakulär. Sie bestehen aus unzähligen Stunden der Aktenlektüre – Sanierungsberichte, öffentliche und noch unveröffentlichte Firmenbilanzen, interne Prospekte für die Investoren. Später kamen Durchsuchungsbefehle, Festnahme-Anordnungen, Ermittlungsprotokolle und Zeugeneinvernahmen dazu.
Ab und zu aber passiert etwas, das das Adrenalin rasch ansteigen lässt. Zum Beispiel vor gut einem Monat. Pünktlich zum Muttertag planten wir eine Geschichte über René Benkos Mutter, quasi die Hüterin des Stiftungsvermögens. Oder „Stroh-Mutter“, wie sie Benkos Gläubiger nennen. Stefan Melichar stieg damals in den Zug nach Innsbruck, um Frau Benko persönlich ein paar Fragen zu stellen. So viel hatten wir bereits über sie berichtet. Ihr Name taucht in unzähligen Stiftungsdokumenten und Einvernahmeprotokollen auf. Als Stefan aber an ihrer Türglocke läutet, öffnet tatsächlich diese ältere, leger gekleidete und gar nicht so unfreundliche Frau. Die leider keine Fragen beantworten möchte und gleich wieder ins Haus verschwindet.
Oder, schon etwas länger her: „Wollen Sie eigentlich wissen, wie es in Benkos Grotte ausschaut?“ Natürlich. Man sollte aufpassen, wen man in sein Haus lässt. Als Marina Delcheva einen Handwerker, der anonym bleiben möchte, in Innsbruck trifft, hat er auf seinem Handy unzählige Fotos von Benkos Keller-Spa mit. Zur Erklärung: Die Familie Benko ließ sich im Keller ihres Hauses in Igls die Grotte von Capri nachbauen – als hauseigene Wellness-Oase. Die letzte Rechnung für die Wassertechnik blieb aber unbezahlt, und manch Handwerker wurde zum Gläubiger.
Das Haus kannten wir bereits von außen. Für die erste Staffel des Podcasts „Nicht zu fassen – René Benko“ spähten Anna Thalhammer und Stefan Melichar über den Gartenzaun. Von innen wie von außen war hier augenscheinlich der Luxus zu Hause.
Dann wieder saßen wir bei einem streng geheimen Treffen millionenschweren Signa-Investoren gegenüber. Als keine Dividenden mehr flossen und plötzlich zig Millionen Euro einfach verpufft waren, wurden sie von Freunden zu Feinden. Und sie hatten eine Menge zu erzählen.
René Benko hat uns übrigens zugesagt, noch einmal mit uns zu sprechen. Diesmal in der Justizanstalt. Er hätte gewiss genug zu berichten. Aber Benko ist eben ein Menschenfänger – und wahnsinnig gut im Hinhalten.