Freude in Teheran

Iran-Deal: Jubel, Trubel, Heiserkeit

Iran-Deal: Jubel, Trubel, Heiserkeit

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Die iranische Gesellschaft wird sich liberalisieren - trotz des Widerstands der konservativen Mullahs

Jubelstimmung in Irans Hauptstadt Teheran am Dienstagabend vergangener Woche. Diesmal war das Brechen des Ramadan besonders freudvoll: hupende Autokolonnen an den Hauptverkehrsadern, tanzende Menschen auf den Straßen. Was sich viele Iraner seit Langem ersehnt hatten, war nun endlich eingetreten: Im US-iranischen Atomstreit gab es eine historische Einigung. Mit der Nachricht aus dem Wiener Palais Coburg wurde klar, dass der Weg des Landes aus der jahrzehntelangen Isolation beginnen kann.

"Jeder Iraner ist heute glücklich“, sagte eine junge Frau im TV-Sender Al Jazeera: "Schade nur, dass das nicht schon längst passiert ist.“ Auch die politische Führung scheint diesen Enthusiasmus zu teilen. Das machtvolle geistliche Oberhaupt Ali Khamenei, der eher zu den Konservativen im Land gezählt wird, gratulierte seinem Verhandlungsteam. Er lud Präsident Hassan Ruhani und dessen Kabinett zum Abendessen in seine Residenz ein. Endlich verliert das Land seinen internationalen Status als Schurkenstaat und wird wieder zur allgemein respektierten Nation: Das ist der Tenor der iranischen Medien.

Der eben unterzeichnete Atom-Deal soll sicherstellen, dass das Mullah-Regime keine Atombombe baut. Gleichzeitig wird das Recht der Iraner auf friedliche Nutzung der Nuklearenergie festgeschrieben. So weit, so gut. Aber was bedeutet das Abkommen für die Zukunft des Iran?

Zunächst wird der geplante, sukzessive Abbau der Sanktionen einen gewaltigen Schub für die iranische Ökonomie bringen. Der zweitgrößte Erdgas- und viertgrößte Öl-Produzent wird seine gewaltigen Ressourcen ausschöpfen können. Mehr als 100 Milliarden Dollar liegen derzeit festgefroren auf ausländischen Konten. In den kommenden Jahren könnten diese Gelder in den Iran zurückfließen. Dem Land steht ein gewaltiger Investitionsboom bevor. Westliche Unternehmen werden nicht länger öffentlich für ihr Engagement im islamischen Gottesstaat an den Pranger gestellt. Schon stehen die Manager internationaler Konzerne Schlange, allen voran die Auto- und Pharmaindustrie. Sie rechnen mit Milliardengeschäften in diesem ihnen bislang verschlossenen Markt. Es herrscht Goldgräberstimmung.

Auch innenpolitisch kommt einiges in Bewegung. Die euphorische Stimmung in der iranischen Gesellschaft drückt die Hoffnung aus, dass die Öffnung nach außen auch eine Öffnung im Inneren mit sich bringen wird. Dafür spricht einiges: So sind vorerst die Reformer um Ruhani und dessen Außenminister Javad Zarif gestärkt. In diesen Tagen werden die beiden wie Nationalhelden gefeiert. Gut möglich, dass die Reformkräfte ihre Position bei den Parlamentswahlen 2016 festigen können und Ruhani 2017 wiedergewählt wird.

Vor einer politischen Liberalisierung und einer zu weit gehenden Hinwendung zum Westen haben die Konservativen, die nach wie vor viel Macht in der iranischen Gesellschaft innehaben, jedoch panische Angst. Die Feindschaft gegenüber dem "großen Satan“ Amerika, die antiwestliche religiöse Widerstandsideologie - all das ist geradezu die Raison d’Être der islamischen Republik. Der Atom-Deal kann dem Regime tatsächlich gefährlich werden. "Bisher hat die iranische Führung die Amerikaner, die Europäer und deren Sanktionsregime für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht“, sagt Hooshang Amirahmadi, US-iranischer Professor für internationale Beziehungen an der Rutgers University in New Jersey: "Diese Ausrede haben sie nicht mehr. Jetzt müssen sie tatsächlich Resultate liefern.“

Die Konservativen, die besonders in den mächtigen Revolutionsgarden verankert sind, werden versuchen, das Abkommen mit dem Westen schlechtzureden. Und sie könnten den neuen Ambitionen der iranischen Gesellschaft mit Repression begegnen. Es ist nicht auszuschließen, dass Protestbewegungen entstehen, wie etwa die "grüne“ des Jahres 2009. "Kurzfristig könnte es einen Backlash geben, der zu Unterdrückung im Landesinneren und zu kleineren Konflikten mit den USA führt“, prophezeit der iranische Menschenrechtsaktivist Hadi Ghaemi. Mittelfristig aber werde der iranische Machtapparat zu einer pragmatischen Haltung finden: "Antiimperialistische Konfrontationspolitik war gestern.“ Aus heutiger Sicht sind die Konservativen jedenfalls in der Defensive.

Wenn die Faust sich öffnet

Die späte Genugtuung des vermeintlich naiven Pazifisten Barack Obama.

Ganz im Unterschied zu den Reaktionen im Iran wurde das Wiener Atom-Abkommen in den USA ganz und gar nicht euphorisch begrüßt. Die Republikaner, die in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit halten, sind fest entschlossen, den Deal noch zu Fall zu bringen. "Eine Wahnvorstellung“, nennt Ex-Präsidentschaftskandidat und Senator John McCain die Vereinbarungen. Von einem "schrecklich gefährlichen Fehler“ spricht auch Senator Tom Cotton - und mit ihm ausnahmslos jeder andere der 15 republikanischen Aspiranten auf das Weiße Haus. Sie alle sehen in dem Deal "die Garantie, dass Iran zur Atommacht wird“.

Man könne den listigen Mullahs nicht vertrauen, denn sie würden keine Abmachungen einhalten. So lautet eines der wesentlichen Argumente der Kritiker: Wie soll eine antiwestliche Theokratie vom Feind plötzlich zum Partner werden? Während der kommenden zwei Monate - so lange darf der Kongress das Abkommen begutachten - wird der Kampf an der Heimatfront also toben.

Dabei haben die Republikaner denkbar schlechte Karten. US-Präsident Obama hat von vornherein angekündigt, im Falle einer Ablehnung durch die Abgeordneten und Senatoren sein Veto einzulegen. Und um dieses zurückzuweisen, bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern. So viele Stimmen werden die Republikaner kaum bekommen - auch dann nicht, wenn einige demokratische Abgeordnete gegen den Deal stimmen, wovon auszugehen ist.

Zudem ist das Meinungsklima im Land eher günstig für friedliche Konfliktlösungen. Im Unterschied zur Haltung der Republikaner gibt es seit Langem klare Mehrheiten der US-Bürger für eine friedliche Lösung im Streit mit dem Iran. Die Einigung in Wien wird in Umfragen weitgehend positiv bewertet.

Und zwar nicht nur in den USA selbst: Das Abkommen mit Teheran wurde schließlich auch von Europa, China und Russland ausgehandelt. Echte Verbündete haben die Obama-Kritiker nur in der israelischen Regierung und in Saudi-Arabien, dem sunnitischen Erzfeind Irans.

Es besteht wenig Zweifel, dass sich Obama am Ende durchsetzen wird und das historische Abkommen hält: "Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben die USA erreicht, was Jahrzehnte der Feindschaft nicht schafften“, jubelte der US-Präsident: "Ein umfassendes, langfristiges Abkommen mit dem Iran, das ihn daran hindern wird, eine Atomwaffe zu erlangen.“

Obama war der Iran-Deal ein besonderes Anliegen. Nicht zuletzt geht es ihm um sein Vermächtnis als Weltpolitiker. Schon in seinem ersten Vorwahlkampf für die US-Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2007 hatte er seine Absicht bekundet, sich auch mit den Bösewichten dieser Welt zu treffen und auf Dialog statt Konfrontation zu setzen. Das trug ihm den Vorwurf ein, ein naiver Pazifist zu sein. Bei seiner Antrittsrede 2009 konkretisierte Obama seine außenpolitische Haltung und sagte in Richtung Teheran: "Wir werden euch die Hand reichen, wenn ihr eure Faust zu öffnen bereit seid.“

Von Anfang an wollte Obama - auch als Kontrastprogramm zur militaristischen Ära seines Vorgängers George W. Bush - die Diplomatie als außenpolitisches Instrument wieder in ihr Recht setzen. Bisher war er damit eher glücklos gewesen. Kriegerische Entwicklungen im Nahen Osten, fehlgeschlagene Friedensverhandlungen wie etwa beim Israel-Palästina-Konflikt - all das schien Obamas weltpolitische Doktrin zu falsifizieren.

Die Öffnung gegenüber Kuba und der jüngste Erfolg bei den Verhandlungen mit dem Iran bestätigen den Präsidenten in seinem Glauben, dass selbst Amerikas Erzfeinde mit ökonomischem Druck und einer Politik der Annäherung auf Linie gebracht werden können - dass Diplomatie letztlich das rationalere und wirksamere Mittel der Konfliktlösung ist.

In einem Interview mit Tom Friedman, dem Starjournalisten der "New York Times“, zog Obama Parallelen zu den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan und Richard Nixon, die er sonst sehr kritisch sieht. Reagan habe sogar mit dem "Reich des Bösen“, den Sowjets - "ein für die USA viel gefährlicherer Feind“ - den Dialog begonnen. Nixon habe sich gegenüber China unter Mao Tse Tung geöffnet. Dafür bewundere er die beiden.

Alte Feinde, neue Freunde

Teheran ist ein vielversprechender Bündnispartner im verrückten Nahen Osten.

Die wahren Verlierer des nuklearen Vertrags mit Teheran sind Israel und die sunnitischen Diktaturen in der arabischen Welt - allen voran die Saudis. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der schon versucht hatte, die US-Republikaner gegen die Verhandlungen mit den Iranern aufzuhetzen, sprach von einem "Fehler historischen Ausmaßes“. Das Abkommen gebe dem Mullah-Regime "die Lizenz zum Töten“. Ein nächster Holocaust stehe bevor. Ähnlich dramatisch sehen es die arabischen Golf-Monarchien. Die bisher engsten Bündnispartner der Amerikaner in der Region sind nun die wütendsten Gegner von deren Politik.

Und aus ihrer Sicht haben sie nicht unrecht: Riad und die übrigen Sunni-Staaten fürchten weniger eine atomare Bedrohung. Vielmehr sehen sie, dass im Kampf um die Vormachtstellung im Nahen Osten die Iraner und mit ihnen die Schiiten immer mehr punkten; schon jetzt haben die Schiiten in Bagdad das Sagen. Sie unterstützen das Regime von Bashar al-Assad. Sie herrschen in der libanesischen Hauptstadt Beirut durch die von ihnen gesponserte schiitische Hisbollah. Und auch im Jemen halfen sie den Schiiten beim jüngsten Umsturz in Sanaa. Unter den sunnitischen Arabern ist der Iran als Schutzmacht der Schiiten zum schlimmsten Feind geworden.

Jerusalem wiederum fürchtet, dass das nun gestärkte, deklariert antiisraelische Regime in Teheran die finanzielle und militärische Unterstützung von unmittelbaren Feinden Israels wie den radikal-islamischen Organisationen Hisbollah im Libanon und Hamas im Gaza noch weiter intensivieren wird. Verteidiger des Atom-Deals halten dem entgegen, dass Teheran nun jeden neu verdienten Dollar für die Sanierung der maroden Wirtschaft brauchen und eher von internationalen Abenteuern Abstand nehmen werde.

Washington betont zwar, das Atom-Abkommen sei nur darauf ausgerichtet, die iranische Bombe zu verhindern. Tatsächlich aber zeichnen sich schon seit Längerem tektonische Verschiebungen in der Region ab. Sicher wird Washington die Bindungen zu seinen traditionellen Alliierten in Nahost nicht kappen. Die USA und der Iran werden künftig wohl nicht als enge Partner agieren. Aber bereits jetzt gibt es eine faktische Allianz zwischen dem Iran und den USA im Kampf gegen den "Islamischen Staat“, IS.

Die von iranischen Offizieren angeführten schiitischen Milizen, die gegen die Kalifat-Terroristen vorgehen, genießen Luftunterstützung von US-Bombern. Und die Iraner haben zuletzt mehrfach signalisiert, dass sie gegen den gemeinsamen Feind zu einer engeren Kooperation mit Amerika bereit sind. "Das wäre für die gesamte Region sehr positiv, weil die Amerikaner im Moment gute Bodentruppen benötigen, um den IS im Irak und in Syrien zurückzudrängen“, sagt Trita Parsi, ein bekannter US-iranischer Nahost-Spezialist.

Überhaupt besteht die Chance, dass der Iran, wenn er einmal in die internationale Staatengemeinschaft integriert ist, ein echter Faktor der Stabilität im Nahen Osten wird. Christopher Meyer, der britische Botschafter in Washington, geht sogar noch weiter: In einer Analyse im "Daily Telegraph“ schreibt er, dass "im 21. Jahrhundert der strategische Alliierte des Westens in der Region der Iran sein muss“.

Ohne den Einfluss Teherans ist der von den Schiiten regierte Irak letztlich nicht zu pazifizieren. Auch könnten nur die Iraner Druck auf Syriens Staatschef Bashar al-Assad ausüben, einer Übergangsregierung in Damaskus Platz zu machen. Auszuschließen ist auch nicht, dass die Iraner mit den Saudis im gemeinsamen Interesse an Stabilität in der Region eine Kooperation eingehen werden.

Voraussetzung für diese optimistische Perspektive ist natürlich, dass sich die Pragmatiker im Teheraner Machtapparat tatsächlich durchsetzen. Es ist aber keineswegs abwegig, den Zeitpunkt gekommen zu sehen, an dem der Iran beginnt, sich nach über 35 Jahren islamischer Revolution allmählich zu normalisieren und vom notorischen Störenfried zu einer stabilisierenden Macht in der Region zu werden.

Immerhin ist die Islamische Republik inzwischen trotz aller Menschenrechtsverletzungen der stabilste und neben Israel und der Türkei am ehesten demokratische Staat der gesamten Region. Es ist ein Land mit alten und stabilen Grenzen und einer inzwischen, trotz repressiver Herrschaft, entwickelten Zivilgesellschaft mit einer gut ausgebildeten, kritischen und dem Westen gegenüber aufgeschlossenen Jugend. Im Übrigen sind in keinem anderen islamischen Land Kleriker so verhasst wie im Iran.

Georg Hoffmann-Ostenhof