Böse-Buben-Politik

Böse-Buben-Politik: Wie Russland die EU in der Ukraine ausbootet

Russland. Die Schurkenrolle als Erfolgsrezept

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Von Sandra Barthel, Magdalena ­Jetschgo und Martin Staudinger

Würde Wladimir Putin Alkohol trinken, dann hätten am Donnerstag vorvergangener Woche im Kreml die Sektkorken geknallt. Aber Russlands Präsident lebt erstens weitgehend abstinent und ist zweitens auch sonst nicht für seine Feierlaune bekannt. Er dürfte seinen jüngsten Coup also auf andere Art und Weise zelebriert haben.

An diesem Donnerstag war es dem Kreml gelungen, der EU die Ukraine abspenstig zu machen. Die Regierung in Kiew legte ein mühsam ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit Europa wenige Tage vor der Unterzeichnung auf Eis – und wandte sich stattdessen Russland zu. Offenkundig hatte eine Mischung aus finanziellen Zugeständnissen, wirtschaftlichen Versprechungen und knallharten Drohungen, die dem Schwenk vorangegangen war, Wirkung gezeigt.

Sympathiepunkte im Westen bringt diese Vorgangsweise kaum. Aber das ist Putin offenkundig herzlich egal. Seit Jahr und Tag spielt Russland verlässlich die Rolle des bösen Buben unter den Großmächten, zuletzt etwa als einer der letzten Verbündeten des syrischen Assad-Regimes und Unterstützer des iranischen Nuklearprogramms.

Entgegen der gängigen Wahrnehmung hat sich das Land damit aber mitnichten selbst an den Rand gedrängt. Es ist derzeit vielmehr zurück auf dem Weg in die Mitte der Internationalen Gemeinschaft – und dort zwar nicht unbedingt beliebt, aber in manchen Belangen unverzichtbar. Am Durchbruch bei den Atomverhandlungen waren Putins Strategen und Diplomaten ebenso maßgeblich beteiligt wie am Übereinkommen zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals. In beiden Fällen schaffte es Russland zudem, seine eigenen Interessen zu wahren. In Syrien besteht dieses etwa darin, kein islamistisches Regime an die Macht kommen zu lassen, das auf die Idee kommen könnte, den Heiligen Krieg im Kaukasus zu unterstützen. Das spielt auch bei der strategischen Partnerschaft mit dem Mullah-Regime eine Rolle: Der schiitische Iran soll als starker Gegenspieler zu Saudi-Arabien, dem Exportweltmeister von religiösem Fundamentalismus sunnitischer Prägung, erhalten bleiben.

„Wie jede andere Großmacht versucht auch Russland, seine Einflusszonen und Interessensphären abzusichern. Jetzt ist es, nach der Schwächephase im Anschluss an den Zerfall der UdSSR, wieder in der Lage und absolut entschlossen dazu“, sagt der Politikwissenschafter und Osteuropa-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Russland habe unter Putin immer eine „sehr enge Interessenspolitik“ betrieben und dabei letztlich ein Ziel verfolgt: „die komplette außenpolitische Unabhängigkeit von anderen Staaten“.

Während sich die USA immer weiter in die Isolation zurückziehen, macht Russland gleichzeitig immer mehr verlorengegangenes Terrain wett. Eine Reihe von ehemaligen Sowjetrepubliken, die in die Unabhängigkeit abgedriftet waren, konnte der Kreml zuletzt wieder auf seine Seite ziehen (siehe Übersicht am Ende).

Im zentralasiatischen Kirgistan etwa wird Amerika 2014 den großen Luftwaffenstützpunkt schließen, den es jahrelang zur Versorgung seiner Truppen in Afghanistan betrieben hat. Gleichzeitig baut Russland seine Präsenz dort aus, indem es umfangreiche Rüstungsverträge abschließt und dem Land einen Schuldenerlass in Höhe von 500 Millionen US-Dollar gewährt.

Besonders großes Interesse zeigt der Kreml an jenen Ländern im früheren Ostblock, mit denen die EU engere politische und wirtschaftliche Beziehungen anstrebt: Georgien, Moldau, Aserbeidschan und Armenien beispielweise. Sie sollen mit ähnlich rustikalen Methoden wie die Ukraine dazu bewegt werden, sich zu einer „Eurasischen Union“ zusammenzuschließen, deren Kern in einer bereits existierenden Zollgemeinschaft zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan besteht.
Georgien und Moldau planen derzeit noch, kommendes Jahr Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Aserbeidschan zeigt den Europäern hingegen die kalte Schulter, und Armenien hat Russland bereits für sich gewonnen – mit dem zweifelhaften Charme des bösen Buben.

Übersicht

Weißrussland
Die letzte Diktatur Europas, wie Weißrussland oft – und nicht zu Unrecht – ­genannt wird, ist eng mit Russland verbunden und von dessen Öl und Gas ­abhängig. Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko – er regiert seit 1994 – arbeitet stetig an einer weiteren Annäherung der beiden Staaten, die mit ­Kasachstan ein einheitliches Zollterri­torium bilden. Weißrussland und Russland betreiben ein gemeinsames Luft­abwehrsystem und arbeiten militärisch eng zusammen.

Ukraine
Das Tauziehen um die Ukraine konnte Russland vorerst gegen die EU gewinnen – unter anderem durch angebotene ­Anreize (etwa die Senkung des Gaspreises) und Drohungen (die Einschränkung des bilateralen Handels). Der Schwenk der Ukraine sei aber keine ideologische Frage gewesen, sondern eine taktische, sagt Politikwissenschaftler Gerhard Mangott: „Wenn Europa ein großzügiges ­finanzielles Angebot gemacht hätte, wäre es möglicherweise anders gekommen.“

Syrien
Es ist kein ideologisches Naheverhältnis, das sich hinter der Unterstützung Russlands für das Assad-Regime verbirgt. Der Kreml will in erster Linie die weitere Destabilisierung der Region und die Entstehung eines islamistischen Regimes verhindern – und jeglichen Versuch des Westens unterbinden, sich in aus russischer Sicht unzulässiger Weise in die internen Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.

Georgien
Seit dem Konflikt über die Regionen ­Abchasien und Südossetien im Jahr 2008 waren die Beziehungen zwischen Geor­gien und Russland eingefroren. Der neue Präsident Georgi Margwelaschwili strebt eine Normalisierung des Verhältnisses an – will sich allerdings gleichzeitig auch der EU annähern.

Armenien
Unter dem Druck des Kremls ließ die ­Regierung in Eriwan ein bereits weit­gehend ausgehandeltes Abkommen mit der EU platzen. Unter anderem verspricht sich Armenien von Russland, das im Land seine größte Militärbasis im Südkaukasus betreibt, bei einem möglichen Konflikt
mit seinem Erzfeind Aserbeidschan mehr Hilfe als von der EU.

Iran
Russland war in der Vergangenheit maßgeblich am Aufbau des iranischen Atomprogramms beteiligt. Hinter der Partnerschaft stehen nicht nur wirtschaftspolitische, sondern auch strategische Interessen – die Regierung in Moskau wünscht keine regionale Vormachtstellung von ­Saudi-Arabien, das islamistische ­Bewegungen fördert, die im Kau­kasus gefährlich werden können.

Tadschikistan
Vergangenes Jahr schloss der Kreml einen Vertrag ab, der es erlaubt, seine Militärbasis in Tadschikistan weitere 30 Jahre zu betreiben und massiv auszubauen. Zudem helfen russische Truppen bei der Überwachung der Grenze zu Afghanistan, die nach dem Abzug der Nato 2014 komplett ungesichert zu sein droht.

Kirgistan
Russland hat vor Kurzem ausgehandelt, seine Luftwaffenbasis und drei weitere ­Militärstützpunkte in dem kleinen zentral­asiatischen Land auf Jahre hinaus weiter ­betreiben zu dürfen – und dafür nicht nur ­umgerechnet 500 Millionen ­US-Dollar Schulden erlassen, sondern auch Militärhilfe im Wert von 1,1 Milliarden Dollar versprochen.