ALTER REBELL; "Ich bin freier als meine Kollegen, die sich wieder Wahlen stellen müssen."

John McCain: Das republikanische Schwergewicht bangt um seine Partei

John McCain, der schärfste republikanische Widersacher von Donald Trump, ist todkrank. Er fürchtet um die Werte seiner Partei und will für sie kämpfen, solange es noch geht.

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Es ist ein schöner Platz, um auf den Tod zu warten. John McCain sitzt auf der Veranda, die Hände in den Schoß gelegt, um die Hüften eine Wolldecke. Von hier reicht der Blick bis zum Bach, an dessen Ufer mächtige Eichen stehen. Viele gute Stunden hat McCain auf der Ranch seiner Familie im 3000-Seelen-Ort Village of Oak Creek, Arizona, erlebt.

Niemand kann es dem 81-Jährigen verdenken, vor seinem Haus zu sitzen und über das eigene Ende zu sinnieren: In McCains Kopf hat sich vor Jahren ein Tumor eingenistet. Ob er wieder gesund wird, kann niemand sagen. Er selbst geht aber offenbar davon aus, dass es bereits an der Zeit ist, seine Dinge zu regeln.

Doch es wäre nicht John McCain, würde er nicht auch in dieser Situation Haltung zeigen. Unter anderem sorgte er dafür, dass die Öffentlichkeit von einem besonderen letzten Wunsch erfuhr: Wenn es so weit sei, dass er zu Grabe getragen werde, möge sich ein bestimmter Mann tunlichst von der Zeremonie fernhalten - Donald Trump.

WIderstand bis zum letzten Atemzug

Dabei ist McCain alles andere als ein Linker oder Demokrat. Weit mehr als ein Vierteljahrhundert war er einer der einflussreichsten Republikaner des Landes. Dass ein Schwergewicht wie er einem republikanischen Präsidenten versagt, ihm die letzte Ehre zu erweisen, ist beispiellos. "Verräter", schimpfen die Trumpianer.

Dass McCain den amtierenden Präsidenten verachtet, ist kein Geheimnis. Mit seinem Widerstand bis zum letzten Atemzug will der Senator für Arizona davor warnen, dass den Republikanern durch Donald Trump dauerhafter Schaden droht.

Wer John McCains Geschichte kennt, wird davon nicht überrascht sein. Sie handelt von einem Angehörigen der politischen Elite, der sich für sein Land geopfert hat und überzeugt ist, dass seine Partei besser ist als das, was Trump in ihr hervorbringt. "Der Eindruck von Härte oder ein Reality-Show-Abbild von Härte scheint wichtiger zu sein als irgendeiner unsere Werte", schreibt McCain in seinem am 22. Mai erscheinenden Buch "Die rastlose Welle" über Trump.

Dass sich die Lebenswege der beiden Männer kreuzen würden, war nicht vorauszusehen. John McCain wird am 29. August 1936 in einer Militärbasis nahe des Panama-Kanals geboren, der damals unter US-Verwaltung steht. Der Vater ist Admiral, die Familie zieht mit ihm um die Welt. Auch der Sohn strebt eine Karriere beim Militär an, besucht eine Eliteschule und wird schließlich Pilot.

Gefangenschaft in Vietnam

Während der nur zehn Jahre jüngere Donald Trump sich wegen eines harmlosen Knochensplitters in der Ferse vom Militärdienst befreien lässt, wird der 31-jährige McCain nach Vietnam abkommandiert und dort im Jahr 1967 mit seinem Flugzeug abgeschossen. Er bricht sich die Schulter, ertrinkt fast in einem Fluss und wird gefangen genommen. Als der Vietcong herausfindet, dass er den Sohn eines berühmten US-Admirals in seinen Händen hat, versucht er, McCain für Propagandazwecke zu missbrauchen: Man will ihn freilassen.

Ein perfider Trick. Die Vorzugsbehandlung für den Sohn eines Admirals soll die Verlogenheit des US-Systems bloßstellen. McCain weigert sich. Insgesamt fünf Jahre wird er in Gefangenschaft verbringen. Der Vietcong foltert ihn so brutal, dass er fürchtet, sein Land zu verraten, und versucht, sich das Leben zu nehmen. Als er die Torturen nicht mehr erträgt, verliest er vor Kameras einen Propagandatext. "Ich habe gelernt, dass jeder einen Punkt hat, an dem er bricht", schreibt McCain in einer Biografie, die Ende der 1990er-Jahre erschien: "Ich hatte meinen erreicht."

Zurück in der Heimat, wird er mit Auszeichnungen überhäuft. Dem Militär hat er nicht nur Jahre seines Lebens geopfert, sondern auch seine Gesundheit: Bis heute kann er wegen der schlecht verheilten Knochen die Arme nicht über den Kopf heben.

Währenddessen steigt Trump in das Immobilienunternehmen seines Vaters in New York ein und arbeitet an seinem Ruf als Partykönig.

"Er ist ein Kriegsheld, weil er gefangen genommen wurde?", wird Trump viele Jahre später über McCains Leidenszeit in Vietnam fragen und dann kommentieren: "Ich mag Leute, die nicht gefangen genommen wurden."

Krisenstratege

Es ist einer dieser Sätze, die nicht in die Wertewelt McCains passen, obwohl er selbst auch nicht immer dem Idealbild entspricht, das die Rechtskonservativen gern von sich selbst zeichnen: Er gilt als Frauenheld, lässt sich von seiner ersten Frau scheiden und heiratet in eine reiche Familie aus Arizona ein. 1989 wird er in eine Affäre um Wahlkampfspenden verstrickt. Hier setzt er zum ersten Mal auf eine Krisenstrategie, die er auch später beibehalten wird: Er bittet Journalisten zum Gespräch, räumt Fehler ein und gibt sich reuig. Wo Trump in den Angriffsmodus gehen würde, zeigt McCain Demut.

In den 1990er-Jahren vertritt McCain Arizona im Senat, im Jahr 2000 bewirbt er sich um die Präsidentschaft - und scheitert in den Vorwahlen am späteren Präsidenten George W. Bush. Seinem Aufstieg in der Partei schadet das nicht, McCain profiliert sich dabei als Falke und aggressiver Interventionist: Er befürwortet die Invasion im Irak genauso wie schon Ende der 1990er-Jahre die Luftangriffe auf den Kosovo. Auch den Iran-Deal und die Gesundheitsreform von Barack Obama wird er später ablehnen.

Trump denkt in diesen Jahren noch nicht ernsthaft daran, in die Politik zu wechseln. Der Entrepreneur klebt seinen Namen auf Produkte, geht einige Male mit allerlei halbseidenen Unternehmen bankrott und kehrt mit anderen zurück. Im Fernsehen tritt er ab 2004 als Gastgeber der Reality-Show "The Apprentice" auf. Ein Jahr später heiratet er seine dritte Frau, die Slowenin Melania Knavs, die kurz darauf schwanger wird. Zur selben Zeit soll Trump eine Affäre begonnen haben, die ihn nun in seiner Präsidentschaft einholt: Der Pornostar Stephanie Clifford (Künstlername: Stormy Daniels) behauptet, mit Trump geschlafen zu haben.

Auch McCain trifft in jenen Jahren eine Entscheidung, die er in der Folge bereuen wird. Im Jahr 2008 schicken ihn die Republikaner in das Rennen um die Präsidentschaft. Sein Gegner: Barack Obama, der dem damals 71-jährigen McCain mit seiner jugendlichen Dynamik die Show stiehlt. Im verzweifelten Bemühen, dem charismatischen schwarzen Kandidaten eine telegene Alternative entgegenzusetzen, setzt das Team von McCain auf eine unerfahrene Senatorin aus Alaska: Sarah Palin.

Heute sagt McCain, diese Personalie sei ein Fehler gewesen - nicht nur wegen ihrer deutlich zutage tretenden Inkompetenz. Palin, so lautet eine weit verbreitete These, habe jene Wähler mobilisiert, die Jahre später Trump zum Sieg verhalfen: die weißen Arbeiterschichten, die sich mit ihrer Angst vor Globalisierung, Migration und Terror von den Republikanern alleingelassen fühlen - und denen die Vorstellung, von einem schwarzen Präsidenten regiert zu werden, unerträglich erscheint.

Stimme der Vernunft

McCain muss miterleben, wie die Atmosphäre sich aufheizt und Verschwörungstheorien ins Kraut schießen. Er ist sichtbar schockiert, stemmt sich dagegen. "Ich traue Obama nicht, er ist ein Araber", sagt eine Frau bei einer seiner Kundgebungen. "Nein, Ma'am! Er ist ein bescheidener Familienmensch, ein guter Bürger", antwortet McCain. "Tötet Obama!", ruft die Menge ein anderes Mal. "Meine Freunde, wir müssen reden", versucht McCain zu kalmieren, kommt aber kaum noch zu Wort.

Was wäre, wenn McCain damals darauf verzichtet hätte, Sarah Palin auf die nationale Bühne zu hieven? Hätte er verhindern können, dass acht Jahre später Donald Trump ins Weiße Haus einzieht? Hätte der unerhörte Zorn, der in der Partei schlummerte, ein anderes Ventil gefunden?

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dem New Yorker Selbstdarsteller Trump gelingen sollte, woran McCain und Palin scheiterten. Um die Wahl zu gewinnen, versuchte Trump gar nicht erst, die Wut der republikanischen Basis nicht zu bekämpfen - er fachte sie weiter an und kickte damit einen Kandidaten nach dem anderen aus dem Rennen. "Verrückte" nennt McCain die Trumpianer.

Nach bald eineinhalb Jahren Trump steht die Partei vor einem Dilemma: Hält sie zum Präsidenten, der die verstaubte Elite mit der wütenden Basis verbunden hat? Oder stellt sie sich gegen den Mann, der keine Regeln respektiert, die demokratischen Institutionen nicht achtet und in seinem Leben mit fast allen Werten gebrochen hat, die einmal als republikanisch galten?

"Ich bin freier als meine Kollegen, die sich wieder den Wählern stellen müssen", schreibt McCain in seinem neuen Buch: "Ich kann sagen, was ich mir denke, ohne die Konsequenzen zu fürchten."

Einer der letzten seiner Art

Er ist einer der Letzten, die das von sich behaupten können. Die Anti-Trump-Stimmen in der Partei sind leiser geworden. Als der US-Präsident im Dezember seine Steuerreform durchbrachte, versammelte sich die republikanische Elite auf dem Rasen des Weißen Hauses. Einer nach dem anderen trat ans Mikrofon, um Trump zu huldigen.

Kommenden Herbst werden bei den Mid-Term-Elections das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatssitze neu besetzt. Ein Wort des Präsidenten kann in manchen konservativen Bundesstaaten entscheidende Prozente bringen - in anderen welche kosten. Die Unsicherheit ist groß: Mehr als 40 Republikaner, darunter die Zukunftshoffnung Paul Ryan, treten gar nicht mehr an.

John McCain könnte der Prophet sein, der seine Partei frühzeitig davor warnte, aus Kalkül auf der Trump-Welle von Populismus und Tabubrüchen zu surfen. Sollte der umstrittene Präsident damit jedoch dauerhaft erfolgreich sein, wird der wehrhafte Senator dereinst vielleicht wie einer aus der alten Garde wirken, der sich verzweifelt gegen einen Wandel stemmte, der nicht mehr aufzuhalten war.

Was es bedeutet, einen sturen Idealisten wie McCain gegen sich zu haben, zeigte sich eindrucksvoll in der Nacht des 28. Juli 2017. Im Senatssaal brennt noch Licht. Trump könnte in diesen Stunden endlich die ihm zutiefst verhasste Gesundheitsreform seines Vorgängers ("Obamacare") kippen. Der erste Entwurf ist an den eigenen Hardlinern im Repräsentantenhaus gescheitert, ein zweiter, radikalerer Text steht nun im Senat zur Abstimmung. Die Republikaner hätten eine hauchdünne Mehrheit, doch zwei von ihnen haben bereits dagegen gestimmt. Spricht sich noch ein dritter dagegen aus, scheitert Trumps Initiative erneut.

McCains Veto

Die Stimmung ist angespannt, als sich John McCain über den Flur schleppt. Erst wenige Tage zuvor musste er eine Gehirnoperation über sich ergehen lassen, über seinem linken Auge prangt eine verkrustete Narbe. Langsam geht er auf das Abstimmungspult zu. Er streckt seinen rechten Arm von sich, soweit es seine malträtierte Schulter zulässt. Für einen Moment herrscht Totenstille im Saal. McCains Hand schwebt in der Luft. Dann formt sie einen Daumen nach unten. Auf den Videoaufnahmen jener Nacht ist zu hören, wie ein paar Senatoren schockiert aufschreien.

Trumps Prestigeprojekt ist gescheitert, verhindert von einem Republikaner, der einmal selbst für die Abschaffung von Obamacare war. Alle hatten sie auf ihn eingeredet: der Präsident, der Vizepräsident, die Parteispitze. Doch McCain ließ sich nicht beirren. Er habe den Entwurf einfach schlecht gefunden. Dass er Trump mit seinem Nein eine peinliche Niederlage zufügte, wird ihn dabei nicht unbedingt gestört haben.

Freunde werden diese Episode später als "classic John McCain" bezeichnen: typisch für den Politiker, der zwar oft mit der Partei gestimmt hatte, aber auch oft genug gegen sie. "Maverick" nennen sie ihn, den Außenseiter, den Rebellen.

Zuletzt war McCain durch seine schwere Krankheit gezwungen, sich auf Zwischenrufe aus Arizona zu beschränken. Am Donnerstag forderte er, Gina Haspel als Trumps Kandidatin für die neue CIA-Direktorin abzulehnen, da sie nicht eindeutig gegen die Anwendung von Folter aufgetreten sei. An den Sitzungen des Senats nimmt er nicht mehr teil, wodurch die Mehrheit der Republikaner auf 50 gegen 49 Stimmen geschrumpft ist. Wann McCain seinen Sessel freimacht, ist eine Frage, die aus Pietätsgründen niemand öffentlich diskutieren will.

Hinter den Kulissen studieren die Anwälte aber sehr wohl das Wahlrecht in Arizona: Bleibt McCain mindestens bis Juni als Senator, dürften die Republikaner seinen Sitz bis 2022 mit einem der Ihren nachbesetzen. Dankt der 81-Jährige allerdings vor Ende Mai ab, müsste im Herbst wohl ein Nachfolger gewählt werden. Sollte ein Demokrat gewinnen, droht ein 50-50-Patt im Senat.

Noch lebt John McCain. Er steht für die Idee einer republikanischen Partei, die patriotisch und idealistisch sein soll, den amerikanischen Werten und der Demokratie verpflichtet. Ob sie ihn überdauert, wird davon abhängen, wie sich seine Parteikollegen gegenüber jenem Mann verhalten, den McCain schon zu Lebzeiten öffentlich von seinem Begräbnis ausgeladen hat.