„Cathy, kannst du etwas für uns tun?“

Catherine Ashton: Der erstaunliche Aufstieg der EU-Außenbeauftragten

Europa. Der erstaunliche Aufstieg der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton

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Von Tessa Szyszkowitz

Kalenderwoche 49; Rond-Point Robert Schuman 9a, 1046 Brüssel: Erst schaut US-Außenminister John Kerry auf seinem Weg in den Nahen Osten vorbei. Danach geben der afghanische und der türkische Außenminister einander die Klinke in die Hand. Kurzfristig hat sich dann der jordanische König Abdullah angemeldet, weshalb ein Treffen mit den Premierministern Serbiens und Kosovo kurz gehalten werden muss. Und dann ruft auch noch der neue iranische Außenminister Mohammed Jawad Sarif an; es geht um die weiterführenden Verhandlungen zum Nuklearprogramm.

Nein, über Einsamkeit und Langeweile an ihrer Büroadresse kann sich Catherine Ashton, Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, selten beschweren.

Wenn die britische Labour-Politikerin nicht gerade alles empfängt, was Rang und Namen hat, rast sie von Krisenherd zu Krisenherd; daneben soll sie auch noch den europäischen diplomatischen Dienst EEAS (European External Action Service) aufbauen. Sie selbst nennt diese Übung: ein Flugzeug zu fliegen, an dessen Flügeln man noch baut.

Trotz ihres emsigen Einsatzes wurde die 57-jährige Ashton bis vor Kurzem als komplette Fehlbesetzung bewertet. Die Franzosen nannten sie eine „Null“. Im eigenen Land wurde die britische Sozialdemokratin zu Beginn sogar von einer anonymen Regierungsquelle als „Gartenzwerg“ bezeichnet.
Doch jetzt ist ihre Stunde gekommen. Der Durchbruch gelang ihr am 24. November. An diesem Tag unterzeichneten sechs Weltmächte mit der Regierung in Teheran ein Interimsabkommen über die Einfrierung des iranischen Atomprogramms.

„From Zero to Hero“
Geleitet hatte die Verhandlungen eine kleine Person im kupferfarbenen Mantel und mit strubbeligem Haar: Catherine Ashton. Die einzige Frau in der Runde wurde von allen Verhandlern bei Vertragsabschluss geherzt und geküsst – mit Ausnahme des iranischen Außenministers, der aus religiösen Gründen nur pietätvoll die Hände hob. Selbst die konservative Tageszeitung „Daily Telegraph“ musste der Landsfrau widerwillig Anerkennung zollen: „Catherine Ashton: From Zero to Hero“, titelte das Blatt.
Gerade in ihrer Heimat hatte Asthon bisher einen schweren Stand. Vor ihrer überraschenden Bestellung zum europäischen Topjob im Jahr 2009 hatte sie es nur zur Staatssekretärin für Bildung und später für Justiz gebracht. Danach war sie Sprecherin des britischen Oberhauses, dem House of Lords, und 2008 ein Jahr lang Handelskommissarin in Brüssel.

Labour-Premier Tony Blair hatte die Tochter einer Bergarbeiter-Familie 1999 in den Adelsstand erheben lassen. Der auf Lebenszeit verliehene Titel „Baroness of Upholland“ (nach ihrem Geburtsort) ist auch Ausdruck dafür, dass sie zur Aristokratie der Labour Party gehört. Dort ist Asthon spätestens bei ihrer Heirat mit einem ehemaligen Berater Tony Blairs, dem Meinungsforscher Peter Kellner, angekommen.

Viele hätten dem Spitzenjob der EU-Außenbeauftragten gerne mehr Gewicht verliehen und einen ehemaligen Premierminister wie Tony Blair selbst oder zumindest einen Ex-Außenminister wie David Miliband auf den Posten gehievt. Asthon aber hatte nicht nur eine biografische Schwäche vorzuweisen, sie hat noch ein weiteres Handicap: Sie hasst es, im Scheinwerferlicht zu stehen, und meidet Journalisten, wo sie kann. Umso schwieriger war es, die Baronesse mediengerecht zu vermarkten.
Die ersten Wochen nach Amtsantritt waren besonders schlimm. „Frau Ashton, stimmt es, dass Sie für den Job nicht qualifiziert sind?“, rief ein Reporter und presste ein Mikrofon durchs Fenster in die Limousine, in die sich die frisch bestellte EU-Außenministerin bereits geflüchtet hatte. Der Grobheit der Journalisten, vor allem der britischen, war Ashton nicht gewachsen. Sie verstummte.

Auch die politischen Gegner ließen kein gutes Haar an ihr: „Sie wurde nie gewählt!“, geiferte Nigel Farage im EU-Parlament. Für den charismatischen Chef der euroskeptischen Partei UKIP war die schüchterne europäische Spitzenpolitikerin eine willkommene Zielscheibe: „Sie verdient mehr als Barack Obama“, empörte er sich. Tatsächlich liegt ihr Bruttoeinkommen mit 350.000 Euro über jenem des US-Präsidenten mit 300.000 Euro. „Das sagt ja alles darüber aus, wie die europäische Politklasse es sich richtet“, ätzte Farage.

Catherine Ashton schwieg und machte sich ohne Aufhebens an ihren Monsterjob. Gemäß dem Vertrag von Lissabon ist sie nicht nur die Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, sondern auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Die pompösen Titel können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Außenpolitik in Europa immer noch von den Mitgliedsstaaten bestimmt wird. Frau
Ashton darf zwar im Auftrag der 28 Mitglieder der EU verhandeln – aber nur, wenn vorher darüber Einstimmigkeit im Europäischen Rat erzielt wurde. Hinzu kommt, dass in der EU-Politik immer alle Erfolge bilateral von den Staatschefs beansprucht werden, während man Niederlagen gerne auf Brüssel abschiebt.

In einem ihrer seltenen Interviews erzählte die EU-Außenministerin dem britischen „Guardian“, wie eine junge Frau im libyschen Bengasi zu ihr sagte: „Wir wollen, was ihr habt. Die Demokratie ist Teil eures Alltags.“ Das habe sie nicht vergessen, denn sie wisse, was das heiße: „Die Polizei arbeitet für den Staat, die Justiz operiert unabhängig, die Administration ist nicht korrupt, und die Rechte der Bevölkerung werden respektiert.“ Sie wolle daran arbeiten, dass dies in weiteren Teilen der Welt Realität werde, sagte Ashton in dem Interview. Dann nahm die Hohe Repräsentantin der EU-Außenpolitik ihre Tasche und verließ das Londoner Kaffeehaus, in dem das Gespräch stattgefunden hatte, so wie sie gekommen war: vollkommen unerkannt.

„European Soft Power“
Ihre Angst vor dem Rampenlicht hat Catherine Ashton inzwischen in einen Trumpf verwandelt: Sie arbeitet hinter den Kulissen. So gelang ihr auch im Frühling dieses Jahres ihr erster Scoop. Zur großen Verwunderung vieler Beobachter konnte sie Kosovo-Albaner und Serben zu einem historischen Abkommen überreden. Es war Ashtons Idee gewesen, die Premierminister Serbiens und des Kosovo in ihrem neuen Büro, dem Hauptquartier des European External Action Service in Brüssel, zusammenzubringen: „Die beiden hatten sich nie zuvor getroffen“, schrieb sie später in einem Kommentar in der „New York Times“ mit einem seltenen Anflug von Stolz. Die EU-Beitrittsverhandlungen der Serben können Anfang 2014 beginnen.
Kaum hatte Ashton den Serben und Kosovaren den Begriff „European Soft Power“ nachhaltig erläutert, verschärfte sich der Konflikt zwischen den Islamisten und dem Militär in Ägypten, der in dem Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juni gipfelte. Das Staatsoberhaupt, das in den Monaten davor einen immer härteren islamistischen Kurs verfolgt hatte, verschwand im Gefängnis.

Da trat Ashton auf den Plan. Die Amerikaner sind zwar immer noch die mächtigeren Drahtzieher im ägyptischen Machtspiel, doch mit ihrer Unterstützung der ägyptischen Armee haben sie sich den Zugang zu den Muslimbrüdern verbaut. Ashton dagegen hatte mit allen Seiten eine gute Gesprächsbasis gepflegt: „Wir werden ja nicht als diejenigen gesehen, deren Flotte im Mittelmeer umherkreuzt“, meint ein hoher Diplomat.
Ashton bestand darauf, Mursi im Gefängnis zu besuchen. Am 30. Juli wurde sie per Hubschrauber zu einer Militärbasis geflogen und saß dann zwei Stunden lang mit dem abgesetzten Präsidenten in seiner Zelle. Mursi war wohlauf, las täglich zwei Zeitungen und konnte staatliches TV sehen. Der Kühlschrank sei gut gefüllt gewesen, berichtete Ashton später der Presse: „Wir haben zwei Stunden lang eine freundliche, offene und sehr ehrliche Diskussion geführt. Wie Sie wissen, habe ich ihn viele Male vorher getroffen.“ Mursi, aber das sagte sie damals nicht, platzte fast vor Wut über seine Entmachtung. Der Ex-Präsident sitzt immer noch in Haft, im Unterschied zum weithin verhassten Ex-Diktator Hosni Mubarak, der unter – weitaus komfortablerem – Hausarrest steht.

Derzeit bleibt der EU-Diplomatin deshalb nur das, was sie am besten kann: alle Kanäle offen zu halten. Diese Kunst hat ihr den dritten Erfolg des Jahres beschert: das Interimsabkommen mit dem Iran.

Jahrelang waren die Atomgespräche mit dem Mullah-Regime bloßes Theater. Erst der Machtwechsel in Teheran und geheime bilaterale Parallelverhandlungen mit der US-Administration machten ein Abkommen möglich. Einen nicht geringen Anteil an dessen Zustandekommen hatte Catherine Ashton, die seit ihrem Amtsantritt trotz Sanktionen und Kriegsdrohungen die sogenannte P5+1-Gruppe – die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland – mit kühlem Kopf zusammenhielt. Da die Kontaktgruppe ganz zu Beginn der Atomgespräche mit dem Iran im Jahr 2003 nur aus den drei großen EU-Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland bestanden hatte – Russland, China und die USA kamen erst später hinzu –, waren die Iran-Gespräche immer Sache der EU-Diplomatie.

Kaum war Mohammed Jawad Sarif Mitte August zum Außenminister Irans ernannt worden, griff Asthon zum Telefon und lud ihn zur P5+1-Gruppe ein. Sie versammelte alle Beteiligten in Genf und begann einen Verhandlungsmarathon.

Ihre Berater sagen, Catherine Ashton brauche nicht viel Schlaf. Das erwies sich in der Schlussphase der Genfer Gespräche als Vorteil, denn die EU-Chefdiplomatin kam während dieser Zeit nächtelang kaum noch ins Bett.
Doch es gibt auch Kritik an Ashton. Man erzählt sich, sie könne schlecht delegieren, wolle alles selber machen und herrsche am Ende, wenn ihre Nerven blank lägen, ihre Mitarbeiter an. Zudem hatte sie in den vergangenen Jahren keine leichte Position, als sie die EU nach außen vertreten musste, während diese knapp davor zu stehen schien, ihre Währung und das eine oder andere Mitgliedsland zu verlieren. Häme ergoss sich über die Frau, die Europa als weltpolitischen Player darzustellen versuchte.

Bis vor ein paar Monaten hieß es, Ashton sei praktisch schon weg. Die Labour-Politikerin werde von der konservativen britischen Regierung sicher nicht ein zweites Mal nominiert. Als aussichtsreichster Kandidat galt bisher der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, ein Absolvent der britischen Eliteschule Eton. Der selbstbewusste Sikorski schien vielen besser geeignet, der europäischen Außenpolitik ab 2014 ein Gesicht zu geben.

Ob die Amtsinhaberin sich aber nach ihrem Erfolgsjahr so einfach vom Sessel schieben läßt? Ashton hat auf höchster Ebene beste Kontakte zu den Kollegen aufgebaut, ihre gute Beziehung zu Hillary Clinton etwa ist legendär. Inzwischen nennen auch ihre politischen Feinde Ashton gern „Cathy“, um sich in ihre Nähe zu rücken.

Mittlerweile hat sich zwischen Ramallah, Pristina, Kairo und Kiew herumgesprochen, dass es in Brüssel eine Ansprechperson gibt. Aus allen Ecken der Welt, erzählt ein Berater, höre er inzwischen die Frage: „Cathy, kannst du etwas für uns tun?“

Und das bedeutet nicht nur viel für Ashton, die ewig Unterschätzte, sondern auch für die Europäische Union.

Infobox
Kiew, bitte umsteigen!
Brüssel oder Moskau? Der Streit um die Ausrichtung der Ukraine.

Im ukrainischen Konflikt ist Europa Partei und agiert folgerichtig parteiisch. Am Mittwoch vergangener Woche besuchte etwa Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle gemeinsam mit dem pro-europäischen Oppositionspolitiker Vitali Klitschko den Unabhängigkeitsplatz von Kiew, wo seit zwei Wochen Bürger dagegen demonstrieren, dass Präsident Viktor Janukowitsch ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf Eis gelegt und sich stattdessen Russland zugewandt hat.
Während Russlands Präsident Wladimir Putin laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti die Ereignisse in der Ukraine „eher als Pogrom“ einstufte, sprach EU-Ratspräsident Herman van Rompuy von „tiefen europäischen Bestrebungen“, die dieser Tage in der Ukraine sichtbar würden.

Die EU möchte weiterhin, dass die Ukraine das Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Ein strittiger Punkt war, dass die EU die Freilassung der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko forderte, die 2011 in einem umstrittenen Verfahren wegen Amtsmissbrauchs zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.