Gastkommentar

Das Erbe von Ebrahim Raisi: Menschenrechtsverletzungen im Iran

Im Machtkampf nach dem Tod des Präsidenten geht es weniger um seine Nachfolge als um jene des greisen Revolutionsführers Khamenei, schreibt die Generalsekretärin von "Amnesty International" in Österreich Shoura Hashemi.

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Von Shoura Hashemi

Der unerwartete Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi hat zahlreiche Spekulationen über die Auswirkungen auf die iranische Führung und eine mögliche Nachfolge ausgelöst. Vorweg: Das Ableben des iranischen Präsidenten (und seines Außenministers Abdollahian) wird am aktuellen Machtgefüge nichts ändern. Noch nicht. Die iranische Verfassung sieht vor, dass Neuwahlen innerhalb von 50 Tagen organisiert werden müssen. Wer aus diesen Wahlen, die im Iran stets von niedriger Wahlbeteiligung geprägt sind, als Sieger hervorgehen wird, ist ungewiss.

In einem theokratischen System mit republikanischen Scheinelementen wie der islamischen Republik Iran hat der Präsident keine reale politische Macht. Diese liegt beim „Revolutionsführer“ Ayatollah Khamenei, dem eigentlichen Staatsoberhaupt. Er ließ Raisi 2021 quasi konkurrenzlos zum Präsidenten wählen, indem er den Wächterrat, der für die Zulassung von Kandidaten bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zuständig ist, alle Gegenkandidaten ausschließen ließ. Raisi wurde ausgewählt, weil er als wenig kompetent und rhetorisch schwach galt, was ihn für Khamenei ungefährlich machte.

Als Raisi 2021 zum Präsidenten ausgerufen wurde, wurde er bereits wegen Straftaten nach internationalem Recht gesucht.

Ebrahim Raisi wurde 1960 in der schiitischen Pilgerstadt und – selbst für iranische Verhältnisse – besonders konservativen Metropole Mashhad geboren und absolvierte zunächst ein Religionsstudium, bevor er nach der Islamischen Revolution von 1979 schnell in der iranischen Justiz aufstieg. Seine Karriere gipfelte in der Position des Generalstaatsanwalts und schließlich als Präsident des Irans.

Raisis Tod ist eine finstere Erinnerung an die seit Jahrzehnten bestehende Straflosigkeit des iranischen Regimes. Denn eines der dunkelsten Kapitel in Raisis Lebenslauf ist seine Beteiligung an den Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen im Jahr 1988. Als Mitglied der sogenannten Todeskommission soll Raisi die geheime Hinrichtung Tausender politischer Dissidenten in den Gefängnissen Evin und Gohardasht bei Teheran veranlasst haben. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen haben diese Gräueltaten dokumentiert und auf das gewaltsame Verschwindenlassen der Opfer, ihre Hinrichtung ohne fairen Prozess und ihre Beerdigung in nicht gekennzeichneten Gräbern aufmerksam gemacht.

Auch Raisis Amtszeit als Leiter des iranischen Justizwesens von 2019 bis zu seiner Präsidentschaft war durch hartes Vorgehen gegen Oppositionelle gekennzeichnet. Unter seiner Aufsicht spielte die Justiz eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung friedlicher Proteste, der Inhaftierung von Menschenrechtsverteidigern und der Verfolgung von Minderheiten.

Auf die Proteste von 2019, ausgelöst durch wirtschaftliche Missstände, wurde mit brutaler Gewalt reagiert, was zum Tod von Hunderten von Demonstrierenden sowie Massenverhaftungen führte. Die von Raisi geführte Justiz verschaffte den Sicherheitskräften, die für diese Taten verantwortlich waren, uneingeschränkte Straffreiheit.

Als Raisi 2021 zum Präsidenten ausgerufen wurde, wurde er bereits wegen Straftaten nach internationalem Recht gesucht. Seine Präsidentschaft war eine Fortsetzung seiner Justizpolitik, ausgelegt auf die Unterdrückung politischer Freiheiten und der Menschenrechte.

Dies zeigte sich in den vergangenen Jahren auch bei den Protesten „Frau, Leben, Freiheit“ von 2022/23, bei denen die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt einsetzten, was zu zahlreichen Todesfällen und schweren Verletzungen unter den Protestierenden führte, darunter Frauen und Kinder. In der gleichen Zeit stieg die Zahl der Hinrichtungen dramatisch an. Im Jahr 2023 lag sie bei 853 Hinrichtungen und damit weltweit auf dem traurigen zweiten Platz nach China.

Mit dem Tod von Ebrahim Raisi ist die Notwendigkeit von Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht im Iran nicht beendet. Der anhaltende Druck und die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft sind von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die systematischen Menschenrechtsverletzungen im Iran nicht in Vergessenheit geraten und die Verantwortlichen künftig zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei geht es weniger um die Entscheidung bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen als vielmehr um den Machtkampf um die Nachfolge des greisen Revolutionsführers Khamenei. Bekanntlich hegte Raisi Ambitionen auf dieses Amt. Wer auch immer kurz- oder mittelfristig Khameneis Position besetzen wird, wird letztlich entscheidend sein für die Zukunft des Irans, seine geopolitische Rolle und die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen der vergangenen Jahrzehnte.

Shoura Hashemi

ist österreichisch-iranische Juristin und Menschenrechtsaktivistin. Seit 2023 ist sie Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.