Letzte Woche gab es wieder eine Militäroffensive der Israelischen Streitkräfte auf Gaza Stadt. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Zerstörung sehen?
Ilay David
Wir haben gesehen, wie Geiseln nach Gaza Stadt gebracht und als menschliche Schutzschilde benutzt wurden. Dementsprechend besorgt bin ich. Vor ein paar Wochen hat die Hamas ein Video veröffentlicht, in dem Guy Gilboa-Dalal, der gemeinsam mit meinem Bruder gekidnappt wurde, in einem Auto auf dem Weg nach Gaza Stadt gefilmt wird. Er sagt in dem Video, dass er überall dort sein würde, wo auch die Hamas ist.
Sie glauben, dass auch ihr Bruder in der Stadt ist?
Ilay David
Wir wissen es nicht. Aus meiner Sicht gibt es zwei Optionen. Entweder er ist in Gaza Stadt, irgendwo an der Oberfläche. Oder er ist noch immer in diesem schmutzigen, engen Tunnel unter der Erde, wo er fast zu Tode gehungert wurde. Ich weiß nicht, was besser ist. Unter der Erde ist er zwar vor den Bomben geschützt, aber er leidet.
Anfang August ging ein Video ihres Bruders um die Welt. Es zeigt ihn, ausgemergelt bis auf die Knochen, mit einer Schaufel. Er sagt in dem Propagandavideo der Hamas, dass er sein eigenes Grab schaufeln würde.
Ilay David
Das Video wurde am 1. August veröffentlicht, dem Geburtstag meines Vaters. Wir waren nicht auf diese Bilder vorbereitet. Ich habe das Video bis heute nicht ganz gesehen und auch meine Mutter nicht. Nur Ausschnitte und Bilder davon. Wir hatten 24 Stunden Zeit, um zu entscheiden, ob wir diese Bilder publik machen wollen oder nicht. Wir wussten: Das ist Teil der Hamas-Propaganda. Diese Bilder sollten um die Welt gehen. Gleichzeitig wollten wir zeigen, wie Evyatar leidet und dass er sofort Hilfe braucht, weil er sonst nicht überlebt.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder aus dem Video gesehen haben?
Ilay David
Es hat mich an den Holocaust erinnert. Ich denke, die Welt hat nicht genug getan, damit die Geiseln überleben, dass sie Essen und medizinische Hilfe bekommen. Ich habe mir von den Staats,- und Regierungschefs auf der ganzen Welt mehr erwartet.
Können Sie uns etwas über ihren Bruder erzählen?
Ilay David
Er wollte die Welt bereisen. Er hatte ein Ticket nach Thailand gekauft und wollte mit Freunden durch Südostasien reisen. Nach der Reise wollte er Musik studieren und Produzent werden.
Wann haben Sie ihren Bruder zuletzt gesehen?
Ilay David
Bevor er auf das Supernova-Festival ging waren wir auf Familienurlaub in Italien. Wir hatten eine großartige Zeit. Ich bin so dankbar dafür. Er hat sich sehr darauf gefreut, im Anschluss auf das Festival zu fahren. Er ist einmal im Monat auf ein Festival gegangen.
Am 7. Oktober überfielen schwer bewaffnete Hamas-Terroristen das Gelände, töteten mehr als 370 Menschen und entführten 44 weitere. Wie haben Sie erfahren, dass ihr Bruder unter den Geiseln war?
Ilay David
Am frühen Morgen antwortete er noch auf Chat-Nachrichten. Er dachte, dass es nur Raketenalarm gibt und sah noch keine Terroristen weit und breit. Dann, um Viertel vor acht Uhr in der Früh, brach der Kontakt ab. Wir riefen Krankenhäuser an, durchforsteten die Medien, riefen alle an, die mehr Informationen haben könnten. Und dann tauchte dieses Video auf: mein Bruder in einer Zelle, gefesselt und sichtlich in Angst. Viele Angehörige von Geiseln wussten zu diesem Zeitpunkt gar nicht, wo ihre Liebsten waren. So verrückt es auch klingt: Wir waren privilegiert, weil wir wussten, dass er am Leben ist. Seit diesem Tag ist unsere Welt aus den Fugen geraten.
Ihr Bruder war mit der österreichischen Geisel Tal Shoham eingesperrt. Tal kam am 22. Februar 2025 frei. Wie wichtig war er für ihren Bruder?
Ilay David
Tal war 505 Tage in Haft und davon 470 mit Evyatar zusammen. Tal war wie sein älterer Bruder. Er hat mich ersetzt. Er hat ihm Halt gegeben. Ich bin froh, dass Tal für ihn da war.
Haben Sie Tal Shoham nach seiner Freilassung getroffen?
Ilay David
Ja, er wollte so schnell wie möglich mit meiner Familie sprechen und erzählen, was in Geiselhaft passiert ist. Er hat uns zu sich nach Hause eingeladen. Mittlerweile fühlt es sich an, als wäre Tal Teil meiner Familie.
Eine letzte Frage: Menschen auf der ganzen Welt gehen auf die Straße und sprechen von einem Genozid in Gaza. Was sind ihre Gedanken dazu?
Ilay David
Ich halte das für keine ernsthafte Frage. Jene, die von Genozid sprechen, nutzen dies als Mittel, um das Ansehen Israels in der Welt zu schädigen. Das trägt nicht zur Freilassung der Geiseln bei. Im Moment konzentriere ich mich darauf, meinen Bruder freizubekommen.