Janez Janša: Der Donald Trump der Alpen tritt ab

Er gilt als Problemkind innerhalb der Europäischen Volkspartei. Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz bleibt ihm trotzdem treu – wie kann das sein?

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Nicht nur Frankreich hat am Sonntag gewählt, sondern auch Österreichs südliches Nachbarland Slowenien. Der bisherige Ministerpräsident Janez Janša, ein Rechtspopulist mit engen Verbindungen zu Viktor Orbán, verliert seine Macht – und das klarer als erwartet. Auf Platz Eins landete die zu Jahresbeginn gegründete linksliberale Freiheitsbewegung des Quereinsteigers Robert Golob. Die Sozialdemokraten haben angekündigt, für eine Koalition zur Verfügung zu stehen. Golob kann somit eine stabile Regierung bilden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in voller Länge in profil Nr. 10 / 2021 vom 07.03.2021 und erscheint hier als gekürzte Online-Version.

Der Brief, der am 7. Dezember 2018 auf dem Schreibtisch von Mojca Pašek Šetinc landet, legt für einen Tag RTV Slovenija lahm. Sloweniens öffentlich-rechtlicher Rundfunk liegt in einem grauen Büroblock im Herzen von Ljubljana. Die Journalistin Pašek Šetinc, 49, arbeitet seit 25 Jahren für den Sender, mit rund 2300 Mitarbeitern das größte Medienunternehmen des Landes.

An jenem Dezembertag wird der Eingang zum Redaktionsgebäude mit Absperrbändern gesichert. Männer in oranger Sicherheitsmontur rücken an, um das weiße Pulver im Briefumschlag zu untersuchen. Weil es sich um eine giftige Substanz handeln könnte, sind sie mit Gesichtsvisier und Gummihandschuhen ausgestattet. „Zum Glück“, erzählt Pašek Šetinc, „war es nur Mehl.“ Das Foto des Briefes hat sie bis heute auf ihrem Smartphone gespeichert. Darin heißt es: „Wenn ich er wäre, dann würde ich euch die Schädel einschlagen.“ Wer mit „er“ gemeint war, ist kein Geheimnis in Slowenien. 2016 klagte Pašek Šetinc den heutigen Regierungschef Janez Janša wegen Verleumdung. Janša, damals Oppositionsführer, hatte sie auf Twitter eine „Prostituierte“ genannt, die für 35 Euro nach der Pfeife ihres Zuhälters tanze. Mit „Zuhälter“ war Milan Kučan gemeint, im ehemaligen Jugoslawien ein hoher Funktionär der Kommunistischen Partei (KP) und Präsident Sloweniens nach der Unabhängigkeit. Als junger Mann war Janša selbst 
Mitglied der KP gewesen. Später kämpfte er als Dissident für Demokratie und Meinungsfreiheit. Heute baut der 62-Jährige diese Errungenschaften als Ministerpräsident Stück für Stück zurück.

Verschwörungstheorien und Lügenpresse

Janša spricht immer wieder von einem „deep state“, der unter rechten Verschwörungstheoretikern beliebten Theorie eines „tiefen Staates“. In diesem Weltbild wird Slowenien von einer kleinen, einflussreichen Gruppe rund um den Ex-Präsidenten geführt. „Kučan ist mittlerweile in Pension und 80 Jahre alt“, sagt Pašek Šetinc, „aber Janša denkt, dass er mir und anderen Journalisten Befehle erteilt.“

Ein Regierungschef, der Verschwörungstheorien verbreitet und Journalisten auf Twitter diffamiert? Janša, ein passionierter Bergsteiger, ist dabei, der Donald Trump der Karawanken zu werden. Als einziger EU-Regierungschef weigerte er sich, dem neuen US-Präsidenten Joe Biden zum Sieg zu gratulieren.

Slowenien, das südlich von Österreich gelegene Zwei-Millionen-Einwohner-Land, übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Dann werden alle Augen auf Janša gerichtet sein, ein Mann, der seit 30 Jahren Politik macht und bereits zwei Mal Ministerpräsident war, im Rest Europas aber weitgehend unbekannt ist. Seit März 2020 regiert seine rechtskonservative Slowenische Demokratische Partei (SDS) mit hauchdünner Mehrheit. Nachdem er Mitte Februar ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden hat, setzt er seinen autoritären Kurs unbeirrt fort.

Journalisten-etwa der österreichischen Tageszeitung „Kleine Zeitung“ oder des US-Magazins „Politico“-diffamiert Janša als Lügner. Im Mai 2020 veröffentlichte er einen Brief auf der offiziellen Regierungswebsite, der den Titel „Kampf mit den Medien“ trug. Darin ruft er dazu auf, die „Lügenmonopole“ zu durchbrechen. „Es ist nur gut für unsere Gesundheit, wenn wir diese Medien nicht lesen", rät Janša. Nach einer Ermahnung des Europarates argumentierte die slowenische Regierung, die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden.

Im Gespräch mit profil erzählen slowenische Journalisten von verbalen Drohungen, von finanziellem Druck und auch von Selbstzensur. Neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Janša als „totalitär“ bezeichnet hat, steht jetzt auch die staatliche Nachrichtenagentur (STA) im Visier. Die Regierung hat ihr unlängst den Geldhahn zugedreht. „Im Februar konnten den Journalisten dort keine Gehälter ausgezahlt werden“, erzählt ein Journalist, der anonym bleiben möchte. Insbesondere Frauen werden zur Zielscheibe. Janša hat ihnen einen Hashtag gewidmet. #Presstitution, ein Wortspiel aus Presse und Prostitution.

Solidaritätsbekundungen mit Martin Sellner

Janšas wichtigste Waffe fasst 270 Zeichen: sein Twitter-Account. Dort erklärte er Joe Biden zu einem der „schwächsten Präsidenten in der Geschichte der USA“. In der Vergangenheit teilte er eine Solidaritätsbekundung mit Martin Sellner, Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich. „Janša macht eine ähnliche Politik wie die AfD in Deutschland“, sagt der slowenische Politikwissenschafter Alem Maksuti. Er warne vor „dem Verlust von Identität, dem Ende des Nationalstaates und Migranten“.

Gleichzeitig schafft es Janša, als proeuropäischer Demokrat wahrgenommen zu werden. Am 8. September 2020 bestieg er mit Sebastian Kurz den Triglav, den höchsten Gipfel Sloweniens. „Wir haben sehr viel, was uns verbindet und wo wir an einem Strang ziehen“, 
erklärte Kurz gegenüber der Presse in Ljubljana.

Eine Woche zuvor hatte das „International Press Institut“ (IPI), eine Organisation zur Einhaltung der Pressefreiheit mit Sitz in Wien, einen alarmierenden Bericht vorgelegt. Darin heißt es: „Der Export ungarischer Methoden nach Slowenien sollte die Staats-und Regierungschefs der EU beunruhigen.“ Eine Anfrage von profil an das Bundeskanzleramt, ob Sebastian Kurz Janez Janša beim Wandern auf das Thema angesprochen hat, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Parallelen zu Orbán

Die EVP, die größte Fraktion im EU-Parlament, steht vor einem Dilemma, das sie mit dem Rauswurf von Orbán gelöst zu haben glaubt-und das mit dem Slowenen Janez Janša eine Fortsetzung finden könnte. Wie umgehen mit Parteifreunden, die von der bürgerlichen Mitte an den rechten Rand abgerutscht sind? Wo ziehen sie die rote Linie zu sich autoritär gebärdenden Rechtspolitikern? Lässt man Hardliner auf der Strecke, um das eigene Gesicht zu wahren? Oder hofft man, dass sie sich irgendwann zähmen lassen?

Vielleich hilft ein Rückblick auf die Vorgänge in Budapest, wo Viktor Orbán den Weg in die illiberale Demokratie angetreten hat. 

Ende der Achtzigerjahre galt Orbán noch als "shooting star" der europäischen Politik und als Hoffnungsträger des neuen, demokratischen Ostens. In einem Studentenheim gründet er 1988 Fidesz, den Bund Junger Demokraten. Orbán und seine Mitstreiter sind junge Liberale und warten sehnsüchtig auf die Wende. Unterstützt werden sie unter anderem von der österreichischen ÖVP und dem US-Mäzen George Soros. Die Wiener Volkspartei schickt Plakatständer, Soros einen Drucker und Startkapital. Heute ist Soros Orbáns größter Feind.

Ähnlich wankelmütig verlief die Karriere von Janša. Slowenien war einst die reichste Teilrepublik Jugoslawiens, in der sich Künstler und Intellektuelle selbstbewusst Freiräume erkämpften und den Machtanspruch der Kommunistischen Partei infrage stellten. Ihr Sprachrohr, ein Magazin namens „Mladina“, enthüllte Ende der 1980er-Jahre Pläne der jugoslawischen Armee, die slowenische  Demokratiebewegung niederzuschlagen. Der Journalist, der die sensiblen Dokumente veröffentlichte? Janez Janša. 30 Jahre später baut er die Freiheiten, für die er als junger Mann gekämpft hat, Schritt für Schritt ab.

profil hat bei Ministerpräsident Janez Janša um ein Interview angefragt, damit er zu den Vorwürfen, er würde Journalisten attackieren, Stellung nehmen kann. Wegen der Pandemie sowie der Vorbereitung auf die EU-Ratspräsidentschaft habe Janša „keine Zeit“, antwortete das Kabinett. In dem E-Mail heißt es außerdem, die Vorwürfe gegen Janša würden „von der Opposition konstruiert und ins Ausland exportiert“.

Nach Rücksprache mit der Slowenischen Journalisten-Vereinigung, die bestätigt, dass sich die Vorfälle mittlerweile häufen, bat profil Janša erneut um eine Stellungnahme. Anstelle einer Antwort auf die Fragen schickt sein Büro einen Tweet von Janša mit der Bitte, diesen in voller Länge abzudrucken. Er lautet wie folgt: „Ich kämpfe seit 1988 für Pressefreiheit. Damals schickten mich die slowenischen Kommunisten ins Militärgefängnis, weil ich beabsichtigte, die Wahrheit zu schreiben. Deshalb lasse ich mir keine Vorträge von Menschen halten, die in Reichtum geboren wurden und von den Lügen der extremen Linken gespeist werden.“

Ein slowenisches Breitbart

Der Kampf Janez Janšas gegen die Medien ist auch der Kampf von Orbán geworden. Seit Jahren expandieren ungarische Investoren auf den slowenischen Medienmarkt. Laut dem Investigativ-Portal "Necenzurirano" sollen seit 2018 vier Millionen Euro nach Slowenien geflossen sein, darunter auch an die Plattform „Novo24TV“, eine Art slowenisches Breitbart. Fotomontagen zeigen George Soros als Marionettenspieler, an dessen Fäden Politiker hängen (profil hat berichtet). Nova24TV, das 2015 von Mitgliedern der SDS-Partei gegründet wurde, fungiere heute als wichtigstes Sprachrohr der Regierung. Seit der Corona-Krise hat Janša dort eine wöchentliche Show. Die Online-Artikel wettern gegen Flüchtlinge, Roma oder Homosexuelle. In Live-Debatten wurden in der Vergangenheit Gäste eingeladen, die den Holocaust anzweifelten. Nach der US-Wahl berichtete Nova24TV von einem Wahlbetrug „historischen Ausmaßes“, obwohl es dafür keinerlei Belege gab. Mojca Pašek Šetinc, jene Frau, die Janša auf Verleumdung klagte, wird als „Aktivistin“ diskreditiert. Weil sie mit Janša in einen Rechtsstreit verwickelt ist, darf sie mittlerweile nicht mehr über Innenpolitik berichten. Heute moderiert sie Talk-Shows, anstatt über Korruptionsfälle zu recherchieren. „Ich kann nicht mehr so arbeiten wie früher, und das wegen eines einzigen Tweets“, sagt sie. Dafür ist Aleš Hojs, Ex-Generaldirektor von Nova24TV, in die Politik gewechselt. Er ist jetzt Janšas Innenminister.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.