Spitzname: "Ben Laden"

Als Söldner in der Ukraine: Spitzname "Ben Laden"

Hat ein junger Vorarlberger als Söldner in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen?

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Ein Soldat, ein Messer, eine Leiche: Der Soldat streckt den Daumen der rechten Hand nach oben, das Messer in seiner Linken weist auf das Ohr der Leiche, der Leiche fehlt der halbe Unterarm.

Das Foto, auf dem die grausige Szene festgehalten ist, wurde nach Recherchen von profil am 30. Juli 2016 nahe der Ortschaft Poposna in der Ostukraine aufgenommen, der Tote ist ein prorussischer Separatist, und der Mann, der neben ihm posiert, ein österreichischer Staatsbürger - Ben F., geboren und aufgewachsen im Vorarlberger Kleinwalsertal.

Laut Informationen aus Justizkreisen sind es Bilder wie dieses, auf denen ein schlimmer Verdacht gründet: Der 25-Jährige könnte im Konflikt um die Ostukraine "Kriegsverbrechen gegen Personen“ begangen haben oder daran beteiligt gewesen sein, vermutet die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Am Sonntag vergangener Woche wurde Ben F. aufgrund eines von Österreich ausgestellten europäischen Haftbefehls in Polen festgenommen, als er sich nach einem mehrmonatigen Heimataufenthalt gerade auf dem Rückweg in die Ukraine befand.

Damit ist vorläufig das Ende einer Kämpferkarriere erreicht, über die profil vor mehr als einem Jahr als erstes Medium berichtet hat. Zu diesem Zeitpunkt war Ben F. bereits gut ein Jahr lang Mitglied einer Kampfeinheit des "Rechten Sektors“ - einer ultranationalistischen Organisation in der Ukraine, die 2013 im Umfeld der Euromaidan-Proteste entstanden war und heute sowohl einen politischen als auch einen bewaffneten Arm hat.

Als ihn profil im März 2016 an der Front nahe dem Flughafen von Donezk interviewte, trat der junge Vorarlberger als professioneller Kämpfer auf, machte aber trotzdem einen etwas verlorenen Eindruck.

"Ich sehe mich ohne Wurzeln. Ich habe es schon im Blut, ich bin ein schwarzes Schaf. Ich würde zu Hause vor die Hunde gehen“, erklärte er damals. Irgendwann wolle er aber wieder auf den "normalen Weg“ zurückkehren und ein ziviles Leben führen - schon deshalb, weil er damit auch eine ganz andere Hoffnung verbindet: "Dass ich dann das alles verstehen werde.“

Mustergültiger Landjugendlicher

Aufgewachsen ist Ben wie ein mustergültiger Landjugendlicher, Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuerwehr seiner Heimatgemeinde inklusive. "Ich spielte Geige, bin Alpin-Ski gefahren und habe Skispringen betrieben“, berichtete er. Seine österreichisch-tunesischen Eltern hätten aber ein "striktes Leben“ für ihn vorgesehen. Und aus diesem bricht er aus, um bereits im Alter von 17 Jahren ins Bundesheer einzutreten.

Er rückt bei einem Jägerbataillon ein, will in den Auslandseinsatz, scheitert aber zwei Mal an der Eignungsprüfung. Nachdem er diese im dritten Anlauf endlich doch geschafft hat, enden zwei Missionen am Balkan mit Enttäuschungen: fade Patrouillen, nicht die erhoffte Kameradschaft, keine Bewährungsproben.

2013 kündigt das Bundesheer den Dienstvertrag des Vorarlbergers. Ben - der seiner eigenen Version zufolge aus dem Militär "ausgestiegen“ ist - erzählt, er habe anschließend eine Ausbildung im Sicherheitsgewerbe gemacht, als Security-Mann auf einem Schiff vor Somalia angeheuert und sich erfolglos um Aufnahme in die Fremdenlegion bemüht.

2014 taucht er zum ersten Mal in der Ukraine auf. Der Donbass, die Industrieregion im Osten des Landes, ist Kriegsschauplatz, seit prorussische Separatisten im Gefolge der Euromaidan-Proteste die Region für unabhängig erklärt haben.

Aber auch dort findet Ben vorerst keine Gelegenheit, sich wunschgemäß zu bewähren, schließt sich daraufhin in Syrien der Kurdenmiliz YPG im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat“ an. Nach seiner Rückkehr Anfang 2015 leitet die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Verfahren wegen Verdachts auf Unterstützung einer terroristischen Organisation ein, das jedoch wieder eingestellt wird - stehen die YPG doch auf keiner Terrorliste.

Anschließend landet Ben F. wieder in der Ukraine und schließt sich dort einer Aufklärungseinheit des "Rechten Sektors“ an, die in Donezk eingesetzt wird. Dort wird trotz eines offiziellen Waffenstillstands weitergekämpft. Rechtsextreme Freiwilligenbataillone und Armee-Einheiten liefern einander schwere Gefechte mit ostukrainischen Separatisten und russischen Militärs.

Der Österreicher wird dort rasch prominent - er ist ja auch eine auffällige Figur: Dunkelhäutig, Österreicher und trotzdem Mitglied des "Rechten Sektors“ - das gibt es nur ein Mal im Donbass. Irgendwann fasst er, vor allem aufgrund seines Aussehens, einen Spitznamen aus, der viel über den Humor der Milizionäre erzählt: "Ben Laden“ nennen ihn seine Kameraden, und das steht auch auf dem Namensschild seiner Uniform.

Rolle als "Tactical Medic"

Respekt erwirbt er sich vor allem wegen seiner Kenntnisse als Sanitäter. Obwohl er beim Bundesheer keine einschlägige Spezialausbildung absolviert hat, macht er sich bei seinen Kameraden vom "Rechten Sektor“ als "Tactical Medic“ einen Namen. Mitglied seiner Einheit sind zeitweise mindestens zwei weitere Österreicher, die ihre Kämpferkarriere im Donbass allerdings vor Ben beenden.

Was die Notwendigkeit betrifft, prorussische Separatisten im Kampf möglicherweise auch zu töten, gibt sich der Vorarlberger abgeklärt: "Für mich ist es eine ganz normale Sache, da ich mich darauf lange vorbereitet und eine Idee habe, für die ich stehe“, sagt er 2016 im Gespräch mit profil. Er schalte bloß Leute aus, die gegen Bezahlung in ein fremdes Land eindringen und Leben und Zukunft der dortigen Bevölkerung zerstören würden: "Stellen wir uns vor, jemand würde in unserer Heimat so vorgehen wie Russland in der Ukraine.“

Die nationalistischen Ideale des "Rechten Sektors“ sind ihm nicht fremd, mit der Ideologie des Faschismus, die den ukrainischen Ultranationalisten vor allem von russischer Seite vorgeworfen wird, will er nichts am Hut haben. "Eine Naziideologie vertrete ich überhaupt nicht.“ Er wolle sich bloß nicht damit abfinden, dass in Österreich alles vor die Hunde gehe, das Militär zu Tode gespart werde und sich alle Menschen passiv wie Schafe verhalten würden, gab er im Interview an der Front in Donezk zu Protokoll.

Als Söldner will Ben F. nicht bezeichnet werden: Er kämpft ja nicht für Geld, sondern nur für Kost, Logis und den Zutritt zur Front. Und, um den Ukrainern gegen die Russen zu helfen.

2016 wechselt Ben F. vom "Rechten Sektor“ in die regulären ukrainischen Streitkräfte. Möglich wird das durch eine Gesetzesänderung, mit der Präsident Petro Poroschenko die Aufnahme von Ausländern in die Armee erlaubt. Zuvor müssen allerhand Dokumente beschafft und Sicherheitschecks absolviert werden, unter anderem durch den ukrainischen Geheimdienst SBU.

Ende Mai 2016 bekommt der Vorarlberger schließlich einen offiziellen Dienstvertrag und wird dem 11. Bataillon der ukrainischen Armee zugeteilt, wieder als Aufklärer, anschließend geht es wieder an die Front, diesmal in der Oblast Lugansk.

Dort bezieht seine Aufklärungseinheit Position nahe des Städtchens Popasna. Wochenlang passiert nichts in der Gegend, der Krieg macht Sommerferien. Doch dann, in der letzten Juli-Woche, eskaliert die Lage unversehens - und es entstehen jene Fotos, die Ben F. in den Verdacht bringen werden, ein Kriegsverbrecher zu sein.

Mitkämpfer schildert Erinnerungen

Der Vorarlberger selbst war bis zum Redaktionsschluss zu keiner Stellungnahme zu erreichen, weil er in Polen auf seine Auslieferung nach Österreich wartet. Bleiben als Auskunftspersonen seine damaligen Mitkämpfer. Einer von ihnen erklärte sich vergangene Woche bereit, profil gegenüber zu schildern, wie die Bilder seiner Erinnerung nach entstanden sind. Igor (Name von der Redaktion geändert) kennt Ben F. nach eigenen Angaben seit April 2015 und hat seither immer gemeinsam mit ihm Dienst gemacht - sowohl beim "Rechten Sektor“ als auch in der Armee.

Der Ukrainer möchte anonym bleiben, seine Identität ist der Redaktion jedoch bekannt und wurde unter anderem anhand von Fotos, auf denen er gemeinsam mit Ben F. zu sehen ist, bestätigt. Seine Schilderungen klingen konzise, ob sie den Tatsachen entsprechen, kann vorerst allerdings nicht unabhängig überprüft werden.

Laut Igor schieben einige Angehörige von Bens Aufklärungstrupp am Samstag, 23. Juli, in einem versteckten Beobachtungsposten westlich von Popasna Dienst. Der Ausguck liegt 700 Meter hinter den ukrainischen und nur 400 Meter vor den prorussischen Linien in einem Gebüsch, ist der Gegenseite aber unbekannt.

Gegen acht Uhr früh bemerken die Ukrainer, dass sich ihrer Stellung zwei Separatisten nähern - offenbar mit dem Ziel, das Terrain zu verminen. Die beiden Männer sind knapp davor, in den Schützengraben der Aufklärer zu stolpern, als diese losschlagen. Einer der prorussischen Kämpfer wird mit dem Maschinengewehr niedergemäht, der zweite verwundet, als ein Projektil seine Kalaschnikov trifft und unbrauchbar macht. Er liegt nur wenige Meter vor dem Posten des Aufklärungstrupps. "Wir haben ihn die ganze Zeit stöhnen gehört“, erzählt Igor.

Trotzdem gibt der Separatist nicht auf, er wirft vielmehr zwei Granaten. Die Ukrainer rufen Verstärkung, ein zweiter Aufklärungstrupp trifft ein, dessen Kommandant entscheidet, dass der Verwundete lebend gefasst werden soll. Beim Versuch, das zu bewerkstelligen, zündet der Gegner eine weitere Granate, die zwei Verletzte fordert. Eine vierte explodiert an seinem Körper, als er von einem Schuss getroffen wird: "Sein Arm wurde abgerissen und ist wie ein Stück Schrapnell durch die Luft geflogen“, sagt Igor ungerührt.

Inzwischen ist die dritte Verstärkung am Schauplatz des Gefechts eingetroffen - und erst mit ihr, so Igor, Ben F. Er soll als Sanitäter die beiden Toten untersuchen, die inzwischen in den Schützengraben gezerrt wurden.

Bei dieser Gelegenheit sei eines jener Fotos entstanden, auf dem der Vorarlberger mit einer Leiche posiert. "Die Leute auf den Bildern waren schon tot, bevor Ben eintraf - und keiner hat irgendeinen Scheiß mit ihnen angestellt“, beteuert sein Kamerad Igor. Abgesehen davon: "Ben hat als Sanitäter in den vergangenen Wochen ungefähr 20 Menschen das Leben gerettet.“

Es existiert aber zumindest noch ein weiteres, einschlägiges Foto von Ben. Es entsteht eine Woche später nahe dem Schauplatz des ersten Gefechts in einer ähnlichen Situation. Am 30. Juli, wieder einem Samstag, attackieren die prorussische Truppen erneut die nunmehr bekannten Stellungen der Ukrainer. Zwei gegnerische Aufklärer bleiben 50 Meter vor dem Schützengraben der Armee liegen, Bens Einheit wird gerufen, um die Toten zu bergen.

Leichen bloß "übernommen"?

Erneut lässt er sich mit einer grausam verstümmelten Leiche abbilden. Und erneut schwört sein ehemaliger Mitkämpfer Igor, der dabei war, dass der Österreicher nicht in die Tötung der Separatisten verwickelt gewesen sei. Er habe sie bloß übernommen und zum Hauptquartier des Bataillons transportiert. Später seien die Leichen im Zuge eines Austauschs gegen gefallene ukrainische Soldaten an die Separatisten übergeben worden.

Das mag stimmen, es entlastet Ben F. aber nicht vollständig. Immerhin war er mehr als zwei Jahre lang in den Kampfgebieten der Ostukraine zugange. Die österreichische Staatsanwaltschaft wirft ihm konkret vor, Personen erschossen zu haben, die sich bereits ergeben hatten - hält sich zur Frage, welche Indizien und Beweise ihren Ermittlungen zugrunde liegen, bislang aber bedeckt. Im Falle einer Verurteilung wegen "Kriegsverbrechen gegen Personen“ (§ 321b StGB) droht ihm lebenslange Haft.

Fraglich ist allerdings, warum die österreichischen Behörden den Umtrieben des jungen Vorarlbergers so lange zugeschaut haben. Ende 2016 hatte sich Ben F. bei der österreichischen Botschaft in Kiew gemeldet und um Hilfe bei der Heimreise gebeten. Angeblich fühlte er sich bedroht.

Als er Mitte Dezember in Wien-Schwechat landete, wurde er zwar vom BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) in Empfang genommen und zeigte brav Hunderte Fotos und Videos vor, die er aufgenommen hatte. Dabei wurden jedoch keine Hinweise auf strafrechtlich relevante Tatbestände gefunden - und die Tatsache, sich als Kämpfer an einem Konflikt im Ausland zu beteiligen, stellt nach österreichischem Recht kein Vergehen dar, solange dabei keine Kriegsverbrechen begangen werden.

Daraufhin ließen ihn die Beamten nach kurzer Befragung laufen, die Staatsanwaltschaft sah keinen Grund, sich weiter mit ihm zu beschäftigten. Bloß die MA 35, zuständig für Einwanderung und Staatsbürgerschaft, leitete ein Verfahren ein, um dem Vorarlberger den Pass zu entziehen - die Konsequenz für den "freiwilligen Eintritt in den Militärdienst eines fremden Staates“.

Währenddessen kehrte Ben F. zunächst nach Hause zurück und versuchte sich dann in der Schweiz als Bauerngehilfe. Die Behörden begannen sich erst wieder für ihn zu interessieren, nachdem der "Kurier“ am 15. Februar eine Multimedia-Reportage über das Kämpferleben des Vorarlbergers online gestellt hatte. Zwei Tage später erstattete das niederösterreichische Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Meldung an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, kurz darauf wurde ein europäischer Haftbefehl erlassen.

Zu diesem Zeitpunkt dürfte Ben F. Österreich bereits wieder verlassen haben. Danach hatte der "Kurier“ nochmals Kontakt mit ihm: Mitte März kündigte der Vorarlberger an, er wolle wieder zum Bundesheer zurückkehren und dort Unteroffizier werden. Stattdessen machte er sich via Polen auf den Weg zurück in die Ukraine, aus der er zuvor in Angst und Schrecken geflohen war.

Was er dort suchte oder zu finden hoffte, weiß derzeit nur er selbst. Wenn überhaupt.