Ein Österreicher im Mullah-Kerker: „Sie wollen dir einhämmern, dass du allein bist“
Herr Ghaderi, wie kann man sich Ihr Leben nach siebeneinhalb Jahren Haft und zwei Jahren wieder in Freiheit vorstellen?
Kamran Ghaderi
Ich bin mit einem Rucksack an Gefühlen und Erwartungen nach Österreich zurückgekehrt. Ich war sehr froh, wieder die Familie zu sehen, wieder meine Kinder zu umarmen. Es war sehr bewegend. Ich war fast acht Jahre lang weg. In dieser Zeit bin ich ein anderer Mensch geworden, genauso wie meine Frau und meine Kinder. Als ich zurückkam, war ich ein Fremder in meinem eigenen Haus.
Wie ging es Ihrer Familie nach Ihrer Rückkehr?
Ghaderi
Meine beiden Töchter sind fast 18 und 20 Jahre alt. Aus meinen zwei Mädchen waren junge Damen geworden, die ich all die Jahre nicht ein einziges Mal gesehen hatte. Ich wusste nicht, wie ich mit ihnen sprechen sollte; worüber ich mit ihnen sprechen sollte. Das ist für alle Eltern von Teenagern nicht so einfach, vor allem in dieser speziellen Situation, in der ich war. Genauso war es mit meinem Sohn. Er verhielt sich distanziert, ich war für ihn wie ein Fremder, bei dem er aufpasste, wie er sich gab. Er ist früh aufgestanden und war sehr zurückhaltend. Es hatte alles etwas Künstliches. Meine Frau Harika hat in meiner Abwesenheit wie eine Löwin um meine Freilassung gekämpft. Ihre Liebe hat mich am Leben erhalten. Aber es ist nicht so leicht, aus dem Kampf- in den Normalmodus umzuschalten. Und Menschen ändern sich, so ist das halt im Leben.
Bevor Sie im iranischen Gefängnis landeten, waren Sie ein erfolgreicher Wiener Geschäftsmann im IT-Bereich – konnten Sie nach Ihrer Rückkehr nach Österreich beruflich wieder Fuß fassen?
Ghaderi
Ich habe den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt bisher nicht geschafft. In meinem Lebenslauf klafft eine Lücke von nahezu acht Jahren, und ich bin 60 Jahre alt. Ich habe etliche Bewerbungen abgeschickt, es hat bisher nichts funktioniert. Ich hätte Hilfe gebraucht. Die Republik Österreich hat sich für meine Rückkehr sehr eingesetzt, und ich hatte auch Treffen mit Politikern von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos. Doch als ich wieder zurück in Österreich war, war ich auf mich allein gestellt. Das Beratungszentrum Hemayat, das Folter- und Kriegsüberlebende behandelt, hat mich aufgenommen und mich kostenfrei behandelt. Ansonsten musste ich mich allein durchschlagen. Heute ist meine Frau Harika, die sich vor meiner Entführung vor allem um die Kinder gekümmert hat, diejenige, die unseren Lebensunterhalt verdient. Mein Bewegungsapparat ist kaputt, aufgrund dessen habe ich einen Behindertenpass mit 70-prozentiger Feststellung. Meine Beeinträchtigung ist eine Folge der Haft und der Folter.
Was genau die Iraner von Österreich für meine Freilassung verlangt haben, werden das österreichische Innen- und Außenministerium wohl nie transparent kommunizieren.
Wenige Wochen, bevor Sie im Gefängnis landeten, waren Sie noch Teil einer Delegation, die mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer in den Iran reiste. Haben Sie je verstanden, warum man ausgerechnet Sie festnahm?
Ghaderi
Ich habe keine Ahnung, warum der Iran mich gewählt hat. Welche Kriterien mitspielen – keine Ahnung. Immer noch nicht. Sie haben vielleicht gedacht, dass ich eine wichtige Person für Österreich bin und sie mit mir handeln könnten – das ist nur eine Vermutung. Dass es nicht so war, haben sie erst nach ein paar Jahren verstanden. Ich bin zu einer Verhandlungsmasse degradiert worden. Was genau die Iraner von Österreich für meine Freilassung verlangt haben, werden das österreichische Innen- und Außenministerium wohl nie transparent kommunizieren. Für mein jetziges Leben ist es mittlerweile ohnehin unerheblich.
Was haben Sie im Evin-Gefängnis erlebt?
Ghaderi
Viele Jahre musste ich auf Beton schlafen, zwischen mir und dem Boden lag nur eine Soldatendecke. Ich musste Wärme und Kälte ertragen, Ameisen und Kakerlaken. Es gab Phasen, vor allem zu Beginn, in denen ich wöchentlich nur rund zehn Minuten meine Zelle verlassen durfte. Es gab keine Sessel, es gab nichts. Nur gleißendes Deckenlicht aus der Neonröhre zu jeder Tages- und Nachtzeit. Keine Fenster mit Tageslicht, nur Öffnungen ins Gebäude hinein, und die waren aus Kunststoff – Glas war nicht erlaubt. Ich hatte derart heftige körperliche Beschwerden und Schmerzen, dass man mich sogar aus dem Gefängnis ins Spital brachte. Die Ärzte dort sagten, sie müssten mich dabehalten, doch das Regime verweigerte mir die Behandlung. Eineinhalb Jahre war ich ohne Kugelschreiber. Später klauten meine Mitinsassen und ich einen Stift von einem Aufseher, dann konnten wir endlich schreiben, kritzeln, auf Essensverpackungen, Wände.
Wie ist das Evin-Gefängnis?