Am Sonntag könnte in Rumänien erstmals ein Rechtsradikaler bei den Präsidentschaftswahlen siegen. Dazu beitragen wird die weit verzweigte Diaspora – auch in Österreich.
George Simion sitzt in einem prunkvollen Saal im rumänischen Parlament, dem größten Gebäude Europas. Nach dem Pentagon, dem Verteidigungsministerium der USA, ist es sogar das Zweitgrößte der Welt, erzählt der 38-Jährige stolz. Sein Besucher, der australische Podcaster und Crypto-Unternehmer Mario Nawfal, ist sichtlich beeindruckt.
Er vergleicht die EU mit der Sowjetunion
Nawfal, ein Protegé des US-Milliardärs Elon-Musk, hat auf dem Kurznachrichtendienst „X“ über zwei Millionen Follower. Für seine Talkshow hat er schon den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, den rechtsnationalistischen russischen Philosophen Alexander Dugin und zuletzt auch den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić interviewt. Kritische Nachfragen stellt Nawfal selten. In seiner Show können Diktatoren oder Verschwörungstheoretiker ungefiltert sagen, was sie glauben. So auch Simion, ein ehemaliger Fußball-Hooligan und Gründer einer rechtsextremen Partei, der gute Chancen hat, an diesem Sonntag zum Präsidenten von Rumänien, dem sechsgrößten Staat der EU, gewählt zu werden.
Rumänien wolle keine „Kolonie“ mehr sein, sagt Simion in dem Talk mit Nawfal. Europa drohe ein „Krieg“ mit den USA. Simion spricht über den Deep State, angeblich gesteuert vom US-Milliardär George Soros. Dieser hätte auch Zugriff auf die Gerichte in Rumänien, Bulgarien und anderen Staaten.
„Hitler hat verloren. Stalin hat verloren. Auch die EU, die eine neue Sowjetunion ist, wird zerbrechen“, sagt er. Und: „Wir wollen das Feuer, das in unseren Herzen ist, in jedes Parlament der 27 Mitgliedsstaaten in Europa tragen. Und dann, am Ende, die Macht von den Globalisten und von George Soros übernehmen.“
Politisch gesehen ist Simion ein Newcomer. 2019 gründete er die rechtsextreme Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR). Der Name ist Programm, denn bis heute strebt die AUR eine Vereinigung mit dem Nachbarn Moldau an. Vor wenigen Monaten hätte sich wohl niemand ausgemalt, dass es der Vorsitzende einer solchen Partei in die Stichwahl zum Präsidenten schafft. Dass es so weit kam, hat mit der Festnahme eines noch radikaleren Kandidaten im November zu tun – und mit der Kurzvideo-App TikTok. Aber der Reihe nach.
Ursprünglich hatte die Präsidentschaftswahl bereits am 24. November stattgefunden. Dabei erreichte der parteilose Kandidat Călin Georgescu überraschend Platz Eins. Georgescu gilt als kremlfreundlich. In der Vergangenheit hat er Wladimir Putin als Führer gelobt und Rumänien als eine Kolonie der EU und der USA bezeichnet. Im Dezember ließ der Verfassungsgerichtshof den Urnengang aufgrund von unklarer Wahlfinanzierung annullieren.
Der Vorwurf basierte auf den Berichten rumänischer Geheimdienste. Diese legen nahe, dass Georgescu, der vor den Wahlen weitgehend unbekannt war, durch zehntausende TikTok-Accounts gepusht wurde, hinter denen ein staatlicher Akteur, mutmaßlich Russland, stecke. Die EU-Kommission hat deswegen auch ein Verfahren gegen TikTok eingeleitet. Im Fokus steht, ob die chinesische Kurzvideo-Plattform Einmischung von ausländischen Akteuren bei Wahlen ausreichend bekämpft, beziehungsweise reglementiert.
Nachdem Georgescu nicht mehr antreten durfte, stellte sich die AUR-Partei demonstrativ hinter ihn und Simion trat als eine Art Ersatzkandidat an seine Stelle. Beim ersten Wahldurchgang am 4. Mai erreichte er mit 41 Prozent der Stimmen fast doppelt so viele Stimmen wie der Zweitplatzierte, der liberal-progressive Bukarester Bürgermeister Nicusor Dan, der nur auf knapp 21 Prozent kam. Im zweiten Durchgang am 18. Mai treffen die beiden erneut aufeinander.
Ein Sieg Simions hätte Folgen für ganz Europa. Der Präsident in Rumänien hat, anders als in Österreich, weitreichende Kompetenzen. Simion würde sein Land bei den Treffen des Europäischen Rates in Brüssel vertreten sowie die Verteidigungspolitik mitbestimmen.
Mit Simion könnte sich, nach Ungarn und der Slowakei, ein weiteres Land in Osteuropa vehement vom EU-Kurs abwenden. Ebenso wie Viktor Orbán verweigert Simion der Ukraine europäische Unterstützung. Schlimmer noch: Er darf gar nicht in die Ukraine reisen und auch nicht in die Republik Moldau, weil seine Partei Gebietsansprüche an beide Staaten stellt. In Rumänien hetzt Simion außerdem gegen die ungarische Minderheit im Land.
Ist in Bukarest bald ein Mann an der Macht, der – ähnlich wie Putin – Staatsgrenzen missachtet?
Das jedenfalls käme der NATO äußerst ungelegen. Rumänien gilt als der Außenposten der NATO im Osten. Das Land liegt in der strategisch wichtigen Schwarzmeerregion und grenzt an die Ukraine. Nahe der Stadt Constanta, im Südosten Rumäniens, entsteht die größte NATO-Basis in Europa. 10.000 Soldaten können hier stationiert werden – fast doppelt so viele wie auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein in Deutschland. Das Projekt ist ein klares Zeichen an russische Expansionsbestrebungen in der Region. Eine Regierungskrise, wie sie Rumänien derzeit erlebt, sowie ein Erstarken EU-kritischer und kremlfreundlicher Parteien, ist ganz klar im Interesse Putins.
Schwieriges Verhältnis zu den Nachbarn
Mittlerweile versucht Simion das alte Image als Fußball-Hooligan abzustreifen. Im Video mit Nawfal trägt er Anzug und Krawatte, die dunklen Haare hat er nach hinten gegelt. In Interviews bezeichnet er sich als „Souveränist“, der die EU nicht zerstören, sondern reformieren wolle. Er hat sich als Anhänger des US-Präsidenten Trump geoutet sowie als Verbündeter der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Ihre Partei Fratelli d’Italia ist wie Simions AUR Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im EU-Parlament.
Dafür, dass Simions Partei gerade einmal sechs Jahre alt ist, erlebte sie einen fast schon kometenhaften Aufstieg. 2020, ein Jahr nach der Gründung, wurde sie viertstärkste Kraft und zog in das Parlament Rumäniens ein. Bei der Europawahl im Juni 2024 schaffte es die AUR bereits auf den zweiten Platz, lag mit 14 Prozent aber immer noch weit abgeschlagen hinter der gemeinsamen Wahlliste der Regierungsparteien. International bekannt wurde die AUR-Partei erst nach der erwähnten TikTok-Wahlaffäre im November 2024, die streng genommen gar nichts mit der Partei selbst zu tun hatte. Sowohl der US-Tech-Milliardär Elon Musk als auch weitere, prominente Mitglieder der US-Administration haben die Annullierung der Wahl kritisiert.
Im Januar reiste Simion, begleitet von der französischen Rechtsradikalen Marion Maréchal, nach Washington und nahm dort unter anderem Fotos mit Donald Trump Junior, dem Ältesten von Trumps Söhnen, auf. Auch Trumps ehemaliger Chefstratege Steve Bannon ist gemeinsam mit Simion in einem Video zu sehen. Darin sagt Bannon, dass die EU über das rumänische Volk herrsche und es endlich freie Wahlen geben müsse. Der Höhepunkt: Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar schlug sich US-Vizepräsident JD Vance auf Simions Seite.
Vance kritisierte in München, dass die Wahl in Rumänien annulliert wurde, und sprach von „fadenscheinigen Verdachtsmomenten eines Geheimdienstes“. Damit heizt er eine Verschwörungstheorie an, die in Rumänien weit verbreitet ist und die auch Simion nährt. Es ist die Erzählung einer mächtigen Elite, die einen populären Kandidaten aus dem Rennen haben will. Ein Teil der Gesellschaft ist davon überzeugt, dass den etablierten Regierungsparteien – der sozialdemokratischen PSD und der nationalliberalen PNL – einfach das Ergebnis nicht gepasst hätte.
Doch nicht nur rumänische Geheimdienstquellen verorten die AUR nahe an Russland. Auch der moldauische Verteidigungsminister Anatol Salaru warf Simion Verbindungen zum russischen Geheimdienst vor. Der streitet das vehement ab. „Wir Rumänen haben sehr unter der russischen Okkupation gelitten. Unsere Großmütter wurden von russischen Soldaten vergewaltigt. Ich könnte mein Land niemals verraten“, sagt Simion zum Influencer Nawfal in ihrem Video-Talk.
Gewinnt Simion die Stichwahl am Sonntag, dann könnte er Călin Georgescu zum Premierminister machen. Der würde so also doch noch über Umwege an die Macht kommen, obwohl er ja eigentlich von den Wahlen ausgeschlossen war. Und nicht nur das. Gegen Georgescu laufen unterschiedliche Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen der Gründung einer faschistischen Organisation sowie Verbindungen zu einer illegalen, bewaffneten Gruppe. Nach Hausdurchsuchungen im Umfeld Georgescus wurden Verbindungen zu Söldnergruppen offengelegt sowie illegale Waffen und Bargeld sichergestellt. Die bisherige Regierung scheint den Rechten dennoch das Feld zu überlassen. Einen Tag nach der Wahl am 4. Mai trat, als Reaktion auf den Erdrutschsieg Simons, der Ministerpräsident und Chef der sozialdemokratischen PSD Marcel Ciolacu zurück. Der amtierende Innenminister wurde vorübergehend Regierungschef. Jetzt droht ein rechtsextremes Duo die wichtigsten Ämter im Staat zu übernehmen.
Zu ihrem Aufstieg hat auch die Diaspora Rumäniens beigetragen. „Die Mehrheit der Rumänen ist aufgewacht. Den Anfang haben die Rumänen im Ausland gemacht. Sie unterstützen uns sehr. Sie rufen ihre Familien in Rumänien an und sagen ihnen, dass sie für uns wählen sollen und sie erst dann in die Heimat zurückkehren wollen “, sagt Simion im Podcast mit dem Influencer Mario Nawfal.
Geschätzt fünf Millionen Rumäninnen und Rumänen arbeiten und leben im Ausland, der Großteil in Italien, Deutschland und Spanien. Aber auch in Österreich wächst die Community kontinuierlich, sagt Lukas Vosicky, Generalsekretär der Österreich-Rumänischen Gesellschaft. 155.000 Menschen mit rumänischer Staatsbürgerschaft leben in Österreich. Diese Zahl übersteigt selbst die Größe der serbischen und türkischen Gemeinden. Es handelt sich um die zweitgrößte Gruppe ausländischer Staatsangehöriger nach den Deutschen, so Vosicky.
Die rumänische Diaspora kann, von Österreich aus, an den Wahlen teilnehmen. Dafür wurden eigens 17 Wahllokale im ganzen Land eingerichtet. Aber viele, sagt Vosicky, enthalten sich. Beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl am 4. Mai nahmen gerade einmal 20 Prozent teil, also nicht einmal ein Viertel. Die wenigen, die teilnahmen, haben aber mehrheitlich für George Simion gestimmt. Konkret 68,7 Prozent. In Deutschland (74 Prozent), Italien (73 Prozent) sowie Spanien (73 Prozent) waren es sogar noch mehr. In diesen drei Ländern lebt der größte Anteil der rumänischen Diaspora. „Bei geringer Wahlbeteiligung hat Simion in Westeuropa stark gewonnen“, sagt Vosicky.
Simion selbst hat seine eigene Erklärung, warum er in der Diaspora populär ist. Korruption und Armut trieben Rumäninnen und Rumänen ins Ausland, sagt er im Talk mit Nawfal. „Ein Drittel der Bevölkerung ist armutsgefährdet“, sagt er, „das ist doch nicht normal für ein Land, das eigentlich reich an Ressourcen wie Öl, Gas oder Gold ist.“ Er wettert gegen multinationale Unternehmen, die immer reicher würden, zu wenig Steuern zahlten und die Ressourcen ins Ausland exportierten. Das zeigt, wie Simion ultranationalistische Themen, darunter gebietsrevisionistische Äußerungen gegenüber den Nachbarländern, mit sozialen, also klassisch linken Inhalten verbindet.
Wahlkampf in Wien
Darüber hinaus gibt es noch ein Thema, mit dem Simion in der österreichischen Diaspora mobilisiert. Zwei Jahre lang hatte Wien den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum grenzkontrollfreien Raum blockiert, obwohl beide Länder seit 2007 in der EU sind. Viele Rumäninnen und Rumänen pflegen in Österreich alte Menschen, leisten also einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft. In Minibussen reisen sie zwischen ihrer Heimat und Österreich hin und her. Zusätzlich zu dem Knochenjob, den sie in Altenheimen oder privaten Häusern leisten, mussten sie aufgrund des Schengen-Vetos auch noch stundenlang an der Grenze warten.
Simion weiß das Thema für sich zu nutzen. Im Talk mit dem Crypto-Unternehmer Nawfal erzählt er, wie die massenhafte Abwanderung das ganze Land belaste und Familien zerstöre, weil Mütter von ihren Kindern getrennt sind. Dass reichere, westliche EU-Mitgliedsländer wie Österreich es diesen Menschen auch noch zusätzlich schwer machen, obwohl sie dort das Gesundheitssystem aufrechterhalten, spielt Populisten wie Simion nur weiter in die Arme.
In Österreich pflegt Simion übrigens enge Kontakte zu den Freiheitlichen (FPÖ). Im März besuchte er auf Einladung des FPÖ-nahen Historikers Ronald Schwarzer ein Barockkonzert, wie der Falter berichtet hat. Nach der ersten Wahlrunde am 4. Mai schrieb der freiheitliche EU-Abgeordnete Harald Vilimsky in einer Presseaussendung: „Rumänen lassen sich nicht von Brüssel für dumm verkaufen. Die Souveränität eines Landes beginnt mit freien und fairen Wahlen.“
Blickt man aber genauer hin, dann bekommt die Solidarität der Rechten zwischen Wien und Bukarest schnell Risse. Denn als Österreich im Dezember letzten Jahres das Veto aufhob, gehörte die FPÖ zu den ersten Parteien, die das als Fehler und als „unfassbaren Verrat an den Interessen der Österreicher“ bezeichnete.