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Edward Snowden – der Mensch des Jahres 2013

Titelgeschichte. Edward Snowden – der Mensch des Jahres 2013

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Bevor der 29-jährige Edward Snowden aus Crofton, Maryland, damit beginnen konnte, die totale Überwachung der Menschheit durch den mächtigsten Geheimdienst der Welt zu enthüllen, musste er noch eine letzte Sicherheitsmaßnahme treffen: Er schaltete sein Mobiltelefon ab, nahm die Batterie heraus und verstaute das Gerät im Kühlschrank der Minibar.

Eine Frau und zwei Männer, die er kurz zuvor eingelassen hatte, sahen sich mit einer Mischung aus Erstaunen und Misstrauen in dem Hotelzimmer um, das der blasse junge Mann zuvor tagelang kaum verlassen hatte. Die Türe war mit Kopfpolstern abgedichtet, am Boden lag Schmutzwäsche verstreut, dazwischen stapelten sich Tabletts mit Essensresten – wer sich so verbarrikadiert, leidet möglicherweise unter Verfolgungswahn.

Ungeheuerliche Geschichte
Aber Snowden war und ist nicht paranoid. Als ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter wusste er in diesem Moment vielmehr ganz genau, was er tat, und warum: Hinter der Dämmung von Kühlschränken sind Handys nur schwer zu orten und abzuhören. Und genau das würden seine früheren Auftraggeber versuchen, wenn sie herausfinden sollten, was er vorhatte. Edward Snowden war im Begriff, die ungeheuerliche Geschichte einer Verletzung der Privatsphäre zu erzählen. Sie handelt davon, dass die US-amerikanische National Security Agency (NSA) seit Jahren jegliche elektronisch abgewickelte Kommunikation observiert, abfängt und speichert, auf die sie sich Zugriff verschaffen kann. Und zwar weltweit: Mails und Telefonate, Gespräche via Skype und Unterhaltungen auf Facebook, Postings in User-Foren und Geldüberweisungen per PayPal – persönliche Daten von hunderten Millionen Menschen. Sogar in den Chats von Online-Rollenspielen schnüffeln Agenten, getarnt als virtuelle Charaktere, herum.

Das digitale Schleppnetz wurde unter dem Vorwand der Terrorprävention geknüpft, erfasst aber unterschiedslos alle, ob potenziell gefährlich oder komplett harmlos, bedeutend oder unbekannt, alt oder jung. Bis zum Jahr 2016 wollen die Geheimdienstler nach eigenem Bekunden in der Lage sein, im Bedarfsfall die Daten von „jedermann, jederzeit, überall“ zu beschaffen. Für all das hatte Snowden als Systemadministrator im Dienst der NSA Beweise gesammelt und anschließend Kontakt zu zwei Publizisten gesucht, die ihm durch ihre Kritik an geheimdienstlicher Überwachung aufgefallen waren: Die Dokumentarfilmerin Laura Poitras und der Blogger Glen Greenwald, der zu diesem Zeitpunkt für die britische Tageszeitung „The Guardian“ arbeitete. Im Mai dieses Jahres war Snowden dann nach Hongkong geflogen und hatte sich dort im Hotel „The Mira“ eingebunkert.

Dort saß er nun Poitras, Greenwald und einem weiteren „Guardian“-Journalisten gegenüber, um ihnen zehntausende Dateien über die Aktivitäten der NSA zugänglich zu machen. Er muss gewusst haben, dass er damit einen Schritt setzen würde, der nicht mehr rückgängig zu machen war – und der ihn auf jeden Fall sein altes Leben, wenn nicht sogar die Freiheit kosten würde.

Er bat seine drei Besucher, nun auch ihre Mobiltelefone auszuschalten, legte die Geräte ebenfalls in den Kühlschrank und schloss die Tür der Minibar ...


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